Virtuos geschriebene Lebens- und Liebesgeschichte während eines stürmischen Jahrhunderts
Schon länger war ich von keinem Roman mehr dermaßen angetan wie von „Olga“. Bereits auf den ersten Seiten hat mich Bernhard Schlinks klare, präzise, schöne Sprache begeistert. Aber auch inhaltlich zog ...
Schon länger war ich von keinem Roman mehr dermaßen angetan wie von „Olga“. Bereits auf den ersten Seiten hat mich Bernhard Schlinks klare, präzise, schöne Sprache begeistert. Aber auch inhaltlich zog mich die Geschichte der Anfang der 1880er Jahre geborenen Olga in ihren Bann. Früh Vollwaise ist sie zwar nicht ganz auf sich alleine gestellt, erfährt aber trotz Wissensdurst und Ehrgeiz kaum Förderung und Unterstützung. Dennoch geht Olga ihren – in Anbetracht ihrer Herkunft und der damaligen Zeit – ungewöhnlichen Weg. Und findet schon früh mit einem anderen einsamen Kind zusammen: Dem Gutsbesitzersohn Herbert. Olga und Herbert sind sich nicht ähnlich, aber sie begegnen einander auf Augenhöhe, verbringen gerne Zeit miteinander, werden langsam erwachsen und ein Liebespaar. Während sich Olga jedoch ein selbstständiges und unabhängiges Leben aufbaut, zieht es Herbert in die Ferne. Rastlos sucht er nach Weite und der Erfüllung, die ihm diese bringt. Seine erste Reise führt in als Soldat nach „Südwest“, also Namibia; weitere folgen.
Doch der Leser begleitet Herbert nur kurze Passagen lang, der Fokus des Buches richtet sich auf die titelgebende Hauptfigur. Olga, eine intelligente, belesene Frau, die schließlich den ersten Weltkrieg erlebt und irgendwann auch den zweiten. Ihre Geschichte wird bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählt; erst aus der Außenperspektive, irgendwann von einem späten Schützling, schließlich indirekt auch von ihr selbst. Alle drei Sichtweisen fügen das Bild einer starken Frau zusammen, die dem Wunsch der ihr am Herzen liegenden Männer, immer höher und immer weiter hinaus zu wollen, stets skeptisch gegenübersteht – wie auch dem sich immer wieder Bahn brechenden zeitgenössischen Größenwahn ihrer Landsleute. Olga bleibt sich treu – und dennoch gibt es im Laufe des Romans einige unvorhersehbare Wendungen, die mich tatsächlich in Atem gehalten haben, obwohl sich „Olga“ sonst eher ruhig liest.
Sprache, Erzählweise und Struktur der Geschichte machen sie zu einer ungewöhnlich intensiven Leseerfahrung. Für einige Handlungsstränge nimmt sich Bernhard Schlink Zeit, aber manches Mal zieht er sein Erzähltempo stark an. Dass „Olga“ trotzdem stimmig bleibt, zeigt, wie virtuos Schlink schreiben kann. Die Begleitung seiner Romanfigur durch ihr Leben ist ein bereicherndes Erlebnis, das mich nach Buchende wehmütig zurückgelassen hat.