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Veröffentlicht am 02.01.2018

Großartiger Spannungs- und Familienroman

Die Vergessenen
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Halbgrieche Manolis Lefteris ist nicht nur Besitzer eines Autohauses, er ist auch ein Mann für besondere Fälle, die er diskret und zuverlässig für seinen Auftraggeber löst. Seinen neuen Auftrag geht er ...

Halbgrieche Manolis Lefteris ist nicht nur Besitzer eines Autohauses, er ist auch ein Mann für besondere Fälle, die er diskret und zuverlässig für seinen Auftraggeber löst. Seinen neuen Auftrag geht er zunächst ähnlich emotionslos an: Er soll Dokumente, die im Besitz einer alten Dame sind, beschaffen und seinem Auftraggeber aushändigen. Der Auftrag erweist sich als komplizierter als gedacht, die Dokumente sind nicht aufzufinden, derjenige, dem er sie abnehmen soll, hat sie nicht und wird wenig später tot aufgefunden. Also hängt sich Manolis an die Nichte der alten Dame, Vera Mändler, einer Journalistin. Vera hat die Patientenverfügung ihrer Tante und ist außerdem die Cousine des Dokumentenüberbringers, des chronisch klammen Chris, der sie und ihre Tante immer wieder um Geld angepumpt hat. Ihr kommen bald ein paar Dinge spanisch vor und so beginnt sie auf eigene Faust zu recherchieren. Nach und nach merken beide, was für einer Ungeheuerlichkeit sie da auf der Spur sind, und die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen…

Ein großartiger und spannender Roman über ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte, von der Autorin anspruchsvoll, aber dennoch sehr flüssig und eingängig erzählt. Die zwei Hauptfiguren Manolis und Vera bilden die zwei Haupterzählstränge, in Einschüben wird jedoch sehr geschickt die Sichtweise anderer Personen beleuchtet und so sowohl die geschichtlichen Ereignisse erzählt als auch die gegenwärtigen vorangetrieben. Nebenfiguren gibt es eigentlich nicht, ein jeder trägt etwas Wesentliches zur Geschichte bei. Besonders die Einschübe von Veras Tante Kathrin beleuchten die historischen Geschehnisse und geben darüber hinaus sehr tiefe Einblicke in das Seelenleben eines Zeitgenossen während der Nazi-Zeit. Nach und nach eröffnet sich dem Leser das ganze Ausmaß der skandalösen Machenschaften, die freilich damals sanktioniert waren und erst in unserer Zeit geahndet und bestraft werden.

Die Charaktere sind durchweg vielschichtig, oftmals in sich zwiegespalten, reflektierend über ihr Dasein und mitunter hadernd mit ihrem Schicksal. Alles ist jedoch schlüssig und für den Leser sehr gut nachvollziehbar, und manch einer erweist sich als überraschend stark. Sowohl Manolis als auch Vera tragen familiäre Altlasten mit sich herum und hinterfragen ihr Leben und ihren Beruf, hervorgerufen durch die Ereignisse, in die sie – eher unverhofft - hineingeraten. Beide hadern mit der Vergangenheit ihrer Familie in der Nazi-Zeit, Manolis schleppt ein psychisches Trauma mit sich herum, Vera fragt sich besorgt nach der Rolle ihrer Tante bei den abscheulichen Geschehnissen. Beide machen im Laufe der Ereignisse des Buches eine Veränderung durch, Manolis gibt seine Neutralität und Gleichgültigkeit gegenüber der wahren Beweggründe seiner Auftraggeber auf, Vera wirft ihr starkes Sicherheitsbedürfnis über Bord und emanzipiert sich sowohl privat als auch beruflich. Beiden geht es schlussendlich um Gerechtigkeit, nicht jedoch im juristischen, sondern im moralischen Sinne.

Das Buch ist sehr emotional, es macht betroffen und wütend und es fordert in dem Maße, wie sich die Figuren verausgaben, dies auch vom Leser, der mit jeder Faser mit lebt. Die Einblicke besonders in Manolis‘ Seelenleben gehen unter die Haut und er polarisiert als Charakter durch seine Vergangenheit, seine psychische Verletzlichkeit und seinen „Job“ sehr. Trotzdem macht die Autorin seine Aktionen plausibel und ihn somit als Persönlichkeit stark und tiefsinnig. Das Ende ist denn auch zumindest versöhnlich.

Fazit: Ein must-read! Das Buch bietet alle Facetten eines gut recherchierten, an historischen Fakten orientierten Spannungsromans, der zwei Zeitebenen plausibel verknüpft, die Spannung stetig steigert und auch psychologische Abgründe nicht zu überladen, aber doch überzeugend darstellt. Das „zweite literarische Standbein“, wie die durch Krimis unter anderem Namen bekannt gewordene Autorin diesen Ausflug in ein komplett anderes Genre selbst nennt, ist wahrhaft gelungen! Dass Ellen Sandberg alias Inge Löhnig schreiben kann, hat sie nun hinlänglich bewiesen, aber einen historisch fundierten, spannenden Familienroman zu schreiben erfordert meines Erachtens eine völlig andere Herangehensweise und einen deutlich höheren Rechercheaufwand. Dass hier ihr Herzblut drinsteckt, merkt man mit jeder Zeile. Wenn es auch schwierig werden dürfte, dies so zu wiederholen oder gar zu toppen, so würde ich als Leser nach diesem Ende doch hoffen, wieder einmal etwas über Manolis und Vera lesen zu dürfen.

Veröffentlicht am 15.08.2017

Starkes Buch über starke Frauen!

Der Frauenchor von Chilbury
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Chilbury, Kent in England, 1940: Fast alle Männer im Dorf wurden für den Zweiten Weltkrieg eingezogen. Die Frauen übernehmen mehr und mehr die anfallenden Arbeiten auf Höfen und in Läden oder arbeiten ...

Chilbury, Kent in England, 1940: Fast alle Männer im Dorf wurden für den Zweiten Weltkrieg eingezogen. Die Frauen übernehmen mehr und mehr die anfallenden Arbeiten auf Höfen und in Läden oder arbeiten als Krankenschwestern oder beim Nachrichtendienst. Da wird – zum Schrecken der weiblichen Bevölkerung – der Chor von Chilbury wegen Männermangel aufgelöst. Die Damen sind entsetzt, haben dem aber nichts entgegen zu setzen. Eines Tages zieht Primrose Trent, Musikprofessorin aus London, ins Dorf und mischt dieses kräftig auf. Sie gründet einen reinen Damenchor und meldet diesen sogar entgegen aller Widerstände bei einem Gesangswettbewerb an. Doch der Krieg ist in vollem Gange und macht auch vor dem kleinen Dorf nicht Halt…

Bezauberndes Buch über die Hoffnung in schweren Zeiten, über das Über-sich-Hinauswachsen in Krisenzeiten, aber auch über Selbstfindung, Läuterung und nicht zuletzt die Liebe. Eigentlich sind es mehrere Geschichten, die in Form von Bekanntmachungen, Tagebüchern, Briefen und Schlagzeilen in Zeitungen erzählt werden. Über einen Zeitraum von März bis Anfang September 1940 wird von großen und kleinen Kümmernissen, von Intrigen, kriminellen Machenschaften, aber auch von Träumen, Hoffnungen und Wünschen berichtet. Durch die gewählte Erzählform hat man das Gefühl, dies alles geschieht wirklich und man selber ist mittendrin, man wird Teil der Dorfgemeinschaft und erlebt hautnah alle Geschehnisse mit. Die Autorin hat einen wunderbaren Schreibstil, locker, aber doch stilvoll, jeder Brief, jeder Tagebucheintrag, jede Notiz erhält eine eigene Note, und trotz der damit verbundenen häufigen Perspektivwechsel und kurzen „Kapitel“ liest sich das Ganze ungeheuer flüssig. Es ist an sich ein Buch der leisen Töne. Sicherlich sind die großen Erlebnisse und Ereignisse einschneidend und haben weitreichende Konsequenzen, doch es sind die kleinen Dinge, die Mut machen und amüsieren, an Hand derer die Protagonisten ihre Entscheidungen fällen und die den Leser oftmals überraschen.

Jeder Charakter ist vielschichtig und man erfährt einiges über das Selbstbild von einzelnen Menschen, das oft in einigem Gegensatz zu dem Bild steht, das andere von demjenigen haben. Das machte für mich einer der größten Reize aus, es wird ein Ereignis oder ein Person aus verschiedenen Blickwinkeln beschrieben, doch es wiederholt sich niemals und wird niemals langweilig, im Gegenteil. Es ist interessant zu lesen, wie Ereignisse wahrgenommen werden, sie bekommen aus jeder Perspektive heraus eine eigene Dynamik. Das Ganze lebt zudem von den starken Charakteren und der Entwicklung von einzelnen Figuren. Einerseits ist da eine durchaus in sich geschlossene Dorfwelt mit teilweise skurrilen Menschen, mit ihren Befindlichkeiten, Feindseligkeiten und Geheimnistuereien. Sie versuchen lange, ihre gewohnten Abläufe und Strukturen beizubehalten. Andererseits ist da die Außenwelt und diese dringt immer mehr in das Dorf ein und verändert es. Durch den Krieg sind die Frauen gezwungen selbst die Initiative zu ergreifen, doch sie müssen sich auch erst einmal dazu durchringen, die Entscheidungsgewalt lag bislang bei den Männern. So verändert sich die Gesellschaft, die Frauen werden selbständiger und selbstbewusster, und die Persönlichkeit manch einer gewinnt an Substanz und Eigenständigkeit, manch eine beweist ungeahnte Führungsqualitäten, manch eine zeigt ihr wahres Gesicht oder verstellt sich nicht mehr. Es ist ein Frauenroman, Männer spielen dabei zwar auch eine Rolle, aber bleiben doch zumeist im Hintergrund, da sie im Krieg sind, haben eine Nebenrolle oder werden in ihre Schranken verwiesen.

Fazit: Ein wunderbarer Roman und gleichzeitig ein Zeitzeugnis davon, wie Frauen an der Heimatfront ihr Leben meisterten, ihren Mann standen und über sich hinauswuchsen. Ein Buch, das zeigt, was Menschen leisten, wie sie sich und die Gesellschaft verändern können. Es sind die stillen Helden, die die Welt verändern. Wundervoll geschrieben in einem außergewöhnlichen Stil, der fesselt, und eine Autorin, die es versteht, ein schwieriges und trauriges Kapitel der Geschichte hoffnungs- und humorvoll und ihre Charaktere liebevoll zu behandeln. Eine, die man sich merken sollte und von der es hoffentlich bald mehr zu lesen gibt!

Veröffentlicht am 31.07.2017

Großartig!

Heimkehren
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Ghana, Ende des 18. Jahrhunderts: Effia und Esi sind Schwestern, wissen aber nichts voneinander. Effia wächst bei ihrem Vater und dessen Frau mit ihren Geschwistern auf, sie leben in einem Dorf in der ...

Ghana, Ende des 18. Jahrhunderts: Effia und Esi sind Schwestern, wissen aber nichts voneinander. Effia wächst bei ihrem Vater und dessen Frau mit ihren Geschwistern auf, sie leben in einem Dorf in der Nähe des großen britischen Forts Cape Coast. Als Effias Schönheit erblüht, wird der Gouverneur des Forts auf sie aufmerksam und nimmt sie zu seiner ghanaischen Ehefrau. Obwohl im Fort Effias Landsleute gefangen gehalten und als Sklaven in die Neue Welt verkauft werden, sind die beiden einander zugetan und glücklich miteinander. Effias Sohn wird ein erfolgreicher Sklavenhändler, ihr Enkel jedoch entzieht sich seiner Bestimmung und wird einfacher Landwirt fern seiner Heimat. Effias Nachkommen leben lange im Land ihrer Vorfahren, erst im 20. Jahrhundert wandert ein Nachfahre, Yaw, nach Alabama in den USA aus.

Esi lebt zunächst glücklich bei ihren Eltern, sie weiß nichts von der Vergangenheit ihrer Mutter Maame. Ihr ist jedoch ein schwereres Schicksal beschieden als ihrer unbekannten Halbschwester, sie wird vom Nachbarstamm geraubt, in Cape Coast festgesetzt und schließlich als Sklavin verkauft. Ihre Tochter Ness erleidet ebenfalls ein hartes Los als Sklavin bei einem brutalen Herrn in Alabama, sie sorgt jedoch dafür, dass ihr Sohn Kojo frei sein kann. Ihre Nachkommen zieht es quer durch die Vereinigten Staaten, sie leben in Georgia, Baltimore/Maryland, New York und schließlich Kalifornien. Hier schließlich leben sowohl die Ururururenkelin Effias, Marjorie, als auch der Nachfahre Esis, Marcus…

Ein großartiges Buch, ein Pageturner, den man kaum aus der Hand legen konnte! Eine Geschichte, die nachhallt, die betroffen, aber auch Hoffnung macht, die den Leser alle möglichen Emotionen durchleben lässt, von Wut über Fassungslosigkeit, Freude und Trauer, man taucht tief ein ins Geschehen, lebt mit und im Nachgang kann man sich nur schwer von den Eindrücken lösen. Ein Buch, das einen zwingt, sich mit der uns doch eher unbekannten Geschichte Ghanas zu beschäftigen, man will unbedingt mehr wissen, nicht nur über die Charaktere, sondern auch über die realen Menschen.

Zunächst einmal ist es ein toll gebundenes Buch, das edel daherkommt. Es liefert interessante Zusatzinformationen wie das Interview mit und einen Artikel von der Autorin von Anfang des Jahres sowie im Anhang einen Stammbaum der beiden Linien Effias und Esis – sehr hilfreich! Untergliedert ist es in zwei Teile, die fast gleich stark sind, der zweite Teil beginnt mit der 4. Generation aus Esis Linie. Ich habe versucht, das Geschehen der einzelnen Generationen zeitlich einzuordnen, demnach zieht sich das Geschehen von Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts, also etwa 1775, bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts. Immer im Wechsel wird in einzelnen Kapiteln chronologisch über Effia und Esi und ihre jeweiligen Nachkommen erzählt, d.h. jeder erhält ein Kapitel in unterschiedlicher Länge. Naturgemäß treten auch in den Kapitel der Söhne und Töchter die jeweiligen Eltern auf, so dass man immer noch mehr über deren Leben erfährt. Einige Figuren werden in ihren eigenen Kapiteln meines Erachtens etwas zu kurz behandelt, manche blieben mir daher fremd, andere wiederum gingen mir so nah, dass ich regelrecht erschüttert war, dass es mit ihnen nicht weiterging. Am nächsten standen mir Effia, vielleicht weil es mit ihr anfing, aber auch über Ness, Kojo und Anna (seine Frau) und Abena hätte ich gerne mehr erfahren, ihre Schicksale bewegten mich tief.

Es ist keine leichte Kost, die uns die Autorin da bietet, es gibt eine Vielzahl an Charakteren und alles in allem ist der Roman vollgepackt mit Information, teilweise musste ich auch Abschnitte zweimal lesen bzw. zurück blättern, um Zusammenhänge zu erkennen oder Wissen aufzufrischen. Was aber nicht heißt, dass es sich nicht sehr gut lesen lässt, man ist sofort gefesselt und folgt beinahe atemlos dem Geschehen, aber man versucht einfach immer zu rekonstruieren, in welchem Ort und zu welcher Epoche sich das Ganze gerade abspielt und zieht eine Linie zu vorherigen Generationen. Zum Glück gibt die Autorin immer Hinweise, so dass man alles nachvollziehen kann. Zeitlich gesehen spielen sich die Ereignisse zu interessanten historischen Epochen ab und man erfährt viel über den Atlantischen Dreieckshandel, man erlebt den Fugitive Slave Act von 1850 am Beispiel von Kojo und Anna mit und man begibt sich in die Jazzclubs ins Harlem der 1930er Jahre mit Willie und Sonny. Ich persönlich fand die Geschichte um den Sklavenhandel am spannendsten, wie z.B. die verschiedenen Stämme mit den Briten zusammenarbeiteten und ihre Landsleute, wenn auch von anderen Stämmen, als Sklaven verkauften und dadurch reich wurden. Dies wird im Buch durch Effias Sohn Quey verkörpert. Es gibt rührende Liebesgeschichten wie die von Yaw und Esther und allen voran die Liebe von Eltern zu ihren Kindern und die Hoffnung und das Bestreben, dass diese es einmal besser haben als sie selber, es gibt geläuterte Verbrecher und Junkies und besonders Esis Seite erlebt viel Leid, von der Sklaverei angefangen, Vergewaltigungen und Diskriminierung, Rassentrennung und die Not in Harlem. Aber immer ist da auch Hoffnung und die Kapitel enden doch zumeist versöhnlich und mit einem hoffnungsvollen Ausgang für die Protagonisten.

Die einzelnen Linien treffen durch die Zeiten hinweg nicht aufeinander, und die Schicksale unterscheiden sich doch sehr voneinander. Erst die sechste Generation nach Effia und Esi, die in den 1980er Jahren leben, können so langsam von sich behaupten, wirklich frei zu sein, in ihren Entscheidungen, in ihrem Leben. Marjorie, Effias Nachfahrin, hochintelligent und aus Alabama, ist noch sehr mit ihrem Heimatland, dessen Geschichte und Mythen und der Geschichte ihrer Vorfahren verwurzelt, sie kennt ihre Heimat Ghana und hat die Angst vor dem Feuer im Blut. Marcus aus Esis Linie kommt aus New York, er hat die Angst der ehemaligen Sklaven vor dem großen Wasser im Blut. Beide lernen sich im San Fransisco der Neuzeit kennen, finden sich und überwinden mit gegenseitiger Hilfe ihre Ängste. Beide kehren heim nach Ghana zu ihren Wurzeln, und so treffen Effias und Esi im Blut ihrer Nachfahren doch noch aufeinander und der Kreis schließt sich.

Fazit: Ein tolles absolut lesenswertes Buch für die anspruchsvolleren Leser. Nichts zum Einfach-so-Weglesen, sondern ein Buch, das lange nachhallt. Vorhandenes Interesse für Geschichte ist von Vorteil, aber das Buch fesselt vor allem durch seine bildhafte Sprache, seine Charaktere und die Emotionen, die es auslöst. Macht Lust auf das Land und die Menschen und man wünscht sich noch viel von dieser Autorin zu hören!

Veröffentlicht am 21.06.2017

Zweiter spannender Fall für Toni Stieglitz

Tiefe Schuld
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Jugendliche Geocacher stoßen bei ihrer Schatzsuche auf eine schrecklich zugerichtete weibliche Leiche. Ein Fall für Antonia „Toni“ Stieglitz, Kriminalhauptkommissarin von der Münchner Mordkommission. Toni ...

Jugendliche Geocacher stoßen bei ihrer Schatzsuche auf eine schrecklich zugerichtete weibliche Leiche. Ein Fall für Antonia „Toni“ Stieglitz, Kriminalhauptkommissarin von der Münchner Mordkommission. Toni ist alarmiert: Die Leiche weist alle Anzeichen von schweren Misshandlungen auf. Gibt es etwa einen gewalttätigen Ehemann? Ein sensibles Thema für Toni, war sie doch selbst Opfer eines prügelnden Partners, der ebenfalls bei der Polizei ist und den sie angezeigt hat. Seitdem versteckt sie sich vor ihm. Das Team um Chef Hans Zinkl nimmt die Ermittlungen auf, jeder hat seine zugewiesene Aufgabe, doch Tonis Alleingänge bringen sie mehr als einmal in Teufels Küche. Nicht nur nimmt sie den Fall persönlich und will ihn unbedingt aufklären, sie fürchtet sich zudem von ihrem Ex und hat vor ihrer neuen Liebe Tom Mulder Geheimnisse. Die Ermittler stoßen auf allerlei Ungereimtheiten und je tiefer sie vordringen, desto mehr unschöne Wahrheiten bringen sie ans Licht.

Zweiter Fall nach „Verletzung“ für die Münchner Kommissarin Toni Stieglitz, der ein echter Pageturner ist und sich kaum aus der Hand legen lässt. Man merkt deutlich, dass die Autorin sich bestens im Polizeiapparat auskennt, Ermittlungsmethoden, Zusammenarbeit und Charaktere wirken auf mich sehr professionell und authentisch. Dazu hat sie einen sehr eingängigen Schreibstil, der sich gut lesen lässt, und sie versteht es, die Geschichte spannend und logisch zu erzählen und die Spannung stetig zu steigern. Zusätzliche Brisanz erhält das Ganze natürlich durch Tonis sehr persönliches Drama, das denn auch sehr viel Raum in der Geschichte einnimmt und ihre Handlungen nachhaltig bestimmt. Durch mehrere Perspektivwechsel gewinnt der Leser einige Erkenntnisse, die Toni nicht hat, doch ist alles so wohl dosiert, dass es die Spannung noch steigert und nicht zu Langeweile führt. Tonis Sichtweise nimmt jedoch den meisten Raum ein, man erhält tiefe Einblicke in ihre Seele und lebt immens mit ihr mit.

Alle Charaktere sind gut herausgearbeitet und haben ihre Eigenheiten, einigen wird jedoch mehr Aufmerksamkeit gewidmet als andere, z.B. Tom Mulder, aus seiner Sicht und der mit dem Opfer verquickten Personen werden auch einige Handlungsstränge erzählt. Toni jedoch ist diejenige, auf der der meiste Fokus liegt. Sie ist ein zwiespältiger Charakter, erfolgreich und ehrgeizig in ihrem Beruf, innerlich zerrissen und gebeutelt durch ihr sehr frisches Beziehungsdrama. Umso erstaunlicher, dass sie sich recht schnell wieder auf einen neuen Mann einlässt, das fand ich aus psychologischer Sicht etwas unglaubwürdig. Sehr überzeugend rüber kamen ihr seelisches Ungleichgewicht, ihre Unsicherheit und ihr Schutzbedürfnis. Ich sehe darin auch keine Diskrepanz zu ihrer beruflichen Toughness, sie ist eine sehr intelligente und hartnäckige Ermittlerin, aber auch empathisch, und sie will unbedingt die Wahrheit herausfinden. In diesem Fall geht ihr das Ganze persönlich nahe, sie versucht jedoch trotzdem objektiv zu bleiben. Ihre Kollegen tun ihr Übriges dazu, und sie hinterfragt sich und ihre Ansichten ständig selbst und revidiert sie, wenn nötig.

Fazit: Solider und spannender Krimi, den es sich zu lesen lohnt. Es gibt zwar Verweise auf den vorangegangenen Band, doch lässt sich der vorliegende unabhängig von diesem lesen, der Fall ist sowieso in sich abgeschlossen und auch Tonis eigene Geschichte wird ausreichend beleuchtet, um alles nachvollziehen zu können. Der Fall selbst bietet Spannung und eine gute Auflösung. Als erfahrener Krimileser ermittelt man natürlich mit, wird aber durch die eine oder andere Wendung durchaus überrascht. Einige Charaktere fand ich so interessant, dass ich gerne mehr über sie erfahren hätte, wie etwa Mulder oder auch die Ermittlerkollegin Beate, aber diese tauchen hoffentlich auch im Folgeband auf, so dass ein zusätzlicher Anreiz da ist, diesen ebenfalls zu verschlingen!

Veröffentlicht am 22.05.2017

„Das Panama Erbe“ – 2. Band der Amakuna-Trilogie und sehr gelungene Fortsetzung!

Das Panama-Erbe
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Sina Saratoga ist eine Top-Wirtschaftsstudentin an der renommierten Harvard-Universität, Erbin des riesigen und einflussreichen Saratoga-Bankenimperiums und verlobt mit Felipe, Sohn eines ebenso einflussreichen ...

Sina Saratoga ist eine Top-Wirtschaftsstudentin an der renommierten Harvard-Universität, Erbin des riesigen und einflussreichen Saratoga-Bankenimperiums und verlobt mit Felipe, Sohn eines ebenso einflussreichen Wirtschafts- und Immobilienmagnaten in Panama. Ihr Leben ist vorgezeichnet, bis sie plötzlich an der Uni, mitten in der Vorlesung, einen Blackout hat. Die Therapeutin erkennt, dass Sina etwas Schlimmes aus ihrer Kindheit verdrängt hat, nämlich was vor 20 Jahren mit ihren Eltern geschah. Durch einen unmittelbaren Auslöser in der Gegenwart kamen Bruchstücke der Erinnerung mit aller Gewalt wieder hoch. Bei einer Ausstellung sieht sie einen vom Kuna-Volk, den panamesischen Ureinwohnern, gefertigten Wandteppich, der ebenfalls starke Erinnerungen in ihr auslöst und der von einem Kuna-Aktivisten gestohlen wird. Seitdem ist für Sina nichts mehr, wie es war. Sie verlässt die Uni und beschließt, mehr über das Schicksal ihrer Eltern herauszufinden und den Kuna zu finden, der den Teppich entwendet hat. Ihr Großvater versucht mit aller Macht, sie zurückzuholen, und setzt allerlei zwielichtige Gestalten auf sie an. Auch Felipe, ihr Verlobter, fährt ihr nach. Sie findet den Kuna, Neri, doch auch die Verfolger finden sie. Als sie ins Wasser stürzt, um Felipe zu retten, prallt sie mit voller Wucht an Felsen und wird ohnmächtig. In ihren Träumen hat sie Visionen von vergangenen Zeiten, von Konquistadoren und von Enrique, der 1517 in die neue Welt auswandert. Als sie erwacht, geht es ihr bestens – dank eines geheimnisvollen Pilzes namens Amakuna. Sina fühlt, dass Neri und Amakuna und der Kampf um eine gerechte Welt ihr Schicksal sind und begibt sich auf die Suche nach ihren Wurzeln…

Sehr starker zweiter Band der Amakuna-Trilogie, der etwa 24 Jahre später spielt und nicht nahtlos da einsetzt, wo der erste Band „Tochter des Drachenbaums“ aufgehört hat. Erneut besticht die Autorin mit flüssigem und unterhaltsamem Schreibstil und bleibt dabei ihrer Erzählweise und ihren Motiven aus dem ersten Band treu. Die Geschichte, eine Mischung aus Ökothriller, Familien- und Liebesroman, spielt wieder auf zwei Zeitebenen, die Kapitelzählung erfolgt fortlaufend und die einzelnen Kapitel werden mit einem Zeichen versehen, so dass der Leser sofort weiß, in welcher Zeit er sich gerade befindet. Der Verbleib auf einer Ebene ist auch hier wieder wohltuend lang, so dass man nicht das Gefühl hat, ständig durch abrupte Wechsel herausgerissen zu werden. Die Verbundenheit zwischen den beiden Hauptprotagonisten in den verschiedenen Zeiten, Sina und Enrique/Tamanca, ist meines Erachtens nicht so sehr präsent wie im ersten Band die zwischen Romy und Iriomé, man hat erst einmal das Gefühl zwei parallele Geschichten zu lesen. Dennoch sind beide miteinander verbunden, sie haben ein ähnliches Schicksal, denn bei beiden ändert sich das Leben gravierend durch Amakuna, beide versuchen etwas über ihre Eltern(-teile) herauszufinden und beide sind eng mit den panamesischen Ureinwohnern verbunden. Die Wechsel erfolgen, sobald ein Protagonist in eine Notlage gerät bzw. wenn der mysteriöse Heilpilz Amakuna ins Spiel kommt. Dadurch, dass die Geschichte zunächst losgelöst von den vorangegangenen Ereignissen einsetzt, und zwar auf beiden Zeitebenen, und auch die Personen neu sind, entwickelt sich die Geschichte unabhängig vom ersten Band und lässt sich auch sehr gut ohne Vorkenntnisse lesen. Mit der Zeit gibt es jedoch immer mehr Verbindungen zu Sinas und Tamancas Vergangenheit und damit auch zu Ereignissen und Personen des ersten Bandes, je weiter sie hinter das Geheimnis von Amakuna und ihrer eigenen Wurzeln vordringen. Es erfolgt also durchaus ein Wiedersehen mit liebgewonnen Figuren, zunächst in Rückblenden, in Erinnerungen und Visionen, später dann auch „real“, und dass ein ganz spezieller, sehr mysteriöser Protagonist wieder in Erscheinung tritt, freut mich ganz besonders... Hauptsächlich ist aber alles sehr auf Sina und Tamanca und ihre Erlebnisse konzentriert. Beide beobachten sich aus ihrer Zeit heraus und lernen voneinander.

Beide, Sina und Tamanca, sind sehr starke Charaktere, sie machen große Veränderungen und eine enorme Entwicklung durch, ihre Leben werden komplett auf den Kopf gestellt und sie müssen Unglaubliches verarbeiten. Beide sind ziemliche Gutmenschen, sie sind jedoch auch nicht gefeit gegen Verführungen und Einflüsterungen von außen. Überhaupt ist positiv, dass die Charaktere nie nur böse sind, alle sind gut herausgearbeitet, vielschichtig und haben gute und schlechte Eigenschaften. Man wünscht sich phasenweise, dass ein jeder auf den Pfad der Tugend zurückkehrt, das wäre denn aber doch zu unrealistisch. Die Geschichte entwickelt sich denn auch im weiteren Verlauf immer mehr zum Thriller, bei dem es auch brutale Szenen und Tote gibt, und das Ende ist – da es ja auch noch einen dritten Band geben wird – einigermaßen offen. Parallel zum ersten Band stehen hier erneut „gute“ Weiße skrupellosen Konzernen gegenüber sowie Ureinwohner, im ersten die Guanchen, hier die Kuna, die gegen Unterdrückung und Gewalt der Eroberer kämpfen und mit Hilfe des Heilpilzes Amakuna die Welt zu einem besseren Ort machen wollen.

Fazit: Sehr gelungener zweiter Band der Amakuna-Trilogie, der ebenso fesselt und dem ersten in nichts nachsteht. Das broschierte Buch kommt wieder mit schönem Cover, mit Karten in der Innenseite des Kartons sowie einen Personenverzeichnis daher. Die Figuren sind neu, wachsen einem aber ebenso wie die Altbekannten aus dem ersten Band sofort ans Herz, man fiebert in beiden Zeitebenen mit und erlebt mehrere überraschende Wendungen. Die Autorin schafft es wieder vorzüglich, die Spannung aufzubauen und hochzuhalten, durch die Ausgefeiltheit ihrer Charaktere, den sehr fesselnden Schreibstil und natürlich durch die packenden Ereignisse wird das Buch erneut zum echten Pageturner. Für alle Leser von „Tochter des Drachenbaums“ sowieso ein Muss, das Lesen des ersten Bandes vor diesem wird empfohlen. Mit großer Spannung erwarten wir nun den dritten Band, der 2019 herauskommen soll.