Das Grundkonzept dieses Buches ist altbekannt: Idyllische Kleinstadt, in der jeder jeden kennt. Nerdige Protagonistin mit traumatischer Vergangenheit und kleinen Ungereimtheiten (sie hört merkwürdige Schreie), die sich um Normalität bemüht. Ein attraktiver, aber düsterer und gefährlich anmutender Typ, der plötzlich auftaucht und sie mit einer übernatürlichen Welt in Kontakt bringt, in der es die Guten gibt, die gegen die Bösen kämpfen.
Huch, da meldet sich ein kleiner Wiedererkennungswert. Das Buch hatte dabei den deutlichen Vorteil, dass ich just zu dem Zeitpunkt mal wieder richtig Lust auf so eine Story hatte - oder zumindest auf die Kernbereiche - und somit bereit war, mich darauf einzulassen.
Rayne war mir dabei durchaus sympathisch. Sympathievorschuss erhielt sie allein schon dadurch, dass ihr größtes Hobby Lesen ist, sie in einer Buchhandlung arbeitet und sich auch sonst gerne anderen Welten zuwendet. Sie liebt ihre Adoptivfamilie über alles und kümmert sich rührend um ihre kleine Adoptivschwester Emma. Tragische Vergangenheit also (sie kann sich an ihre ersten fünf Lebensjahre nicht erinnern und die danach waren auch nicht viel besser), aber kein komplett kaputter Charakter, sondern in vielen Bereichen eine normale Jugendliche.
Als sie dann mit dieser anderen Welt konfrontiert wird, verschließt sie nicht die Augen davor, sondern akzeptiert zwar nicht direkt, aber ohne dass es anstrengend wird ganz rational die sich vor ihr ausbreitenden Beweise. Auch danach lässt sie sich nicht unterkriegen und bietet zum Beispiel Colt Paroli, ohne ihr Gehirn gleich abzugeben.
Womit wir bei Colt wären. Colt ist der klassiche Bad Boy - dunkle Seiten, Geheimnisse, bedrohliches Auftreten. Ich mochte ihn, zumal er Rayne nicht wie den letzten Dreck behandelt. Ich meine, ich würde auch Leute mit dem Messer bedrohen, bei denen ich nicht weiß, auf welcher Seite sie stehen. Danach verhält er sich eigentlich ganz ... ich will jetzt nicht sagen, zuvorkommend, aber immerhin respektvoll.
Die Dialoge zwischen den beiden sind durchaus unterhaltsam, die Liebesgeschichte entwickelt sich jetzt nicht allzu langsam, aber schon nachvollziehbar, aufbauend auf anfänglicher Anziehung, auch wenn es hier ein übliches Drama gibt.
Ich mochte es dabei, dass Seelenpartner nicht gleich Liebespartner war, im Gegenteil. Das gab dem Ganzen mal eine neue Ebene.
Ansonsten wartete ich allerdings leider eher vergeblich auf die erhoffte Tiefgründigkeit. Immer wieder hoffte ich, die Grenzen zwischen der strikten Schwarz-Weiß-Einteilung von Gut und Böse würden verwischt werden, doch dieses Potenzial wurde leider nicht genutzt. Schade. Mir wären da einige Ideen gekommen.
Die Handlung selbst ist durchaus spannend und fesselnd, sodass ich es im Nu durchhatte, zumal sich der Schreibstil ziemlich flüssig lesen lässt, auch dank der sarkastischen Färbung.
Doch gleichzeitig hatte ich oft das Gefühl, die Erklärungen zu dieser Welt, ihrem Aufbau, den Fähigkeiten und Funktionen nicht ganz verstanden zu haben. Vieles erschien mir unklar oder widersprüchlich, manche Dinge verstand ich einfach nicht, und ich kann nicht genau sagen, ob ich es einfach aufgrund des Tempos zu schnell gelesen habe oder ob die Erklärungen tatsächlich unzureichend sind. Aber auch wenn ich zurückblätterte und Dinge nachlas, wurden diese nicht wirklich klarer.
Daraus resultierend wurden mir auch die Handlungen der Charaktere (insbesondere der Antagonisten) mit steigender Seitenzahl immer unverständlicher. Viele Enthüllungen ließen sich zumindest erahnen, wirklich überrascht hat mich da nichts, was ja an und für sich nicht zwingend negativ ist.
Trotz dass ich aber mit der Handlung zunehmend weniger klarkam, ist doch deutlich Potenzial für die Fortsetzung vorhanden, das besonders in der Leseprobe zum zweiten Band angedeutet wird, sodass ich diesen wahrscheinlich lesen werde.
Fazit: Bekanntes Fantasy-Konzept mit sympathischer Protagonistin und ebenso sympathischem Bad Boy - lockerer, flüssig zu lesender Schreibstil, allerdings zunehmend unverständliche Handlung und unklare Erklärungen über die Hintergründe, dabei kaum Verwischen der Grenzen der strikten Gut-Böse-Trennung trotz Potenzial.