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Rico

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein lebendiges Buch!

Bühlerhöhe
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In„Bühlerhöhe“ von Brigitte Glaser entführt uns die Autorin in die Zeit des Nachkriegsdeutschlands. Es ist 1952. Rosa Silbermann reist im Auftrag des israelischen Geheimdienstes in das Nobelhotel Bühlerhöhe. ...

In„Bühlerhöhe“ von Brigitte Glaser entführt uns die Autorin in die Zeit des Nachkriegsdeutschlands. Es ist 1952. Rosa Silbermann reist im Auftrag des israelischen Geheimdienstes in das Nobelhotel Bühlerhöhe. Ein Ort, den Rosa mit ihrer Vergangenheit verbindet. Das geteilte Adenauer Deutschland ist noch zerfressen von alten Nazi-Seilschaften. Sie traut dort niemandem und niemand traut Rosa. Schon gar nicht die Hausdame Reisacher, eine Elsässerin, die ein ganz eigenes Spiel spielt. Der Kanzler des bundesrepublikanischen Deutschlands reist an und nicht alle sind ihm wohlgesonnen. Doch wo bleibt Ari? Rosa sollte mit mit diesem menschlichem Windhund, als Ehepartner anreisen, aber es gibt keine Spur von dem umtriebigen Mossad Agenten.

Es ist keine geringe Leistung, wie Brigitte Glaser die Menschen in ihrem Roman einführt und sie detailreich zeichnet. So kommt das Hotelleben sehr glaubhaft rüber und die sich entwickelnde Geschichte von unterschiedlichen Interessen im jungen Nachkriegsdeutschland schlägt Funken in höchste Kreise. Da begegnet man Geschäftsmännern, die eigentlich im Gefängnis hausen müssten und jungen weiblichen Angestellten, die gegen Ende des Krieges mehr durchgemacht haben, als es eine menschliche Seele verträgt. Überhaupt, die Frauen. Brigitte Glaser gibt ihnen Stimmen. Es ist ihr Erleben, dass diesen Roman prägt. Hausdame Reisacher wird mit großem Facettenreichtum, wie ein Gegenpol zur Fast-Idealistin Rosa, deren Familien- und Gefühlsleben außer Kontrolle geraten ist, seit sich die Deutschen über die Juden hermachten. Sprachlich bleibt die Autorin locker über bundesdeutschem Durchschnitt.

Manchmal habe ich etwas den Faden verloren einfach weil mir manche Vorgänge zu ausführlich beschrieben wurden. Aber auf die gesamte Länge gesehen ist das einfach ein sehr lesenswertes Buch. Das dunkle des Schwarzwaldes passt so schön zu den verlorenen Seelen, der biederen Dunkel-deutschen, die das letzte Jahrhundert be- und entvölkert haben. Die geschichtlichen Ereignisse werden stimmig eingeflochten. Man hat fast Lust einmal den Ort des Geschehens aufzusuchen, nur nicht die Zeit. Bloß nicht! Von meiner Seite gibt es eine klare Empfehlung für den Roman. Beste Unterhaltung, keine Frage!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Direkt ins Herz

Und damit fing es an
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In „Und damit fing es an“ von Rose Tremain entführt uns die Autorin in die Schweiz, nach Matzlingen, in die tiefste eidgenössische Provinz, wo sich, wie Gustav Perle von klein auf lernt, die Menschen zu ...

In „Und damit fing es an“ von Rose Tremain entführt uns die Autorin in die Schweiz, nach Matzlingen, in die tiefste eidgenössische Provinz, wo sich, wie Gustav Perle von klein auf lernt, die Menschen zu beherrschen wissen. Der Junge wächst in der Nachkriegszeit auf. Seine Mutter Emelie arbeitet in der Käserei, seit ihr Ehemann verstorben ist. Es ist ärmliches Leben an ihrer Seite, dass erst durch das Auftauchen eines sonderbaren Jungen einen Sinn bekommt. Anton ist das Kind jüdischer Eltern, ein Wunderkind am Klavier, ein Sonnenschein in Gustavs Normalsterblichen-Leben, dessen Mutter den Juden an allem Schuld gibt, was ihr im Leben Schlimmes widerfahren ist. Aber Gustav lässt sich weder von seiner Freundschaft zu Anton, noch dem Aufbau eines eigenen Hotels abhalten, als er das Erwachsenenalter erreicht.

In dem Buch beleuchtet Rose Tremain die verschiedenen Lebensphasen von Anton, dem Prüfungsverängstigten Musiker und dem Familien intern stets ungeliebtem Gustav mit Hang zur Beherrschtheit, Fleiß und Ordnung. Die Geheimnisse der Vergangenheit werden gelüftet, großartige Charaktere, die extrem lebensnah rüber kommen werden entworfen. In letzter Zeit habe ich selten ein so emotional aufgeladenes Buch gelesen. Das was da mit den Menschen in der Geschichte passiert hat mich wirklich gepackt, was zweifellos auch an dem sehr amerikanischen Schreibstil liegt, der fast spielend den Leser einfängt und sich nicht in langweiligen Beschreibungen verliert. Erstaunlich mit welcher Leichtigkeit Rose Tremain Tiefgang erzeugt. Faszinierend, wie die Autorin eine relativ schlichte Geschichte derart stark aufladen kann, ohne in Kitsch oder Pathos zu verfallen. Dabei startet der Roman fast noch auf eine Huckleberry Finn Weise gemütlich, um dann einen satten Lesesog zu erzeugen, der bis zum ziemlich weisen Schluss anhält. Es ist Buch der leisen Töne, dass bisweilen etwas mehr Konflikt vertragen hätte. So bewerte ich das Buch mit fast fünf Sternen. Insgesamt ein vorzüglicher Lesespaß mit Nachhall.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Lecker bis zum Schluss

Die Eismacher
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Der Sommer ist da und Ernest van der Kwast hat mit „Die Eismacher“ den passenden Roman für die wärmste Jahreszeit geschrieben. Mir lief jedenfalls schon beim Betrachten des Buchcovers das Wasser im Munde ...

Der Sommer ist da und Ernest van der Kwast hat mit „Die Eismacher“ den passenden Roman für die wärmste Jahreszeit geschrieben. Mir lief jedenfalls schon beim Betrachten des Buchcovers das Wasser im Munde zusammen. Überhaupt brennt der Autor ein sinnenfrohes und emotional aufgeladenes Feuerwerk ab, dass bisweilen sehr witzig und im Abgang weise rüberkommt. Wie sich im ersten Abschnitt der Vater des „Ich“-Erzählers vor dem Fernseher in eine deutsche Hammerwerferin verliebt, die gerade an den Olympischen Spielen teilnimmt, das hat etwas von großer Komik. Und das alte Lied vom verlorenen Sohn und dem Daheimgebliebenen bringt bei mir was zum klingen.

Giovanni, der „Ich“Erzähler, bricht mit der Familientradition. Er ist das schwarze Schaf, der unverstandene Sohn, der sich statt etwas anständiges zu lernen, wie dem Eismachen, sonderbaren Lyrikern und der Literatur an sich widmet. Im Gegensatz dazu pendelt sein Bruder zwischen Rotterdam und Südtirol hin und her, um die Eisdielen zu betreiben. Luca ist kleinbürgerlich spießig auf der einen Seite, auf der anderen Seite kreativ und innovativ, was seine Eiskreationen angeht. Es ist schon bald klar, dass die Sprachlosigkeit zwischen den Brüdern einen Grund haben muss, der ausnahmsweise nichts mit der Eisdiele zu tun hat, die das eigentliche Familienzentrum ist. Es fällt nicht schwer zu erraten, woher die dezente Abneigung rührt. Natürlich ist eine Frau Schuld.

Ernest van der Kwast kennt ohne Frage die Rezeptur zum Bestseller schreiben. Er beherrscht sein Handwerk, erweckt Weltbürger und Menschen vom Lande glaubhaft zum Leben und breitet eine interessante Geschichte vor dem Leser aus. Schwierig fand ich allenfalls die nicht lineare Erzählweise. Der Autor springt gelegentlich quer durch die Familien-und Zeitgeschichte und seine Lyrikfixierung teilen sicherlich auch nicht alle Leser. Ich habe hier manches Gedicht einfach übersprungen, weil es mir schlicht zu viel wurde. Aber das sind Kleinigkeiten, die dem Lesevergnügen keinen Abbruch tun. Zu gut ist die erzählte Geschichte. Zu gut der sehr erwachsene Schreibstil, da ist so eine gesunde Distanz, eine moderne Sprödigkeit, des Weitgereisten, die den Leser in seinen Bann zieht. Insgesamt ein absolut lesenswerter Roman. Außerdem konnte ich noch keinem guten Eis widerstehen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Lesenswert

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer
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In dem Buch von Alex Capus geht es um drei historische Persönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts, die sich wohl niemals begegnet sind. Emile Gilliéron ist ein begnadeter Zeichner, der mit Schliemann ...

In dem Buch von Alex Capus geht es um drei historische Persönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts, die sich wohl niemals begegnet sind. Emile Gilliéron ist ein begnadeter Zeichner, der mit Schliemann nach Griechenland reist und später für den kurzsichtigsten aller Briten Arthur Evans sensationsarme Ausgrabungen in archäologische Wundertüten verwandelt. Emiles Fähigkeiten prädestinieren ihn förmlich für diese Aufgabe. Er dehnt die Wahrheit, um seine prestigeversessen Auftraggeber zufriedenzustellen und seine Kassen zu füllen. Capus erzählt augenzwinkernd und bravourös vor mediterraner Kulisse ein Schelmenstück, das in der nüchternen Aufklärung der Neuzeit endet.

Die Spionin Laura d’Oriano will eigentlich Sängerin werden, nicht so eine halbseidene Chanson Interpretin, wie die strumpfbandzeigende Mutter, nein, eine richtig ernst zunehmende Sangeskünstlerin, aber ach, am Konservatorium stellen die Lehrer fest, ihr fehlt es an einer herausragenden Stimme. Für eine Sängerin kein ganz unwichtiges Detail gibt Laura ihren Jugendtraum auf. Andere Talente bringen unsere Protagonistin durchaus erfolgreich durch das Leben, bis sie an Mann und Kinder gerät und fast der spießbürgerlichen Provinz an heim fiel. Der Weg bis zur Spionin ist dann nur noch kurz, der 2. Weltkrieg schreibt schließlich die sonderbarsten Lebensläufe und so wird aus Laura eine Spionin im Kampf gegen den Mussolini Faschismus. Laura d’Orianos Leben wird von Capus in einer typischen „Frau krempelt die Ärmel auf“ Manier erzählt, das liest sich gefällig, ziemlich spannungsarm und routiniert. An zwei Stellen leuchtet mir die Motivation der Protagonistin nicht ein. Nun denn. Die Unannehmlichkeiten ihrer letzten Tage spart Alex Capus aus, vermutlich, um den Rahmen eines Unterhaltungsromans nicht gänzlich zu sprengen. Alex Capus gibt Laura d’Oriano ein Gesicht, tiefer lässt er nicht blicken.

Bei weitem interessanter erzählt ist das Leben des Bombenbauers Felix Bloch, als junger Mann ein überzeugter Pazifist wird er Atomphysiker, weil ihm der Beruf ausreichend sinnlos erscheint, um nicht der Kriegsmaschinerie dienen zu müssen. Schließlich landet er in Los Alamos, wo er an der ersten Atombombe arbeitet. Eine faszinierende Persönlickkeit, ebenso faszinierend erzählt.

Alex Capus hat die Lebensläufe seiner Protagonisten recherchiert und die Leerstellen mit seiner Fantasie gefüllt. Wenn mich „Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer“ auch nicht vollends überzeugt hat muss ich doch sagen mich über weite Strecken des Buches einfach gut unterhalten zu haben. Alex Capus hat eine Art Geschichten zu erzählen, vor der man sich gern verneigen möchte. Quasi sofort entsteht ein Lesesog, alles ist klug ausformuliert, kein Wort zu viel oder zu wenig und immer pulsierend voll Leben. Vermutlich ist der Mann in der Lage Telefonbücher und Gebrauchsanweisungen unterhaltsam zu schreiben. Das Buch ist lustig, wenn es nach Kreta geht und geschichtliche Ereignisse und Ausgrabungsstätten nach Gutdünken gestaltet und uminterpretiert werden. Es macht nachdenklich und traurig, als Felix Bloch unter die Uni Nazis gerät und wird tiefsinnig in seiner Wandlung, die vielleicht gar keine ist. Einzig mit Laura wurde ich nicht besonders warm. Alex Capus ist ein Autor von dem ich gerne mehr lesen werde!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Um Mitternacht

Um Mitternacht
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Augusto Cruz greift in seinem Buch „Um Mitternacht“ nicht nach barbusigen Filmsternchen, eher nach finsteren Vampir Darstellern aus den Anfängen der Hollywoodzeit. Sein klassischer Privatdetektiv McKenzie ...

Augusto Cruz greift in seinem Buch „Um Mitternacht“ nicht nach barbusigen Filmsternchen, eher nach finsteren Vampir Darstellern aus den Anfängen der Hollywoodzeit. Sein klassischer Privatdetektiv McKenzie ist ein Zögling von Edgar Hoovers Gnaden. McKenzie ist genau der richtige für den Job. Er ist ein besessen Suchender, ein einsamer Jäger, seit seine Familie ausgelöscht wurde und er das Attentat an Kennedy nicht verhindern konnte. Die letzte Hoffnung für Forrest J. Ackermann, dem bedeutendsten Sammler von Horrorfilmen in den USA. Für ihn soll McKenzie den verloren gegangen Filmklassiker „Um Mitternacht“ finden.

Und nun könnte einer jener 08-15 Krimis vom Stapel laufen, die den Buchmarkt beherrschen. Stattdessen spürt man als Leser nichts mehr, als brüchiges Treibeis unter den Beinen. Mit zunehmender Seitenzahl erfordert das Lesen eine gewisse Ausdauer und erhöhte Konzentration. Derart Alptraumartig und surreal breiten sich die Geschehnisse aus. Mckenzie verliert den Boden unter den Füßen, was er durchaus mit den Lesern gemein hat, die ganz schön ins Schwimmen geraten in diesem kruden Road Movie auf den Weg in den Dschungel. Wofür nicht zuletzt, die weggelassene Kennzeichnung der wörtlichen Rede verantwortlich ist. Keine Leserfreundliche Maßnahme, wie ich finde.

Ansonsten finde ich wenig zu mäkeln. Der Roman ist halt sehr eigen und unkonventionell. Fiction und Realität verschwimmen in dem Roman auf eine sonderbare Weise, so gilt „Um Mitternacht“ tatsächlich seit Jahrzehnten als verschollenes Kulturgut und wird wohl nie mehr auftauchen. Denn die amerikanische Wegwerfgesellschaft kennt keine Erinnerung, nur die Zukunft. Augusto Cruz greift diesen Faden des vergessen Werdens auf. Soweit ich das beurteilen kann hat sich der Autor tief in die Materie des Kunst Sammelns und mutwilligen Zerstörens eingearbeitet. Dabei herausgekommen ist ein beachtenswertes Buch, voller skurriler Details und einem Gänsehauteffekt. Mir hat der Roman in seiner Andersartigkeit imponiert. Ein außergewöhnliches Leseereignis!