Facettenreich und spannend
TrümmerkindHamburg im Winter 1946/1947, der junge Hanno Dietz kämpft gemeinsam mit vielen Familien im eisigen Winter ums überleben, dabei sucht er unter anderem die vielen Trümmer ab, die man in der zerbombten Stadt ...
Hamburg im Winter 1946/1947, der junge Hanno Dietz kämpft gemeinsam mit vielen Familien im eisigen Winter ums überleben, dabei sucht er unter anderem die vielen Trümmer ab, die man in der zerbombten Stadt findet. In einer dieser Trümmer findet er jedoch etwas entsetzliches: die Leiche einer jungen Frau und ganz in ihrer Nähe einen kleinen Jungen. Kurzentschlossen nimmt er den Kleinen mit nach Hause, doch woher er kommt bleibt ein Geheimnis. Im Jahre 1993 ist eine Frau auf der Suche nach der Herkunft ihrer Familie. Sie selbst wurde in Südafrika geboren, lebt nun aber in Köln. Ihre Mutter Clara ist eine geborene Anquist, einstige Gutshofbesitzer in der Uckermark und so reist sie kurzentschlossen in die Heimat ihrer Familie, um mehr über sie zu erfahren.
Meine Meinung:
Klappentext und Cover passen hervorragend zusammen und so wurde ich sehr neugierig auf diese Geschichte und schon der Einstieg war überzeugend und mitreißend. Mechtild Borrmann schildert die Ereignisse sehr lebendig und auch ihr Schreibstil ist sehr einnehmend und fesselnd. Die Begebenheiten, wie z. B. die Jahrhunderkälte aus dem Winter der Nachkriegszeit, wurden so deutlich, dass man diese beinahe schon spüren konnte. Doch mit einem war ich ein wenig überrascht, nämlich dass diese Geschichte über gleich drei Erzählstränge in drei Zeitebenen spielt. Nichts desto Trotz war es dann doch sehr gut erzählt und gelungen aufgebaut. Interessant ist hier noch, dass die Autorin ihre Erzählform der Zeit anpasst, so schreibt sie gegenwärtige Ereignisse auch in der Gegenwart, so wie vergangene Ereignisse in der Vergangenheit und ihre Formulierungen werden dem jeweiligen Stand der handelnden Personen angepasst und authentisch der Zeit entsprechend wiedergegeben.
Die Geschichte selber lässt sich sehr spannend lesen, an manchen Stellen bekam ich durchaus eine Gänsehaut, da so manch eine Szene lebendig wurde. Alles in allem findet der Leser auf gerade einmal 300 Seiten unheimlich viele Ereignisse, spannend wie ein Krimi, dabei historisch gut recherchiert und obenauf noch eine Menge Familiengeheimnisse werden hier miteinander verknüpft. Gerne hätte ich hier, vor allem im historischen Erzählstrang, noch mehr über die Personen erfahren. So blieb ich doch ein kleines bisschen zu sehr Beobachter, um richtig tief mitempfinden zu können und die Dichte und Komplexität fehlten ein wenig.
Erzählt wird die komplette Geschichte von einem personellen Erzähler mit auktorialer Funktion. Gerade durch den gegenwärtigen Erzählstrang weiß man das ein oder andere der persönlichen Entwicklungen oder ahnt diese zumindest voraus. Dabei bekommt man auch eine Menge Möglichkeiten mitzurätseln und mitzuspekulieren.
In den drei unterschiedlichen Erzählsträngen lernt man auch eine Menge Charaktere kennen. Die Protagonisten erhalten dabei aber nicht ganz den Tiefgang, den ich mir gewünscht hätte, um noch mehr mit dem Einzelnen mitzufiebern. Trotzdem verteilt man hier schon recht schnell seine Sympathien und ist bei der ein oder anderen Begebenheit betroffen oder auch entsetzt.
In Hamburg war die Familie Dietz und deren Überlebenskampf der Mittelpunkt. Ich muss zugeben, dass ich hier gerade der Mutter meinen größten Respekt zollte. Mechtild Borrmann schildert den Kampf der Familie, bzw. der Mutter mit drei Kindern sehr gelungen und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie hart es sein muss, unter diesen Umständen nicht aufzugeben.
In der Uckermann verfolgte ich die Perspektive der Gutshofbesitzer Anquist, allen voran ist Clara hier der Mittelpunkt oder mehr der Charakter, der den meisten Raum erhält. Alles in allem habe ich mit ihnen sehr gut mitleiden können und war über ihr Schicksal letzten Endes betroffen.
In der Gegenwart lernt man Anne kennen, die versucht, mehr über ihre Familiengeschichte herauszubekommen und die damit etwas zu Tage fördert, der alle drei Perspektiven zu einem großen Gesamtbild werden lässt.
Mein Fazit:
Eine Geschichte, bei der ich im Großen und Ganzen mehr der Beobachter blieb, auch wenn ich an manch einer Stelle Betroffenheit verspürte, so hätte ich durchaus gerne noch mehr von den Personen und ihren Eigentschaften erfahren, um es noch emotionaler werden zu lassen. Trotzdem ist es wirklich toll erzählt und historisch sehr gut recherchiert, gerade wenn man herausfindet, dass die Autorin wahre Begebenheit fiktiv ausschmückt. Genau das lässt mich nach Beenden des Buches auch nachdenklich zurück und ich könnte mir vorstellen, dass die Autorin mit ihrer fiktiven Idee vielleicht gar nicht so falsch liegt. Das Buch bekommt von mir eine Leseempfehlung für alle, die gerne Geschichten mit Familiengeheimnissen lesen und mehr über die Nachkriegszeit erfahren wollen.