Unsichtbare Wunden” von der deutschen Autorin Astrid Frank ist ein Roman über ein hochbrisantes Thema: Mobbing. Vor dem Hintergrund eines tödlichen Unfalls, der vielleicht keiner war, erzählt sie die Geschichte eines jungen Mädchens, das unverhofft zum Opfer wird. Eine authentische Schilderung, von der Entstehung bis hin zu ihrem dramatischen Ende. Äußerst packend und ergreifend geschrieben. Ein Buch, das man so schnell nicht aus den Händen legen wird! Für Jugendliche ab 12 Jahren und interessierte Erwachsene.
September 2013. Zu ihrem 13. Geburtstag erhält Anna, deren Mutter vor fünf Jahren an einem Tumor gestorben ist, von ihrem Vater ein Tagebuch. “Für deine Geheimnisse”, hat Papa gesagt, als ich dich [das Tagebuch] aus dem Geschenkpapier gewickelt habe. “Ich habe doch gar keine Geheimnisse, habe ich geantwortet. “Noch nicht”, hat Papa gesagt. “Aber mit 13 bekommt man welche.” (Zitat aus “Unsichtbare Wunden” S.7) Und allmählich gibt es dann doch ein paar Dinge, die Anna ihrem Tagebuch anvertraut. Dinge, die sie ihrem Vater nicht erzählt. Wie sich in der Schule einiges verändert hat, seit Nina — eine neue Mitschülerin — zu ihnen gekommen ist. Denn Manu, Annas beste Freundin und Seelenverwandte, ist auf einmal auch mit Nina eng befreundet. Die beiden spielen Karaoke auf der Playstation, lachen über Sachen, Astrid Frank Unsichtbare Wundendie Anna gar nicht lustig findet und Nina wagt es sogar, obwohl sie neu ist, sich den allgemeinen Frozzeleien über Anton anzuschließen. Anton, den Anna schon seit dem Kindergarten kennt, der ihr bester Freund ist. Der zwar den schwarzen Gürtel hat, sich aber nie traut sich zu wehren. Anna verteidigt ihn, auch gegenüber Nina, was dieser gar nicht gefällt. Und plötzlich wird Anna immer öfters von gemeinsamen Unternehmungen ausgeschlossen. Ins Ferienlager fahren Manu und Nina ohne sie. Sogar an Annas 14. Geburtstag gehen die beiden lieber auf ein Konzert, anstatt mit ihr zu feiern. Sie fragen nicht einmal, ob Anna mitkommen möchte. Richtig schlimm wird es, als Manus heimlicher Schwarm Paul eher an Anna als an Manu interessiert zu sein scheint. Ihre ehemals beste Freundin beschimpft sie, wie sie es wagen kann Paul anzubaggern, obwohl das doch eigentlich anders herum war. Bald fangen die ersten Hänseleien an. Alle anderen aus ihrer Clique wenden sich nach und nach von ihr ab. Niemand will mehr etwas mit Anna zu tun haben. Außer Anton, der aber selbst gedisst wird. Dann geht das Mobbing richtig los. “Ich weiß langsam nicht mehr, was mit mir los ist, ich könnte den ganzen Tag nur noch heulen. Meine Finger zittern und mein Herz beginnt zu rasen, sobald ich morgens die Augen aufmache und mir die Schule einfällt.” (Zitat S.201) Haben die anderen Recht? Ist wie vielleicht wirklich so scheiße? Allmählich richtet Anna den Hass der anderen gegen sich selbst…
Astrid Frank Unsichtbare Wunden“Unsichtbare Wunden” ist aus interessanten Erzählperspektiven geschrieben. Es beginnt mit einem Tagebucheintrag im Jahre 2013, als Anna dieses von ihrem Vater zum 13. Geburtstag geschenkt bekommt. Dann wechselt die Geschichte abrupt in das Jahr 2015 und schildert die Perspektive eines Polizisten, der eine Frau beruhigt, die soeben einen Unfall erlebt hat. Sie ist mit dem Auto auf der Bundesstraße entlanggefahren, als plötzlich wie aus dem Nichts ein Pferd samt Reiter dort hinaufgaloppiert ist. “Wenn das Pferd doch nur reden könnte. Vielleicht könnte es ihnen sagen, was genau passiert war. Aber es konnte nicht reden. Es bäumte sich auf, es wieherte, es schlug mit dem Kopf, aber es sprach kein verständliches Wort. Und es würde ihm nicht dabei helfen, den Eltern die schrecklichste Nachricht zu überbringen, die Eltern überhaupt nur erhalten konnten: die Nachricht, dass ihr Kind soeben bei einem grauenvollen Unfall ihr Leben verloren hatte.” (Zitat S.14) Es war Anna, die auf dem Pferd saß. Anna, die nun tot ist. Ihr Vater, dessen Sicht ebenfalls in dem Roman mit einfließt, kann es nicht fassen. Nun hat er nicht nur seine Frau verloren, sondern auch seine einzige Tochter. Doch vor allem die Umstände des Unfalls irritieren ihn: “Bundesstraße? Anna ritt nie über die Bundesstraße, die durch den Wald führte! Das hatte sie ihm fest versprochen! Und Elrond sollte durchgegangen sein? Elrond war noch nie durchgegangen! Nicht einmal, als er von diesem Hund angegriffen und verletzt worden war! Nein, das konnte nicht wahr sein. Er träumte nur irgendeinen blöden Albtraum, aus dem er gleich erwachen würde.” (Zitat S.19) Auch Anton, dessen Perspektive immer wieder eingeblendet wird, macht sich Gedanken darüber. War dieser Unfall vielleicht gar kein Unfall? Während der Leser ebenso ahnungslos ist wie Anton und Simon — Annas Vater — wird das aktuelle Geschehen (und Simons Rachegedanken) immer wieder von Tagebuchausschnitten unterbrochen. Annas komplette Geschichte Astrid Frank Unsichtbare Wundenwird durch diese kursiv abgedruckten Ausschnitte erzählt. Das Datum ihrer Erzählungen nähert sich dem Unfalldatum hierbei unweigerlich. Dies erzeugt unglaublich viel Spannung, zieht den Leser geradezu in einen Sog und liest sich sehr sehr emotional. Denn Annas Vater liest dieses Tagebuch, obwohl er dies nie zuvor getan hat. Obwohl er Annas Sorgen, die sie ihm zwischendurch einmal anvertraut hat, nie so ernst genommen hatte. Durch seine Andeutungen über das Gelesene, zum Beispiel als er einen von Annas Mitschülern bei der Beerdigung wütend anfährt, erhält man immer mehr Informationen, die man sich mit den Tagebuchausschnitten nach und nach zusammenpuzzeln muss: “Jetzt war Paul dran. Ein blasser Junge, der mit den Tränen kämpfte, während er ans Grab trat. […] “Das hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen”, zischte er ihm zu. Paul zuckte zusammen. […] “Wie bitte?” “Scher dich weg”, stieß Simon Martin hervor. “Du hast kein Recht, hier zu stehen und so zu tun, als wärst du traurig! Geh! Geh!” (Zitat S.57) Was hat Paul getan? Wer hat Schuld an dem Mobbing? Gibt es überhaupt einen Schuldigen? Oder sind es mehrere? Ein interessantes Zitat von Albert Einstein taucht zu diesen Fragen bereits zu Beginn des Romans auf: “Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben — nicht wegen der Menschen, die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen.” (Zitat S.11) Es ist jedoch auch die Frage, ob man das Unglück hätte verhindern können, die sowohl Anton als auch Simon beschäftigen: “Wann hätte man das Blatt wenden können? An welcher Stelle hätte er noch die Chance gehabt zu verhindern, was geschehen war? Wo hätte er eingreifen müssen, damit Anna nicht vor dieses Auto gefallen und gestorben wäre?” (S.79) Dramaturgisch ist die Geschichte, Astrid Frank Unsichtbare Wundenvor allem die Entwicklung des Mobbings, sehr gut aufgebaut. Es zeigt dessen Entstehung, die Veränderung einer Freundschaft und die der Hauptfigur durch die bald täglichen Angriffe auf äußerst realistische Weise. Man kann sich unheimlich gut in Anna hineinfühlen. Die Sprache ist einfach, klar und sehr flüssig. Das Cover sowie der Titel des Buches sind absolut passend gewählt. Letzterer wird von Anna selbst in einem Abschnitt erklärt und ist zugleich signifikant für Mobbing: “Manchmal wünschte ich, sie würden mich schlagen. Denn wenn man geschlagen wird, gucken die Leute hin! Nur wegen ein paar gemeiner Worte oder Blicke greift niemand ein. Wenn sie mich schlagen würden, dann hätte ich sichtbare Wunden! […] Meine Wunden sind tiefer. Sie sind unter meiner Haut verborgen und damit unsichtbar. Sie sind in meinem Herzen, in meinem Bauch, meinem Kopf und meiner Seele. Sie zerstören mich von innen heraus. Und niemand bekommt es mit.” (Zitat S.236)
Interessanterweise hat Astrid Frank das Thema Mobbing aufgrund einer eigenen Erfahrung in ihrer Familie (die ihres Sohnes) aufgegriffen, um darüber einen Roman zu schreiben. Auf einer eigenen, sehr gelungenen Internetseite zum Buch erfährst du jede Menge Tipps und Anregungen um mit Mobbing umzugehen.
“Unsichtbare Wunden” eignet sich zudem hervorragend für eine Buchvorstellung oder als Klassenlektüre.