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Veröffentlicht am 21.01.2018

Ein Rückblick aufs ganze Leben

All die Jahre
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Nora Rafferty, Irin in erster Generation in den Vereinigten Staaten von Amerika, wird mit Anfang siebzig zu einem Rückblick auf ihr bisheriges Leben gezwungen. Aus einem Anlass, der alles andere ...

Nora Rafferty, Irin in erster Generation in den Vereinigten Staaten von Amerika, wird mit Anfang siebzig zu einem Rückblick auf ihr bisheriges Leben gezwungen. Aus einem Anlass, der alles andere als ein beneidenswerter ist: nämlich der Unfalltod ihres ältesten Sohnes, zugleich ihr Liebling.

Nora blickt auf ein intensives und wechselvolles Leben zurück - ein Rückblick, in den der Leser einbezogen wird. Mit Anfang 20 ist sie aus einem kleinen irischen Ort ihrem Verlobten Charlie in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gefolgt und zwar nicht allein. Sie reiste gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Theresa, zu der sie bereits seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr hat.

Doch was sind die Gründe? Nicht nur Nora, inzwischen verwitwet, Mutter von vier - nun, jetzt nur noch drei Kindern - sondern die gesamte erweiterte Familie Rafferty, blickt zurück und zieht eine Bilanz - jeder für sich, wodurch das Bild eines komplexen Gefüges, in dem Geheimnisse eine große Rolle spielen, sichtbar wird.

Die Autorin J. Courtney Sullivan lässt ihre Charaktere sich schonungslos öffnen, ihr tiefstes Inneres preisgeben - wenn auch in vielen Fällen nur dem Leser. Denn in der Familie Rafferty ist ein jeder auf seine Art einsam, der eine mehr, der andere weniger. Bei dem einen betrifft dies nur das Familiengefüge bzw. Teile davon, beim anderes geht es tiefer, durchdringt all seine Lebensbereiche. Dazu kommt im Verlauf der Lektüre die Erkenntnis, dass das Gefüge "Familie" auf verschiedenerlei Art existieren kann, auch innerhalb eines einzigen Familienverbandes. Familie: das kann so vieles sein. Oder eben auch nicht!

Und es gibt Dinge, die sich nicht so einfach aus der Welt schaffen lassen - vor allem nicht, wenn man als Irin in die Staaten kommt und dort eine neue Existenz aufbaut. Nora hat vieles hinter sich gelassen - in jederlei Hinsicht.

Ein Buch, das aus meiner Sicht eine gewisse Ähnlichkeit mit den Romanen von Alison Lurie hat, Teile davon rücken für mich auch in die Nähe der großartigen Anne Tyler. Wobei hier der Aspekt der Einwanderung, die Frage der eigentlichen Heimat zumindest für die Generation Noras, die ältern also, eine große Rolle spielt. Was ist Heimat und wie kann man die Sehnsucht nach ihr befriedigen? J. Courtney Sullivan schreibt sehr mitreißend und eindringlich, kolpotiert das eigentlich schwere Thema mit gekonnter Leichtigkeit, stellenweise auch mit Humor. Das Buch lässt sich leicht weglesen, entbehrt aber durchaus nicht einer gewissen Tiefe, eines wahrhaftig hohen inhaltlichen Anspruchs. Es bleibt ein tiefer Eindruck, der sich nicht so schnell verflüchtigen wird. Gerade deswegen ist es aus meiner Sicht ein richtiger Schmöker - einer mit Niveau, ein Buch, das ich mit Genuss und Gewinn gelesen habe!

Veröffentlicht am 14.01.2018

Ein Traum in Vinyl

Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
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1988 in einer eher bescheidenen englischen Stadt: Frank ist Herr der schwarzen Scheiben, nämlich derer, über die Musik erklingt. Der guten alten Schallplatten also, die sich zu der Zeit bereits auf dem ...

1988 in einer eher bescheidenen englischen Stadt: Frank ist Herr der schwarzen Scheiben, nämlich derer, über die Musik erklingt. Der guten alten Schallplatten also, die sich zu der Zeit bereits auf dem Rückzug befinden, denn das Zeitalter der CDs schreitet voran.

Und auch sonst ist so einiges im Wandel im der kleinen, ein bisschen schäbigen Unity Street, in der es die Bewohner doch so nett miteinander haben. Aber wie lange noch? Denn eine Baugesellschaft versucht alles aufzukaufen, was sie in die Finger kriegt.

Aber das ist nicht Franks einzige Sorge, denn ihm begegnet die Liebe - eine Liebe, mit der er sich aufgrund diverser Erfahrungen in seinem bisherigen Leben - und er ist immerhin schon vierzig - schwertut, zumal er zunächst gar nicht weiß, wie die Frau im grünen Mantel die Sache sieht.

Und dann werden die Akteure in der Unity Street vom Leben überrollt und es gibt einen Break. Einen, der ziemlich lange dauert.

Aber es gibt ein danach - und was für eines. Ziehen Sie sich warm an!

Eine Hymne auf die gute alte Schallplatte und mehr noch auf den Zusammenhalt alter Freunde, vor allem aber auf die Liebe! Diese kann nämlich ganz schön seltsame Wege gehen und ist nicht immer so offensichtlich, wie es zu wünschen wäre.

Die Autorin Rachel Joyce hat hier ein modernes Märchen verfasst, allerdings eins mit ganz schön vielen Ecken und Kanten. Und mit ganz viel Augenzwinkern dabei - eben very british! Wenn auch einiges nicht ganz rund ist, ist die ganze Geschichte so originell und warmherzig, dass ich bereit war, mich ganz und gar und vollkommen ohne Einschränkungen darauf einzulassen und mich darin zu verlieren - oder vielmehr wiederzufinden! Denn wer wünscht sich nicht ein wenig Märchenhaftes in seinen Alltag. Frank und die seiniges Leben das - zumindest in diesem Buch!

Ein Märchen in Vinyl also - mit Helden der anderen Art! Ein bisschen wie Du und ich, aber doch etwas ganz Besonderes! Dabei schrullig und sehr, sehr eigen! Engländer eben, die meisten zumindest! Ein Buch, mit dem man sich selbst und diejenigen, die man ganz besonders mag, versorgen sollte!

Veröffentlicht am 09.01.2018

Hamburg in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Gegenwart

Die Oleanderfrauen
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ist der Handlungsort des neuen Familienromans von Teresa Simon. In den 1930er Jahren hat Sophie, obwohl aus gutem, ja wohlhabenden Hause - nämlich einer sogenannten Kaffeehandelsdynastie - ein schweres ...

ist der Handlungsort des neuen Familienromans von Teresa Simon. In den 1930er Jahren hat Sophie, obwohl aus gutem, ja wohlhabenden Hause - nämlich einer sogenannten Kaffeehandelsdynastie - ein schweres Schicksal zu erleiden. Wobei das auch, aber nicht nur mit ihren persönlichen Erlebnissen zu tun hatte: Hamburg hatte im zweiten Weltkrieg viel, schwer und auch bereits relativ früh unter Bombardierungen zu leiden und auch in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg war das Leben für die Bürger der Stadt nicht gerade einfach.

Da hat es Jule, die es 2016 aus dem Erzgebirge in die Hansestadt verschlägt, trotz diverser Widrigkeiten doch vergleichsweise leichter. Ihre Probleme sind die steigende Miete für ihr Café "Strandperlchen" sowie Liebeskummer. Auf der anderen Seite jedoch macht sie in ebendiesem Café eine Reihe - meist angenehmer - interessanter Bekanntschaften, von denen nicht wenige ihr bei der Etablierung eines zweiten Standbeines, nämlich dem Recherchieren und Verfassen von Familienerinnerungen, behilflich sind - als Auftraggeber nämlich.

In diesem Zusammenhang stößt Jule auch auf Sophies Geschichte, diese hat nämlich Tagebuch geführt. Mit diesem entführt sie sowohl Jule als auch die Leser in eine spannende Vergangenheit.

Ein wie immer sehr anschaulich und gut recherchiertes Buch, das ich mit Begeisterung gelesen habe und über weite Strecken nicht aus der Hand legen konnte. Da hat es mich auch nur wenig gestört, dass die Zufälle streckenweise Überhand nahmen und etwas zu konstruiert daherkamen.

Aber eines hat mich wirklich gestört und da kann die Autorin, deren Werke mir allesamt ans Herz gewachsen sind, nun wirklich nichts für: Sophies Tagebuch ist in einem Schriftbild abgedruckt, das zwar keineswegs zu klein, wohl aber zu filigran ist, um es problemlos lesen zu können! Eigentlich waren mir diese Passagen oft die liebsten, aber dennoch war ich immer froh, wenn eine davon vorbei war und ich mich wieder bei der Lektüre in der normalen Schrift "erholen" konnte. Dennoch, die Mühsal lohnt sich definitiv - einmal mehr ist Teresa Simon ein warmherziges, dabei historisch fundiertes Buch mit gut angelegten Charaktern gelungen, dessen Lektüre Spaß macht und gleichzeitig - quasi nebenbei - bildet bzw. informiert.

Veröffentlicht am 08.01.2018

Warte nicht bis zum Frühling mit Arturo Bandini

Der Weg nach Los Angeles
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sondern gönne ihn Dir jetzt gleich - in einem ganz jungen Format ist er hier zu "erlesen", nämlich in einem Frühwerk des großen John Fante, dessen Ruhm, den er zu einem nicht geringen Teil Charles Bukowski ...

sondern gönne ihn Dir jetzt gleich - in einem ganz jungen Format ist er hier zu "erlesen", nämlich in einem Frühwerk des großen John Fante, dessen Ruhm, den er zu einem nicht geringen Teil Charles Bukowski verdankt, leider erst nach seinem Tod erstrahlte. Gerade auch dieses Buch, das erste des Autors zu DER von ihm geschaffenen Figur, ist tatsächlich auch in den Staaten erst 1984 und somit nach Fantes Tod erschienen.

Arturo Bandini - ein Italoamerikaner der ungewöhnlichen Art, ein Alter Ego des Autors: definitiv kein Mafiosi, wenn er auch längst nicht immer brav bleibt. Er ist genial, eingebildet, größenwahnsinnig, dreist, kindisch, frühreif, verwegen, feige und noch vieles mehr und in dieser Widersprüchlichkeit sozusagen eine normaler junger Mensch und auch gerade wieder nicht. Arturo Bandini will früh Schriftsteller werden und zwar nicht gerade irgendeiner. Aus kleinen Verhältnissen kommend, von Mutter und Schwester ständig niedergemacht, ein quasi unmögliches Unterfangen.

Fantes Literatur: das ist definitiv eher Männerliteratur, ebenso wie Bukowski. Finde ich als Frau. Aus meiner Sicht ist dies ein wirklich großes Werk, wenn ich es auch wahrscheinlich in seiner Gänze nicht wertschätzen kann, dafür habe ich es nicht gern genug gelesen. Aber das liegt nicht an der Qualität der Darstellung, sondern mehr am Thema - also eher mein Problem.

Was ich durchaus zu schätzen weiß, ist die außerordentlich liebevoll und gründlich aufbereitete Neuübersetzung durch Alex Capus, der selbst einige aus meiner Sicht nicht unbedeutende Romane verfasst hat. Wieviele Gedanken er sich gemacht hat, wie intensiv er sich sowohl mit der Person Fante in ihrer Gesamtheit als auch mit diesem konkreten Text beschäftigt hat, das zeigt das ausführliche Nachwort. Ich habe selbst schon häufiger übersetzt (wenn auch keine anspruchsvolle Literatur) und ich habe gerade auch die Ausführung zu seiner Übersetzungsarbeit, zur Auseinandersetzung mit dem Text als sehr bereichernd empfunden.

Kurzum: es ist ein Geschenk, das der Blumenbar Verlag uns hier mit diesem Band macht: wer gerne ein in jeder Hinsicht gelungenes Buch genießen möchte (auch Optik und Haptik betreffend), der greife hier bei dieser kleinen Kostbarkeit zu.

Veröffentlicht am 05.01.2018

Das wundervolle blaue Mittelmeer

Gefährliche Côte Bleue
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birgt ebenso wie seine Küste nicht nur Erfreuliches wie köstliche Fische, Urlaubsvergnügen per Boot oder durch Plantschen am Strand, nein, man kann dort auch zu Tode kommen: Capitaine Roger Blanc, der ...

birgt ebenso wie seine Küste nicht nur Erfreuliches wie köstliche Fische, Urlaubsvergnügen per Boot oder durch Plantschen am Strand, nein, man kann dort auch zu Tode kommen: Capitaine Roger Blanc, der eigentlich gegen seinen Willen aus Paris in die Camargue versetzt wurde, hat einen neuen, mittlerweile bereits den vierten Fall im neuen Wirkungskreis. Ein Taucher ist es, der dran glauben musste, ein überaus erfahrener Mann. Bald ist klar, ein reiner Unfall kann es nicht gewesen sein und Blanc und sein Team ermitteln sowohl in Richtung Umweltskandal als auch im Hinblick auf mögliche Plünderungen. Kann es tatsächlich so gewesen sein.

Blanc beginnt, wie üblich, auf unkonventionelle Art zu ermitteln und gerät - auch das nicht unüblich - rasch ins Kreuzfeuer unterschiedlicher Interessen.

Cay Rademacher gibt seinen Lesern das Gefühl, sie befinden sich mitten in der Provence zwischen malerischen Landschaften, köstlichen Speisen, netten - und einigen wenigen nicht so netten - Nachbarn, Wein und idyllischen Dörfern mit lauschigen Ecken. Wer sich nicht bereits dort wähnt, der will unbedingt dorthin und beginnt im Geiste schon mit der Urlaubsplanung.

Der Autor beweist, dass er sich nicht nur in Hamburg, wo seine großartigen Nachkriegskrimis um Oberinspektor Frank Stave angesiedelt sind, sondern auch in der Camargue bestens auskennt. In diesem Band gibt er uns - so mein Eindruck - einen Einblick in die verschiedensten Charaktere, die einem dort so begegnen können - zu gerne würde ich erfahren, von wem oder von welchen Situationen er sich hat inspirieren lassen.

Insgesamt habe ich mich von diesem ruhigen, aber spannenden Krimi gut und auf hohem Niveau unterhalten gefühlt und freue mich nun schon auf den nächsten Teil dieser Serie mit einem - ich vergaß zu erwähnen - recht ungewöhnlichen Ermittlerteam, das sich durch eine ganz spezielle Art von Teamgeist auszeichnet!