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Veröffentlicht am 17.02.2018

Blick ins Männerherz

Die Herzen der Männer
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1962 Pfadfindercamp Chippewa/Wisconsin. Der 13-jährige Nelson Doughty ist ein ehrgeiziger und strebsamer Junge, der aufgrund seiner Intelligenz ein Außenseiter ohne Freunde allein in einem Zelt wohnt. ...

1962 Pfadfindercamp Chippewa/Wisconsin. Der 13-jährige Nelson Doughty ist ein ehrgeiziger und strebsamer Junge, der aufgrund seiner Intelligenz ein Außenseiter ohne Freunde allein in einem Zelt wohnt. Als Pfadfinder sammelt er recht erfolgreich Abzeichen, was ihm den Neid und die Verachtung seiner Altersgenossen einträgt. Auch für seinen Vater, der als Begleitung mit im Lager ist, ist Nelsen eine einzige Enttäuschung, so dass dieser seinem Sohn etwas mehr Aufgeschlossenheit einprügeln will¸ anstatt ihm Liebe und Verständnis entgegen zu bringen. Einzig Jonathan Quick ist Nelson in dieser Zeit so etwas wie ein Freund, der sich seiner annimmt. Die beiden bleiben all die Jahre in Kontakt. Nach 34 Jahren leitet 1996 nun Nelsen das Pfadfinderlager, nachdem er im Vietnamkrieg gedient hat und betreut unter anderem Jonathans Sohn Trevor. Während dieses Sommers lernt Trevor seinen Vater von einer ganz neuen und nicht gerade positiven Seite kennen, denn dieser verlässt seine Frau für eine Geliebte und lässt Trevor zudem an einer dauerhaften Liebe zweifeln. Im Jahr 2019 schließlich begleitet Trevors Ehefrau Rachel Sohn Thomas ins Pfadfinderlager, wo Nelsen seinen letzten Sommer vor dem Ruhestand verbringt. Dass Rachel die einzige Frau in dem Lager ist, bringt einige Probleme mit sich, die dann schnell ausufern…
Nickolas Butler hat mit seinem Buch „Die Herzen der Männer“ einen sehr fesselnden, gefühlvollen und teils sogar poetischen Roman vorgelegt, der sich hauptsächlich mit Männern beschäftigt und mit den Themen Familie, Väter, Freundschaft und Disziplin beschäftigt sowie mit dem Zusammenleben in einem sommerlichen Pfadfinderlager. Butler weiß zu berühren und gleichzeitig auch Entsetzen und Abscheu hervorzurufen aufgrund seiner schonungslos offenen Erzählweise. Die Handlung ist in drei verschiedene Jahresabschnitte unterteilt, der letzte reicht sogar bis in die nicht mehr weite Zukunft ins Jahr 2021. Nelsen Doughty ist dabei in jedem einzelnen Abschnitt vertreten, erst als Hauptprotagonist, dann eher als Nebenrolle, doch Butler schafft damit eine direkte Verbindung zu den einzelnen Jahresabschnitten, die immer eine weitere Generation von Männern im Pfadfinderlager vereint. Besonders interessant ist Butlers Können, die jeweilige Zeitzone hautnah zu treffen. So hält er sich an die entsprechenden Eigenheiten der 60er Jahre, lässt die späten 90er wiederauferstehen und lässt sogar einen Blick in die Zukunft zu. Dreh- und Angelpunkt ist dabei immer wieder das Pfadfinderlager, eine typisch-amerikanische Besonderheit, die dort regelrecht zelebriert wird.
Die Charaktere sind meisterlich ausgestaltet und mit Leben versehen worden. Aufgrund ihrer Individualität wirken sie sehr authentisch und real. Nelsen ist zu Beginn ein einsamer kleiner Junge, der die Liebe und Aufmerksamkeit seines Vaters damit erhalten möchte, in dem er besser und klüger ist als alle anderen. Leider macht ihn das zu einem Außenseiter, der zum Dank Prügel bezieht und von allen geschnitten wird. Im Verlauf der Geschichte nimmt der Leser an Nelsons Leben teil, sieht ihn älter werden und einiges Schicksalsschläge durchlaufen einschließlich seiner Zeit in Vietnam. Doch immer behält Nelsen die Tugenden Gerechtigkeitssinn, Ordnung und Disziplin bei, versucht dieses auch den Kindern im Camp immer wieder zu vermitteln. Aber je weiter die Zeit voranschreitet, umso mehr verschieben sich die Prioritäten der einzelnen Generationen. Jonathan ist zuerst ein charismatischer offener und netter Junge, der sich im Laufe der Jahre dann zu einem Zyniker entwickelt, der schonungslos seinem eigenen Sohn Illusionen raubt. Protagonisten wie Wilbur Whiteside, Clete Doughty oder Trevor Quick bereichern die Handlung ebenfalls mit ihren ganz eigenen Geschichten und Erfahrungen.
„Die Herzen der Männer“ ist ein sehr tiefgründiger und einfühlsamer Roman, der das Verhalten der Männer über Generationen beobachtet und verdeutlicht, dass einige ihre eigenen Fehler weitergeben, während andere aus Erfahrungen gelernt haben und es besser machen. Butler lässt einen Blick durchs Schlüsselloch zu, um vielleicht ein besseres Verständnis für Männer zu wecken. Ihm ist ein wunderbarer Roman gelungen, der eine absolute Leseempfehlung in jeder Beziehung verdient.

Veröffentlicht am 11.02.2018

Erstes Kennenlernen mit Frederike und Fennhusen

Das Fest der kleinen Wunder
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1925 Vorweihnachtszeit in Ostpreußen. Die 16-jährige Frederike lebt gemeinsam mit ihren Geschwistern und ihren Eltern auf Gut Fennhusen. Die Mutter ist in dritter Ehe mit Erik verheiratet und zog mit ihren ...

1925 Vorweihnachtszeit in Ostpreußen. Die 16-jährige Frederike lebt gemeinsam mit ihren Geschwistern und ihren Eltern auf Gut Fennhusen. Die Mutter ist in dritter Ehe mit Erik verheiratet und zog mit ihren ältesten drei Kindern von Potsdam auf das Gut in Ostpreußen. Frederike hat nur noch ein Jahr, bevor sie das Gut für eine weiterbildende Handelsschule für höhere Töchter verlassen wird. Sie liebt Pferde und nutzt jede Gelegenheit, mit ihrem eigenen Pony über die Felder und durch die Wälder zu reiten. Zu Caramell, der Stute ihrer Mutter, hat Frederike eine besondere Liebe entwickelt. Doch diese wurde lange Zeit nicht geritten und benimmt sich störrisch und unberechenbar. Es steht zur Diskussion, das Pferd zu verkaufen, aber Frederike unternimmt alles, damit es nicht dazu kommt, ist Caramell doch die letzte Verbindung zu ihrem bereits verstorbenen leiblichen Vater. Leider wirbt der Nachbar von Gut Fennhusen hartnäckig um das Pferd und so muss Frederike schon einiges einfallen, damit der Verkauf verhindert wird. Wird es ihr gelingen, ihren Stiefvater zu überzeugen oder findet das nahende Weihnachtsfest ohne Caramell statt?
Ulrike Renk hat mit ihrem kleinen Büchlein „Das Fest der kleinen Wunder“ die Vorgeschichte ihrer „Ostpreußensaga“ vorgelegt. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig und bildhaft, der Leser nimmt von der ersten Seite an direkt Teil an einem Leben in vergangener Zeit auf einen alten Gutshof, der seit Generationen in Familienbesitz ist. Hautnah erlebt man das Zusammenleben von Herrschaft und Bediensteten mit, die alle hart arbeiten, aber auch gemeinsam feiern. Der Alltag wird so lebhaft und bildgewaltig beschrieben, dass der Leser das Gefühl hat, hautnah dabei zu sein und alles mit eigenen Augen zu beobachten. Der Autorin gelingt es geschickt, den Leser mit auf die Jagd zu nehmen oder die Herstellung von Pfefferkuchen in der Gutsherrenküche gedanklich mitzuerleben. Überhaupt spiegelt die Küche den Mittelpunkt des Hauses wieder, wo sich die Kinder oft aufhalten und stibitzen, wo die Köchin mit ihrer Entourage für das leibliche Wohl der Gutsherrschaften und sämtlichen Bediensteten sorgt, womit ihr eine Schlüsselrolle zukommt.
Die Charaktere sind sehr liebevoll und lebendig gestaltet, jeder von ihnen besitzt besondere Eigenheiten, die sie sehr authentisch und realitätsnah wirken lassen. Frederike ist ein liebes und aufgeschlossenes Mädchen an der Stufe zur jungen Frau. Sie ist ihrer Familie sehr verbunden, fühlt sich geborgen und wohl auf dem Gut. Ihre Leidenschaft für Pferde kann sie hier ausleben. Für ihre jüngeren Geschwister ist sie ein gutes Vorbild. Frederike setzt sich für sie ein und deckt auch so manchen Streich, der schief geht. Eigentlich hat sie genügend Menschen um sich herum, dennoch vermisst sie ihre Freundin Thea, die in Berlin lebt und nur zu besonderen Anlässen zu Gast auf dem Gutshof ist. Aber sind die beiden Mädels einmal zusammen, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Fritz, Frederikes jüngerer Bruder, hat nur Flausen im Kopf. Er interessiert sich für alles Technische und setzt sich gern und oft über Verbote hinweg, was oftmals leider gründlich schief geht. Köchin Schneider ist die Seele des Hauses und verwöhnt die Kinder gern und oft mit Leckereien. Sie trägt das Herz auf der Zunge und lebt schon seit Ewigkeiten auf dem Gut. Auch die übrigen Protagonisten tragen zum Wohlfühlfaktor dieser Geschichte bei, in der man alle Charaktere schon einmal kennenlernen kann, bevor man sich an die bereits veröffentlichten Bände der „Ostpreußen-Saga“ wagt.
„Das Fest der kleinen Wunder“ ist eine sehr schöne Einstimmung auf die Bücher „Das Lied der Störche“, „Die Jahre der Schwalben“ und „Die Zeit der Kraniche“, welches erst noch erscheinen wird. Alle, die die Saga gern lesen möchten, sollten sich dieses Buch nicht entgehen lassen, da der Einstieg in die Bücher hierdurch wunderbar erleichtert wird. Eine wirklich schöne Geschichte, die ruhig noch länger hätte sein können. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 10.02.2018

Der Traum vom Fliegen

Fräulein Hedy träumt vom Fliegen
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Die im Münsterland lebende Hedy von Pyritz ist 88 Jahre alt, aber noch lange nicht klapprig, verknöchert oder senil, sondern weiterhin neugierig auf die Welt und bereit für jedes Abenteuer, auch wenn sie ...

Die im Münsterland lebende Hedy von Pyritz ist 88 Jahre alt, aber noch lange nicht klapprig, verknöchert oder senil, sondern weiterhin neugierig auf die Welt und bereit für jedes Abenteuer, auch wenn sie in einem Rollstuhl sitzt. Deshalb schaltet sie auch eine Anzeige, in der sie einen Begleiter für den Besuch eines Nacktbadestrands sucht, was nicht nur in der Stiftung für Unruhe sorgt, deren Vorsitz sie innehält. Da die eingehenden Antworten auf ihre Suche nicht dem entsprechen, was sie sucht, hat Hedy sich kurzerhand ihren recht zurückhaltenden jungen Physiotherapeuten Jan auserkoren, sie zu diesem Strand zu fahren. Doch Jan hat ersten keinen Führerschein, noch kann er gut lesen aufgrund einer Schreibschwäche. Aber Hedy ist das völlig egal, sie ist schon viel zu lange auf der Welt, um sich Steine in den Weg legen zu lassen. Sie kürt Jan zum besonderen Stipendiaten ihrer eigenen Stiftung und lässt ihm jegliche Unterstützung zukommen, damit er sein Manko ausgleichen kann. Dabei lernen beide viel voneinander…
Andreas Izquierdo hat mit seinem Buch „Fräulein Hedy träumt vom Fliegen“ einen wunderschönen, gefühlvollen und unterhaltsamen Roman vorgelegt, den der Leser – einmal begonnen – kaum aus der Hand legen kann. Der Schreibstil ist flüssig, warmherzig und so lebendig mit einem kleinen Augenzwinkern, er zieht den Leser regelrecht in die Handlung hinein und lässt diesen nicht mehr los, bis die letzten Zeilen gelesen sind. Durch die recht schräge Handlung, die skurrilen Protagonisten und die immer wiederkehrenden Ausflüge in Hedys Vergangenheit bleibt die Geschichte lebendig und lässt während der Lektüre ein wahres Kopfkino entstehen. Gleichzeitig kann der Leser beobachten, wie sich nicht nur durch das Alter, sondern auch vom Lebensstil her völlig verschiedene Charaktere immer mehr öffnen und in eine enge Beziehung miteinander eintreten, aus dem jeder von ihnen Erfahrungen zieht und sich persönlich weiterentwickelt. Gerade diese Beobachtungen gehen dem Leser ans Herz und machen die Geschichte so besonders. Das Thema „Fliegen“ hat in diesem Roman mit Sicherheit nicht nur eine Bedeutung!
Die Protagonisten sind so liebevoll ausgestaltet und mit Persönlichkeit versehen worden, der Leser kann gar nicht anders, als mit ihnen zu leiden, zu jubeln, zu weinen und den Atem anzuhalten. Sie wirken so echt und aus dem Leben gegriffen, dass man ständig das Gefühl hat, einen von ihnen zu kennen. Hedy ist eine außergewöhnliche und nicht zu ignorierende Person. Sie besitzt ein gesundes Selbstbewusstsein, wirkt oftmals recht autoritär und ist sehr diszipliniert. Hedy sagt, was sie denkt und oftmals beharrt sie fest auf ihrem Standpunkt, bis man ihr beweist, dass er falsch ist. Sie ist eine starke Frau, die manch einem wohl auch Angst einflößen könnte, wenn man nicht wüsste, dass sie unter ihrer rauen Schale ein großes Herz besitzt. Jan ist ein eher schüchterner und introvertierter junger Mann, der nicht nur unter seiner Lese- und Schreibschwäche leidet, sondern auch unter seinem älteren Bruder Nick, zu dem er immer aufgeschaut hat und der selbst doch nur immer wieder in Schwierigkeiten gerät. Mutig ist nicht gerade das Attribut, was man bei Jan denken würde, doch so nach und nach kann man als Leser nur staunen, wie er durch die Freundschaft zu Hedy immer mehr aus sich herauswächst und zu Entscheidungen fähig ist, die man zu Beginn nicht für möglich gehalten hätte. Auch die anderen Protagonisten wie Hedys Tochter Hannah, Nick oder auch die Haushälterin Maria haben einen festen Platz in der Geschichte und geben ihr zusätzliche Impulse.
„Fräulein Hedy träumt vom Fliegen“ ist kein modernes Märchen, sondern eine Geschichte, die durch ihre besondere Erzählweise mitten ins Herz des Lesers geht. Es geht um Träume, um Verlust, um Schicksale und löst beim Leser eine regelrechte Achterbahn der Gefühle aus. Ein außergewöhnliches Buch, das man so schnell nicht mehr vergisst und bestimmt immer wieder zur Hand nimmt. Absolute Leseempfehlung für einen Roman, der von der ersten bis zur letzten Zeile fesselt. Hier wurde wirklich alles richtig gemacht- Chapeau für ein Kleinod!!!

Veröffentlicht am 10.02.2018

"Das Leben ist bunter als eine Rolle Haribo"

Die Königin von Lankwitz
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Die Mittfünfzigerin Irene wird nach acht Jahren für das absichtliche Überfahren eines Mannes endlich aus dem Berliner Gefängnis entlassen, wo sie direkt bei ihrer Freundin Bea in die kleine Einzimmerwohnung ...

Die Mittfünfzigerin Irene wird nach acht Jahren für das absichtliche Überfahren eines Mannes endlich aus dem Berliner Gefängnis entlassen, wo sie direkt bei ihrer Freundin Bea in die kleine Einzimmerwohnung einzieht. Bea durfte die staatliche Anstalt schon eher verlassen und konnte sich so schon etwas den Dingen außerhalb der Mauern anfreunden und sich auf ein normales Leben einlassen. Dennoch ist es schwer für Ex-Sträflinge, einer angesehenen Tätigkeit nachzugehen, somit müssen sich die beiden Frauen überlegen, wie sie nun ihr Leben finanzieren sollen. Sie haben nur die Wahl, als Prostituierte zu arbeiten oder sich mit einer zündenden Idee selbständig zu machen. Irene liebt Autofahren, weshalb dies nicht für die Zukunft nutzen, aber bitte schön nur im Dienste von Frauen und auch nur in Lankwitz. Sie stellen einen Plan auf, wie sie ihre Geschäft unauffällig zum Laufen bringen und wo sie ihre Klientel finden können, die gern dafür bezahlt, wenn Irene und Bea für sie Rache üben an den Männern, die sie gedemütigt, verletzt und betrogen haben. Schon bald brummt das Geschäft, doch dann macht ihnen eine andere Agentur ihre Idee streitig, sie werden sogar erpresst…
Max Urlacher hat mit seinem Buch „Die Königin von Lankwitz“ einen sehr unterhaltsamen und witzigen Roman vorgelegt, der nicht nur mit einer tollen Handlung punktet, sondern auch durch einen flüssigen, bildhaften und temporeichen Schreibstil besticht, der viel Berliner Schnauze mit Herz beinhaltet. Ab der ersten Seite ist der Leser an der Seite von Irene, deren Gedanken und Gefühle wie ein offenes Buch präsent sind. Gleichzeitig lässt der Autor den Leser durch Irene teilhaben an deren letzten Gefängnisstunden und ihrer Einschätzung zu den diversen Insassinnen. Die Handlung in der dritten Person erzählt. Der Spannungsbogen wird gemächlich aufgebaut und steigert sich nach und nach immer mehr. Auch die Beschreibungen der Fahrten durch Berlin sind so lebhaft, dass man das Gefühl bekommt, mit Irene und Bea gemeinsam im Wagen zu sitzen und in rasantem Fahrstil gleich einer Rallye durch die Stadt zu brausen.
Die Charaktere sind so liebevoll ausgearbeitet und mit individuellen Eigenschaften versehen, dass der Leser sie sofort ins Herz schließen kann. Sie wirken durchweg lebendig und authentisch. Irene ist eine Berliner Pflanze, wie sie im Buche steht. Sie ist von eher pragmatischer und überlegter Natur, zurückhaltend und doch mit Herz und einem gewissen Gerechtigkeitssinn ausgestattet. Als passionierte Autofahrerin ist sie nicht nur die Ideenschmiede sondern auch die ausführende Gewalt des kleinen neugegründeten Unternehmens. Bea liebt extravagante bunte Kleidung mit viel Glitzer und ist eher von extrovertiertem Wesen. Sie ist die Akquisiteurin des Geschäfts, geht auf die potentiellen Kundinnen zu und gibt ihnen das Gefühl, sie voll und ganz zu verstehen, wobei sie ihnen nach und nach jenes Gefühl vermittelt, dass die Idee sich zu rächen, von ihnen gekommen ist. Das öffnet natürlich die Brieftaschen. Auch die weiteren erscheinenden Protagonisten werden mit wenigen Worten so genau gezeichnet und mit Leben versehen, dass man sie bildlich vor Augen hat. Mit ihren eigenen Geschichten tragen sie maßgeblich zum Unterhaltungswert der Handlung bei.
„Die Königin von Lankwitz“ ist eine witzige Geschichte mit viel Herz über verletzte Frauenseelen, Rachegedanken und über die Freundschaft bis in den Tod. Skurrile Charaktere und tolle Dialoge lassen im Kopf einen wunderbaren Film ablaufen, der leider viel zu schnell endet. Absolute Leseempfehlung für eine überraschende und gelungene Geschichte!

Veröffentlicht am 04.02.2018

Toskanisches Abenteuer

Die Tochter der Toskana
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1832 Toskana. Antonella ist 19 Jahre alt und lebt mit ihren beiden Schwestern und ihren Eltern im kleinen Dorf Cerreto. Sie liebt es zu kochen und interessiert sich auch für den Weinanbau und dessen Verarbeitung. ...

1832 Toskana. Antonella ist 19 Jahre alt und lebt mit ihren beiden Schwestern und ihren Eltern im kleinen Dorf Cerreto. Sie liebt es zu kochen und interessiert sich auch für den Weinanbau und dessen Verarbeitung. Da ihr Vater als Schäfer kein reicher Mann ist, muss er seine Töchter gut verheiraten. Für Antonella wirbt der Müllersohn Paolo, allerdings hat er den Ruf, ein Frauenheld zu sein. Als Antonella dies mit eigenen Augen unfreiwillig beobachten kann, will sie von Paolo nichts mehr wissen. Als dieser sie im Wald bedrängt, wird Antonella von einem attraktiven Fremden namens Michele gerettet, der zufällig in der Nähe war. Michele ist der Sohn eines adligen Weinbauers, doch er ist auch ein Deserteur und als Aufrührer inkognito unterwegs. Als Antonella von ihrem Vater gezwungen wird, Paolo zu heiraten, beschließt sie, sich Michele bis Genua anzuschließen und zieht mit ihm heimlich davon. Während ihrer abenteuerlichen Reise kommen sich die beiden immer näher, doch Antonella ahnt nicht, dass Michele in geheimer Mission unterwegs ist und mit dem Bund der Carbonari Italien von den unliebsamen Herrschern befreien will. Die italienische Armee ist Michele als Deserteur auf den Fersen, während die Polizei ihn als Aufrührer sucht. Antonella gerät dadurch zwischen die Fronten. Wird sie eine Zukunft mit Michele haben?
Karin Seemayer hat mit ihrem Buch „Die Tochter der Toskana“ einen sehr mitreißenden, spannenden und unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und saugt den Leser regelrecht in das Buch hinein, das sich nicht mehr aus der Hand legen lässt. Schnell folgt er als unsichtbarer Schatten Antonella bei ihren täglichen Arbeiten, Träumen, Gedanken und dann auf ihrer abenteuerlichen Reise durch die Berge nach Genua. Die Landschaftsbeschreibungen sind so bildhaft, dass man die wunderschöne Gegend der Toskana, aber auch die Hafenstadt Genua mit den imposanten Palazzi regelrecht vor Augen hat. Der Spannungsbogen wird recht schnell aufgebaut und schraubt sich während der Handlung immer weiter in die Höhe. Der historische Hintergrund wurde von der Autorin sehr schön recherchiert und mit ihrer Handlung verwebt. Ebenso spricht sie verschiedene Themen an, unter anderem geht es um die Rolle der Frau zur damaligen Zeit, der nicht viel anderes übrig blieb, als durch eine angemessene Hochzeit versorgt zu sein. Gelang ihr das nicht, blieb ihr nicht viel mehr, als als Hure zu enden. Auch Bildung war der einfachen Bevölkerung nicht zugänglich, so konnten viele Menschen der unteren Schichten weder schreiben noch lesen. Gleichzeitig werden die verschiedenen Gesellschaftsschichten und deren Machtverhältnisse innerhalb der Handlung sehr deutlich.
Die Charaktere sind liebevoll ausgearbeitet und mit individuellen Eigenschaften versehen, weshalb sie durchweg glaubhaft, real und authentisch wirken. Antonella ist eine junge Frau mit Träumen. Sie liebt es, zu kochen und auch die Weinverarbeitung interessiert sie. Sie kann nicht lesen und schreiben, doch hat sie bestimmte Erwartungen für ihr Leben, die sich allerdings den Wünschen ihrer Eltern zu beugen haben. Antonella wirkt zurückhaltend, aber herzlich und mit genügend Mitgefühl für andere ausgestattet. Als sie den Entschluss fasst, ihrer vorhersehbaren Zukunft zu entfliehen, zeigt sie eine Menge Mut, der sie wohl selbst überrascht. Doch je länger sie auf Wanderschaft ist, umso stärker und mutiger wird sie. Es ist schön zu beobachten, wie sie über sich hinaus wächst und sich immer mehr zutraut und dadurch an Selbstbewusstsein gewinnt. Michele ist als Sohn eines Adligen geboren und liebt die Arbeit auf dem Familienweingut. Doch als zweiter Sohn wird er dies nicht erben, obwohl er sich mit seinem älteren Bruder wunderbar versteht. Sein Vater ist ein harter Mann, der seinen Weg für ihn vorbestimmt hat. Erst wird er zum Jurastudium geschickt, um dann in der Armee zu landen. Doch beides ist nichts für Michele, so dass er sich auf einen gefährlichen Pfad begibt. Michele ist ein sympathischer Mann, der sich um andere sorgt und kümmert. Dabei ist er sich auch immer der Gefahr bewusst. Aber er lässt niemanden im Stich. Auch die anderen Protagonisten wie der Seemann in Genua oder der Priester, der den beiden zur Flucht verhilft, tragen zu dieser runden und schönen Geschichte bei.
„Tochter der Toskana“ ist ein rundum gelungener historischer Roman über die Liebe, Träume und Überzeugungen. Das Buch besticht nicht nur durch einen wunderschönen Erzählstil, sondern lässt den Leser hautnah am Geschehen teilhaben. Wunderbare Lesestunden garantiert, die eine absolute Leseempfehlung mehr als verdienen!