Wo ein bisschen Zeit ist … ist zwar keineswegs ein schlechtes Buch, insbesondere nicht für ein Debut, es ist aber insgesamt nicht sonderlich fesselnd und lässt einen nach dem Lesen mit eher gegensätzlichen Gefühlen zurück. Auf jeden Fall sollte man die Geschichte nicht allzu ernst nehmen, vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass Jack einen nur wenige Stunden alten Säugling aus dem Krankenhaus entführt, ihm eine Windel aus Toilettenpapier bastelt und anschließend versucht ihn mit Apfelmus zu füttern.
Grundsätzlich ist Jack ein ganz sympathischer Protagonist, doch mit Ausnahme seiner ziemlich unreifen Reaktion auf Jess‘ Schwangerschaft – bis zu ihrem Anruf hatte er sie mehr oder weniger sogar verdrängt – erweckt er nicht den Eindruck erst achtzehn Jahre alt zu sein. Es erscheint schlicht unrealistisch und ist schwer vorstellbar, dass ein so junger Mensch sich in seinem verhältnismäßig kurzen Leben schon derartig intensiv mit diversen philosophischen Ansätzen beschäftigt haben und sich solch komplexe Fragen stellen soll, dass ihn das wirklich bewegt. Viele dieser Fragen passen eher zu älteren Menschen, die schon einiges erlebt und nicht gerade erst die Pubertät hinter sich gebracht haben.
Jacks Gedankengänge sind sehr verworren und man kann ihnen bisweilen nur schwer folgen. Zum Teil stellt er sich Fragen, die den meisten sicher unsinnig erscheinen und nur äußerst wenige davon würde man sich vielleicht auch selbst einmal stellen. Manchmal bleibt zudem unklar, worauf er überhaupt hinaus will. Lediglich den Wunsch seinen Sohn noch nicht sofort herzugeben sowie sich von ihm zu verabschieden und die darauffolgende Kurzschlussreaktion der Entführung, kann man im Gegensatz zu den unzähligen Fragen ein bisschen nachvollziehen.
Obwohl er mit Sokrates spricht, weiß er, dass er eigentlich Selbstgespräche führt, hofft allerdings, seinen Sohn dadurch ein wenig zu prägen um Einfluss auf seine spätere Entwicklung zu nehmen. Ob ihm das gelungen ist und er damit für den späteren Studienwunsch seines erwachsenen Sohnes verantwortlich ist, bleibt jedoch offen.
Dass Jack vor dem Anruf von Jess ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hat einen Selbstmordversuch zu unternehmen um, wie er selbst zugibt, mehr Aufmerksamkeit zu erhalten, bekommt man erst später richtig mit und es hinterlässt ein komisches Gefühl, da es einem nicht wirklich einleuchtet und man nicht weiß, was man davon halten soll.
Darüber hinaus erfährt man, abgesehen von seiner Religionszugehörigkeit, letztlich kaum etwas über ihn, was hauptsächlich daran liegt, dass er beinahe die gesamte Zeit so mit existenzialistischen Fragen beschäftigt ist. Jess und Tommy bleiben leider ebenfalls eher blass und nur durch ein paar sarkastische bzw. spaßige Bemerkungen hier und da lernt man sie nicht gerade gut kennen. Nur über ihre jeweilige familiäre Situation erfährt man einige wenige Details.
Wenn Jack einmal nicht mit Grübeln beschäftigt ist, bekommt man hingegen einen sehr interessanten und amüsanten Road Trip, wenngleich es etwas unglaubwürdig ist, dass sie die Polizei gleich mehrfach so leicht abschütteln können, und viel Situationskomik, beispielsweise muss Jack überlegen, wie er gleichzeitig das Baby halten und Wasser lassen soll, geboten. Auch die diversen Popkulturanspielungen bringen einen des Öfteren zum Schmunzeln. Doch das Highlight des Romans ist die Begegnung mit Marie und Herbert, von denen man gerne noch viel mehr gelesen hätte. Dank ihnen wird es Zwischendurch so lustig, dass man sogar laut lachen muss.
Der Wechsel zwischen den verschiedenen unterhaltsamen Momenten bei der Reise der drei jungen Erwachsenen und den teils eher befremdlichen imaginären Dialogen Jacks mit einem Säugling ist oftmals aber sehr plötzlich und durchbricht dadurch immer wieder den Lesefluss, weil diese beiden Elemente nicht so recht zusammen passen wollen.
Spannung ist im Grunde gar nicht vorhanden und man wird daher nicht direkt zum Weiterlesen animiert. Nur weil man wissen will, ob sie es bis zu Bob schaffen, ob seine Großmutter Jack erkennt und somit ihren Urenkel bewusst als diesen wahrnehmen kann, und welche Konsequenzen dieser Ausflug für die Drei haben wird, wobei auf letzteres am Ende so gut wie gar nicht mehr eingegangen wird, sorgen dafür, dass man es dennoch tut.
Das Gespräch mit seiner Mutter und seine neu entflammte Vaterliebe gehen dagegen immerhin ziemlich ans Herz. Selbiges gilt für das Ende, allerdings hätte man insbesondere im Epilog gern mehr über Jacks Beziehung zu seinem Sohn erfahren, zum Beispiel wie oft er ihn sieht. Nur einmal im Jahr oder doch viel regelmäßiger? Und natürlich hätte man gern gewusst, ob Jack selbst eine Familie hat, neben Sokrates.
Im Hinblick auf den Schreibstil von Emil Ostrovski kommt es einem widersprüchlich vor, dass jemand, der sich in Philosophie so gut auskennt, Wörter verwendet und Theorien widergibt, von denen die meisten Leute in ihrem ganzen Leben noch nie etwas gehört haben, sich in Dialogen dann so trivial ausdrückt und fast jeden Satz mit dem Wort „Mann“ beginnt oder ihn damit enden lässt.
Der allerletzte Satz ist dafür jedoch ein wahrlich perfekter Abschluss für diese verrückte, ungewöhnliche Geschichte.
FAZIT
Obwohl es von jungen Erwachsenen handelt, ist Wo ein bisschen Zeit ist … definitiv kein typisches Jugendbuch und vermutlich nur bedingt für diese Zielgruppe geeignet, denn an Stelle einer spannenden Handlung stehen im Debut von Emil Ostrovski vielmehr die Fragen nach dem eigentlichen Sinn des Lebens im Vordergrund.
Das Buch ist also eher nichts für Leute, die schlicht unterhalten werden wollen. Wer tiefgründige, anspruchsvolle Überlegungen dem kurzweiligen Nervenkitzel vorzieht, dürfte hiermit jedoch genau richtig liegen.