Zwischen den Zeilen gibt es viel zu entdecken
Für ihre ausländischen Studenten ist die Deutschlehrerin Salli Sturm ein tägliches Highlight, doch privat glänzt bei Salli wenig. Verabredungen mit Kollegen und einsame Videoabende trösten sie über die ...
Für ihre ausländischen Studenten ist die Deutschlehrerin Salli Sturm ein tägliches Highlight, doch privat glänzt bei Salli wenig. Verabredungen mit Kollegen und einsame Videoabende trösten sie über die Einsamkeit hinweg bis Sergey, ein russischer Stallarbeiter, als Privatschüler in ihr Leben tritt. Die Grammatikstunden gestalten sich schwierig und der verschlossene Russe mit seinen eingefahrenen Satzstellungen macht es Salli nicht leicht. Doch langsam entwickelt sich zwischen Lehrerin und Schüler ein besonderes Gefühl, mit dem beide nicht mehr gerechnet hätten.
Angelika Jodl ist von der ersten Seite an ihre Leidenschaft für Sprache und Grammatik anzumerken. Alle Kapitelüberschriften beginnen mit einer grammatikalischen Einleitung. Dabei ist der Schreibstil so fesselnd und unterhaltsam, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Das Zusammenspiel zwischen der lehrplanorientierten regelgerecht lebenden Salli und dem spröden, verschlossenen und pragmatischen Sergey macht Spaß zu lesen. Ganz nebenbei erfährt man auch viel über den Rennsport und Pferdehaltung. Die Stute Katka hat eine nicht unerhebliche Schlüsselfunktion im Roman.
Salli muss man sofort ins Herz schließen. Sie lebt für die Sprache, umgibt sich mit Wortart-Tieren, wie Nomen-Elefanten und Pronomen-Äffchen, die sie gedanklich ständig begleiten. Obwohl sie von ihren Studenten geliebt wird, fühlt sie sich selbst unter all ihren promovierten Kollegen minderwertig. Heimlich hofft sie auf eine Gefühlsregung ihres Kollegen Anselm, der aber auch von anderen Kolleginnen hofiert wird. Der Unterschied zwischen der selbstsicheren Lehrerin und der fast schon hilflosen Salli im Alltag macht sie so liebenswert.
Sergeys Sprache ist herrlich, die Mischung aus Muttersprache, Satzverdrehern und urigem Dialekt hört man richtig beim Lesen. Manche Worte habe ich laut gelesen, dann ist es noch besser.
Sergey ist als Ex-Jockey sehr kompetent im Umgang mit Pferden. Trotzdem wird seine harte Arbeit schlecht bezahlt und er muss viele Demütigungen einstecken. Man wird richtig wütend auf die arroganten Pferdebesitzer und den ausbeutenden Stallbesitzer. Seine Sprachschwierigkeiten kosten ihn sogar eine Anstellung, dennoch behält er bewundernswerter Weise seine Würde:
"Ein Mann zeigt nicht, was in seiner Seele passiert. "
Salli sieht durch Sergeys Unterricht eine Change, doch noch einen Doktortitel zu erhalten. Sergey wird uneingeweiht zum Studienobjekt und Salli zieht zu ihm von Schwabing nach Daglfing. Doch das anfängliche Ziel verliert sich und aus der Lehrerin wird eine staunende Schülerin.
"Und sagst du immer, das soll ich lernen! No, heute du musst. Oder geht net bei dir mit Lernen?"
Kulturelle Unterschiede, Sprachschwierigkeiten, Missverständnisse stehen zwischen Salli und Sergey, aber die Liebe setzt sich trotzdem durch. Gesellschaftskritik wundervoll umgesetzt. Warmherzig, leise, mit liebenswerten, sympathischen Protagonisten.