Sieben Minuten nach Mitternacht ist ein ausgesprochen trauriges, aber dennoch wundervolles Buch, an das man sich nach dem Lesen noch lange erinnern wird, weil es einen zutiefst berührt hat. Siobhan Dowd hatte eine wahnsinnig gute Idee, bei der es wirklich viel zu schade gewesen wäre, wenn sie auf nimmer Wiedersehen in irgendeiner Schublade verschwunden wäre. Zum Glück hat Patrick Ness sich also schließlich doch der Herausforderung gestellt und diese tolle Geschichte an ihrer Stelle geschrieben.
Das Buch ist, da es nur etwas über 200 Seiten hat, sehr schnell gelesen, deshalb allerdings nicht weniger intensiv oder bewegend, im Gegenteil. Es erzählt eine sehr emotionale Geschichte, bei der kaum ein Auge trocken bleiben wird. Taschentücher sind beim Lesen also zwingend erforderlich, vor allem zum Ende hin.
Das Monster und seine drei bzw. vier Erzählungen sind eine wunderbare Idee und bilden eine solide Grundlage, durch die eine gewisse Spannung aufgebaut wird. Dank ihnen steuert die Handlung nicht nur auf den unweigerlichen Tod der Mutter zu, sondern zudem auf die letzte der Geschichten bzw. die eine Wahrheit, vor der Conor sich mehr als vor allem anderen auf der Welt fürchtet: Conors schlimmster Alptraum, der ihn nachts immer häufiger plagt.
Gebannt verfolgt man also die einzelnen Geschichten, die allesamt gänzlich anders ausgehen als erwartet, worin letztendlich auch ihr Zweck liegt, nämlich Conor zu zeigen, dass nicht immer alles schwarz oder weiß und somit einfach zu beurteilen ist. Kein Mensch ist nur gut oder böse, die meisten sind irgendetwas dazwischen. Noch gespannter wartet man anschließend auf die vierte und letzte der Geschichten und die Enthüllung der Wahrheit, die mit ihr einhergehen soll. Was quält Conor noch mehr als der drohende Tod seiner Mutter?
Das Monster ist eine interessante, vielseitige Gestalt, die sich nicht einfach vergraulen lässt und Conor langsam darauf vorbereitet sich dem Unvermeidlichen zu stellen, ob er will oder nicht. Es ist gekommen um ihm zu helfen, nicht seiner Mutter, obgleich ihm das selbst nicht bewusst ist oder er dies zu verdrängen versucht.
Ein besonders schöner Schachzug des Autors: Bis zum Schluss wird nicht eindeutig oder abschließend aufgeklärt, ob es das Monster tatsächlich gibt und der Realität hier dadurch ein phantastisches Element hinzugefügt wurde, oder ob das Monster nur ein Produkt von Conors Phantasie bzw. seines Unterbewusstseins ist. Für beide Auslegungen gibt es Hinweise im Buch, es ist somit der individuellen Interpretation des Lesers überlassen.
Als Erwachsener liest man das Buch sicher etwas anders als als Jugendlicher. Man bringt zum Beispiel viel mehr Verständnis für die zum Teil ebenso überforderte Großmutter auf, mit der Conor noch nicht gut zurechtkommt und die sich charakterlich stark von seiner Mutter unterscheidet, weil man weiß, wie sehr auch sie unter der ganzen Situation leiden muss. Das eigene Kind zu verlieren ist für eine Mutter oder einen Vater immerhin das Schlimmste, was diese sich vorstellen können.
Nichtsdestotrotz identifiziert man sich vor allem mit dem 13-jährigen Conor und kann seinen Schmerz besser nachempfinden als es einem lieb ist. Selbst wenn man bisher das Glück hatte einen solchen Todesfall noch nicht erlitten zu haben, kann man sich gut vorstellen, wie schmerzlich diese Erfahrung für ihn sein muss. Man spürt das tiefe Band zwischen Conor und seiner Mutter, das den bevorstehenden Verlust seiner einzigen richtigen Bezugsperson umso schlimmer macht. Es löst den Wunsch aus, die eigene Mutter, sofern möglich, sofort anzurufen, sie fest in den Arm zu nehmen und dankbar dafür zu sein, dass man sie noch hat.
Man versteht jedoch nicht nur den Schmerz, sondern ebenso die Wut und die Hilflosigkeit. Zu wissen, dass man eine Person, die man liebt, wahrscheinlich schon sehr bald verlieren wird, aber gleichzeitig nichts tun zu können, um es zu verhindern, gibt einem ein Gefühl von völliger Machtlosigkeit. Man ist gefangen in einer Situation, der man nicht entfliehen kann.
Conors dunkelstes Geheimnis, sein tief verborgener Wunsch, ist daher nur allzu menschlich und keineswegs so verwerflich wie er glaubt. Die Bestrafung, die er selbst für sich herbei sehnt, weshalb er sich lange Zeit nicht gegen die gefühllosen Mitschüler wehrt, die ihn regelmäßig schikanieren, ist somit gar nicht erforderlich. Vielmehr soll das Monster ihm dabei helfen sich selbst zu vergeben.
Leider stößt Conor die Menschen, die ihm helfen wollen, zunehmend von sich, da er sich so unverstanden fühlt, und sein Verhalten mag nicht immer richtig sein, beispielsweise wenn sich seine Zerstörungswut plötzlich Bahn bricht, es ist allerdings nur zu verständlich. Vielleicht würde man selbst sogar ähnlich reagieren, wer weiß das vorher schon? Er ist jung und weiß nicht, wohin mit seinen intensiven und zutiefst widersprüchlichen Gefühlen. Einerseits glaubt er fest an die Heilung seiner Mutter, andererseits weiß er irgendwo tief in seinem Inneren, dass ihnen nicht mehr viel Zeit zusammen bleibt. Trotzdem klammert er sich verzweifelt an die Hoffnung, was man ihm nicht vorwerfen kann.
Die Erwachsenen bestrafen ihn für sein Verhalten nicht, weil sie wissen, was er gerade durchmacht. In Conors Fall ist das vielleicht genau die falsche Reaktion, denn er sehnt sich nach Normalität. Doch auch die Rücksicht, die er nicht zu verdienen glaubt, ist mehr als nachvollziehbar. Niemand kann ihm seinen Schmerz nehmen oder ihn davor bewahren. Wie könnte man von einem Kind, das kurz davor ist die Person zu verlieren, die es am meisten auf der Welt liebt, verlangen sich über so etwas Banales wie Hausaufgaben Gedanken zu machen statt letzte, kostbare Momente mit seiner Mutter zu verbringen? Wäre das nicht mindestens ebenso falsch? Die meisten Erwachsenen würden in so einer Situation schließlich ebenfalls nicht einfach zur Arbeit gehen.
Das Ende ist dann sogar noch trauriger als man es für möglich gehalten hätte und bricht einem regelrecht das Herz. Einmal mehr wird deutlich, wie schwer es ist jemanden loszulassen, den man nicht verlieren will. Am emotionalsten sind daher wohl die letzten beiden Gespräche zwischen Conor und seiner Mutter, die ein weiteres Mal zeigen, wie eng ihre Bindung zueinander ist und dass niemand besser versteht, wie Conor sich gerade fühlt, als seine Mutter. Es schmerzt sie tief, dass sie ihrem Sohn diesen Kummer nicht ersparen und ihm nicht noch mehr Zeit schenken kann.
Besonders gelungen sind darüber hinaus die düsteren, abwechslungsreichen Illustrationen von Jim Kay, die manchmal ganze Seiten füllen, manchmal aber auch nur am Rande auftauchen. Sie passen sehr gut zur dunklen, oftmals trostlosen Atmosphäre des Buches und sind vereinzelt tatsächlich ein wenig gruselig.
FAZIT
Mit Sieben Minuten nach Mitternacht hat Patrick Ness ein wahrlich herzzerreißendes Buch geschrieben, das einem noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Nur selten kann man die vielen, intensiven Gefühle einer Figur so gut nachempfinden wie Conors widersprüchliche Emotionen in Bezug auf den unausweichlichen Verlust seiner geliebten Mutter.