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Veröffentlicht am 27.01.2018

Gesellschaftskritische Zukunftsvision – Vielschichtig, spannend und informativ

Neanderthal
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Deutschland in der Zukunft. Krankheiten, Schönheitsfehler und Suchtprobleme sind abgeschafft, Gesundheit ist das höchste Ideal. Eine Welt, in der sich Kommissar Philipp Nix nur schwer zurecht findet. Als ...

Deutschland in der Zukunft. Krankheiten, Schönheitsfehler und Suchtprobleme sind abgeschafft, Gesundheit ist das höchste Ideal. Eine Welt, in der sich Kommissar Philipp Nix nur schwer zurecht findet. Als er eines Tages auf eine seltsam aussehende Leiche stößt, führt ihn das zu einem grausigen Massengrab in einem Tal bei Düsseldorf. Sind es Neandertaler? Aber warum sind die Überreste nur dreißig Jahre alt? Nix' Ermittlungen enthüllen einen Skandal, der die Gesellschaft der Zukunft in ihren Grundfesten erschüttert …

Der Autor:

Jens Lubbadeh ist freier Journalist und hat bereits für Die Zeit, NZZ, Bild der Wissenschaft, Technology Review, Spiegel Online und viele weitere Print- und Digitalmedien geschrieben. Für seine Arbeit wurde er mit dem Herbert Quandt Medien-Preis ausgezeichnet. Der Science-Thriller »Unsterblich«, sein Romandebüt, hat auf Anhieb Kritiker und Leser gleichermaßen begeistert. Jens Lubbadeh lebt in Hamburg. (Quelle: Heyne Verlag)
Reflektionen:

Die Inhaltsangabe zu Neanderthal von Jens Lubbadeh verspricht einen rasanten Thriller, doch Neanderthal ist weder rasant, noch ein waschechter Thrill. Ist man als Leser flexibel und lässt die unglückliche Mainstream-Genre-Kategorisierung außer Acht, darf man einen spannenden und interessanten Roman erwarten, wenn man sich für Gentechnologie, Anthropologie, Urmenschen und eine visionäre Zukunftsphilosophie interessiert, die durch kriminelle Machenschaften beeinflusst und vorangetrieben wird.

Jens Lubbadeh ist es gelungen, eine komplexe Handlung zu kreieren, die intelligent Authentizität und Dystopie vermischt. Vor allem aber zeichnet er eine Zukunftsidee, die im Jahr 2053 von der Regierung und dem Ministerium für Glück und Gesundheit gesteuert wird und so abwegig gar nicht erscheint.

Gen-Architekten sind gefragt wie nie und bieten perfekt optimiertes Editing am ungeboren Kind an. Nimm zwei Edits und erhalte eines umsonst, optimiere deine Fitness, unterziehe dich Schönheits-OPs, erhalte so Bonus-Punkte und zahle niedrigere Krankenkassenbeiträge.

Das einzige was zählt und richtig ist, ist die perfekte Gesundheit. Gendefekte sind weitestgehend ausgemerzt und doch kämpft diese Gesellschaft mit „der großen Depression“. Das Ausmaß dieser Gesundheits-Optimierung verstößt jeden Menschen, der körperliche Andersartigkeit aufweist. Ob asymmetrisches Gesicht, körperliche- oder seelische Behinderung, in diesem Roman wird die Andersartigkeit zum Feind. Immer wieder weist die Geschichte unsympathische Parallelen auf, die an die Arisierung und an die grauenvollen Lager der Deutschen Geschichte erinnern. Der Verzicht darauf, wäre eine kluge Entscheidung gewesen. Zum Teil wirkt die Geschichte überstrapaziert, doch sie fasziniert zu gleich.

Eine der Hauptfiguren ist einer der Andersartigen. Wissenschaftler Max ist gehörlos und kommuniziert mit seiner Umwelt durch die Gebärdensprache. Diese Figur ist äußerst intensiv gezeichnet und sie spiegelt einen Charakter wieder, der die Ausgrenzung und Diskriminierung als behinderter Mensch nicht akzeptieren will und dagegen ankämpft.

Nicht jede Figur genießt in diesem Roman eine Charakterzeichnung mit Tiefe, doch Jens Lubbadeh hat zahlreichen Figuren eine lebendige und interessante Legende zugeschrieben. Insgesamt liegt der Fokus nicht auf den einzelnen Figuren, sondern eher auf dem kompakten Gesamtkonstrukt der fiktiven Geschichte. Überwältigende Spannung und Tempo ist nicht sonderlich präsent und vereinzelt kommt es gar zu Längen, doch die Grundstimmung stimmt, so dass man neugierig der Geschichte folgen will, die in einer angenehm, flüssigen Sprache geschrieben ist.

Dieser Roman ist thematisch äußerst vielschichtig und informativ. Er hat sicher zeitintensive Recherchen eingefordert, die stimmig und fundiert glaubwürdig in die Handlung einfließen. Die Kultur der Amische, das Leben eines Gehörlosen, Gentechnologie, internationale wissenschaftliche Erkenntnisse, Medizinisches, politische Strukturen, historische Geschichte und aktuelles Zeitgeschehen sind intelligent in der Handlung verwoben.

Eine Perspektive, die vereinzelt die Kapitel der Story durchbricht, erzählt die Geschichte von einem Stamm der Neandertaler. Ich muss leider gestehen, dass ich diese irgendwann überblättert habe, da sie mir uninteressant erschien und ich zu neugierig auf den Fortgang des Haupterzählstrangs war, der von Gesellschaftskritik nur so trotzt.

Fazit und Bewertung:

Neanderthal von Jens Lubbadeh

Die Inhaltsangabe zu Neanderthal von Jens Lubbadeh verspricht einen rasanten Thriller, doch Neanderthal ist weder rasant, noch ein waschechter Thrill. Ist man als Leser flexibel und lässt die unglückliche Mainstream-Genre-Kategorisierung außer Acht, darf man einen spannenden und interessanten Roman erwarten, wenn man sich für Gentechnologie, Anthropologie, Urmenschen und eine visionäre Zukunftsphilosophie interessiert, die durch kriminelle Machenschaften beeinflusst und vorangetrieben wird.

Trotz meiner kritischen Anmerkungen war ich spannend unterhalten und würde jederzeit wieder etwas von Jens Lubbadeh lesen.

©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 25.01.2018

Die Schrecken der Vergangenheit – Atmosphärisch, düster, isländisch

SOG
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Zwölf Jahre nach dem Tod und der Vergewaltigung eines Mädchens wird eine Zeitkapsel in Reykjavik gehoben. Darin enthalten: 10 Jahre alte Briefe von Schülern, die beschreiben, wie sie sich Island im Jahre ...

Zwölf Jahre nach dem Tod und der Vergewaltigung eines Mädchens wird eine Zeitkapsel in Reykjavik gehoben. Darin enthalten: 10 Jahre alte Briefe von Schülern, die beschreiben, wie sie sich Island im Jahre 2016 vorstellen. Darunter findet sich noch etwas anderes: eine unheimliche Botschaft, die akribisch genau die Initialen von zukünftigen Mordopfern auflistet. Kurz danach werden zwei abgetrennte Hände in einem Hot Tub in der Stadt treibend gefunden. Doch noch hat keiner eine Vermisstenanzeige bei der Polizei gestellt. Schon bald taucht die erste verstümmelte Leiche auf, dicht gefolgt von einer zweiten, und es ist klar, dass die Botschaft aus der Zeitkapsel ernst zu nehmen ist.

Ein Fall für Kommissar Huldar, der sich beweisen muss: von seinen Leitungsaufgaben entbunden, wird er von den meisten seiner früheren Untergegebenen gemieden, die Beziehung zur Kinderpsychologin Freyja ist ebenfalls ruiniert, was er zu reparieren hofft, indem er sie in die jetzigen Ermittlungen mit einbezieht ...

Die Autorin:

Yrsa Sigurdardóttir, geboren 1963, ist eine vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin, deren Spannungsromane in über 30 Ländern erscheinen. Sie zählt zu den "besten Kriminalautoren der Welt" (Times Literary Supplement). Sigurdardóttir lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Reykjavík. Sie debütierte 2005 mit "Das letzte Ritual", einer Folge von Kriminalromanen um die Rechtsanwältin Dóra Gudmundsdóttir. DNA ist Start einer neuen Serie um die Psychologin Freyja und Kommissar Huldar von der Kripo Reykjavik. (Quelle: btb Verlag)

Reflektionen:

SOG ist der zweiten Band der Reihe um Kommissar Huldar und Kinderpsychologin Freyja. Nach dem Huldar bei den Ermittlungen im ersten Band der Reihe (DNA) schwerwiegende Fehler begangen hat und Freyja im Kinderhaus einen Mann erschossen hat, sind beide von ihren beruflichen Positionen degradiert. Huldar ist es recht, die Führungsposition los zu sein, aber er wird von seinen Kollegen geschnitten und leidet. Untereinander machen sich Huldar und Freyja gegenseitig unausgesprochene Vorwürfe, die damalige Situation verschuldet zu haben und sie verzichten im Einklang darauf, miteinander überhaupt in Kontakt zu treten, bis sie dieser neue Fall unabdingbar zur Zusammenarbeit zwingt.

Die Charaktere von Huldar und Freyja sind intensiv und vielschichtig gezeichnet. Ihre lebendigen Legenden sind interessant und es verbindet sie ein unsichtbares Band. Sie empfinden etwas füreinander, es knistert hin und wieder und dann stoßen sie sich erneut gegenseitig, fast angewidert, voneinander ab. Allein diese beiden Charaktere bieten Stoff für zahlreiche, weitere Bände der Reihe.

Der Prolog erzählt von der 8-jährigen Vaka, die nach einem Umzug eine neue Schule besucht. Widererwartend steht sie vergeblich an der Schule und wartet auf ihren Vater, der sie abholen wollte und doch nicht kommt. Stark verunsichert bittet Vaka eine Mitschülerin bei ihr Zuhause telefonieren zu dürfen und danach verliert sich jede Spur von ihr.

Yrsa Sigurdardóttir gelingt es erneut, eine unheimliche, düstere, athmospährische Grundspannung zu erzeugen, die 500 Seiten lang vorherrscht. Geschickte Wendungen und intelligente Verstrickungen lassen bis fast zu Letzt keine sicheren Schlüsse zu, wer hier Täter und wer Opfer ist. Mit der Darstellung der tiefen, psychologischen Einblicke in die Seelen von zahlreichen Figuren produziert Yrsa Sigurdardóttir reichlich Futter für Kopfkino und Spekulationen.

Der komplexe Plot macht wirklich Spaß. Dennoch, Yrsa Sigurdardóttirs eher gewohnt ruhige, isländische Stil, lässt die Spannungskurve nur mit einem gemäßigten Tempo ansteigen. Wenn auch actionreiche Szenen vorhanden sind, so bewegt man sich doch eher in einem gemäßigt soliden, literarischen Fahrwasser durch die Geschichte. Würde die Autorin noch ein bisschen mehr Pfeffer verarbeiten und etwas von ihrer unaufgeregten Sprache ablegen, würde man von einem brillanten Titel sprechen können.

Recht zart besaitete Leser könnten sich an den brutalen Verbrechen stoßen, aber der detailreiche Schwerpunkt der Verbrechen liegt eindeutig auf den Geschehnissen rund um die Taten, so dass das Blutige schnell wieder im Hintergrund verschwindet und empfindsame Leser doch beruhigt diese Reihe lesen können.

SOG kann durchaus als stand alone gelesen werden, doch die Einblicke in die komplexen Charakterzeichnungen der Hauptfiguren wären dann nicht schlüssig und nachvollziehbar. Auch verzichtet Yrsa Sigurdardóttir auf einen Rückblick des ersten Falls und so empfiehlt es sich, zunächst DNA, den ersten Teil der Reihe, zu lesen.

Fazit und Bewertung:

SOG glänzt mit einem komplexen Plot und intensiven Charakterzeichnungen. Atmosphärisch und düster entwickelt sich die Spannungskurve zwar in gemäßigtem Tempo, aber Yrsa Sigurdardóttir weiß dennoch ihre Leser spannend zu unterhalten.

Für einen dritten Teil der Reihe wäre etwas mehr Pfeffer und etwas weniger unaufgeregte Sprache ein Highlight.

©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 25.01.2018

Nachkriegsdrama - Spannend und eindrücklich

Heldenflucht
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1918 – Deutschland nach dem großen Krieg … Das Land wird von Hungersnöten geplagt, die Daheimgebliebenen warten sehnsüchtig auf die Kriegsrückkehrer. In dieser düsteren Zeit begibt sich die Kriegsberichterstatterin ...

1918 – Deutschland nach dem großen Krieg … Das Land wird von Hungersnöten geplagt, die Daheimgebliebenen warten sehnsüchtig auf die Kriegsrückkehrer. In dieser düsteren Zeit begibt sich die Kriegsberichterstatterin Agnes Papen in die Eifel, in ihr Heimatdorf, das von den Wunden des Krieges heimgesucht wird, wie sich bald zeigt. Als die Bewohner einen stummen französischen Soldaten stellen, kommt eine Spirale der Gewalt in Gang. Menschen verschwinden spurlos, und in den Wäldern wird eine Leiche gefunden. Agnes beschließt, sich auf die Suche nach der Wahrheit zu machen …

Der Autor:

Jan Kilman ist das Pseudonym eines bekannten deutschen Spannungsautors. Für seinen historischen Krimi »Heldenflucht« recherchierte Kilman intensiv über die Themen Kriegstraumata und Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, begab sich an Kriegsschauplätze und las unzählige Feldpostbriefe dieser Zeit. (Quelle HEYNE Verlag)

Jan Kilman schreibt als Pseudonym von Autor Rudolf Jagusch.

Reflektionen:

Jan Kilman hat mit Heldenflucht einen spannenden Roman geschrieben, der vor allem das Leben, der unter Entbehrung lebenden und leidenden Menschen beleuchtet, die sehnsüchtig auf die rückkehrenden Soldaten aus dem ersten Weltkrieg warten. Er gewährt tiefe Einblicke in die verletzten und überstrapazierten Psychen der Dorfbewohner und Kriegsrückkehrer und hält damit die Spannungskurve auf einem ansehnlichen Niveau. Zu Zeiten, als es noch keine Elektrizität gab und die Einwohner der Eifel ihre Höfe bewirtschafteten, um sich überhaupt noch ernähren zu können, blüht der Schwarzmarkt und mit ihm Kummeleien.

Agnes Papen, ehemalige Kriegsberichterstatterin, kehrt in ihr Heimatdorf zurück. Sie pflegt ihren kranken Onkel, bis der spurlos verschwindet. Sie kümmert sich auch um einen französischen Soldaten, der in den Kriegsdramen zunächst seine Stimme verloren hat und den die Dorfgemeinde beinahe auf brutalste Weise aus dem Dorf vertrieben hätte. Agnes Papen wittert Geheimnisse und macht sich auf die Suche nach der Wahrheit.

In Heldenflucht sind Elemente verarbeitet, die man einem Kriminalroman zuordnet, doch insgesamt und rückblickend betrachtet, wäre das Genre Roman hier doch zuträglicher kategorisiert.

Jan Kilman mischt gut recherchierte, historische Geschichte mit Fiktion und baut seinen Roman chronologisch auf. Abwechslung bieten authentisch nachempfundene Briefe von der Front, in denen Soldaten ihren Alltag, die Schrecken des grausamen Krieges und ihre Vorfreude auf Heimat und Familie schildern. Doch die meisten dieser Soldaten werden noch fallen, obwohl die Nachkriegszeit bereits begonnen hat.

In einem flüssigen Schreibstil und in einer einfach gehaltenen literarischen Sprache, liest sich dieser Roman in einem leichten Fluss. Es ist zwar hochspannend und wirklich interessant, tiefe Einblicke in die damalige Gesellschaft und ihre Entwicklung nach dem Krieg zu erhalten, doch leider wartet dieser Roman auch mit ein paar Längen auf, während hin und wieder szenenabhängig Dramatik und Action die Vorherrschaft übernehmen.

Die Figuren spiegeln mit ihren Handlungen, ihren Gedanken und den gesprochenen Dialogen zwar gut und authentisch die damalige Zeit wieder und sie gestalten den Roman auf diese Weise besonders interessant und informativ, aber die meisten Charaktere bleiben doch weitestgehend blass. Eine intensivere, gleichbleibend gute Zeichnung der Charaktere und das Weglassen vieler Klischees, hätte dem Roman zu einer harmonischeren Gestaltung der Handlung verholfen.

Einem Kriminalroman gerecht, wird Kilman, indem er einer Figur extrem brutales, verbrecherisches Handeln zuschreibt. Bis fast zuletzt bleibt der Leser im Unklaren, wer hier Täter und wer Opfer ist. Intelligent kaschiert durch Wendungen und Verstrickungen, löst sich die Story zum Ende hin nachvollziehbar lückenlos auf, nach dem die Psyche des Täters, die die Schrecken des Krieges widerspiegelt, wie ein offenes Buch vor dem Leser liegt.

Fazit und Bewertung:

Heldenflucht ist ein Nachkriegsdrama. Weniger ein Kriminalroman als ein Roman, aber dennoch mit einer gesunden Spannung ausgestattet, die den Leser in die historisch interessante Zeit nach dem ersten Weltkrieg führt. Der Fokus des komplexen Romans liegt eindeutig in der Geschichte der Menschen, die unter den Entbehrungen dieser Zeit psychisch und körperlich leiden. Leider bleiben die Charaktere dennoch ein wenig blass, aber der flüssige, einfach gehaltene Stil garantieren angenehme Lesestunden.

Trotz der kritischen Anmerkungen, ist der Roman empfehlenswert.

©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 11.01.2018

Im Gespräch mit dem Modeschöpfer KL – Literarisch anmaßend oder brillant?

KL
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Drei fiktive Interviews mit schillernden Persönlichkeiten

Wer sieht uns an? Und was wird dadurch aus uns? Einer, der es wissen muss, ist der bekannte Modeschöpfer KL, eine Ikone der Unnahbarkeit, der ...

Drei fiktive Interviews mit schillernden Persönlichkeiten

Wer sieht uns an? Und was wird dadurch aus uns? Einer, der es wissen muss, ist der bekannte Modeschöpfer KL, eine Ikone der Unnahbarkeit, der seit Jahrzehnten nicht zu altern scheint und immer gleich aussieht. Ein namenloser Erzähler fährt nach Paris, um mit KL über Schein und Sein, über den Tod und das Leben als Bild gewordene Instanz zu sprechen. Doch KL ist einer der eigensinnigsten und launischsten Gesprächspartner deutscher Sprache. Das Gespräch ist mit zahlreichen Reglementierungen und Auflagen verbunden. Und entwickelt sich schließlich in eine ganz unerwartete Richtung.

Der Autor:

John von Düffel, geboren 1966 in Göttingen, promovierte 23-jährig über Erkenntnistheorie und war danach als Theater- und Filmkritiker, als Schauspieldramaturg und Übersetzer tätig. 1998 schrieb er seinen Debütroman ›Vom Wasser‹, eine große Hommage an das fließende Element, und wurde dafür u.a. mit dem aspekte-Literaturpreis des ZDF ausgezeichnet. Zur Zeit arbeitet er als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. (Quelle: dtv Verlag)

Reflektionen:

Bei der Betrachtung des Buchtitels KL Gespräch über die Unsterblichkeit und des Covers, auf dem ein gemaltes Portrait des Modedesigners Karl Lagerfeld abgebildet ist, könnte man annehmen, John von Düffel hätte mit Karl Lagerfeld ein philosophisches Gespräch geführt, doch dem ist nicht so. John von Düffels Gespräch mit KL, über die Unsterblichkeit, ist reine Fiktion. Wer sich also vom Buchtitel verleiten lässt, wird maßlos enttäuscht sein.

Das schriftstellerische Können des Autors steht bei diesem Werk außer Frage. John von Düffel schreibt mit einer Leichtigkeit, die angenehm und flüssig durch die Seiten führt. Der Stil ist schnörkellos und eher nüchtern. Der Ausdruck ist in einer klaren, guten deutschen Sprache formuliert und bisweilen glänzt er in einem anmutigen Stil.

Betrachtet man den Inhalt, wird man in der Leserschaft auf differenzierte Meinungen zum Buch stoßen. Die einen werden es anmaßend finden, wie von Düffel (glaubhaft) Interviews mit dem Designer KL führt, wie er Redensart, Alltagsmomente und die philosophische Intelligenz des Künstlers aufgreift, verarbeitet und inszeniert und wie er ihm Schwächen unterstellt.

An die hundert Seiten sind befüllt mit fiktiven, philosophischen Karl Lagerfeld-Gedanken. Und man stellt sich unweigerlich die Frage, ob ein Autor eine lebende, schillernde Persönlichkeit, die sich überwiegend der Öffentlichkeit enthält, auf unterstellende Art Gedanken und Dialoge führen lassen darf. Ganz unabhängig davon, ob man die Mode-Ikone mag oder nicht.

Die anderen werden es brillant empfinden, wie von Düffel glaubhaft Gespräche mit Karl Lagerfeld in Szene setzt, denn die philosophisch angehauchten, fiktiven Dialoge strotzen vor Authentizität, so dass es vorstellbar ist, Karl Lagerfelds persönliche Worte zu lesen.

Die Figur des namenlosen Interviewers reist mit dem Zug von und nach Paris, um KL zu treffen. Auf diesen Reisen trifft er auf eine bekannte deutsche TV-Moderatorin und auf eine ehemals berühmte, wenn auch gescheiterte, deutsche Politikerin, die jeweils in Natura anders aussehen und wirken, als im TV. Kurz erfrischen die Kapitel zwar, wenn man über Schein und Sein nachdenken möchte, doch insgesamt könnte man diese Kapitel leichtfüßig überspringen.

Der Fokus dieser Gegenwartsliteratur richtet sich ganz auf den Schein und Sein und auf die (Un-) Sterblichkeit. Was bleibt, wenn wir gehen, wie wirken wir auf andere und warum wirken andere anders? Stärke wird zur Schwäche und Schwäche zur Stärke.

Fazit und Bewertung:

KL Gespräch über die Unsterblichkeit von John Düffel ist durchaus interessante Gegenwartsliteratur, die durch literarisches Können, trotz fiktiven Geschichte, vor Authentizität nur so strotzt. Für mich persönlich ist dieses Werk gegenüber dem Modeschöpfer Karl Lagerfeld jedoch eine Spur zu anmaßend und sogar etwas pietätlos, ganz unabhängig davon, ob man den Designer brillant oder schrullig findet.

©nisnis-buecherliebe

Veröffentlicht am 07.01.2018

JONAS – Gegenteil von Held - Spannung gepaart mit vielschichtigen Charakteren

Jonas
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"Vor zwanzig Jahren war sie eine tolle, lebenslustige Frau, die mir das Gefühl gab, wichtig zu sein. Wichtig für sie. Ich hätte für sie getötet. Aber seit zehn Jahren geht es stetig bergab."

Jonas steckt ...

"Vor zwanzig Jahren war sie eine tolle, lebenslustige Frau, die mir das Gefühl gab, wichtig zu sein. Wichtig für sie. Ich hätte für sie getötet. Aber seit zehn Jahren geht es stetig bergab."

Jonas steckt fest. In seinem kleinbürgerlichen Leben. In seiner Ehe. Bis zu jener Nacht, als in einem Wald, ganz in der Nähe seines Hauses, ein Mädchen entführt und ein anderes misshandelt zurückgelassen wird. Jonas war dabei, als es geschah, doch er hat es nicht verhindert, sondern nur zugesehen.

Damit wendet sich das Blatt für ihn: Aus dem Zeugen wird ein Gejagter. Während eine Sonderkommission nach dem vermissten Mädchen sucht, gerät Jonas in einen Strudel aus psychopathischer Gewalt und Devianz. Er braucht also ein Versteck, einen Plan und Verbündete. Doch wem aus seinem näheren Umfeld kann er trauen, und wer spielt ein falsches Spiel?

Der Autor:

Marco Monetha, geboren 1975 in Bottrop und aufgewachsen in Bad Bederkesa, lebt in der Nähe von Bremerhaven. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Als gelernter Erzieher war er viele Jahre in einem Jugendwohnheim tätig. Er arbeitet als Koordinator für Flüchtlingsangelegenheiten und Freiwilligenarbeit beim Magistrat der Stadt Bremerhaven.

Reflektionen:

Vor einem Jahr feierte Marco Monetha sein erfolgreiches Debüt mit dem Thriller ERIC. Die Messlatte hatte er damit sehr hoch angesetzt und so war die Neugierde auf den zweiten Thriller von knisternder Spannung erfüllt.

Marco Monetha hat seine schriftstellerische Leistung, sowie die inhaltliche, angenehm komplexe Verschachtelung der Handlung positiv entwickelt. Sein Stil ist gefestigt und wortreich lässt er die Leser sofort tief in die Geschichte eintauchen.

JONAS erscheint zunächst insgesamt weniger brutal und bestialisch, doch das trügt. Während aus Eric seitenweise spannungsgeladenes Blut und andere Abscheulichkeiten flossen, entfacht Marco Monetha nun das Feuer im Kopfkino des Lesers und das zeugt von einer vielversprechenden literarischen Kraft.

Erneut bietet Marco Monetha ein breites Spektrum an lebendigen Figuren und kranken Seelen. Sehr gut und intensiv ausgearbeitete Charaktere befüllen interessante bis abstruse und außergewöhnliche Legenden. Literarisch intelligent verpackt, besitzt eine jede Figur eine sinnige Tiefe, auch wenn man manch schaurig sinniger Tiefe aus diesem Thriller nicht im real life und schon mal gar nicht im Dunkeln begegnen möchte. Psychiatrisch kranke, sadistische Seelen durchziehen diesen Thriller und man fragt sich ernsthaft, woher nimmt er bloß diese Ideen?

Jonas ist ein Pageturner, der bis zu Letzt auf einem hohen Spannungsniveau agiert. Marco Monetha versteht es mit Perspektiven zu spielen, das Tempo zu steigern und maßvoll wieder zu drosseln, ganz so wie das glückliche Thriller-Herz es verlangt.

Als Leser fragt man sich bisweilen jedoch auch, warum nun diese oder jene unscheinbar, fast langatmige Nebensächlichkeit Platz in den Seiten gefunden hat, doch wer ERIC gelesen und genossen hat, der weiß, dass eben diese spannungssteigernden Nebensächlichkeiten noch einmal geschickt verknüpft, knallhart, brutal und ohne Kompromiss in den Vordergrund spielen werden.

Perspektivisch glänzt die Figur Jonas in der Ich-Erzählweise, so dass man tiefe Einblicke in die geschundene Seele des Hauptprotagonisten erhält. Jonas ist unglücklich über den gefühllosen Verlauf seiner Ehe. In der Gesellschaft ist er zum naiven Langweiler und Versager geworden, an dem das Leben ohne besondere Vorkommnisse vorbeizeiht. Als er eines Tages beobachtet, wie zwei junge Mädchen brutal überfallen werden, er sich feige zurückzieht, verändert sich plötzlich sein Leben. Er ist am Tatort gesehen worden und wird nun bis aufs Blut gejagt. Er muss fliehen und kann niemandem mehr trauen, doch mit einem ehemaligen Legionär an seiner Seite ist er entschlossen, seine bald darauf entführte Frau aus den Fängen skrupelloser Psychopathen, und damit seine Ehe, zu retten.

Dem Showdown folgt ein rasanter zweiter und am Ende kommt man in den Genuss einer lückenlosen Auflösung.

Fazit und Bewertung:

Zahlreiche intensive Charaktere, sadistischer und kranker Natur, durchziehen die dynamische und mit Tempo ausgestattete Geschichte, die mit Tiefe gewürzt literarisch kraftvoll und spannend unterhält.

Man darf gespannt sein, was uns Leser noch erwartet.

©nisnis-buecherliebe.de