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Veröffentlicht am 17.02.2018

Einsteins bessere Hälfte?

Frau Einstein
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1896 Zürich. Die Serbierin Mileva Maric, deren wohlhabende Familie und besonders ihr Vater sie immer gefördert haben, tritt am Züricher Polytechnikum als erste Frau ihr Studium in Mathematik und Physik ...

1896 Zürich. Die Serbierin Mileva Maric, deren wohlhabende Familie und besonders ihr Vater sie immer gefördert haben, tritt am Züricher Polytechnikum als erste Frau ihr Studium in Mathematik und Physik an. Schnell wird ihr klar, dass sie in eine Männerdomäne eingedrungen ist, denn sie muss sich der Vorurteile ihrer Kommilitonen erwehren und gleichzeitig mit ihrer Intelligenz punkten, was natürlich Neid und Missgunst hervorruft. Allerdings ist unter ihnen einer, der nicht nur ihr Wissen bewundert, sondern ihr auch sonst zugetan ist. So trifft Mileva auf Albert Einstein und bald kommen sich die beiden näher und verlieben sich. Milevas Eltern stehen der Beziehung zu Einstein eher skeptisch gegenüber, aber auch das wirkt sich nicht auf ihre Liebe aus. Jedoch bekommt die Beziehung bald einige Risse, obwohl die beiden intellektuell auf einer Ebene liegen, als nur Albert für gemeinsame wissenschaftliche Erkenntnisse die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weckt und Mileva auch sonst außen vor lässt, nachdem sich der Erfolg eingestellt hat.
Marie Benedict hat mit ihrem Buch „Frau Einstein“ einen sehr unterhaltsamen historischen Roman mit biographischem Hintergrund vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig, gefühlvoll und gleichzeitig fesselnd und erzählt aus der Sicht von Mileva in der Ich-Form. Schnell taucht der Leser in Milevas Welt ein und darf an ihrem Leben teilhaben, ihre Gedanken und Gefühle kennenlernen. Durch die gute Recherche der Autorin erhält der Leser Einblick in die damalige Welt, in der eine Frau keinen leichten Start an einer Universität hatte, da dies als reine Männerdomäne galt. Frauen wurden keine besonderen Fähigkeiten in Bezug auf Mathematik, Physik und Wissenschaft im Allgemeinen zugetraut. Es bedurfte also eines sehr gefestigten und starken Charakters, um sich dieser Männerdominanz auszusetzen und zu bestehen. Gleichzeitig gewährt die Autorin einen Blick in das Zusammenleben von jungen Frauen, die alle ein Ziel vor Augen haben: das Studium.
Die Charaktere sind sehr lebendig ausgestaltet und in Szene gesetzt worden. Sie wirken authentisch und realitätsnah. Mileva ist eine intelligente junge Frau, die sich, obwohl körperlich gezeichnet, mit einem Studium einen Traum erfüllt. Sie ist emanzipiert und weiß sich durchzusetzen, auch wenn es sie innerlich verletzt, von ihren Kollegen so minderwertig behandelt zu werden. Wahrscheinlich hat sich Albert Einstein deshalb auch idealer Mann an ihrer Seite herauskristallisiert, weil er ihren Geist und ihr Wissen anziehend fand. Mileva ist mit Albert Einstein zu Beginn der Beziehung zwar auf Augenhöhe, allerdings lässt sie sich von ihm immer mehr in den Hintergrund drängen, je mehr Erfolg die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse haben. Einstein entpuppt sich daher als nicht besser als seine alten Kommilitonen, die sich am Wissen anderer bereichern und den Erfolg für sich verbuchen wollen. Sie können nicht teilen oder zugeben, dass sie es nicht allein geschafft haben. Albert wird als egoistischer Mann dargestellt, der nicht mal seine eigene Tochter anerkennen will und Mileva am Ende auch noch betrügt. Und Mileva hatte zu Beginn das Image einer starken Frau, die am Ende doch zu schwach war, sich durchzusetzen. Die Frage im Hinterkopf bleibt allerdings immer: ist es wirklich so gewesen oder ist es Teil der fiktiven Interpretation der Autorin.
„Frau Einstein“ ist sehr interessanter und unterhaltsamer historischer Roman über eine Frau, die sich in einer Männerwelt einen Platz erkämpft, am Ende doch zurückstecken muss und deren eigenes Können nur so wenig gewürdigt wurde. Eine Leseempfehlung für diese Geschichte!

Veröffentlicht am 17.02.2018

Der Baumeister von Albion

Der Baumeister von Albion
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13. Jh. England zu Zeiten König Johns. Der 15-jährige Harry Talvace lebt seit Jahren gemeinsam mit seinem Milchbruder Adam im Kloster, seitdem ihn sein Vater dort abgeliefert hat. Anstatt Schreibarbeiten ...

13. Jh. England zu Zeiten König Johns. Der 15-jährige Harry Talvace lebt seit Jahren gemeinsam mit seinem Milchbruder Adam im Kloster, seitdem ihn sein Vater dort abgeliefert hat. Anstatt Schreibarbeiten zu erledigen, interessieren sich Harry und Adam mehr für das Handwerk und bringen sich selbst Fertigkeiten in der Holz- und Steinverarbeitung bei. Als sie zu Unrecht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, flüchten die beiden Freunde von England nach Paris. Dort begegnen sie Harry auf Lord Isambard, der die Steinmetzfertigkeiten so sehr bewundert, dass er Harry überredet, als Baumeister eine Kathedrale in England zu bauen. Harry muss einen Schwur gegenüber Lord Isambard leisten, dass er den Bau der Kathedrale in jedem Fall beendet und bindet sich damit an den ihn, ohne zu ahnen, dass Isambard hart und unerbittlich ist und immer seinen Willen durchsetzt ohne Rücksicht auf Verluste. Gleichzeitig sieht sich Harry sowohl Missgunst als auch jeder Menge Intrigen ausgesetzt. Wird er die Kathedrale fertigstellen können, ohne Schaden zu nehmen?
Ellis Peters hat mit ihrem Buch „Der Baumeister von Albion“ einen sehr unterhaltsamen und gleichsam spannenden historischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft, er lässt beim Lesen wunderbare Bilder vor dem inneren Auge entstehen und versetzt den Leser in eine längst vergangene Zeit, um ein unvergleichliches Abenteuer zu erleben. Durch die gute historische Hintergrundrecherche der Autorin darf man als Leser an den damaligen Lebensumständen der Menschen, ihren Gewohnheiten und Gebräuchen teilnehmen und auch die verschiedenen Gesellschaftsschichten miterleben. Die Macht der Kirche und auch der Adligen, der harte Alltag der Leibeigenen und des einfachen Volkes werden hier gut thematisiert. Ebenso erlebt der Leser den Bau und die damit verbundenen Schwierigkeiten eines monumentalen Gebäudes mit, was einem einigen Respekt abnötigt, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen die Kirchen und Paläste in früherer Zeit entstanden.
Die Charaktere sind liebevoll und individuell angelegt, sie alle besitzen Ecken und Kanten und wirken dadurch sehr real und authentisch. Harry ist ein sympathischer Protagonist, der als 2. Sohn schon früh durch seinen Vater in einem Kloster untergebracht wurde. Er muss sich dem harten Klosterleben fügen und kann doch sein Talent für Holz und Stein für sich entwickeln. Da er schon früh auf sich selbst gestellt ist, bleibt er eher für sich und hat in Adam seinen einzigen Freund. Sein Talent führt ihn zwar zu einer großen Aufgabe, jedoch muss er sich mit neidischen Kollegen, Missgunst und Neid herumschlagen, was ihn manchmal in Gefahr bringt. Zudem ist er durch seinen Schwur der Leibeigene des Lords, was sein Leben nicht gerade leichter macht. Adam ist ebenfalls ein talentierter junger Mann, den viel mit Harry verbindet. Die beiden sind fast wie Brüder und stehen füreinander ein. Lord Isambard ist ein harter Mann, der nur seinen eigenen Vorteil sieht und der vor nichts zurückschreckt, um seinen Willen durchzusetzen. Ein Menschenleben ist für ihn nichts wert.
„Der Baumeister von Albion“ ist ein spannendes Sittengemälde über das Mittelalter und bringt dem Leser nicht nur den Bau einer Kathedrale nahe, sondern auch die damaligen Lebensumstände. Alle Historienfans werden an diesem Buch ihre Freude haben. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 11.02.2018

Campusmorde

Dein Tod komme
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Während Spaziergangs im Wald in der Nähe des Universitätsgeländes in Greenbury fällt Rina Decker buchstäblich über menschliche Knochen. Nach dem ersten Schreck informiert sie sofort ihren Ehemann Detective ...

Während Spaziergangs im Wald in der Nähe des Universitätsgeländes in Greenbury fällt Rina Decker buchstäblich über menschliche Knochen. Nach dem ersten Schreck informiert sie sofort ihren Ehemann Detective Peter Decker, der nun bei der örtlichen Polizei arbeitet, nachdem er jahrelang beim LAPD tätig war. Peter nimmt mit seinem Assistenten Tyler McAdams die Ermittlungen auf und muss bald feststellen, dass es sich nicht nur um eine Leiche sondern um mehrere Opfer handelt, die dort verscharrt wurden. Einiges deutet darauf hin, dass es sich um Studenten der Universität handelt. Aber eines der Opfer war ein Mann, der kurz vor der Geschlechtsumwandlung zur Frau stand. Wie passt der hier hinein? Peter Decker und seine Kollegen ermitteln in alle Richtungen und stoßen dabei an ihre Grenzen. Gleichzeitig versucht Rina, ihre Tätigkeit als Universitätsdozentin zu nutzen, um dort verdeckt selbst nach dem Täter zu suchen. Dabei bringt sie sich bald selbst in Gefahr. Wird es gelingen, den Serienmörder zu finden und auch das Motiv aufzudecken?
Faye Kellerman hat mit ihrem Buch „Dein Tod komme“ den 24. Band um das Paar Rina und Peter vorgelegt und kann mit ihrem spannenden und fesselnden Krimi den Leser wieder gut unterhalten. Der Schreibstil ist flüssig und lässt den Leser bereits durch den Prolog in die Handlung eintauchen. Der Spannungsbogen wird gleich zu Beginn recht hoch angelegt und schraubt sich im Verlauf der Handlung immer weiter in die Höhe. Die Autorin versteht es sehr geschickt, den Leser immer wieder auf falsche Fährten zu locken und einige Verdächtige zu präsentieren, die alle ein Motiv hätten und es dem Leser schwer machen, nur einer Richtung zu folgen. Der Plot ist in keiner Weise vorhersehbar und hält die Spannung bis zum Schluss, wobei auch einige Überraschungen präsentiert werden, die den Leser weiterhin bei der Stange halten. Der Plot ist wohl durchdacht und am Ende fügen sich alle Puzzleteile gut zusammen.
Die Charaktere sind gut ausgestaltet und in die Handlung integriert. Sie besitzen Ecken und Kanten, wodurch sie sehr realistisch und authentisch wirken und lebhaft rüberkommen. Da sich die Hauptprotagonisten in den 23 vorherigen Bänden schon um einiges entwickelt haben und auch ihr Privatleben an den Leser weitergegeben wurde, ist es für Neueinsteiger dieser Reihe etwas schwieriger, sich hier erst einmal zurechtzufinden. Rina Decker, geborene Lazarus, arbeitet als Unidozentin und ist mit Detective Decker verheiratet. Die beiden sind gläubige Juden und halten sich sehr strikt an die Verhaltensregeln ihres Glaubens. Dabei sind sie offene und hilfsbereite Menschen, die sich ehrlich zugetan sind und in ihrem persönlichen familiären Alltag auf Augenhöhe alles miteinander besprechen, sich umeinander sorgen und auch den gleichen Witz teilen. Tyler McAdams ist noch nicht so lange dabei, wird von Rina und Peter aber unter die Fittiche genommen und teilweise wie ein Familienangehöriger behandelt.
„Dein Tod komme“ ist ein spannender und unterhaltsamer Krimi, der nahtlos an die Vorgängerbände anknüpft und den Leser mit seiner Handlung konstant in Atem hält. Durch die zeitgemäße Themenauswahl der Autorin und die vielen Überraschungsmomente sind fesselnde Lesestunden garantiert. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 10.02.2018

Ein Colt für Luna

Montana Dreams - So tief wie die Sehnsucht
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Luna war die Freundin seines besten Freundes und doch hat Colt sie geküsst. Seitdem gehen sich die beiden aus dem Weg, obwohl ihnen der Kuss nicht mehr aus dem Kopf geht. Als sich Luna endlich zu einer ...

Luna war die Freundin seines besten Freundes und doch hat Colt sie geküsst. Seitdem gehen sich die beiden aus dem Weg, obwohl ihnen der Kuss nicht mehr aus dem Kopf geht. Als sich Luna endlich zu einer Aussprache mit Colt durchgerungen hat, nicht nur aufgrund ihres väterlichen Freundes Wayne, mit dem sie viel verbindet, stirbt Wayne während Lunas Schicht im Diner. Kurz darauf erfährt Luna, dass Wayne sie zur Alleinerbin seiner großen Ranch und seines gewaltigen Vermögens gemacht hat. Waynes Söhne und auch der Rest der Familie sind wütend und voller Rachegedanken, obwohl auch sie nicht leer ausgegangen sind. Luna nimmt das Erbe an und zieht in das große Ranchhaus, wobei sie sich fortan den Anfeindungen der Familie ausgesetzt sieht, doch Colt tut alles, um Luna zu beschützen. Mit Hilfe von Waynes Arbeitern möchte sie so bald wie möglich ein Reittherapiezentrum für behinderte Kinder eröffnen, wobei ihr auch das absolvierte Pädagogikstudium nützen wird. Doch immer wieder ereignen sich Dinge, die ihre Pläne verzögern und auch ihre frische Beziehung zu Colt gefährden. Waynes Söhne halten Wort und machen ihr das Leben zur Hölle. Wird es Luna doch noch gelingen, ihre Träume zu verwirklichen?
Jennifer Ryan hat mit ihrem Buch „Montana Dreams – So tief wie die Sehnsucht“ den vierten Band der Reihe vorgelegt, der den Vorgängern in Nichts nachsteht. Der Schreibstil ist flüssig und gefühlvoll, schnell findet sich der Leser an Lunas Seite wieder und erlebt mit ihr nicht nur den tragischen Tod eines nahen Freundes hautnah mit und begleitet sie durch allerlei gefährliche Situationen, sondern darf auch durchs Schlüsselloch schauen bei einigen prickelnden Momenten, in denen sie und Colt sich näher kommen. Durch die wechselnden Erzählperspektiven lernt man nicht nur Lunas Gedanken und Gefühle, sondern auch die von Colt recht gut kennen. Die Beschreibungen der Landschaft und der Ranch werden sehr bildhaft beschrieben, ebenso legt die Autorin viel Wert darauf, dem Leser die einzelnen miteinander verflochtenen Beziehungen der einzelnen Charaktere zu vermitteln.
Die Protagonisten sind sehr lebhaft ausgestaltet und mit individuellen Eigenschaften versehen, so dass der Leser seine Sympathien gleichmäßig verteilen kann. Luna ist eine sehr sympathische Frau, die in der Vergangenheit oft darunter zu leiden hatte, in ihrer eigenen Familie in den Hintergrund gestellt zu werden, da all die Fürsorge zuerst ihrem autistischen Bruder galt. Trotzdem liebt sie ihre Familie sehr und ist immer für sie da. Luna hat ein großes Herz und viele Träume. Sie ist freundlich mitfühlend und zudem sehr offen, was ihre eigenen Gefühle und Wünsche betrifft. Colt ist ein toller Typ, attraktiv und doch nicht oberflächlich. Er ist hilfsbereit, kümmert sich um die Menschen, die ihm am Herzen liegen und ist zudem auch ein Familienmensch, wenngleich er sich das nicht offen eingestehen möchte. Wayne ist ein alter Mann, der die Gesellschaft von Luna genießt, während er von seinen eigenen Söhnen immer wieder enttäuscht wurde. Simon und Josh sind Waynes Söhne, die beide nur an Geld und Reichtum denken, dafür aber nichts tun wollen. Sie sind hinterlistig und gehen über Leichen, wenn es ihrem Zweck dient. Auch die übrigen Charaktere geben der Handlung mit ihrem Erscheinen zusätzliche Spannung.
„Montana Dreams – So tief wie die Sehnsucht“ ist ein unterhaltsamer und gleichzeitig spannender Liebesroman, den man gut auch allein lesen kann, ohne die Vorgängerbände zu kennen. Ein prickelndes Lesevergnügen für regnerische Abende auf der Couch und eine Leseempfehlung wert!

Veröffentlicht am 10.02.2018

Olivias Männer

Der große Bruder
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Olivia ist mit Gerard verheiratet und hat mit ihm die zwei halbwüchsigen Söhne Tom und Julius. Sie arbeitet als Finanzleiterin in einem alten Traditionsbetrieb für Porzellan. Das Unternehmen stand schon ...

Olivia ist mit Gerard verheiratet und hat mit ihm die zwei halbwüchsigen Söhne Tom und Julius. Sie arbeitet als Finanzleiterin in einem alten Traditionsbetrieb für Porzellan. Das Unternehmen stand schon am Abgrund, doch mit ihrer Hilfe gelang es, das Geschäft langsam wieder in die Gewinnzone zu bringen. Während sie sich auf eine Gesellschafterversammlung vorbereitet, erhält sie einen Anruf von ihrem älteren Bruder Marcus, von dem sie seit Ewigkeiten nichts gehört hat. Marcus ist auf dem Weg in den OP, wo man ihm sein Bein amputieren wird, da er mit seinem Diabetes so sorglos umgegangen ist. Olivia ist von Natur aus eher eine wenig sentimentale Person, doch die Nachricht wirft sie regelrecht aus der Bahn und sie ist so geschockt, dass sie sich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren kann und kurzerhand in die Klinik fährt, wo Marcus gerade aus der Narkose erwacht. Die kurze Zeit mit ihrem Bruder bringt sie dazu, ihn einzuladen, für die Zeit während der Reha bei ihr und ihrer Familie zu wohnen, was Marcus dankend annimmt und Olivia schon in dem Moment wieder bereut, als Marcus einzieht. Während Marcus‘ Aufenthalt verändert sich sowohl Olivia als auch ihre ganze Familie. Hat Besuch von Marcus der Familie gut getan?
Ester Gerritsen hat mit ihrem Buch „Der große Bruder“ einen sehr interessanten und gefühlvollen Roman vorgelegt, der zwar mit 130 Seiten als kurz bezeichnet werden kann, dafür aber mit vielen menschlichen Eindrücken punkten kann. Der Schreibstil ist flüssig, es wird aus der Sicht von Olivia erzählt in der dritten Person. Ab der ersten Seite ist der Leser hautnah dabei, um zum einen Olivias Aufgaben im Porzellangeschäft kennenzulernen, aber auch die einzelnen Familienmitglieder und ihr Verhältnis untereinander zu verfolgen. Durch einige kleine Erinnerungen in die Vergangenheit gibt Olivia zudem einen Einblick, in welchen Verhältnissen sie aufgewachsen ist und wie die Beziehung zu ihrem Bruder war. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden von der Autorin sehr gut in Szene gesetzt und lassen beim Leser viel Raum für Spekulationen über die weitere Entwicklung innerhalb der Familie.
Die Charaktere sind anhand ihrer Eigenschaften sehr unterschiedlich ausgestaltet. Sie wirken sehr real und authentisch. Olivia ist eine sehr unterkühlte Frau, die keinerlei Sentimentalität aufkommen lässt. Sie wirkt sehr nüchtern und fokussiert, oftmals lässt sie auch gegenüber ihrer Familie an Emotionalität und Einfühlungsvermögen vermissen. Das Schicksal ihres Bruders öffnet dann aber langsam innerliche Barrikaden, Olivia erinnert sich an die Vergangenheit, an die Armut und an die fürsorgliche Betreuung durch ihren Bruder Marcus. Sie macht innerhalb der Handlung die größte Entwicklung durch. Ehemann Gerard ist in seinem Job unzufrieden und lässt in wenigen Zeilen erkennen, dass zwischen ihm und Olivia auch nicht mehr alles so gut und richtig ist, wie es einmal war. Lange kam er mit ihrer Art zurecht, doch nun fühlt er sich vernachlässigt und unverstanden. Tom und Julius sind im Teenageralter und haben ein besseres Verhältnis zu Gerard als zu Olivia. Beide haben wohl den Eindruck, dass Olivia sich nicht wirklich für sie interessiert. Marcus ist durch die Amputation nah am Wasser gebaut, doch bringt er auch viel Licht in Olivias Familie. Gerard, Tom und Julius freunden sich schnell mit ihm an und verbringen gern Zeit mit ihm. Gleichzeitig sind sie ihm gegenüber offen und zeigen ihre Gefühle, die sie Olivia nie offenbart haben.
„Der große Bruder“ ist eine geschickt inszenierte Familiengeschichte, die die Veränderungen innerhalb dieses Gerüstes aufzeigt, sobald eine schwierige Situation eintritt. Dabei werden auf einmal Dinge offengelegt, die niemand laut auszusprechen wagte und die doch nötigerweise an die Oberfläche kommen musste, um ein neues Miteinander zu schaffen. Eine Leseempfehlung für eine echte Entdeckung!