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TochterAlice

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Veröffentlicht am 05.01.2018

Verlassene Männer

Eine von uns
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Solche, die von ihren Frauen verlassen wurden, solche, die bald von ihnen verlassen werden, solche, die sich selbst verlassen haben und solche, die von allen guten Geistern verlassen sind: sie alle tummeln ...

Solche, die von ihren Frauen verlassen wurden, solche, die bald von ihnen verlassen werden, solche, die sich selbst verlassen haben und solche, die von allen guten Geistern verlassen sind: sie alle tummeln sich zuhauf in diesem ein wenig schrulligen, ziemlich verschrobenen und nicht nur dadurch typisch britischen Roman. So kam es mir zunächst vor, bis mir klar wurde, dass die ein oder andere Frau, die in dieser Hinsicht ebenfalls ein Päckchen zu tragen hat, sich dazugesellt.

England in den 1980er Jahren in einem kleinen Dorf: die junge Deloris, die gerade erst hierhergeheiratet hat, das Herz auf der Zunge trägt, dabei nicht dumm ist, dazu noch hübsch aussieht und um sich nicht zu Tode zu langweilen, ihrem Gatten Harvey das ein oder andere Kleidungsstück aus den Rippen oder vielmehr aus dem Portemonaie leiert, verliert ihre Freundin Anna, die sie gerade erst gewonnen hat.

Anna verschwindet nämlich einfach - ein Ereignis, das von den Dorfbewohnern in Verbindung gebracht wird mit dem geheimnisvollen Fox, der seit einiger Zeit durch die Häuser streicht und die eigenartigsten Spuren hinterlässt. Ein Wunder, dass es überhaupt jemand merkt, ist Anna doch unauffällig, ja blass wie nur was - eigentlich beachtet überhaupt niemand sie.

Im Laufe der Geschichte wird deutlich, dass nicht nur Anna nicht beachtet wird, nein, eine ganze Reihe von Dorfeinwohnern teilen ihr Schicksal insofern, dass sie - oder aber ihre aus der eigenen Sicht wichtigsten Belange - von ihren Mitmenschen, die sie in der Regel jahrelang, wenn nicht ihr ganzes Leben kennen, nicht hinreichend gewürdigt werden. Und Zugezogene wie Deloris oder Jim, der Vikar: ja, die kommen schon gar nicht auf ihre Kosten. "We all begin as Strangers" - der Originaltitel des Buches - ist also ausgesprochen gut gewählt. Wie schade, dass er nicht direkt ins Deutsche übertragen wurde!

Ein überaus tiefgründiges Portrait der englischen Dorf- bzw. Kleinstadtgesellschaft ist es, das die Autorin hier malt, eines, das uns zeigt, dass wir im Auge der meisten Betrachter etwas ganz anderes sind als wir selbst, nämlich irgendein Wesen, das nebenan existiert.

Und vieles ist eigentlich ganz anders, als man es sich vorstellt. Stellenweise geht es ein wenig zu betulich, zu dorfbezogen zu, aber insgesamt hat mir das Buch eine Menge gegeben: ein klein wenig Spaß und (Selbst)Erkenntnis zuhauf, was mein Umfeld betrifft.

Ein unterhaltsamer Roman, in dem ganz schön was steckt!

Veröffentlicht am 05.01.2018

Die Farbe des Delfter Porzellans

Nachtblau
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also diejenige, mit der es so kunstvoll bemalt wird und in der auch der überaus gelungene Einband dieses Buchs gestaltet ist, ist nachtblau. Eine überaus schwer zu mischende Farbe, wie Catrijn erfährt, ...

also diejenige, mit der es so kunstvoll bemalt wird und in der auch der überaus gelungene Einband dieses Buchs gestaltet ist, ist nachtblau. Eine überaus schwer zu mischende Farbe, wie Catrijn erfährt, als sie in Delft landet. Nach einer wahren Odyssee, denn wir schreiben das Jahr 1654, sie hat in der Kleinstadt De Rijp nahe Alkmaar gerade ihren Mann und damit ihre Existenz verloren und macht sich auf und davon. Aus mehreren Gründen, die allesamt als sehr triftig zu bezeichnen sind. Und sie trifft Menschen unterschiedlichster Art - solche, die ihr schaden wollen, aber tatsächlich auch solche, die ihr helfen wollen und die sie mögen - einige sogar sehr. Und sie trifft mit Menschen zusammen, die ihr Talent entdecken bzw. es zu schätzen wissen und so kommt es, das aus einer Frau ohne Perspektive eine Porzellanmalerin wird. Eine erfolgreiche noch dazu. Doch dieses Glück, dieser Erfolg ist von kurzer Dauer, denn der Himmel wird schon wieder nachtblau beziehungsweise tiefschwarz.

Wer diesen Roman zur Hand nimmt, der lernt auch eine ganze Menge über das Leben in den Niederlanden im 17. Jahrhundert und über die Entstehung und Kunst des Porzellanmalens. Quasi nebenher, denn die gut recherchierten Informationen sind gut und sicher eingebettet in die überaus aktionsreiche Handlung.

Ein kluger, spannender, auch unterhaltsamer und sehr atmosphärischer historischer Roman dem die Figuren leider nicht nachtblau, sondern schwarz oder weiß gefärbt sind. Die Autorin Simone van der Vlugt schreibt packend und eindringlich und kann ihre kriminalistische Ader, die sie bereits in so einigen Thrillern ausgelebt hat, definitiv nicht verleugnen. Doch etwas weniger Polarisierung in Bezug auf die Figuren hätte dem Roman durchaus gut getan!

Dennoch, ein sehr empfehlenswertes Buch, das ich in einem Ratsch und mit viel Genuss gelesen habe, auch wenn das Ende dann doch ein bisschen sehr konstruiert war. Aber wenn man historische Romane mag, die nichts mit Iny Lorenz gemein haben, frei von Wanderhuren und anderen sich wiederholenden Elementen sind und eine Menge zeithistorischen Wissens beinhalten, dann kommt man aktuell an diesem Buch nicht vorbei!

Veröffentlicht am 05.01.2018

Der Teufel hat den Schnaps gemacht

Der Gentleman
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das hat jeder schonmal gehört, der den deutschen Schlager liebt und auch so mancher, der ihm auszuweichen versucht. Im vorliegenden Roman des jungen britischen Autors Forrest Leo kommt dem Höllenfürsten ...

das hat jeder schonmal gehört, der den deutschen Schlager liebt und auch so mancher, der ihm auszuweichen versucht. Im vorliegenden Roman des jungen britischen Autors Forrest Leo kommt dem Höllenfürsten eine ganz andere Rolle zu - falls er das überhaupt ist. Denn der Ich-Erzähler, der blutjunge unglücklich verheiratete Dichter Lionel Savage erzählt hier eine Geschichte, die man gar nicht glauben mag, zumal sie von jemandem kommentiert wird, dessen Identität erst am Ende herauskommt.

Savage leichtsinnig zu nennen wäre die Untertreibung des Jahrhunderts und so verwundert es nicht, dass er für sich bereits mit Anfang 20 keinen anderen Ausweg als die Heirat sieht. Um dann schnell zu merken, dass er nicht so richtig klarkommt in seiner Ehe mit der schönen und stolzen Vivien, die offenbar so etwas ganz anderes vom Leben erwartet als Savage. Als einzigen Ausweg sieht er den Selbstmord, aber irgendwie ist das alles zu kompliziert.

Wer gerne die Vorfahren Monty Pythons kennenlernen will - die Geschichte spielt im 19. Jahrhundert und findet, dass Literatur und Klamauk zusammenpassen, für den ist dieses spritzige, teilweise absurde Buch wie gemacht. Mir war es allerdings teilweise fast zu abwegig, auch wenn ich immer wieder mal auf den richtigen Weg zurückfand und Spaß daran hatte. Die Figuren, die Forrest Leo hier kreiert hat, scheinen sich zu verselbständigen und ihren eigenen Weg zu gehen - einen wahrhaft wilden und extremen. Wer eine ganz spezielle Art des literarischen Personals kennenlernen will, die neue Wege geht, der wird diese ganz besonderen Charaktere mögen.

Tollkühnheit gepaart mit klassischer Erzählkunst und ein bisschen Verrücktheit - klingt das für Sie nach etwas Britischem? Wenn ja, dann sind Sie auf dem richtigen Wege und wenn das für Sie ein attraktiver ist, dann sollten Sie zu diesem Buch greifen!

Veröffentlicht am 05.01.2018

Hefe in Hülle und Fülle

Backen mit Christina
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braucht man, um die von der Österreicherin Christina Bauer hier vorgestellten Rezepte nachbacken zu können. Nur in ganz wenigen davon ist es nicht enthalten und das ist kein Wunder, handelt es sich doch ...

braucht man, um die von der Österreicherin Christina Bauer hier vorgestellten Rezepte nachbacken zu können. Nur in ganz wenigen davon ist es nicht enthalten und das ist kein Wunder, handelt es sich doch zu einem großen Teil um Brote und Brötchen.

Auch Kleingebäck ist Bestandteil des Buches, was mich besonders entzückt hat, denn zu dem, was wir hier im Rheinland "Teilchen" nennen und was woanders im Land "Hefestückchen" heißt, fehlten mir noch gute und schnell zu realisierende Rezepte. Am meisten entzückt jedoch hat mich die Rubrik zum pikanten Kleingebäck - gefüllte kleine Röllchen und so - also eine tolle Alternative zum doch recht fettigen Blätterteigebäck, welches ich oft in Form von schnell zubereiteten Käsestangen und Lachstaschen (die brauchen was länger) zur abendlichen Suppe serviere.

Hier war ich ein bisschen enttäuscht, denn es gab nicht soooo vieles, was sich extrem voneinander unterschied und vor allem wenig Fleischloses. Schinken und Wurst ist schon ein wichtiger Bestandteil der Füllung, die oft aus meiner Sicht sehr einfach und wenig originell gehalten ist. Fisch ist gar nicht dabei, was sich vielleicht dadurch erklärt, dass dieser im meerfernen Österreich nicht gerade hoch gehandelt wird. Aber als langjährige Köchin habe ich genug Erfahrung, Phantasie und auch Mut, um mir hier etwas einfallen zu lassen!

Auch bei den Teilchen ist nicht gerade eine große Vielfalt vorhanden: mein Favorit sind die Topfengolatschen - Käseteilchen auf Deutsch bzw. Rheinisch. Dann gibt es noch was mit Marmelade und mit Mohn und dann hört die Bandbreite fast schon auf. Hier ist allerdings der besondere Charme, dass ein Teig vorgeschlagen wird, aus dem man viele Rezepte machen kann - vielleicht lasse ich mir da noch was mit Marzipan und Obst einfallen.

Dennoch ein sehr inspirierendes und vor allem auch schön aufgemachtes Backbuch mit leckeren Ideen, das vor allem für diejenigen spannend sein dürfte, die ihr Brot dauerhaft selbst backen wollen, denn hierzu gibt es richtig viele Ideen.

Aber auch ich werde immer mal gern darauf zurückgreifen. Geeignet ist es für erfahrene, experimentierfreudige Bäckerinnnen mit wenig Zeit - vieles ist doch nur sehr knapp erklärt und ich habe zu spüren bekommen, dass die angebene Dauer der Backzeiten in allen ausprobierten Fällen viel zu lang ist - oft würde gut die Hälfte reichen, weswegen ich empfehle, mit Vorsicht ans Werk zu gehen. Und was toll ist: die meisten Rezepte sind recht schnell und unkompliziert zu realisieren, vor allem auch wegen der kurzen Backzeit!

Also dann: guten Appetit mit Christina!

Veröffentlicht am 05.01.2018

Eine Seuche der besonderen Art

Beste Absichten
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Nämlich eine Rockband dieses Namens, die von Äppstiehn, einem eher unspektakulären Typen, der so genannt wird in Anlehnung an den großen Manager der Beatles, Brian Eppstein, gemanagt wird. Er, der eher ...

Nämlich eine Rockband dieses Namens, die von Äppstiehn, einem eher unspektakulären Typen, der so genannt wird in Anlehnung an den großen Manager der Beatles, Brian Eppstein, gemanagt wird. Er, der eher durch Zufall an diesen "Job" gerät, ist der Protagonist, der Erzähler dieses Romans.

Die DDR befindet sich in ihren letzten Zuckungen, auch wenn es noch nicht allen klar zu sein scheint und jeder will in den Westen. Jeder außer den Mitgliedern der "Seuche", die einfach nur Musik machen und einigermaßen nett leben wollen.

Dazu ist aber einiges nötig und so nimmt uns Thomas Brussig mit zu so denkwürdigen Ereignissen wie dem Umtausch von Westgeld in große Scheine, dem Abkaufen der Trabis von Botschaftsflüchtlingen in Prag kurz vor Genschers Rede oder auch einfach nur in die Wohnung der dicksten, aber wirklich allerdicksten Frau der DDR, die schon lange nicht mehr draußen war - es geht einfach nicht mehr.

Thomas Brussig ist dem geneigten Leser seit Jahren, was sage ich - seit Jahrzehnten bekannt als DDR-Chronist der besonders witzigen, dennoch anrührenden Art. Mein persönliches Highlight wird immer die "Sonnenallee" bleiben, daran kommt nichts anderes ran, nicht einmal "Helden wie wir", was mir auch sehr zugesagt hat. "Beste Absichten" geht in diese Richtung, auch wenn es leider stellenweise doch ein bisschen belanglos bleibt, was aber in der Absicht des Autors liegen kann - es schlittert einfach vorbei an den relevanten Punkten - genau wie es Äppstiehn und seine Kollegen in Wendezeiten tun - um dann ganz zufällig doch wieder auf den Zug aufzuspringen - quasi aus Versehen. Und man fragt sich immer wieder, welcher Zug eigentlich gemeint ist. Sind die Seuche-Typen eigentlich im richtigen Film? Ist es denn der Leser? Und vor allem: welcher Film ist das eigentlich, der wirklich richtige? Aber das sind eigentich Kernfragen, die allen Brussig-Büchern zugrunde liegen und gewissermaßen seinen Sinn des Lebens definieren - so jedenfalls die Botschaft, die bei mir ankommt.