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Veröffentlicht am 17.01.2018

Leerstellen im Leben

Olga
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Olga ist ein intelligentes Mädchen aus Schlesien, das etwas anders ist als die anderen. Leider sterben ihre Eltern früh.
Da sie in Armut aufwächst, gibt es nicht viele Möglichkeiten.
Dann gibt es auch ...

Olga ist ein intelligentes Mädchen aus Schlesien, das etwas anders ist als die anderen. Leider sterben ihre Eltern früh.
Da sie in Armut aufwächst, gibt es nicht viele Möglichkeiten.
Dann gibt es auch noch eine weitere wichtige Figur: Herbert. Auch er ist ein begabter Mensch. Die beiden freunden sich an, werden ein Paar.

Der Stil ist typisch für Bernhard Schlink.
Kennzeichnend ist ein ruhiger, sachlich wirkender Erzählton, der dennoch nicht ohne Emotionen gehalten ist. Im Gegenteil!

Die konzentrierte Sprache ermöglich, viel Handlung ökonomisch auf geringen Raum zu bringen. Das fällt insbesondere bei Herbert Kriegseinsätzen und Reisen, z.B. zur Arktis, auf.

Auffällig und selten in der deutschen Literatur sind die Schilderungen der Kämpfe gegen die Herero in Deutsch-Südwestafrika. Das ist bis heute ein Thema. Die Nachfahren der wenig Überlebenden dieses Völkermordes verklagten Deutschland erst vor kurzem.

Die Geschichte geht weiter, zeigt Olga schweres Leben auch während und nach dem Krieg.
Ihre Lebensgeschichte wird schließlich vom Icherzähler der Geschichte gekreuzt und anhand von Briefen aufgearbeitet.
Ein wirklich gutes Buch, dass die Leerstellen im Leben der Menschen zeigt!

Ich habe Olga als Hörbuch gehört, gelesen wurde es von Burghart Klausner, den ich für einen der besten Sprecher für zeitgenössische Romane halte.

Veröffentlicht am 13.01.2018

Am Fluss

Ich weiß, heute Nacht werde ich träumen
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Der australische Poet Steven Herrick schreibt in Versform über das Leben von 2 Jungen, die nach dem frühen Tod der Mutter zusammen mit ihrem Vater in einer Kleinstadt in Australien aufwachsen. Erzähler ...

Der australische Poet Steven Herrick schreibt in Versform über das Leben von 2 Jungen, die nach dem frühen Tod der Mutter zusammen mit ihrem Vater in einer Kleinstadt in Australien aufwachsen. Erzähler ist Harry, ein Jahr älter als sein Bruder Keith.
Es sind die frühen sechziger Jahre.

Die gewählte Form ist geeignet um mit der nötigen Sensibilität die Lebenssituation zu zeigen.
Steven Herrick konzentriert sich ganz und gar auf die Schilderung des Lebens in der Stadt, er zeigt die äußeren Bedingungen und inneren Emotionen in großer Deutlichkeit.
Man taucht tief ein in die Welt der Jungen.
Harry trauert nicht nur um seine Mutter, sondern auch um seine bewunderte Schulfreundin Linda, die in der Flut ertrank. Auch Harrys Vater ist von der Trauer gewissermaßen so gefangen, dass er seine Jungen frei und tolerant aufwachsen lässt.
So teilt sich die Melancholie des Textes mit einer großen Empathie für die Figuren.

Noch einmal zum Stil: Geschrieben in Versen, ist der Text doch flüssig und einfach zu lesen. Herrick lässt Überflüssiges weg, konzentriert auch auf das Wesentliche und das mit großer Genauigkeit.

By the River, so der Originaltitel, ist ein starker Coming-of-Age-Roman, wie man ihn schon lange nicht mehr gelesen hat. Gut, dass dieses preisgekrönte Buch von 2004 doch noch übersetzt wurde.

Veröffentlicht am 17.12.2017

Die Geschichte Taiwans

Die schöne Insel
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Tereza Vanek wendet sich in diesem Roman wieder China zu.
Diesmal führt der Weg sogar von Shanghai bis nach Taiwan 1900, das damals auch Formosa genannt wurde. Neuland für wohl die meisten Leser.

Geniestreich ...

Tereza Vanek wendet sich in diesem Roman wieder China zu.
Diesmal führt der Weg sogar von Shanghai bis nach Taiwan 1900, das damals auch Formosa genannt wurde. Neuland für wohl die meisten Leser.

Geniestreich der Autorin ist es, mit der Protagonistin Anastasia eine gewissermaßen neutrale Figur zu schaffen, deren Sicht auf die Zustände unvorgenommen sind und deswegen wirken die Themen unmittelbar auf den Leser.
Anastasia (kurz Ana) ist Russin, lebte jedoch schon seit ihrer Kindheit in China. Nach dem Tod ihres Vaters ist sie auf sich selbst gestellt. Eine für sie arrangierte Heirat lehnt sie ab. Sie wächst in ihre Rolle als selbstbewusste, eigenständige Frau hinein und kümmert sich sogar um die junge Chinesin Clio.
In Taiwan arbeiten sie zusammen für die Missionaren als Lehrerinnen.
Die Ereignisse der Zeit sind brisant, In Taiwan sind nach dem chinesisch-japanischen Krieg 1895 die japanischen Besetzer die Machthaber.
Von den Ureinwohner Taiwans rebellieren viele gegen die Unterdrückung.

Manche Nebenfiguren werden bewusst nicht tiefergehend portraitiert, etwa der deutsche Geschäftsmann Felix Hoffmann oder der Missionar George Mackay. Entscheidend ist wiederum, wie Ana sie wahrnimmt. Trotzdem sind es interessante Persönlichkeiten.
Das gilt erst recht für den Taiwaneser Difang, mit dem Ana sich mehrfach mit Sympathie auseinanderer setzt.

Das aufregende am Roman ist gerade der Kampf der Kulturen. Chinesen untereinander, gegen die Japaner, die Rolle der Europäer und christliche Missionare.

Tereza Vanek beweist auch in diesem historischen Roman, dass es möglich ist, anspruchsvolle Stoffe auf gut lesbare Art zu schreiben.

Veröffentlicht am 13.11.2017

gesellschaftspolitischer Roman

Leere Herzen
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Braunschweig in der nahen Zukunft! Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi haben ein Unternehmen, dass sie Die Brücke nennen. Es ist eine Heilpraxis für Suizid-Prävention, die aber nebenbei ...

Braunschweig in der nahen Zukunft! Britta Söldner und ihr Geschäftspartner Babak Hamwi haben ein Unternehmen, dass sie Die Brücke nennen. Es ist eine Heilpraxis für Suizid-Prävention, die aber nebenbei Selbstmordkandidaten als Attentäter vermitteln. Dieses ungewöhnliche Geschäftsmodell ist eine lukrative Sache.
Was für eine Idee für ein Romanthema! Zynisch und abgedreht!
Nach Außen hin führen sie ein bürgerliches Leben. Britta hat Mann und Kind und Freunde. Ihre Praxis gilt als vorbildlich.

Das System gerät aber anscheinend langsam in eine Schieflage. Britta steht unter Druck, hat Bauchschmerzen und Stress mit ihrem Mann.
Mit der jungen Julietta haben sie dann erstmals einen weiblichen Kandidaten im Programm und die bisherigen Regeln wanken.
Im Team kommt es zu Spannungen, da berufliches und privates vermischt wird. Zudem gibt es plötzlich erstmals Konkurrenz.

Der Roman lässt sich gut lesen, man kann sich kaum losreißen. Paradoxerweise ist man trotz des moralischen Dilemmas nah an den Figuren dran. Die sind ziemlich verpeilt, Britta glaubt wirklich, das ihre Tätigkeit die Welt besser macht. Allerdings gibt sie zu, nicht zu den Guten zu gehören.
Das man selbstmordgefährdete Menschen so steuern kann, wie Juli Zeh uns weiß machen will, glaube ich kaum. Die politisch irregeleitete Einstellung der Menschen kann man aber nachvollziehen.

Fazit: eigentlich unglaubwürdig und eine Kopfgeburt und doch bleibt ein ambitionierter gesellschaftspolitischer Roman.

Veröffentlicht am 07.10.2017

Lebens- wie Liebesgeschichte

Durch alle Zeiten
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Zeitlich sinnvoll versetzte Handlungsabschnitte zeigen das Leben von Elisabeth, der Protagonistin dieses Buches. Eine Lebens- wie Liebesgeschichte.
Die fünfziger und sechziger Jahre zeigen Kindheit und ...

Zeitlich sinnvoll versetzte Handlungsabschnitte zeigen das Leben von Elisabeth, der Protagonistin dieses Buches. Eine Lebens- wie Liebesgeschichte.
Die fünfziger und sechziger Jahre zeigen Kindheit und Jugend.
Es ist ein Leben mit Höhen und Tiefen. Die Kindheit in Armut, eine unglücklich verlaufende erste Liebe zu Niklas aber auch die schöne Zeit als sie durchsetzen konnte, auf die Haushaltsschule in England gehen zu können, schließlich auch eine Affäre, dann die Heimkehr schwanger. Heirat und Kinder.
Und all die Jahre immer wieder Niklas, obwohl sie beide mit anderen verheiratet sind.
Dass im Ablauf des Erzählens zeitlich hin- und hergesprungen wird ist effektiv, und zeigt, wie alles miteinander zusammen hängt.

Dieses Frauenportrait ist sehr realistisch, mit ihrer Stärke und ihren Fehlern, und in der jeweiligen Zeit glaubhaft verankert,

Prägend ist natürlich auch die Bergwelt, in der Elisabeth mit Ausnahme des kurzen Englandabschnitts ihr Leben verbringt.

Mich beeindruckt auch die wirklich schön gemachte, genaue Sprache, die nicht zu viel und nicht zu wenig Mittel einsetzt. Kein Wunder, dass die 1940 geborene Autorin mit Ullstein fünf einen Verlag gefunden hat, der sich intensiv um neue deutsche Literatur kümmert.
Da ist der Anspruch: Zitat: „klassisch gut erzählen, vertraute Lebenswelten erschließen, uns aber auch in Teile unserer Welt führen, über die wir wenig wissen.“. Diesen Anspruch erfüllt Helga Hammer in hohen Maße.