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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.02.2018

Reise ohne Ankunft

Der Reisende
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1942 torpediert ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff, auf dem sich der 27-jährige Ulrich Alexander Boschwitz befindet. Boschwitz wird dabei getötet. Am Körper trägt er sein zuletzt verfasstes ...


1942 torpediert ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff, auf dem sich der 27-jährige Ulrich Alexander Boschwitz befindet. Boschwitz wird dabei getötet. Am Körper trägt er sein zuletzt verfasstes Manuskript. Der Herausgeber Peter Graf beschreibt in seinem bewegenden Nachwort, wie das unbearbeitete Typoskript „Der Reisende“ als eines der frühesten literarischen Dokumente der deutschen Gräuelzeit zu ihm fand, ein Manuskript, in dem der junge Boschwitz in nur 4-wöchiger Niederschrift Teile seiner eigenen Familiengeschichte eingearbeitet hatte als Versuch, gegen die Ohnmacht anzuschreiben.

Hilflos muss der jüdische Kaufmann Otto Silbermann zusehen, wie sein bisher durchaus behagliches Leben innerhalb von Minuten aus den Angeln gehoben wird. Die Novemberprogrome zwingen ihn, von jetzt auf gleich aus seiner Wohnung, aus seinem gewohnten Leben zu fliehen und nicht nur seine arische Frau, sondern auch alle Insignien des Wohlstands zurückzulassen. Ein letztes Geschäft mit seinem windigen Geschäftspartner, einem Spieler, bringt ihm eine Aktentasche voll Geld. Doch wo soll er nun hin, mit seiner Aktentasche? Bleiben, egal wo, ist für Silbermann nicht mehr möglich. Unterwegs muss er sein, immer unterwegs. Und so fährt er in Zügen kreuz und quer durch Deutschland, seine Pläne immer wieder verwerfend und die Reiserichtung wieder und wieder ändernd. Seine von uneingestandener Angst getriebene Ruhelosigkeit führt zu absurden Handlungen. Phantasien, Kindheitserinnerungen, Mutmaßungen durchsetzen sein Denken. Es ist ein Herumdenken an Unwesentlichem, das seine ratlosen Zögerlichkeiten unterstreicht. Er begegnet Menschen aller Ausprägung in diesen Zügen, er beobachtet sie, führt merkwürdige Gespräche, bildet sich eigenwillige Urteile und hat doch letztlich nur eines im Sinn: sich selbst und seine Flucht nach nirgendwo.

Unfassbar, dass der Autor zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Buches erst 23 Jahre alt war. Das Buch ist ein reifes, ein eindringliches Zeitdokument. In größter Intensität wird anhand der nicht endenden Reise des Otto Silbermann ein Karussell der Ausweglosigkeit geschildert, ein Zustand von Ratlosigkeit, ja Fassungslosigkeit, von Misstrauen und angstvoller Planlosigkeit, von uneingestandenem Entsetzen. Die Eindringlichkeit, in der der Autor schlicht-beobachtend, geradezu nüchtern erzählt, lässt den Leser bis ins Tiefste erschauern und so eine Ahnung bekommen von einer Zeit, in der das immanent Böse im Menschen offen zutage trat.

Veröffentlicht am 02.02.2018

Spannend-fröhlich erzählt

Das Ravioli-Chaos oder Wie ich plötzlich Held wurde
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Lenni und sein Freund Walze wollen unbedingt Karriere beim BKA machen und schreiben einen Bewerbungsbrief. Schließlich haben sie bereits einige Erfahrungen vorzuweisen, z. B. als Personenschützer für Nela, ...

Lenni und sein Freund Walze wollen unbedingt Karriere beim BKA machen und schreiben einen Bewerbungsbrief. Schließlich haben sie bereits einige Erfahrungen vorzuweisen, z. B. als Personenschützer für Nela, die Schwester von Lenni, die in einer Soap mitspielt und sich deshalb als Star fühlt. Doch dann passiert es: Lenni hütet für kurze Zeit den Kiosk und sieht sich plötzlich einem Strumpfmaskentäter gegenüber, der Geld fordert. Ein einstürzender Turm von Ravioli-Dosen schlägt den Dieb in die Flucht und Lenni wird als Held gefeiert, aber…
Das Buch hat mich restlos begeistert.
Es ist fröhlich und geistreich erzählt, mit viel Wortwitz versehen und vor allen Dingen durchgängig spannend zu lesen. Auch ernst zu nehmende Themen fehlen nicht, wie z. B. Beschimpfungen über Social Media. Wie gut, dass bei Lenni letztlich die Erkenntnis siegt, dass Berühmt-Sein gar nicht so toll ist und dass es viel wichtiger ist, ehrlich zu sein. Und gute Freunde zu haben natürlich.
Fazit: Ein rundum empfehlenswertes, lustiges und spannendes Buch für das zweite Lesealter.

Veröffentlicht am 01.02.2018

Zauberhaft

Lara und die freche Elfe tanzen Ballett
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Der Leserabe für die 1. Lesestufe aus dem Ravensburger Verlag ist perfekt gestaltet, um Erstleser für die Welt der Bücher „einzufangen“. Einfache, kurze Textabschnitte, eine extra große Schrift, im Anhang ...


Der Leserabe für die 1. Lesestufe aus dem Ravensburger Verlag ist perfekt gestaltet, um Erstleser für die Welt der Bücher „einzufangen“. Einfache, kurze Textabschnitte, eine extra große Schrift, im Anhang dann noch Rätsel und Sticker zum Einkleben – das alles ist geeignet, das Lesen-Lernen spielerisch zu versüßen.

In dieser Reihe ist der vorliegende Titel „Lara und die freche Elfe tanzen Ballett“ ein besonders gut gelungenes Buch vorrangig für Mädchen. Lara ist eine kleine Ballett-Tänzerin und übt auf dem Dachboden vor dem verstaubten Spiegel. Fritzi, die kleine Elfe, kommt dazu und die beiden bringen mit viel Spaß den Dachboden ganz schön durcheinander…

Anja Kiel erzählt kindgerecht in einfachen Sätzen. Besonders gut gefällt mir persönlich, wie die Autorin mit kleinen Mehrdeutigkeiten Wortspielereien betreibt und damit noch einmal mehr die Fröhlichkeit des gesamten Buches unterstreicht. Die liebevollen Zeichnungen von Elke Broska, auf denen viele Details zu entdecken sind, werten auf gekonnte Weise die kleine Geschichte auf. Von den farbenfrohen Illustrationen geht eine kindliche Unbeschwertheit aus, ganz und gar passend zum erzählten Text. Ein zauberhaft schönes, rundum gelungenes Buch!

Veröffentlicht am 26.01.2018

Packender Reihenauftakt

Schlüssel 17
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Der Domorganist Winkler betritt den Berliner Dom und findet die Pfarrerin hoch in der Kuppel aufgehängt wie ein Engel, den Körper böse entstellt, um den Hals einen Schlüssel mit der Nr. 17 eingraviert. ...


Der Domorganist Winkler betritt den Berliner Dom und findet die Pfarrerin hoch in der Kuppel aufgehängt wie ein Engel, den Körper böse entstellt, um den Hals einen Schlüssel mit der Nr. 17 eingraviert. Der LKA-Ermittler Tom Babylon vertieft sich in den Fall mehr als ihm guttut, denn vor 20 Jahren Jahren verschwand seine kleine Schwester Viola, die genau solch einen Schlüssel mit der Zahl 17 bei sich hatte. Tom ist nicht begeistert, dass er die Psychologin Sita Johanns an die Seite bekommt, die seine gewohnten Alleingänge immer wieder zu unterbinden weiß. Mögliche Spuren führen in die Psychiatrie, aber auch zurück in die ehemalige DDR bzw. zur Stasi…

Erzählt wird in zwei Handlungssträngen, in Vergangenheit (1998) und Gegenwart (2017). Diese beiden Zeitebenen verweben sich, je weiter man liest, immer mehr, sie verknoten sich geradezu, verschaffen dem Leser keine Klarheit, im Gegenteil, sie führen zu mehr und mehr Verwirrung. Bis zum temporeichen Ende geht man dem Autor in seinem raffinierten Plot auf den Leim bei der Frage, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Tom Babylon ist ein sympathischer Ermittler mit schmerzhafter Vergangenheit, idealer Gegenpart zu Dr. Sita Johanns, der Psychologin ebenfalls mit schmerzhafter Vergangenheit. Man spürt, dass die beiden Personen noch viel Erzählpotential in sich tragen…

Das Buch ist durchgängig spannend, geradezu packend erzählt, in einem knackigen Sprachstil, dadurch flott zu lesen. Personen und Geschehnisse sind lebendig und nachvollziehbar geschildet, die Handlung äußerst geschickt konstruiert und durch die zwei Zeitebenen doppelt fesselnd. Glücklicherweise lässt das Ende dieses Buches auf ein Wiederlesen mit Tom und Sita hoffen.

Veröffentlicht am 21.01.2018

Ein historischer Roman in Perfektion

Die Schwester des Tänzers
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Wenig Ahnung hatte ich von klassischem Ballett. Ich wusste auch nicht viel über die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland, schon gar nicht über das Leben der Künstler dort zu dieser Zeit. Nach ...


Wenig Ahnung hatte ich von klassischem Ballett. Ich wusste auch nicht viel über die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland, schon gar nicht über das Leben der Künstler dort zu dieser Zeit. Nach Lektüre des Romans glaube ich, ein klein wenig mehr zu verstehen von Ballett und freiem Tanz, aber auch vom ballettverrückten Russland in seinem politischen Hin- und Hergeworfen-Sein Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Buch regte mich zu weiteren Nachforschungen an, insbesondere die vorhandenen Filmsequenzen des Nijinski-Balletts, die filmischen Dokumente von Waslaw und Bronislawa Nijinky, zeigten mir, wie perfekt es Eva Stachniak gelungen ist, das Ringen um künstlerischen Ausdruck im Roman erfahrbar zu machen.

Für die Wiedergabe des Buchinhalts benötigt man eigentlich mehrere Seiten, ich versuche es mit einem einzigen Satz: Während der Überfahrt nach Amerika im Jahr 1939 hält die international renommierte Ballerina und Choreographin Bronislawa Nijinsky Rückschau auf ihr bisheriges sehr bewegtes Leben.

Wir erleben die Kindheit und Jugend der Bronislawa Nijinsky im Schoß ihrer ballettverrückten Familie, ihren mühevollen künstlerischen Werdegang, lange im Schatten ihres berühmten und exzentrischen Bruders Waslaw stehend. Wir erfahren vom hohen künstlerischen Anspruch, vom Ringen um die „richtigen“ Bewegungen, vom Wandel vom klassisch strengen Ballett hin zum freien Ausdruckstanz. Wir erleben die politisch wechselvollen Zeiten von 1900 bis 1939, nicht nur in Russland, und die teils verheerenden Auswirkungen auf das künstlerische Schaffen. Wir reisen von Petersburg ausgehend durch die Welt, wir begegnen großen Künstlern der Zeit und erleben hautnah das verzweifelte Kämpfen um ein gelingendes Leben trotz vieler schwerer Schicksalsschläge. Bronislawa Nijinsky lernen wir kennen als schicksalsergeben, liebevoll und bescheiden einerseits, als begnadete Künstlerin mit großen Visionen, stark und eigenwillig andererseits.

Eva Stachniak hat als Grundlage für diesen Roman die Early Memories der Tänzerin und eine Fülle an biographischem Material, archiviert in der Kongressbibliothek, Washington, herangezogen. Entstanden ist ein Roman, wie er intensiver, farbiger und bewegender gar nicht sein könnte. Zwar bleibt die Ich-Erzählerin Bronislawa als Mensch nicht wirklich greifbar, nur selten schimmern ihre eigenen Gefühle durch. Aber genau dadurch erleben wir quasi durch ihre Augen unverfälscht ihre Sicht auf die Welt, ihr reiches, gefeiertes, aber auch tragisches, entbehrungsreiches Leben in einer höchst wechselvollen Zeitgeschichte, hinreißend erzählt. Ein historischer Roman in einer großartigen Mischung aus historischer Wahrheit und schriftstellerischer Fantasie.