Allgemeines:
Titel: Wintersong
Autor: S. Jae-Jones
Genre: Fantasy
Verlag: ivi (1. Dezember 2017)
ISBN-10: 3492704581
ISBN-13: 978-3492704588
ASIN: B0713PQY68
Seitenzahl: 464 Seiten
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren
Originaltitel: Wintersong
Preis: 11,99€ (Kindle-Edition)
15€ (Broschiert)
Inhalt:
-Eine alte Legende,
ein dunkles Reich unter der Erde,
eine unmögliche Liebe-
An jenem Tag, an dem das alte Jahr stirbt und die Grenze zwischen den Reichen der Kobolde und der Menschen verwischt, wandelt der Erlkönig durch die Welt der Sterblichen, auf der Suche nach einer Braut. Diese muss ihm in sein Reich unter der Erde folgen, den König ehelichen und sterben – denn nur durch ihren Tod wird die Wiedergeburt des neuen Jahres gewährleistet.
Seit ihrer Kindheit kennt die 18-jährige Liesl die Sage um den unheimlichen, faszinierenden Erlkönig. Als ein mysteriöser Fremder auftaucht und Liesls Schwester entführt, weiß Liesl: Nur sie kann ihre Schwester noch aus den Fängen des Erlkönigs befreien, indem sie ihm in sein Reich folgt und ihn anstelle ihrer Schwester selbst heiratet. Doch wer ist dieser geheimnisvolle Mann? Während Liesl noch versucht, ihre Gefühle zu verstehen, arbeiten die alten Gesetze der Unterwelt bereits gegen sie...
Bewertung:
WOW!
Gleich als mir dieser Auftakt einer zweibändigen Saga rund um die Sage des Erlkönigs in der Verlagsvorschau des Piper-Verlags ins Auge gesprungen ist, wusste ich, dass dieses Buch entweder ein kleines Wunder oder eine riesige Enttäuschung werden würde. Und so sollte ich Recht behalten. Bei dieser Geschichte scheiden sich die Geister extrem, ich gehöre jedoch ganz eindeutig zur vergötternden Fraktion. Dieser Geschichte wohnt eine unglaubliche Kraft, Poesie, Musik und Wildheit inne, die mich von der ersten Seite an gefesselt hat.
"Ich werde es genießen, mit dir zu spielen", sagte er leise. Dann beugte er sich vor und ich spürte die kalte Berührung seines Atems auf meinen Lippen.
"Viel Glück, Elisabeth."
Schon das Cover ist eine wahre Augenweide. Der weiße Hintergrund mit den grau-bläulichen Einfärbungen entführt in eine winterliche Stimmung, welche durch die winterlichen, roten Vogelbeeren, welche den einzigen Farbklecks des Covers darstellen, noch bekräftigt wird. Ich finde dieses farbgebende Element sehr passend, hätte mich aber noch mehr über Erlenkätzchen gefreut, da diese einen genaueren Bezug zur Geschichte haben. Durch die aufflatternde, schwarze Vogelsilhouetten und dem Schatten eines Mädchens in einem wehenden Kleid, erhält das Cover eine magische, düstere aber verspielte Note. Der Titel thront in Großbuchstaben im Zentrum des Ganzen und ist mit einem schwarzen Faden verziert. Ich finde diese Gestaltung wirklich unfassbar schön und um einiges besser gelungen als das der englischen Ausgabe (links). Letzteres ist zwar auch hübsch, mir aber zu verträumt und nicht so atmosphärisch.
Das Beste an der Gestaltung ist jedoch das Innenleben des Romans. In mehrere Teile und übergeordnet in Abschnitte eines Musikstückes geteilt (Ouvertüre, Intermezzo, ...) ist es mit wunderschönen Zitaten und dem auch auf dem Cover zusehenden Kranz aus Beeren gesäumt, welche jede der liebevoll ausgewählten Kapitelüberschriften umgibt.
Die Geschichte beginnt nach einer vorangestellten Danksagung zauberhaft wie ein echtes Märchen mit den Worten:
"Es war einmal ein kleines Mädchen, das seine Musik für einen kleinen Jungen in den Wäldern spielte."
Und im Stil eines düsteren, leidenschaftlichen, zauberhaften und magisch berührenden Märchens geht diese Geschichte weiter. Inhalt der Geschichte ist die Sage vom Erlkönig, welche ursprünglich aus dem Dänischen kommt und von Johann Wolfgang von Goethe in der bekannten Ballade "Erlkönig" dargestellt wird. Ungewöhnlich ist dabei, dass gerade eine Amerikanerin auf die Idee kommt, diese europäische Sage an einem deutschen Schauplatz neu aufzurollen. Ich persönlich hatte mit dieser Sage bisher noch nicht viel zu tun - klar kannte ich die Ballade, wer genau der Erlkönig ist und was er macht, war mir jedoch nicht bewusst. Meiner Meinung nach ist die Sage jedoch ganz famos umgesetzt, auch wenn die vielen Klischees am Anfang (die Protagonisten ernähren sich praktisch nur von Würstchen und Sauerkraut) und die seltsamen Namensabkürzungen wie Liesel, Hansel, Käthe, Sepperl und Co mir etwas aufstießen. Von einer von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen geprägte Umwelt wechselt der Roman jedoch sehr bald in eine düstere, dunkle Fantasiewelt, die gleichzeitig schillernd schön und grausig schrecklich ist. Wie auch schon die Ballade stellt der Roman die Natur, verkörpert vom schrecklich schönen Erlkönig und seiner Unheilsschar an Kobolden, nicht von ihrer ästhetischen oder gar religiösen Seite dar, sondern gibt ihr eine lockende, bezaubernde, beglückende und tötende Weise. Es entsteht eine Geschichte voller Gefühle und Seele, in der die Musik eine wichtige Rolle als Träger dieser Empfindungen und Tiefe spielt.
"Ich improvisierte, ich experimentierte, ich schweifte umher. (...) Ich wollte frei sein. Ich würde die Welt so formen, dass sie zu der Musik in meiner Seele passte. Bach, Händels und Haydens Musik war aus dem Kopf heraus entstanden. Meine entstand aus dem Herzen. Ich war kein Mozart, der mit einer göttlichen Gabe gesegnet war. Ich war Maria Elisabeth Ingeborg Vogler, sterblich und fehlbar."
Ich-Erzählerin ist die 19-jährige Liesl, die mit ihrer Familie, der schönen Käthe, dem begabten Geiger Josef, einem als Vater Trunkenbold und einer schönen Wirtin als Mutter, in der Provinz Bayerns etwa im 18. Jahrhundert zur Lebzeit Mozarts lebt. Das unscheinbare Mädchen, das zwischen ihrer schönen Schwester und ihrem virtuosen Bruder untergeht, hat nur einen Lebensinhalt: die Musik. Zwischen all ihrer Mittelmäßigkeit ihres Daseins, ihrem guten Benehmen, ihrer Rücksicht, ihrem Anstand, ihrer Zurückhaltung schlummert eine wilde, ungezähmte Gabe, die an die Oberfläche drängt - eine Leidenschaft für Sonaten, Bagatellen, Symphonien, Etüden, Chaconne und allen anderen Ansammlungen von Tönen. Inspiriert wird sie von der Schönheit der Natur in ihrem Koboldhain hinter dem Haus und vor allem von ihm: ihrem Koboldkönig.
"Wenn du endlich den Teil deiner Selbst befreist, den du so verzweifelt verleugnest". Er legte mir die Hand in den Nacken. "Den Teil, von dir, den ich wollte, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Dann wirst du mein sein, Elisabeth." Er beugte sich über mich. "Ganz und gar."
Als Kind glaubte sie an die Sage, die ihr ihre Großmutter Constanze immer erzählte und spielte der Sagengestalt zur Ehre im Koboldhain ihre Musik vor, doch mit zunehmendem Alter versteckte sie die Fantasie, die Musik und den Koboldkönig immer tiefer in ihrem Herzen und widmete sich anderen Dingen. Als jedoch eines Tages ein unheimlicher, gut aussehender Fremder auftaucht und Liesls Schwester Käthe mit sich nimmt, kommt alles wieder hoch. Um ihre Schwester zu retten, folgt sie dem schrecklichen wie faszinierenden Erlkönig in die Unterwelt um ein Versprechen zu erfüllen, das sie ihm vor langer Zeit gegeben hat. Das Versprechen ganz ihm zu gehören, für die Ewigkeit...
"Elisabeth." Die Art, wie er meinen Namen aussprach ließ mein Herz flattern. "Willst du mich heiraten?"
Diese "alte-Sage-trifft-auf-Jugendbuch-Geschichte" wird durch eines ganz besonders gemacht: der Liebe zur Musik, die jede Seite verströmt. Die tönend bewegten Formen, die sich vor allem auf die zwei Instrumente Klavier und Geige konzentrieren sind Mittelpunkt des Stückes. Bald wird klar, dass der Titel "WinterSONG" wörtlich zu nehmen ist. Durch den sehr blumigen, teilweise sogar lyrisch und poetisch anklingenden Schreibstil wird die klassische Musik Vivaldis, Haydns, Mozarts und nicht zuletzt Elisabeths selbst, auf wundervolle Art und Weise magisch und erlebbar gemacht. Trotz des ausführlichen Glossars an musikalischen Fachbegriffen am Ende des Buches sollte man jedoch ein wenig eigene Begeisterung für die Musik mitbringen, um Liesls Leidenschaft nachvollziehen zu können und sich nicht an den Beschreibungen über das Komponieren und das Spielen von Werken zu stören. Ich bin selbst ein riesiger Fan von Musik, egal ob im klassischen Bereich, oder im eher moderneren Pop und Rock (ich bevorzuge eher Rock) und konnte daher alles fühlen, was Elisabeth so berührend aus ihrer Perspektive schildert. Um meinen Eindruck verstärken zu können, habe ich beim Lesen Vivaldis "Vier Jahreszeiten", die hier ein wichtige Rolle spielen - vor allem das zauberhafte Largo des Winters wird hier zum Schlüsselmotiv - und natürlich Franz Schuberts wundervolle Vertonung der Sage zum "Erlkönig" angehört, auf die das Buch auch eindeutig anspielt.
"Irgendwo in der Ferne erklingt eine Geige. Der Koboldkönig. Ich lege die Hände auf die Tasten und folge ihm. Weil unsere Körper uns nicht im Weg stehen, kann unser wahres Selbst emporsteigen und tanzen. Seines verschlungen, komplex und geheimnisvoll, meines unkonventionell und emotional. Dennoch passen wir irgendwie zusammen, harmonisch und komplementär. Kontrapunktisch ohne jeden Missklang. Und langsam beginne ich zu verstehen..."
Durch die wundersame, lebendige Darstellung der Musik in Kombination mit dem dunklen, geheimnisvollen Setting der Unterwelt mit der Gestalt des Erlkönigs entwickelt das Buch bald eine ganz eigene, unglaublich fesselnde Atmosphäre, die mich wie der Gesang der Loreley in ihren Bann gezogen und mitgerissen hat, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Wie S. Jae-Jones es hinbekommen hat, ungezähmte, wilde, Leidenschaft, zarten, liebevollen Gefühlen gegenüberzustellen, die Kobolde und ihren König gleichsam unheimlich wie faszinierend zu gestalten, sodass man sich wie auch Elisabeth unglaublich lebendig und tot zugleich fühlt, ist wirklich unfassbar!
"Von all meinen sterblichen Gefühlen war Hoffnung das schlimmste. All die anderen konnte ich leicht ertragen und leicht beiseiteschieben: Zorn flammte auf und brannte dann aus, Trauer hellte sich nach und nach auf und Glück schäumte auf und verschwand. Aber Hoffnung... Hoffnung war stur. Wie Unkraut kehrte sie immer wieder zurück ganz gleich, wie oft ich sie ausriss. Und Hoffnung schmerzte. Sie schmerzte, als die Kleeblüten meiner Schwester welkten und starben. Sie schmerzte, wann immer ich die Klänge von Josefs Geige hörte, die aus der oberen Welt in a-Moll meinen Namen rief.
Also versuchte ich mein bestes, die Hoffnung zu ersticken, denn ihr Zwilling war Verzweiflung und diese war unendlich schlimmer."
Abgerundet wird diese Geschichte, die eigentlich nur recht wenig Handlungskraft besitzt, durch die Charaktere, deren Entwicklung, Gefühle und Beziehung zueinander. Die junge Elisabeth ist eine sehr vielseitige Protagonistin. Auf der einen Seite ist da die gezähmte, selbstlose, konventionelle Fassade des langweiligen, reizlosen und mittelmäßigen Mädchens, auf der anderen Seite eine wilde Ungestüm, die in ihr zusammen mit der Musik wohnt und die durch ihren Koboldkönig geweckt wird. Man kann sich anfangs schlecht mit ihr identifizieren, da unklar ist, was übrig bleibt, wenn sie all ihre Fassaden vor ihren Sehnsüchten und Wünschen ablegt. Als sie es jedoch endlich schafft, sich selbst zu erfassen wird klar, warum der Erlkönig sie so sehr haben will und was er in ihr sieht: ein Mädchen mit Musik in der Seele, einer Stimme, die gehört werden will.
"Ich betrachtete mein Königreich. Chaos. Grausamkeit. Hemmungslosigkeit. Ich hatte mich immer zurückgehalten, war immer züchtig gewesen. Doch jetzt wollte ich größer sein, heller, besser; ich wollte kapriziös sein, boshaft und verschlagen. (...) Ich war übersehen und ignoriert worden - die unscheinbare, triste, praktische, tatenlose Schwester. Hier in der Unterwelt jedoch war ich die Sonne, um die sich die Welt drehte. Liesl, das Mädchen war langweilig, schlicht und folgsam gewesen. Elisabeth, die Frau war eine Königin."
Der Koboldkönig ist jedoch der eigentliche Reiz der Geschichte. Sein Charakter ist sehr schwer zu fassen, da es auf der einen Seite den Erlkönig gibt, den dunklen Herrscher der Unterwelt, der unsterbliche Herr des Unheils, auf der anderen Seite aber der widersprüchliche und empfindsame Mann, der der Rolle dienen muss, der Krone, die ihn in der Unterwelt festhält. Die Geschichte geht nicht soweit, seinen Charakter klar zu teilen und eine Hälfte davon zu verteufeln und somit eine "Die Schöne und das Biest" - Geschichte zu machen. Beide Seiten des Koboldkönigs haben ihre Daseinsberechtigung, gehören zu seinem Charakter und Elisabeth liebt auch das Monster in ihm, wie er ihre Hässlichkeit liebt. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich das Buch also von den vorgegebenen Mustern an Liebesromanen: er darf als Monster erscheinen, aber dennoch asketische, wichtigtuerische, fromme und eigenwillige Züge haben und Spiele lieben, sie darf hässlich, unvollkommen und unscheinbar sein. Zwei verlorene Gestalten, die über die Musik zusammen finden und von uralten Regeln der Magie wieder getrennt werden.
"Und dann spielen wir miteinander. Unsere Tempi passen sich einander an, unser gemeinsamer Rhythmus wird immer wilder. Ich bin nicht mehr ich selbst. Ich bin ein wildes Geschöpf, eine Kreatur des Waldes, des Sturms und der Nacht. Ich renne durch Träume und Fantasien, durch die Geschichten meiner Kindheit, durch all das Dunkle und Unheimliche und Fremdartige und Sonderbare. Ich bin ursprünglich. Ich bestehe aus Musik und Magie und dem Erlkönig.
Ich bin verloren."
Das Ende ist voll Schmerz, voll Liebe und voll Aufrichtigkeit. Kein schönes Ende, aber akzeptabel, da noch ein weiterer Teil erscheinen soll, wie ich hörte.
Eindeutig mein Highlight des Winters 2017!!!
Fazit:
Eine Geschichte über zwei verlorene Gestalten, die über die Musik zusammen finden und von uralten Regeln der Magie wieder getrennt werden mit einer eigenen Stimme, unglaubliche Kraft, Poesie, Musik und Wildheit. Die vielen widersprüchlichen Gefühle wie Liebe, Dunkelheit, Schmerz und nicht zuletzt der poetische Stil der Autorin machen das Buch zu einem absoluten Must-Read und meinem Highlight des Winters 2017!