Das Reformations-Jubiläum nahm ich zum Anlass, einen historischen Roman auszuwählen, der in dieser Epoche spielt.
Dieses Werk ist 1415 und 1416 verortet. Es wird der auktoriale Erzählstil (allwissender Erzähler) verwendet, bei dem in die Innenansichten vieler Figuren geschlüpft wird, im Wesentlichen dieser drei:
Wolfram, junger Mann adeliger Abstammung, der sich der deutschen Bewegung zur Reformation der Kirche anschließt und deshalb verfolgt wird.
Ekart, junger Mann und Sohn eines kleinen Adeligen, der mit seinem Vater zur Pilgerreise nach Jerusalem aufbricht. Hierbei erhält man Einblicke in Glaubenskonflikte mit dem Islam und auch zu den in der Wüste herumwandernden Nomaden.
Emma, seine Schwester, die mit ihrer Mutter auf der Burg in Oberschwaben zurückbleibt. Hier werden Impressionen zum Verwalten des Hofes, grassierenden Pestfällen, Hexenverfolgung und Wanderhuren (im Übrigen nicht für zarte Gemüter geeignet) geliefert.
Dadurch dass die meisten wiedergegebenen Perspektiven die von Adeligen sind und darüber hinausgehende aus meiner Sicht eher oberflächlich oder klischeehaft abgehandelt werden, sind brauchbare Einblicke zur damaligen Lebenswirklichkeit rar. Schade, weil ich differenzierte Einblicke ins Gesellschaftssystem regelmäßig besonders reizvoll finde.
Ich habe zu Beginn des Romans die Namen und wesentliche Ansichten und Leistungen einiger historischer Persönlichkeiten rund um das Kirchenschisma und die Anfänge der Reformation dazugelernt. Ich hatte zunächst die Sorge, es könnten zu viele Informationen werden, um sich diese zu merken, doch mit weiterem Fortschritt des Romans tritt Historie zugunsten fiktiver Elemente immer weiter in den Hintergrund, sodass ich am Ende eher enttäuscht über den geringen Kenntniszuwachs bin.
In Bezug auf fiktive Figuren und ihre Liebes- und Leidensgeschichten nahm meine Begeisterung auch immer mehr ab. Zu Beginn fand ich die Hauptfiguren sympathisch und nahm Anteil an ihren Erlebnissen, aber mittelfristig fehlten mir dann Ecken und Kanten. Die vermeintlich intelligenten Charaktere agieren oft naiv oder planlos. Es kristallisiert sich ein märchenhaftes Schwarz-Weiß-Schema heraus, welches viele Geschehnisse für mich vorhersehbar machte.
Die Perspektivwechsel sorgen aber immerhin für Abwechslung und sehr vielfältige - wenn auch nicht besonders tiefgreifende oder außergewöhnlich gut recherchiert anmutende – Eindrücke. Der Roman ließ sich einfach und flüssig lesen, war kurzweilig und ich tendierte bis kurz vor Ende zu einer 4-Sterne-Bewertung. Immerhin ist es nicht einfach, so viele Themen interessant und stimmig zu verpacken.
Angesichts dessen, dass es der Autorin lange ganz gut gelungen ist, zum jeweiligen Ort und zur jeweiligen Situation (romantisch, hoffnungsvoll, bedrohlich, gefährlich, …) die passende Atmosphäre zu kreieren, war ich dann aber ziemlich erschüttert, wie überhastet das Zusammenfügen aller Handlungsstränge auf den letzten Seiten und der Abschluss herbeigeführt wurde. Ich war perplex, wie sprunghaft sich alle Beteiligten verhalten und wie abrupt alle aufgestauten Konflikte abgehandelt werden. Der letzte Satz ist wörtliche Rede, es folgt kein Epilog, Nachwort oder Ähnliches. Zum einen für die fiktive Handlung ziemlich unbefriedigend. Zum anderen wäre eine Darlegung der Grenzen zwischen Historie und Fiktion und dem Schicksal angeführter Persönlichkeiten zur Abrundung noch schön gewesen.