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Veröffentlicht am 10.02.2018

Olivias Männer

Der große Bruder
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Olivia ist mit Gerard verheiratet und hat mit ihm die zwei halbwüchsigen Söhne Tom und Julius. Sie arbeitet als Finanzleiterin in einem alten Traditionsbetrieb für Porzellan. Das Unternehmen stand schon ...

Olivia ist mit Gerard verheiratet und hat mit ihm die zwei halbwüchsigen Söhne Tom und Julius. Sie arbeitet als Finanzleiterin in einem alten Traditionsbetrieb für Porzellan. Das Unternehmen stand schon am Abgrund, doch mit ihrer Hilfe gelang es, das Geschäft langsam wieder in die Gewinnzone zu bringen. Während sie sich auf eine Gesellschafterversammlung vorbereitet, erhält sie einen Anruf von ihrem älteren Bruder Marcus, von dem sie seit Ewigkeiten nichts gehört hat. Marcus ist auf dem Weg in den OP, wo man ihm sein Bein amputieren wird, da er mit seinem Diabetes so sorglos umgegangen ist. Olivia ist von Natur aus eher eine wenig sentimentale Person, doch die Nachricht wirft sie regelrecht aus der Bahn und sie ist so geschockt, dass sie sich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren kann und kurzerhand in die Klinik fährt, wo Marcus gerade aus der Narkose erwacht. Die kurze Zeit mit ihrem Bruder bringt sie dazu, ihn einzuladen, für die Zeit während der Reha bei ihr und ihrer Familie zu wohnen, was Marcus dankend annimmt und Olivia schon in dem Moment wieder bereut, als Marcus einzieht. Während Marcus‘ Aufenthalt verändert sich sowohl Olivia als auch ihre ganze Familie. Hat Besuch von Marcus der Familie gut getan?
Ester Gerritsen hat mit ihrem Buch „Der große Bruder“ einen sehr interessanten und gefühlvollen Roman vorgelegt, der zwar mit 130 Seiten als kurz bezeichnet werden kann, dafür aber mit vielen menschlichen Eindrücken punkten kann. Der Schreibstil ist flüssig, es wird aus der Sicht von Olivia erzählt in der dritten Person. Ab der ersten Seite ist der Leser hautnah dabei, um zum einen Olivias Aufgaben im Porzellangeschäft kennenzulernen, aber auch die einzelnen Familienmitglieder und ihr Verhältnis untereinander zu verfolgen. Durch einige kleine Erinnerungen in die Vergangenheit gibt Olivia zudem einen Einblick, in welchen Verhältnissen sie aufgewachsen ist und wie die Beziehung zu ihrem Bruder war. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden von der Autorin sehr gut in Szene gesetzt und lassen beim Leser viel Raum für Spekulationen über die weitere Entwicklung innerhalb der Familie.
Die Charaktere sind anhand ihrer Eigenschaften sehr unterschiedlich ausgestaltet. Sie wirken sehr real und authentisch. Olivia ist eine sehr unterkühlte Frau, die keinerlei Sentimentalität aufkommen lässt. Sie wirkt sehr nüchtern und fokussiert, oftmals lässt sie auch gegenüber ihrer Familie an Emotionalität und Einfühlungsvermögen vermissen. Das Schicksal ihres Bruders öffnet dann aber langsam innerliche Barrikaden, Olivia erinnert sich an die Vergangenheit, an die Armut und an die fürsorgliche Betreuung durch ihren Bruder Marcus. Sie macht innerhalb der Handlung die größte Entwicklung durch. Ehemann Gerard ist in seinem Job unzufrieden und lässt in wenigen Zeilen erkennen, dass zwischen ihm und Olivia auch nicht mehr alles so gut und richtig ist, wie es einmal war. Lange kam er mit ihrer Art zurecht, doch nun fühlt er sich vernachlässigt und unverstanden. Tom und Julius sind im Teenageralter und haben ein besseres Verhältnis zu Gerard als zu Olivia. Beide haben wohl den Eindruck, dass Olivia sich nicht wirklich für sie interessiert. Marcus ist durch die Amputation nah am Wasser gebaut, doch bringt er auch viel Licht in Olivias Familie. Gerard, Tom und Julius freunden sich schnell mit ihm an und verbringen gern Zeit mit ihm. Gleichzeitig sind sie ihm gegenüber offen und zeigen ihre Gefühle, die sie Olivia nie offenbart haben.
„Der große Bruder“ ist eine geschickt inszenierte Familiengeschichte, die die Veränderungen innerhalb dieses Gerüstes aufzeigt, sobald eine schwierige Situation eintritt. Dabei werden auf einmal Dinge offengelegt, die niemand laut auszusprechen wagte und die doch nötigerweise an die Oberfläche kommen musste, um ein neues Miteinander zu schaffen. Eine Leseempfehlung für eine echte Entdeckung!

Veröffentlicht am 03.02.2018

Schöner Historienschmöker

Tal der Träume
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18. Jh. Sophia wächst als einzige Tochter von Lord Grafton recht frei und ungezwungen auf, da ihr vielbeschäftigter Vater kein Auge auf ihre Erziehung hat. Die Suche nach einem geeigneten Ehemann gestaltet ...

18. Jh. Sophia wächst als einzige Tochter von Lord Grafton recht frei und ungezwungen auf, da ihr vielbeschäftigter Vater kein Auge auf ihre Erziehung hat. Die Suche nach einem geeigneten Ehemann gestaltet sich schwierig, da Sophia gar nicht daran denkt, sich an irgendeinen Mann zu binden. Ihr Debüt vor der Londoner Gesellschaft ist für Sophia einzig und allein Grund genug, jedes Fest und jede Party zu besuchen und sich hofieren zu lassen. Doch dann stirbt überraschend ihr Vater und sie bleibt allein zurück mit einem riesigen Schuldenberg. Der Familiensitz muss verkauft werden und am Ende bleibt nur eine Tabakplantage in Virginia übrig. Da ihr in England nichts mehr bleibt, macht sie sich per Schiff auf nach Amerika, um die Tabakplantage für einen Neustart zu nutzen. Doch das Leben in der neuen Welt ist so ganz anders als in England. Hier muss sich Sophia erst ihren Platz erkämpfen und Menschen begegnen, die sie bei ihrem Vorhaben unterstützen. Erst nach und nach und mit viel persönlichem Einsatz, Mut und Selbstbewusstsein gelingt es Sophia, sich eine neue Heimat auf der Plantage zu schaffen.
Helen Bryan hat mit ihrem Buch „Tal der Träume“ einen unterhaltsamen und fesselnden historischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und detailreich, so dass der Leser schnell in eine vergangene Zeit abtaucht und an der Seite von Sophie erst eine ereignisreiche Zeit in England mitmachen darf, um dann die abenteuerliche Seite der Schiffspassage und die Anfänge in Virginia auf der Plantage zu erleben. Der Autorin versteht es geschickt, mit ihrer bildreichen Sprache beim Leser ein regelrechtes Kopfkino zu veranstalten. Der Spannungsbogen wird gemächlich aufgebaut, steigert sich aber im Verlauf der Handlung immer weiter in die Höhe. Die Autorin hat den geschichtlichen Hintergrund gut recherchiert und mit ihrer Geschichte verwebt. Sie zeichnet ein unbarmherziges Bild der neuen Welt, das harte Leben der Siedler, die auf der Suche nach einem neuen Leben alles auf sich nehmen, den Kampf um Land und das unrühmliche Schicksal der Sklaven sowie der Indianer.
Die Charaktere sind sehr liebevoll ausgestaltet und in Szene gesetzt worden. Aufgrund ihrer individuellen Eigenheiten wirken sie sehr lebendig und authentisch. Sophie ist von Kindheit an verwöhnt und verzogen worden. Sie hat ihre Mutter nie kennengelernt, der Vater hat ihr jeden Wunsch erfüllt, war er doch zu beschäftigt, um sich eingehend mit ihrer Erziehung zu befassen. So entwickelt Sophie schnell ihren eigenen Kopf, ist stur und wirkt teilweise sogar egoistisch und vergnügungssüchtig, dabei ist sie nur eine unreife und teils naive junge Frau. Doch das ändert sich schnell, als sie alles verliert. Sophie muss auf einmal ganz neu lernen, sich zurückzunehmen, Situationen abzuwägen, mit den eigenen Händen zu arbeiten und vor allem sich zu behaupten. Dabei erwachsen ein ganz neues Selbstbewusstsein und eine Stärke, dass es dem Leser bei der Lektüre eine Freude ist, dies zu beobachten.
„Tal der Träume“ ist ein sehr spannender und unterhaltsamer historischer Roman, der die passende Bühne für eine Frau bietet, die sich von einer verwöhnten Göre zu einer starken Protagonistin entwickelt. Sehr gefühlvoll und fesselnd zu lesen und für alle geeignet, die gern in diesem Genre unterwegs sind. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 28.01.2018

Ein Semester in Rom

Das Treiben der Blätter
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Der englische Kunststudent Daniel kommt für nach Rom, um an der dortigen Universität ein Auslandssemester zu absolvieren. Bei der Suche nach einer Unterkunft lernt er den deutschen Studenten Jan kennen, ...

Der englische Kunststudent Daniel kommt für nach Rom, um an der dortigen Universität ein Auslandssemester zu absolvieren. Bei der Suche nach einer Unterkunft lernt er den deutschen Studenten Jan kennen, die beiden freunden sich sofort an. Um das Leben in Rom finanzieren zu können, brauchen die beiden jungen Männer auch einen Job und landen in der Bar „Daimon“, wo sie vom Besitzer Andrea für die Bar und für den Service eingestellt werden. Eines Abends taucht eine junge Frau in der Bar auf, die Daniel sofort fasziniert. Es stellt sich heraus, dass es sich bei Anita um die Stieftochter von Andrea handelt, die dieser mit Argusaugen überwacht. Anita und Daniel verlieben sich ineinander, aber die Beziehung ist schwierig, denn sie hat ein Geheimnis, dass sie unbedingt für sich behalten will. Daniel spürt, dass Anita ihm etwas vorenthält und schüttet seiner Professorin Claudia sein Herz aus. Claudia wird für ihn zu einer guten Freundin, die ihn lehrt, die Dinge zu hinterfragen. Aber auch Claudia steht an einem Wendepunkt in ihrem Leben und weiß nicht, in welche Richtung ihr Leben weitergehen wird. Ob Jan, Anita, Claudia, Daniel oder Andrea – sie alle verbringen mehr oder weniger viel Zeit miteinander und ihre Leben sind auf die eine oder andere Art verknüpft. Die Entscheidungen, die sie treffen, rufen Situationen hervor, die dramatische Dinge in Gang setzen…
Laura Mercuri hat mit ihrem Buch „Das Treiben der Blätter“ einen unterhaltsamen und gefühlvollen Roman vorgelegt, die die Zeitspanne von rund einem Jahr umschreibt und die damit verbundene Entwicklung der einzelnen Protagonisten. Der Schreibstil ist flüssig, der Leser wird schnell in die Handlung hineingesogen, um als unsichtbarer Schatten mal Daniel, mal Anita oder Claudia durch ihren Alltag, ihren Gedanken und Gefühlen zu folgen. Die Autorin versteht es sehr geschickt, das Leben der einzelnen Protagonisten langsam miteinander zu verknüpfen und so ein komplexes Netzwerk mit den auftauchenden Schwierigkeiten zu errichten. Der Spannungsbogen wird schon im Prolog aufgebaut, und der Leser fragt sich, was wohl der Auslöser für diese Tat gewesen sein könnte. Im Verlauf der Handlung schraubt sich die Spannung dann immer mehr in die Höhe, bis es zu einer Ausnahmesituation kommt. Durch die wechselnden Perspektiven, die entweder von Claudia, Daniel oder Anita erzählen, wird der Leser zum Mitdenken animiert, wie die eine oder andere Lebenslage wohl gelöst wird. Man wird regelrecht mit in das Leben der Protagonisten integriert und erlebt die gesamte Klaviatur der menschlichen Gefühle mit, die bei Themen von Eifersucht, Erpressung, Liebe, Gewalt, Lügen und Betrug aufkommen. Ebenso prallen hier durch die verschiedenen Nationalitäten unterschiedliche Verhaltensweisen und Ansichten aufeinander, die oftmals nur schwer miteinander in Gleichklang gebracht werden können.
Die Charaktere sind sehr unterschiedlich und individuell angelegt, wobei sie sehr lebendig und realistisch wirken. Der Engländer Daniel ist ein eher schüchterner junger Mann, dem selbst gar nicht bewusst ist, wie attraktiv er auf andere wirkt. Er ist offen, ehrlich, hilfsbereit und liebt die Kunst. Daniel kann Unwahrheiten nicht ausstehen. Sein Freund Jan stammt aus Deutschland, ist musisch begabt, doch wurde ihm von seinen Eltern ein Jurastudium regelrecht aufgezwungen. Claudia ist Kunstprofessorin an der Universität. Sie ist verheiratet mit Paolo und hat einen kleinen Sohn namens Mattie. Claudia fühlt sich in ihrer Ehe gefangen, Paolo unterdrückt sie und kritisiert sie ständig. Nie kann sie es ihm recht machen, dabei bleiben ihre Gefühle auf der Strecke und sie fragt sich, wie sie ihr Leben ändern kann. Anita ist eine begnadete Sängerin, versucht dieses aber vor ihrer Mutter geheim zu halten. Die beiden haben schon einige schwere Schicksalsschläge durchstehen müssen. Anita hasst ihren Stiefvater Andrea, der sie nicht nur bevormundet und ihr immer wieder zu nah kommt. Andrea ist ein Macho, wie man ihn sich vorstellt. Er hat nichts Liebenswertes an sich, manipuliert die Menschen um sich herum und ist doch eigentlich eher ein feiger Wicht. Ebenso erweitern weitere Protagonisten mit ihren eigenen kleinen Episoden die Geschichte.
„Das Treiben der Blätter“ ist ein (Liebes-)Roman, der nicht nur Familiengeheimnisse offen legt, sondern vor allem die Entwicklung der Protagonisten innerhalb eines Jahres begleitet und wie ihr Leben auf wundersame Weise miteinander verknüpft ist. Eine unterhaltsame Geschichte mit einigen kleinen Längen, die eine Leseempfehlung verdient.

Veröffentlicht am 20.01.2018

Mutter-Tochter-Beziehung

Töchter wie wir
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Die 40.jährige Mona Baumann ist mit der Bilanz ihres bisherigen Lebens sehr zufrieden, sie ist geschieden, hat keine Kinder und finanziell geht es ihr auch nicht gerade gut, weil sie ihren elenden Job ...

Die 40.jährige Mona Baumann ist mit der Bilanz ihres bisherigen Lebens sehr zufrieden, sie ist geschieden, hat keine Kinder und finanziell geht es ihr auch nicht gerade gut, weil sie ihren elenden Job einfach so gekündigt hat. Seit der gescheiterten Ehe hat sie keine feste Beziehung mehr vorzuweisen. Mona kommt aus einem gutsituierten Elternhaus, ihr Vater ist inzwischen verstorben und der Kontakt zu Mutter Hella war schon immer schwierig, die zudem noch Alkoholikerin ist. Einzig ihre beste Freundin Judith und Monas Bruder Daniel stehen Mona immer bei. Durch Zufall lernt sie Patrick kennen, der so ganz anders ist als alle Männer, die Mona bisher kannte. Patrick ist hartnäckig und wirbt leise und unaufgeregt um Mona. Dann tritt auch noch die kleine Shirin in Monas Welt, die zum einen ebenso Pferde liebt wie Mona selbst, zum anderen Monas Beschützerinstinkt weckt, als sie die Kleine beim Stehlen erwischt. Ganz so schlimm und einsam ist das Leben dann doch nicht für Mona, oder?
Barbara Kunrath hat mit ihrem Buch „Töchter wie wir“ einen sehr intensiven und nachdenklich stimmenden Roman vorgelegt, der die oftmals schwierige Beziehung zwischen Müttern und Töchtern darlegt. Der Schreibstil ist einnehmend flüssig und nimmt den Leser gleich mit in das Leben von Mona und ihrer Mutter Hella. Die wechselnden Erzählperspektiven der beiden Frauen lassen vor den Augen des Lesers die Gedanken, Sorgen und Nöte jeder einzelnen erkennen und gibt auch Einblick in die Vergangenheit der beiden, wodurch man sie und ihr Handeln nach und nach viel besser verstehen kann. Die Autorin versteht es sehr geschickt, dem Leser die Handlungsweise ihrer Protagonisten nahezubringen, ihn damit zu berühren und Verständnis für deren Lage zu wecken. Dabei bewegt sie sich sehr nah an dem realen Alltag und vielen Augenblicken, die ein jeder von uns tagtäglich erlebt. Aufgrund dessen fühlt sich der Leser einmal mehr als unsichtbarer Teil dieser hier dargelegten Familiengeschichte.
Die Charaktere sind detailliert ausgestaltet und gemäß ihren Eigenheiten individuell in Szene gesetzt worden. Sie wirken sehr nah an der Realität und authentisch. Mona ist eine Frau, die man nicht auf Anhieb sympathisch findet. Sie wirkt selbstmitleidig, saft- und kraftlos, unzufrieden mit allem und jedem und vor allem undankbar. Dabei hat sie gute Freunde, die ihr beistehen und sie nicht allein lassen, wenn es ihr schlecht geht. Erst wenn man mehr von Mona und ihrer Vergangenheit erfahren hat, wächst die Sympathie für sie, denn man kann ihre Gedanken und Ängste gut nachvollziehen. Monas Mutter Hella ist ebenfalls keine Sympathieträgerin der ersten Stunde. Sie ist Alkoholikerin, wollte nie Kinder haben, sondern immer nur schön sein, doch Schönheit ist vergänglich und nutzt sich mit dem Alter ab. Nun ist sie allein und das Verhältnis zur Tochter ist ebenfalls gleich null. Judith ist eine sehr warmherzige Frau, hilfsbereit und immer da, wenn sie gebraucht wird. Sie ist Monas Stütze ebenso wie der eigene Bruder Daniel. Auch die weiteren Protagonisten ergänzen mit ihrem Erscheinen das Gesamtbild der Handlung.
„Töchter wie wir“ ist ein sehr lebensnaher Roman über schwierige familiäre Beziehungen, Selbstzweifel, begangene Fehler und das Aufarbeiten der eigenen Vergangenheit und alter Konflikte. Alle Leser, die gern zu nachdenklich stimmender Lektüre greifen, werden hier fündig. Ein bewegendes und intensives Buch, das einen länger festhält, als man glaubt.

Veröffentlicht am 20.01.2018

Das umtriebige Stubenmädchen

Die Abenteuer der Cluny Brown
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30er Jahre des letzten Jahrhunderts, England. Die 22-jährige Cluny Brown ist eine junge Frau, die mit ihrem alten Onkel, dem Klempner Arn Porritt, zusammenlebt, seit ihre Eltern gestorben sind. Ihr Onkel ...

30er Jahre des letzten Jahrhunderts, England. Die 22-jährige Cluny Brown ist eine junge Frau, die mit ihrem alten Onkel, dem Klempner Arn Porritt, zusammenlebt, seit ihre Eltern gestorben sind. Ihr Onkel macht sich Sorgen wegen Cluny, da sie recht unkonventionell ist, von einem Fettnäpfchen ins nächste gerät und Dinge tut, die eine normale junge Frau in ihrem Alter nicht wagen würde. Sie geht allein ins Ritz, um dort einen Nachmittagstee einzunehmen, anderntags bleibt sie den ganzen Tag im Bett und isst Orangen, weil es dem Befinden förderlich sein soll. Um diesem Betragen Abhilfe zu leisten, schickt Onkel Arn Cluny durch eine Stellenvermittlung als Stubenmädchen aufs Land, wo sie für eine adlige Familie arbeiten soll. Kaum auf dem hochherrschaftlichen Landsitz Friars Carmel im tiefsten Devon angekommen, muss sich Cluny erst einmal an die örtlichen Gegebenheiten gewöhnen. Sie freundet sich mit dem Hund des Gutsvorstehers an und lernt auch den örtlichen Apotheker näher kennen, der ihr schon bald den Hof macht. Doch ihr unkonventionelles Denken ändert sich dadurch nicht, vielmehr überrascht sie die Bewohner des Adelsitzes sowie deren Gäste durch ihre ungewöhnlichen Einfälle und ihr seltsames Verhalten. Dass sie damit die Ereignisse ins Rollen und das Leben sämtlicher Hausbewohner durcheinander bringt, ahnt sie nicht….
Margery Sharp hat mit ihrem Buch „Die Abenteuer der Cluny Brown“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der das Leben einer ungewöhnlichen Frau wiederspiegelt und die daraus folgende Wirkung auf ihre Umwelt, die in starren gesellschaftlichen Strukturen verhaftet ist. Der Schreibstil ist flüssig, oftmals mit einem Augenzwinkern versehen und gibt doch Anlass zum Nachdenken ob der damaligen Situation, in der Frauen einem bestimmten Klischee zu entsprechen hatten und denen nicht die Freiheiten gegönnt waren, die heutzutage selbstverständlich sind. Die Landschaftsbeschreibungen sind bildhaft und geben dem Leser einen Eindruck der ländlichen Gegend. Der historische Hintergrund, der schon die Ahnung des zweiten Weltkrieges vermittelt, wurde nicht sehr ausgeprägt dargestellt. Hier handelt es sich eindeutig eher um eine Gesellschafts- bzw. Personenstudie, die aber äußerst gelungen ist.
Die Charaktere sind sehr interessant ausgewählt und in Szene gesetzt worden. Jeder von ihnen besitzt individuelle Eigenheiten, wodurch sie allesamt recht authentisch und sehr lebendig wirken. Cluny Brown ist eine junge Frau, die oftmals naiv und unbedarft wirkt. Sie will sich nichts verbieten lassen und alles ausprobieren, was das Leben ihr bietet. Sie liebt Hunde, sagt immer, was sie denkt und oftmals hat man das Gefühl, sie ist völlig ahnungslos, was die Männerwelt betrifft. Allerdings kann sie mit ihrer Art auch überraschen – selbst den Leser – denn es gibt Situationen, da hätte man eine andere Reaktion von ihr erwartet und ist doch bass erstaunt, wenn man anerkennen muss, dass sie eigentlich mutig und entschlossen diesen oder jenen Schritt gewagt hat. Arn Porritt ist ein alter Knurrhahn, der aber innerlich ein weiches Herz hat. Seit dem Tod seiner Frau fühlt er sich einsam und lebt nur noch für seine Arbeit als Klempner. Dass er Cluny aufs Land verbannt ist der Tatsache geschuldet, dass er nicht weiß, wie er mit ihr umgehen soll und ihr doch das Beste im Leben wünscht. Lady Carmel und Sir Henry sind ein altes Ehepaar, das viele Höhen und Tiefen durchgestanden hat. Nun sind sie in einem Alter, wo sie ihre Ruhe haben wollen. Sohn Andrew kann sich immer noch nicht entscheiden, wohin sein Weg gehen soll. Gleichzeitig fühlt er sich unter Druck, heiraten zu müssen, damit der Fortbestand des Adelsitzes gewährleistet ist. Der polnische Schriftsteller Adam Belinski wirkt erst wie ein verschüchtertes Bürschchen, doch hat er es faustdick hinter den Ohren und wirbelt den ganzen Haushalt durcheinander. Auch die übrigen Protagonisten beleben mit ihrem Erscheinen den Verlauf der Handlung.
„Die Abenteuer der Cluny Brown“ ist ein sehr amüsanter und unterhaltsamer Roman, in dem Upper Class und Working People zusammentreffen, was hier ungeahnte Auswirkungen auf beide hat. Eine geruhsame Gesellschaft wird durcheinander gewirbelt, um frischen Wind hineinzubringen. Cluny Brown ist ein Lüftchen, dass sich zu einem Sturm entwickelt, was sehr schön umgesetzt wurde. Ein schöner Roman für alle, die historische Gesellschaftsromane mögen. Auf jeden Falle eine Leseempfehlung!