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Veröffentlicht am 16.02.2018

Geschwisterbeziehung

Der große Bruder
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Der große Bruder ist ein kurzer Roman, aber er funktioniert dennoch gut, da sich die niederländische Autorin Esther Gerristen auf ein wichtiges Element konzentriert. Sie arbeitet die Tiefe der Beziehung ...

Der große Bruder ist ein kurzer Roman, aber er funktioniert dennoch gut, da sich die niederländische Autorin Esther Gerristen auf ein wichtiges Element konzentriert. Sie arbeitet die Tiefe der Beziehung zwischen den Figuren, Bruder und Schwester heraus. Eine Tiefe, den die beiden sich am Anfang nicht bewusst waren. Erst ein Schicksalsschlag führt sie dazu, als dem Diabetiker Marcus ein Bein abgenommen werden. Seine Schwester Olivia ist eigentlich von ihm entfremdet, dennoch nimmt sie ihn für die Zeit der Rekonvalenz bei sich und ihrer Familie auf.

Die Wiederannäherung der Geschwister ist nicht einfach und braucht seine Zeit. Überrascht stellt Olivia fest, dass ihr Bruder andere Erinnerungen an ihre gemeinsame Kindheit hat als sie. Olivia stellt ihr Leben, Beruf und Familie in Frage.

Die Autorin nimmt dem Text durch ironische, witzige Dialoge ihre Tragik, nicht jedoch ihrer Bedeutung. Es bleibt ein ernsthafter, realistischer Text. Ein Buch, dass ich sehr gerne gelesen habe.

Veröffentlicht am 14.01.2018

Fotos und Interviews

Der weiße Fleck/The White Spot. DDR Hohenschönhausen
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Die Fotografin Ivanka Penjak beschäftigt sich in ihrem Buch „Der weiße Fleck“ mit der Frage damit, wie fotografiere ich etwas Abstraktes wie Geschichte?
Thema sind die Menschen, die zu Zeiten der DDR aus ...

Die Fotografin Ivanka Penjak beschäftigt sich in ihrem Buch „Der weiße Fleck“ mit der Frage damit, wie fotografiere ich etwas Abstraktes wie Geschichte?
Thema sind die Menschen, die zu Zeiten der DDR aus politischen Gründen, wie z.B. versuchter Republikflucht, verhaftet und von der Stasi verhört wurden.
Dafür fotografierte die Autorin die ehemalige Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit der DDR in Hohenschönhausen, Berlin und einige Menschen, die hier in Isolationshaft saßen, aber auch ehemalige Mitarbeiter der Stasi.
Es sind schon beklemmende Fotos, die sofort deutlich machen, dass hier nichts gemütlich war.

Dann folgen die Interviews mit 10 Beteiligten. Hierbei kommen die Menschen wirklich zu Wort und es wird emotional. Man spürt, dass für die betroffenen die Sache nicht wirklich vorbei ist. Die erlebten Ungerechtigkeiten haben sie geprägt. Man kann sie aber auch dafür bewundern, dass sie nicht gebrochen sind sondern ihren inneren Widerstand gegen ein Unrechtssystem erhalten haben.
Die Texte sind durchgängig in Deutsch und Englisch gehalten.

Als E-Book ist das Buch teilweise schwer lesbar. Abbildungen und Schriftgröße passen je nach E-Book-Reader-Einstellung häufig nicht zu zueinander.
Ich würde daher doch zu der Buchausgabe raten.

Das Buch ist wichtig, da es Geschehnisse dokumentiert, die doch manche heute nicht mehr wahrhaben wollen und verleugnen.
Der weiße Fleck ist ein Werk, das dazu beiträgt, Geschichtsrevisionismus zu verhindern.

Veröffentlicht am 06.01.2018

Ein Buch der Erkenntnisse!

Metallisierte Welt - auf den Spuren einer Subkultur
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Metallisierte Welt

Die Idee des Buches ist sofort überzeugend. Man kennt tatsächlich nur die westliche Perspektive und deswegen ist es überaus interessant, die Sicht der restlichen Welt kennenzulernen. ...

Metallisierte Welt

Die Idee des Buches ist sofort überzeugend. Man kennt tatsächlich nur die westliche Perspektive und deswegen ist es überaus interessant, die Sicht der restlichen Welt kennenzulernen. Heavy Metal ist dabei das Thema, doch gleichzeitig beinhaltet das auch die Einstellung vieler Länder zu Freiheit, Religion und Toleranz. Durch eine Vielzahl von Interviews mit Bands aus allen möglichen Ländern erhält man einen umfassenden Eindruck. Ob dabei jeweils ein Interview pro Land ausreichend ist, um repräsentativ zu sein, muss man zwar bezweifeln, aber anders kann das schließlich kaum realisiert werden, wenn man so viele Länder berücksichtigen will.
Die Fragen sind jeweils ziemlich ähnlich, das ist natürlich auch sinnvoll, um einen Vergleich zwischen den Ländern zu ziehen.

Ein Eindruck ergibt sich schnell. In den meisten muslimischen Ländern ist die Metalszene sehr klein und kaum im Mittelpunkt. Engagierte Metalheads haben wenig Möglichkeiten, sind umso größere Idealisten.
Erstaunlich ist aber auch, dass sich viele grundsätzliche Einstellungen bei den Metalheads wiederfinden lassen. Der Drang nach Freiheit und Toleranz, Abkehr von religiösen oder anderen Unterdrückungstendenzen, dabei gibt es kaum extreme Einstellungen. Das deckt sich wieder mit der westlichen Szene, wie man sie kennt.
Auch bei den Vorbildern und Einflüssen werden oft die gleichen Bandnamen, übrigens fast ausschließlich westliche, genannt. Offenbar speist sich der Metal weltweit aus der gleichen Quelle.

Leider gibt es auch Länder, in denen Metal zu machen fast unmöglich oder sehr riskant ist, etwa Saudi Arabien oder Iran.

Ein Nebeneffekt des Buches ist es, dass man einige musikalische Entdeckungen machen kann und qualitativ ist vieles auf gutem Niveau!

Ein Buch der Erkenntnisse!

Veröffentlicht am 08.12.2017

Briefe mit Niveau

Wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen
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Nicht wenige Briefbände bestehen nur aus den Briefen und vielleicht noch ein kurzes Vorwort, der Leser wird aber mehr oder weniger mit dem Buch allein gelassen. Hier ist das nicht so. Ausführlich wird ...

Nicht wenige Briefbände bestehen nur aus den Briefen und vielleicht noch ein kurzes Vorwort, der Leser wird aber mehr oder weniger mit dem Buch allein gelassen. Hier ist das nicht so. Ausführlich wird auf die Briefpartnerinnen (alles Freundinnen Hannah Arendts) eingegangen, die Beziehung zueinander und die Umstände des Briefwechsels werden beleuchtet, bis dann endlich die Briefe kommen.
Diese Vorgehensweise ist aber auch nötig und sinnvoll, denn im Gegensatz zu bekannten männlichen Briefpartnern wie Karl Jaspers und Heidegger sind diese Frauen weniger bekannt.
Es handelt sich um Anne Weil, Hilde Fränkel, Charlotte Beradt, Rose Feitelson und Helen Wolff.

Als dann endlich die Briefe einsetzen kommt es zunächst zu einer Enttäuschung. Es herrscht im ersten Abschnitt mit den Briefen von Anne Weil ein starkes Ungleichgewicht. Die Briefe an Hannah Arendt sind in weit größeren Umfang vorhanden als die Antworten. Von Hannah Arendt liest man also verhältnismäßig wenig und als Leser wäre man da weit stärker interessiert gewesen als an den Briefen der nahezu Unbekannten.

Doch im zweiten Abschnitt ändert sich das zum Glück. Hannah Ahrend und Hilde Fränkel. Ihre Freundschaft ist anders geprägt, herzlicher, frischer.
Interessanterweise geht es bei Ihnen auch ab und zu mal über Heidegger und Karl Jaspers.
Leider starb Hilde Fränkel früh.

Im dritten Abschnitt, dem Briefwechsel mit Charlotte Beradt fehlen leider wiederum die Arendt-Briefe. Immerhin gibt es ein paar mit Beradt zusammenhängende Briefe Arendts an Heinrich Blücher oder an Schriftstellerkollegin Mary McCarthy.
Es folgen noch die Briefe von Rose Feitelson und Helen Wolff. In letzteren fall ist Hannah Arendts Anteil erfreulicherweise wieder größer.

Insgesamt bekommt man durch die Dauer der Briefe von den Vierzigern bis Mitte der Siebziger Jahre hinein einen Einblick in die Zeit und erfährt einiges über das Leben Hannah Arendts.
Auch sind die Briefe stilistisch deutlich hochwertiger als E-Mails unserer Zeit.

Veröffentlicht am 04.11.2017

intensiv

Untiefen (Ein Nora-Watts-Thriller 1)
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Untiefen, wobei mir der Originaltitel "The lost ones" besser gefällt, ist wie ein spannender Film.
Man ist wie gefangen und vergisst beim Lesen die Zeit.
Angesiedelt ist der Roman in Vancouver und British ...

Untiefen, wobei mir der Originaltitel "The lost ones" besser gefällt, ist wie ein spannender Film.
Man ist wie gefangen und vergisst beim Lesen die Zeit.
Angesiedelt ist der Roman in Vancouver und British Columbia, wobei auch Vancouvers dunkle Seite gezeigt wird. Es regnet viel und der Roman trägt viele Spuren eines typischen Noir. Die Protagonistin Nora Watts hat eine schwere Vergangenheit und muss auch in diesem Roman so einiges hartes durchmachen. Sie lebt bescheiden mit ihrer Hündin Whisper als einzige Vertraute. Bei aller Isoliertheit, Einsamkeit und ihren Problemen mit Alkohol ist sie aber ein Überlebenstyp und eine Kämpferin.Eine der bemrkenswertesten Antiheldin der modernen Thrillerliteratur der letzten Jahre. Obwohl Nora als Sekretärin und gelegentliche Ermittlerin für Privatdetektive arbeitet und nach einem verschwunden Teenager sucht, ist das Buch für mich kein konventioneller Thriller. Dafür geht es doch ausschließlich nur um Dinge, mit denen Nora persöblich verstrickt ist und die mit ihrer Vergangenheit zu tun haben.
Sheenal Kamals schreibt mit einer Intensität wie Gillian Flyn (Gone Girl) in ihren besten Büchern.
Das forsche Auftreten ihrer Protagonistin hat mich am Anfang an V.I.Warshawski von Sara Paretzky erinnern lassen, wenn sich noch jemand an die Reihe erinnert. Aber Nora ist natürlich labiler, das ist ein Thema des Buches. Untiefen ist ein düsteres Werk, doch es gibt auch Hoffnung. Es gibt meinem Eindruck nach auch einige Plotlöcher und an den Haaren herbeigezogenes. Aber trotzdem, wenn der nächste Teil der Nora Watts-Serie erscheint, bin ich wieder dabei.