Profilbild von Dreamworx

Dreamworx

Lesejury Star
offline

Dreamworx ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Dreamworx über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.02.2018

Der Traum vom Fliegen

Fräulein Hedy träumt vom Fliegen
0

Die im Münsterland lebende Hedy von Pyritz ist 88 Jahre alt, aber noch lange nicht klapprig, verknöchert oder senil, sondern weiterhin neugierig auf die Welt und bereit für jedes Abenteuer, auch wenn sie ...

Die im Münsterland lebende Hedy von Pyritz ist 88 Jahre alt, aber noch lange nicht klapprig, verknöchert oder senil, sondern weiterhin neugierig auf die Welt und bereit für jedes Abenteuer, auch wenn sie in einem Rollstuhl sitzt. Deshalb schaltet sie auch eine Anzeige, in der sie einen Begleiter für den Besuch eines Nacktbadestrands sucht, was nicht nur in der Stiftung für Unruhe sorgt, deren Vorsitz sie innehält. Da die eingehenden Antworten auf ihre Suche nicht dem entsprechen, was sie sucht, hat Hedy sich kurzerhand ihren recht zurückhaltenden jungen Physiotherapeuten Jan auserkoren, sie zu diesem Strand zu fahren. Doch Jan hat ersten keinen Führerschein, noch kann er gut lesen aufgrund einer Schreibschwäche. Aber Hedy ist das völlig egal, sie ist schon viel zu lange auf der Welt, um sich Steine in den Weg legen zu lassen. Sie kürt Jan zum besonderen Stipendiaten ihrer eigenen Stiftung und lässt ihm jegliche Unterstützung zukommen, damit er sein Manko ausgleichen kann. Dabei lernen beide viel voneinander…
Andreas Izquierdo hat mit seinem Buch „Fräulein Hedy träumt vom Fliegen“ einen wunderschönen, gefühlvollen und unterhaltsamen Roman vorgelegt, den der Leser – einmal begonnen – kaum aus der Hand legen kann. Der Schreibstil ist flüssig, warmherzig und so lebendig mit einem kleinen Augenzwinkern, er zieht den Leser regelrecht in die Handlung hinein und lässt diesen nicht mehr los, bis die letzten Zeilen gelesen sind. Durch die recht schräge Handlung, die skurrilen Protagonisten und die immer wiederkehrenden Ausflüge in Hedys Vergangenheit bleibt die Geschichte lebendig und lässt während der Lektüre ein wahres Kopfkino entstehen. Gleichzeitig kann der Leser beobachten, wie sich nicht nur durch das Alter, sondern auch vom Lebensstil her völlig verschiedene Charaktere immer mehr öffnen und in eine enge Beziehung miteinander eintreten, aus dem jeder von ihnen Erfahrungen zieht und sich persönlich weiterentwickelt. Gerade diese Beobachtungen gehen dem Leser ans Herz und machen die Geschichte so besonders. Das Thema „Fliegen“ hat in diesem Roman mit Sicherheit nicht nur eine Bedeutung!
Die Protagonisten sind so liebevoll ausgestaltet und mit Persönlichkeit versehen worden, der Leser kann gar nicht anders, als mit ihnen zu leiden, zu jubeln, zu weinen und den Atem anzuhalten. Sie wirken so echt und aus dem Leben gegriffen, dass man ständig das Gefühl hat, einen von ihnen zu kennen. Hedy ist eine außergewöhnliche und nicht zu ignorierende Person. Sie besitzt ein gesundes Selbstbewusstsein, wirkt oftmals recht autoritär und ist sehr diszipliniert. Hedy sagt, was sie denkt und oftmals beharrt sie fest auf ihrem Standpunkt, bis man ihr beweist, dass er falsch ist. Sie ist eine starke Frau, die manch einem wohl auch Angst einflößen könnte, wenn man nicht wüsste, dass sie unter ihrer rauen Schale ein großes Herz besitzt. Jan ist ein eher schüchterner und introvertierter junger Mann, der nicht nur unter seiner Lese- und Schreibschwäche leidet, sondern auch unter seinem älteren Bruder Nick, zu dem er immer aufgeschaut hat und der selbst doch nur immer wieder in Schwierigkeiten gerät. Mutig ist nicht gerade das Attribut, was man bei Jan denken würde, doch so nach und nach kann man als Leser nur staunen, wie er durch die Freundschaft zu Hedy immer mehr aus sich herauswächst und zu Entscheidungen fähig ist, die man zu Beginn nicht für möglich gehalten hätte. Auch die anderen Protagonisten wie Hedys Tochter Hannah, Nick oder auch die Haushälterin Maria haben einen festen Platz in der Geschichte und geben ihr zusätzliche Impulse.
„Fräulein Hedy träumt vom Fliegen“ ist kein modernes Märchen, sondern eine Geschichte, die durch ihre besondere Erzählweise mitten ins Herz des Lesers geht. Es geht um Träume, um Verlust, um Schicksale und löst beim Leser eine regelrechte Achterbahn der Gefühle aus. Ein außergewöhnliches Buch, das man so schnell nicht mehr vergisst und bestimmt immer wieder zur Hand nimmt. Absolute Leseempfehlung für einen Roman, der von der ersten bis zur letzten Zeile fesselt. Hier wurde wirklich alles richtig gemacht- Chapeau für ein Kleinod!!!

Veröffentlicht am 10.02.2018

"Das Leben ist bunter als eine Rolle Haribo"

Die Königin von Lankwitz
0

Die Mittfünfzigerin Irene wird nach acht Jahren für das absichtliche Überfahren eines Mannes endlich aus dem Berliner Gefängnis entlassen, wo sie direkt bei ihrer Freundin Bea in die kleine Einzimmerwohnung ...

Die Mittfünfzigerin Irene wird nach acht Jahren für das absichtliche Überfahren eines Mannes endlich aus dem Berliner Gefängnis entlassen, wo sie direkt bei ihrer Freundin Bea in die kleine Einzimmerwohnung einzieht. Bea durfte die staatliche Anstalt schon eher verlassen und konnte sich so schon etwas den Dingen außerhalb der Mauern anfreunden und sich auf ein normales Leben einlassen. Dennoch ist es schwer für Ex-Sträflinge, einer angesehenen Tätigkeit nachzugehen, somit müssen sich die beiden Frauen überlegen, wie sie nun ihr Leben finanzieren sollen. Sie haben nur die Wahl, als Prostituierte zu arbeiten oder sich mit einer zündenden Idee selbständig zu machen. Irene liebt Autofahren, weshalb dies nicht für die Zukunft nutzen, aber bitte schön nur im Dienste von Frauen und auch nur in Lankwitz. Sie stellen einen Plan auf, wie sie ihre Geschäft unauffällig zum Laufen bringen und wo sie ihre Klientel finden können, die gern dafür bezahlt, wenn Irene und Bea für sie Rache üben an den Männern, die sie gedemütigt, verletzt und betrogen haben. Schon bald brummt das Geschäft, doch dann macht ihnen eine andere Agentur ihre Idee streitig, sie werden sogar erpresst…
Max Urlacher hat mit seinem Buch „Die Königin von Lankwitz“ einen sehr unterhaltsamen und witzigen Roman vorgelegt, der nicht nur mit einer tollen Handlung punktet, sondern auch durch einen flüssigen, bildhaften und temporeichen Schreibstil besticht, der viel Berliner Schnauze mit Herz beinhaltet. Ab der ersten Seite ist der Leser an der Seite von Irene, deren Gedanken und Gefühle wie ein offenes Buch präsent sind. Gleichzeitig lässt der Autor den Leser durch Irene teilhaben an deren letzten Gefängnisstunden und ihrer Einschätzung zu den diversen Insassinnen. Die Handlung in der dritten Person erzählt. Der Spannungsbogen wird gemächlich aufgebaut und steigert sich nach und nach immer mehr. Auch die Beschreibungen der Fahrten durch Berlin sind so lebhaft, dass man das Gefühl bekommt, mit Irene und Bea gemeinsam im Wagen zu sitzen und in rasantem Fahrstil gleich einer Rallye durch die Stadt zu brausen.
Die Charaktere sind so liebevoll ausgearbeitet und mit individuellen Eigenschaften versehen, dass der Leser sie sofort ins Herz schließen kann. Sie wirken durchweg lebendig und authentisch. Irene ist eine Berliner Pflanze, wie sie im Buche steht. Sie ist von eher pragmatischer und überlegter Natur, zurückhaltend und doch mit Herz und einem gewissen Gerechtigkeitssinn ausgestattet. Als passionierte Autofahrerin ist sie nicht nur die Ideenschmiede sondern auch die ausführende Gewalt des kleinen neugegründeten Unternehmens. Bea liebt extravagante bunte Kleidung mit viel Glitzer und ist eher von extrovertiertem Wesen. Sie ist die Akquisiteurin des Geschäfts, geht auf die potentiellen Kundinnen zu und gibt ihnen das Gefühl, sie voll und ganz zu verstehen, wobei sie ihnen nach und nach jenes Gefühl vermittelt, dass die Idee sich zu rächen, von ihnen gekommen ist. Das öffnet natürlich die Brieftaschen. Auch die weiteren erscheinenden Protagonisten werden mit wenigen Worten so genau gezeichnet und mit Leben versehen, dass man sie bildlich vor Augen hat. Mit ihren eigenen Geschichten tragen sie maßgeblich zum Unterhaltungswert der Handlung bei.
„Die Königin von Lankwitz“ ist eine witzige Geschichte mit viel Herz über verletzte Frauenseelen, Rachegedanken und über die Freundschaft bis in den Tod. Skurrile Charaktere und tolle Dialoge lassen im Kopf einen wunderbaren Film ablaufen, der leider viel zu schnell endet. Absolute Leseempfehlung für eine überraschende und gelungene Geschichte!

Veröffentlicht am 04.02.2018

Toskanisches Abenteuer

Die Tochter der Toskana
0

1832 Toskana. Antonella ist 19 Jahre alt und lebt mit ihren beiden Schwestern und ihren Eltern im kleinen Dorf Cerreto. Sie liebt es zu kochen und interessiert sich auch für den Weinanbau und dessen Verarbeitung. ...

1832 Toskana. Antonella ist 19 Jahre alt und lebt mit ihren beiden Schwestern und ihren Eltern im kleinen Dorf Cerreto. Sie liebt es zu kochen und interessiert sich auch für den Weinanbau und dessen Verarbeitung. Da ihr Vater als Schäfer kein reicher Mann ist, muss er seine Töchter gut verheiraten. Für Antonella wirbt der Müllersohn Paolo, allerdings hat er den Ruf, ein Frauenheld zu sein. Als Antonella dies mit eigenen Augen unfreiwillig beobachten kann, will sie von Paolo nichts mehr wissen. Als dieser sie im Wald bedrängt, wird Antonella von einem attraktiven Fremden namens Michele gerettet, der zufällig in der Nähe war. Michele ist der Sohn eines adligen Weinbauers, doch er ist auch ein Deserteur und als Aufrührer inkognito unterwegs. Als Antonella von ihrem Vater gezwungen wird, Paolo zu heiraten, beschließt sie, sich Michele bis Genua anzuschließen und zieht mit ihm heimlich davon. Während ihrer abenteuerlichen Reise kommen sich die beiden immer näher, doch Antonella ahnt nicht, dass Michele in geheimer Mission unterwegs ist und mit dem Bund der Carbonari Italien von den unliebsamen Herrschern befreien will. Die italienische Armee ist Michele als Deserteur auf den Fersen, während die Polizei ihn als Aufrührer sucht. Antonella gerät dadurch zwischen die Fronten. Wird sie eine Zukunft mit Michele haben?
Karin Seemayer hat mit ihrem Buch „Die Tochter der Toskana“ einen sehr mitreißenden, spannenden und unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und saugt den Leser regelrecht in das Buch hinein, das sich nicht mehr aus der Hand legen lässt. Schnell folgt er als unsichtbarer Schatten Antonella bei ihren täglichen Arbeiten, Träumen, Gedanken und dann auf ihrer abenteuerlichen Reise durch die Berge nach Genua. Die Landschaftsbeschreibungen sind so bildhaft, dass man die wunderschöne Gegend der Toskana, aber auch die Hafenstadt Genua mit den imposanten Palazzi regelrecht vor Augen hat. Der Spannungsbogen wird recht schnell aufgebaut und schraubt sich während der Handlung immer weiter in die Höhe. Der historische Hintergrund wurde von der Autorin sehr schön recherchiert und mit ihrer Handlung verwebt. Ebenso spricht sie verschiedene Themen an, unter anderem geht es um die Rolle der Frau zur damaligen Zeit, der nicht viel anderes übrig blieb, als durch eine angemessene Hochzeit versorgt zu sein. Gelang ihr das nicht, blieb ihr nicht viel mehr, als als Hure zu enden. Auch Bildung war der einfachen Bevölkerung nicht zugänglich, so konnten viele Menschen der unteren Schichten weder schreiben noch lesen. Gleichzeitig werden die verschiedenen Gesellschaftsschichten und deren Machtverhältnisse innerhalb der Handlung sehr deutlich.
Die Charaktere sind liebevoll ausgearbeitet und mit individuellen Eigenschaften versehen, weshalb sie durchweg glaubhaft, real und authentisch wirken. Antonella ist eine junge Frau mit Träumen. Sie liebt es, zu kochen und auch die Weinverarbeitung interessiert sie. Sie kann nicht lesen und schreiben, doch hat sie bestimmte Erwartungen für ihr Leben, die sich allerdings den Wünschen ihrer Eltern zu beugen haben. Antonella wirkt zurückhaltend, aber herzlich und mit genügend Mitgefühl für andere ausgestattet. Als sie den Entschluss fasst, ihrer vorhersehbaren Zukunft zu entfliehen, zeigt sie eine Menge Mut, der sie wohl selbst überrascht. Doch je länger sie auf Wanderschaft ist, umso stärker und mutiger wird sie. Es ist schön zu beobachten, wie sie über sich hinaus wächst und sich immer mehr zutraut und dadurch an Selbstbewusstsein gewinnt. Michele ist als Sohn eines Adligen geboren und liebt die Arbeit auf dem Familienweingut. Doch als zweiter Sohn wird er dies nicht erben, obwohl er sich mit seinem älteren Bruder wunderbar versteht. Sein Vater ist ein harter Mann, der seinen Weg für ihn vorbestimmt hat. Erst wird er zum Jurastudium geschickt, um dann in der Armee zu landen. Doch beides ist nichts für Michele, so dass er sich auf einen gefährlichen Pfad begibt. Michele ist ein sympathischer Mann, der sich um andere sorgt und kümmert. Dabei ist er sich auch immer der Gefahr bewusst. Aber er lässt niemanden im Stich. Auch die anderen Protagonisten wie der Seemann in Genua oder der Priester, der den beiden zur Flucht verhilft, tragen zu dieser runden und schönen Geschichte bei.
„Tochter der Toskana“ ist ein rundum gelungener historischer Roman über die Liebe, Träume und Überzeugungen. Das Buch besticht nicht nur durch einen wunderschönen Erzählstil, sondern lässt den Leser hautnah am Geschehen teilhaben. Wunderbare Lesestunden garantiert, die eine absolute Leseempfehlung mehr als verdienen!

Veröffentlicht am 03.02.2018

Neustart auf dem Land

Küstenträume
0

Judith ist alleinerziehende Mutter der 8-jährigen Anna und hat gerade Hals über Kopf ihren Job in einem Biomarkt gekündigt. Sie muss bald aus ihrer Wohnung raus, eine neue ist noch nicht in Sicht und in ...

Judith ist alleinerziehende Mutter der 8-jährigen Anna und hat gerade Hals über Kopf ihren Job in einem Biomarkt gekündigt. Sie muss bald aus ihrer Wohnung raus, eine neue ist noch nicht in Sicht und in der Kasse herrscht auch Ebbe. Das Verhältnis zu ihren Eltern ist mehr als angespannt, denn seit sie ihr Apothekerstudium abgebrochen hat, herrscht Eiszeit, weil sie die Erwartungen nicht erfüllte. Da erreicht sie der Brief einer Anwaltskanzlei, in dem ihr mitgeteilt wird, dass ihr geliebter Onkel Henry gestorben ist und sie zur Testamentseröffnung gebeten wird. Gleichzeitig erfährt die Juristin Tanja Merker, dass nicht sie, sondern ihr Freund und Lebensgefährte Oliver den heißbegehrten Vorstandsjob bei einer Versicherung bekommen hat. Sie kündigt ihre Stelle, zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und mietet sich kurzerhand in einem Sylter Hotel ein, um ihre Wunden zu lecken. Über Umwege gelangt auch an sie die Einladung, zur Testamentseröffnung zu erscheinen, denn Onkel Henry ist ihr leiblicher Vater, auch wenn sie ihn nie kennengelernt hat. Bei der Verlesung des letzten Willens lernen sich Tanja und Judith kennen und haben gleich einen Draht zueinander. Zu gleichen Teilen erben sie Henrys alten Hof in Bördiek, den sie sich zusammen mit Anna erst einmal ansehen wollen. Das heruntergekommene Haus weckt schöne Erinnerungen in Judith, während Tanja am liebsten gleich wieder kehrt machen möchte. Doch dann kommt doch alles ganz anders, woran auch die lieben Nachbarn nicht ganz unschuldig sind…
Marlies Folkens hat mit ihrem Buch „Küstenträume“ einen gefühlvollen und unterhaltsamen Roman vorgelegt, der den Leser auf eine wunderschöne Reise an die Nordsee entführt und mit detailreichen Bildern und liebevollen Charakteren besticht. Der Schreibstil ist locker und flüssig, schnell ist der Leser an der Seite der beiden Frauen und darf als unsichtbarer Beobachter an ihren Gedanken, Gefühlen und neuen Abenteuern teilhaben. Die bildreichen Landschaftsbeschreibungen geben schnell das Gefühl, vor Ort zu sein und alles mit eigenen Augen zu sehen. Die typischen Probleme auf dem Land werden ebenso thematisiert wie der Zusammenhalt der Menschen in einer kleinen Ortschaft. Auch die „sprechende Tageszeitung“, die den Dorfklatsch von einem Haus zum anderen trägt und dabei ein großes Herz hat, findet hier ihren Platz. Dazu kommen noch jede Menge Tiere und auch die Mannsbilder sind ein Thema in dieser warmherzigen Geschichte.
Die Charaktere sind alle individuell ausgearbeitet und gemäß ihren Eigenschaften platziert worden. Sie wirken sehr real und authentisch, man hat als Leser das Gefühl, selbst ein Teil dieser kleinen Dorfgemeinschaft zu sein und alle persönlich zu kennen. Judith ist eine sehr sympathische und eher zurückhaltende Frau, die nicht mehr an das große Glück glaubt und eher einen Rückzieher macht bzw. Dinge erst gar nicht angeht, weil sie doch schief gehen könnten. Ihr Selbstvertrauen ist nicht sehr groß bedingt durch die ablehnende und kühle Haltung ihres Elternhauses. Tochter Anna ist zwar erst 8 Jahre alt, aber viel selbstbewusster. Sie geht auf die Menschen zu, sagt, was sie denkt und was sie will. Dabei kann sie auch sehr stur sein. Bei ihrer Mutter allerdings weiß sie genau, welche Knöpfe sie drücken muss, um ihren Willen zu bekommen. Anna kann durch ihre Art manchmal auch ganz schön nerven, aber sie hat ein gutes Herz und setzt sich für die ein, die Hilfe benötigen. Tanja ist die toughe Karrierefrau, die sich kaum vorstellen kann, auf dem Land zu leben, sie könnte ja etwas verpassen, das Leben könnte an ihr vorbei ziehen. Dabei hat sie sich selbst ein Hamsterrad geschaffen, jagt dem Erfolg hinterher und bleibt mit ihren eigenen Wünschen selbst auf der Strecke. Tanja ist selbstbewusst und sportlich, aber insgeheim immer auf der Flucht. Sie sehnt sich insgeheim nach Beständigkeit und mehr Ruhe im Leben. Auch die Dorfbewohner wie Annegret, Christoph, Jürgen oder auch die alte Frau Köhler geben der Handlung mit ihren eigenen kleinen Episoden und Schicksalen der Handlung einen liebevollen Rahmen und tragen zum Wohlfühlcharakter der Geschichte bei.
„Küstenträume“ ist ein wunderschöner Roman über Träume, Lebenswünsche und Zufriedenheit, über Hoffnungen, Liebe und Zusammenhalt. Absolute Leseempfehlung für ein Buch, das das Herz öffnet und die Wärme reinlässt! Einfach nur wunderschön!

Veröffentlicht am 28.01.2018

Das Band zwischen Schwestern

All die Jahre
0

1957. Die 21-jährige Nora Flynn macht sich mit ihrer jüngeren Schwester Theresa von Irland auf den Weg nach Amerika, wo ihr Verlobter Charlie sie in Boston schon erwartet und die beiden heiraten sollen. ...

1957. Die 21-jährige Nora Flynn macht sich mit ihrer jüngeren Schwester Theresa von Irland auf den Weg nach Amerika, wo ihr Verlobter Charlie sie in Boston schon erwartet und die beiden heiraten sollen. Obwohl Nora nicht begeistert ist, in die USA zu reisen, tut sie dies ihrer Schwester zuliebe, denn Theresa soll dort eine Ausbildung zur Lehrerin machen und nicht in einer Fabrik in Irland versauern. Als Theresa sich in den verheirateten Walter verliebt und auch noch schwanger wird, dieser aber nicht zu ihr steht, ist es Nora, die eine Entscheidung für sie beide trifft und damit die Entzweiung der Schwestern auslöst, die 50 Jahre dauern wird. Als 2009 Noras ältester Sohn Patrick bei einem Autounfall stirbt, sucht sie den Kontakt zu ihrer Schwester Theresa. Was ist zwischen den Schwestern passiert, dass sie so lange nichts miteinander zu tun haben wollten?
J. Courtney Sullivan hat mit ihrem Buch „All die Jahre“ einen sehr interessanten und fesselnden Familienroman vorgelegt, der historische Züge aufweist. Der Schreibstil ist flüssig und eindringlich, dabei unaufgeregt und mit einem kleinen Augenzwinkern, wobei auch eine gewisse Tiefgründigkeit zu erkennen ist. Die Geschichte wird in zwei wechselnden Handlungssträngen erzählt, einer befasst sich mit den Ereignissen der Vergangenheit der beiden Schwestern, der andere berichtet über die Gegenwart der Frauen und wie es ihnen ergangen ist. Die Autorin versteht es geschickt, die beiden Zeitepochen miteinander zu verflechten und dem Leser so einen Rundumblick über die Situation der beiden Schwestern zu vermitteln. Der Spannungsbogen wird durch die einzelnen Charaktere und deren Geheimnisse aufgebaut und stetig gesteigert. Gleichzeitig lässt die Autorin viele Themen und Ansichten in ihre Handlung miteinfließen, die zum einen die vergangene Zeit geprägt haben und die sich gerade in Familien zum Großteil durch die Erziehung immer wieder wiederholen. Da geht es um Einwanderung und Heimatgefühle, das Frauenbild in Irland zur damaligen Zeit, Kindererziehung und Generationenkonflikt sowie um Dinge, die innerhalb der Familie im Verborgenen bleiben müssen. Gerade dieser Mix lässt die Geschichte zum einen kurzweilig wirken, aber sie stimmt auch sehr nachdenklich.
Die Charaktere sind sehr unterschiedlich angelegt und bestechen durch ihre individuellen Eigenschaften. Sie wirken authentisch und lebendig. Nora ist eine eher schüchterne und zurückhaltende Frau, die sich ihrer Verantwortung voll bewusst ist. Schon früh musste sie sich nach dem Tod der Mutter um die jüngeren Geschwister kümmern. Die Hochzeit mit einem Mann, dem sie keine Gefühle entgegenbringt, zieht sie durch, weil es von ihr erwartet wird. Um ihre Schwester vor Diffamierung zu schützen, trifft sie eine Entscheidung, die dann allerdings zum Bruch führt. Als alte Frau wirkt Nora nachdenklich und in sich gekehrt, sie resümiert ihr Leben und wird sich dabei bewusst, wie sehr einige Entscheidungen das Leben von vielen anderen geprägt und gelenkt haben. Theresa war als junge Frau aufgeschlossen, lebensbejahend und abenteuerlustig. Sie freute sich auf ein neues aufregendes Leben in einem fremden Land und auf eine Ausbildung. Doch dann stürzt sie aufgrund von falschen Entscheidungen ab und landet unsanft auf dem Boden der Tatsachen. Sie wird Nonne und lebt fernab vom normalen Leben in einem Kloster, als wollte sie sich abschirmen und nie mehr an der Oberfläche auftauchen. Gleichzeitig wirkt es, als wolle sie, die immer so fröhlich und neugierig auf das Leben war, sich selbst bestrafen. Die weiteren auftretenden Protagonisten geben mit ihren eigenen Geheimnissen und ihrer Sicht auf die Dinge der Handlung weitere Spannung.
„All die Jahre“ ist ein wirklich gelungener Familienroman, der historische Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpft und mit vielen Geheimnissen gespickt ist, die es nach und nach zu ergründen gilt. Das offene Ende des Romans überlässt es dem Leser, sich sein eigenes Ende zu spinnen. Absolute Leseempfehlung für alle, die schön geschriebene Familiengeschichten lieben!!!