Die amerikanische Autorin Sarah Darer Littman hat mit “Die Welt wär besser ohne dich” einen Roman geschrieben, der an die Substanz geht. Eine Geschichte über Cybermobbing und dessen Folgen, Eifersucht und Freundschaft. Wahnsinnig authentisch und sehr bewegend geschrieben. Ein Buch, das man so schnell nicht vergessen wird! Für Jugendliche ab 14 Jahren und interessierte Erwachsene.
Sydney hat ein wichtiges Vorsprechen in der Schule vor sich. Sie will eine Hauptrolle in “Die Schöne und das Biest” ergattern und ihre nervige, ältere Schwester Lara blockiert mal wieder das Bad! Schon seit vierzig Minuten hat sie sich darin eingeschlossen. Auch ihre Mutter ist Sydney nicht wirklich eine Hilfe. Sie, die Mitglied des Stadtrats ist und vor einer wichtigen Wahl steht, möchte lieber ungestört arbeiten, als sich in die Streitereien zwischen Sydney und Lara einzumischen. Also hämmert Sydney noch einmal wütend an die Badezimmertüre. “In diesem Moment meldet sich das erste leise Unbehagen, ein mulmiges Gefühl, dass heute irgendetwas anders ist. […] Doch es ist nicht die verschlossene Türe, die mich beunruhigt. Lara schließt sich immer im Badezimmer ein. Es ist die Stille. Die Tatsache, dass sie mich nicht durch die Tür hindurch anschreit. “Lara?” Meine wachsende Sorge verdrängt die Wut. “Ist alles okay bei dir?” Nichts. Nicht mal das kleinste plätschernde Geräusch. Mit einem Anflug von Panik haste ich die Treppe hinunter und stolpere fast auf den letzten Stufen. “Mum — ich glaube, mit Lara stimmt etwas nicht”! (Zitat aus “Die Welt wär besser ohne dich” S.12). Und tatsächlich, Sydneys Schwester, die vor einiger Zeit unter Depressionen litt, liegt bewusstlos und mit einer Reihe leeren Pillendosen in der Badewanne, was Polizei und Rettungssanitäter herausfinden, als sie die Türe öffnen. Lara wird ins Krankenhaus gebracht.
DSarah Darer Littman Die Welt wär besser ohne dichie lauten Sirenen haben auch die Nachbarskinder Bree und Liam darauf aufmerksam werden lassen. Ihre Familien waren früher eng miteinander befreundet. “Eine Zeit lang war sie [Lara] ziemlich durch den Wind. Da waren wir noch in der Middle School. Ihre Eltern haben das nicht an die große Glocke gehängt, deshalb weiß fast niemand davon. Laras Mutter ist doch Politikerin. Aber ich weiß es, denn wir waren mal die besten Freundinnen. Vor allem ihr ständiges Gejammer hat dazu geführt, dass wir es nicht mehr sind.” (Zitat S.17) Obwohl ihre Mutter es Bree und Liam verboten hat, gehen sie nach draußen und Bree schießt mit ihrem Handy sogar ein Foto von der bewusstlosen Lara, die gerade abtransportiert wird. Sie lädt es auf Facebook hoch. Das gefällt vor allem Liam nicht, der früher ebenfalls mit Sydney befreundet war und nur deshalb ihre Freundschaft hat auslaufen lassen, weil sich Jungs aus seiner Klasse darüber lustig gemacht haben. Doch jetzt will er wissen, wie es Sydney und ihrer Schwester geht. Und er will wissen, was passiert ist…
“Die Welt wär besser ohne dich” beginnt mit einem Prolog aus Laras Sicht, in dem sie mehrere öffentliche Einträge eines Jungen auf ihrer Facebook-Pinnwand liest. Mit ihm — Christian — hat sie seit längerer Zeit online gechattet. In ihn hat sie sich verliebt, obwohl sie ihn noch nie getroffen hat. Und plötzlich schreibt er die schlimmsten Sachen über sie: “Du bist so ätzend. Du bist eine miese Freundin. […] Du bist so eine Loserin. Die Welt wär besser ohne dich.” (Zitat S.9/10). Das Mädchen ist völlig fassungslos. Doch als sie ihm antworten will, merkt sie, dass er ihren Kontakt blockiert hat. Daran schließt die Perspektive von Sydney an, die endlich ins Badezimmer möchte und letztendlich auf eine bewusstlose Lara stößt. Der Roman gliedert sich in mehrere Teile auf. Teil eins ist die Gegenwart und umfasst Laras Suizidversuch und die unmittelbaren Folgen darauf. Ihre Einlieferung in eine Klinik und ihr Weiterleben zu Hause. Teil zwei beginnt zweieinhalb Monate vorher und erklärt, wie es zu diesen Aussagen Christians kommen konnte. Sarah Darer Littman Die Welt wär besser ohne dich “Die Welt wär besser ohne dich” berichtet jedoch nicht nur aus Sydneys und Laras Sicht, sondern lässt auch die Geschwister Bree und Liam zu Wort kommen. Diese Perspektiven lassen ein sehr umfassendes Bild entstehen und sorgen vor allem im zweiten Teil für eine unerwartete Überraschung. Was mir sehr gut an dem Roman gefallen hat, ist die Authentizität der Protagonisten, allen voran den Schwestern Lara und Sydney und ihrer Familie. Sydneys zwiespältigen Gefühle ihrer Schwester werden besonders deutlich hervorgehoben. Einerseits hat sie es satt, dass Lara immer im Mittelpunkt steht und mit Samthandschuhen angefasst wird und sie immer zurückstecken muss: “Lara! Wach auf”, schreie ich plötzlich. Ich habe es satt, zu warten, ich habe Lara satt, ich habe alles und jeden satt. Ich bin sauer, weil ich das Vorsprechen morgen bestimmt verpassen werde — nur wegen meiner Schwester und ihren endlosen Krisen.” (Zitat S.31) Andererseits fühlt sie sich wie “die schlimmste Schwester der Welt” (Zitat S.63) und ist sich ihrer egoistischen Verhaltensweisen bewusst. Diese Zerrissenheit beobachtet Sydney auch bei ihrer Mutter: “Sie erwidert meine Umarmung und ich atme den Duft ihres Parfüms ein, das sie immer trägt. Selbst wenn Lara in Stücke zerfällt — Mum würde trotzdem Make-up auflegen und sich anziehen, als wäre sie auf dem Weg zu einem Fototermin. Vielleicht ist das der Kleber, den sie benutzt, um sich selbst zusammenzuhalten.” (Zitat S.72) Womit ersichtlich wird, dass jeder anders mit Laras Tat umgeht. Der Vater beispielsweise hat es sich in einem persönlichen Rachefeldzug zur Aufgabe gemacht in umfangreichen Tabellen zu erfassen, wer auf Christians Aussagen wie reagiert hat, da es Leute gab, die geschrieben haben, warum sich Lara nicht einfach umbringt. Auch auf Brees hochgeladene Fotos wurde einiges gepostet. Schimpfwörter einer leidvollen Vergangenheit kamen wieder ans Tageslicht, als Lara noch etwas kräftiger war und “Specki” und “Speckisaurus” genannt wurde. Sarah Darer Littman Die Welt wär besser ohne dichDie Gefährlichkeit von Cybermobbing tritt in aller Deutlichkeit hervor. Es ist erschreckend zu lesen, was Worte ausrichten können, wenn sie in einer virtuellen Welt geschrieben werden und das Leben eines jungen Menschen so drastisch verändern können. Das wird sogar Sydney bewusst: “Ich schalte mein Handy aus. […] Ich will nichts mehr von dieser widerlichen, gemeinen, geisteskranken Welt wissen. Und plötzlich verstehe ich, warum Lara es getan hat. Es ist nicht einfach, Laras Schwester zu sein. Wäre sie nur eine Mitschülerin, wäre ich wahrscheinlich nicht mit ihr befreundet. Aber sie ist meine Schwester. Und niemand, niemand, Schwester oder nicht, verdient, was da gerade mit ihr auf Facebook passiert.” (Zitat S.49) Der Roman liest sich durchgehend spannend und lässt kaum einen ruhigen Moment zu. Er fordert seine Leser dazu auf, sich auch mit unbequemen Wahrheiten auseinanderzusetzen und beispielswiese sein eigenes Online-Verhalten unter die Lupe zu nehmen. Das Ende ist realistisch und macht nachdenklich.
Ideal auch als Schullektüre beziehungsweise für eine Buchvorstellung!