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Veröffentlicht am 22.02.2018

Babylons Damoklesschwert

Schlüssel 17
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Nomen est omen. Ein Schlüssel spielt in diesem Thriller eine Schlüsselrolle. Marc Raabe spannt den Bogen aus der Zeit vor dem Mauerfall ins Berlin der Gegenwart, eng verwoben mit Tom Babylons Lebenslauf. ...

Nomen est omen. Ein Schlüssel spielt in diesem Thriller eine Schlüsselrolle. Marc Raabe spannt den Bogen aus der Zeit vor dem Mauerfall ins Berlin der Gegenwart, eng verwoben mit Tom Babylons Lebenslauf. Der emotionale wie starrsinnige LKA-Ermittler geht gerne eigene Wege und schreckt auch nicht vor unkonventionellen Methoden zurück wenn es darum geht einen Fall zu lösen. Erst recht, wenn er persönlich darin verwickelt ist.

In Gestalt einer im Berliner Dom präsentierten Leiche holt ihn seine Vergangenheit ein. Ein kleiner Gegenstand erregt Toms Aufmerksamkeit und wird sie so bald nicht mehr loslassen. Für ihn ist das ein Zeichen, denn der Schlüssel, den er bei der Leiche sieht, hängt mit dem Verschwinden seiner kleinen Schwester zusammen. Er hat seit Jahrzehnten weder sie noch den Schlüssel gesehen. Sie ist sein wunder Punkt, er sein persönliches Damoklesschwert.

Dieser eine kurze Moment am Tatort macht Tom schrittweise zu einem Getriebenen, der zunehmend jedem misstraut, der an den Ermittlungen beteiligt ist. Zu viele eigenartige Begegnungen und kleine Ungereimtheiten tauchen auf. Meisterhaft versteht der Raabe es, zur richtigen Zeit neue Puzzleteile ins Spiel zu bringen, sein Geflecht dichter zu weben und den Leser gemeinsam mit Tom in dieser angespannten Atmosphäre zu binden.

Da dieser Thriller der Start einer Serie ist, bleiben am Ende teilweise Fragen offen. Da die Auflösung des dichten Plots nicht so einfach scheint, ist auch die in sich stimmige Lösung für den Leser nicht so einfach nachzuvollziehen. Aufmerksames Lesen ist hier Pflicht, sollte bei diesem packenden Buch aber sowieso kein Problem darstellen.

Veröffentlicht am 19.02.2018

Ein tiefgehender Roman voll Bangen und Hoffen

Der Reisende
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Es gibt ja viele Bücher, die zu Beginn der NS-Zeit spielen und noch mehr, die währenddessen oder danach handeln. Auch Bücher von Zeitzeugen kennen wir und im Grunde sind diese immer besonders packend. ...

Es gibt ja viele Bücher, die zu Beginn der NS-Zeit spielen und noch mehr, die währenddessen oder danach handeln. Auch Bücher von Zeitzeugen kennen wir und im Grunde sind diese immer besonders packend. Fast noch ergreifender und unmittelbarer ist dieser Roman, wohl aufgrund seiner Entstehungszeit.

Boschwitz schrieb die Erlebnisse des fiktiven Otto Silbermann nicht etwa ein paar Jahrzehnte nach der grausamen Zeit, sondern direkt damals. Er emigrierte 1935 von Berlin nach Skandinavien und schrieb, wie vermutet wird, ab 1938, mit 23 Jahren, daran. Er verarbeitete in diesem Manuskript mit Silbermann stellvertretend für alle, die nach den Pogromen verfolgt wurden, die Erfahrungen und Gefühle, die Millionen von Juden zur gleichen Zeit erdulden mussten, unverschuldet.

Er nimmt den Leser mit auf eine Reise, die einerseits physisch in Zügen der Reichsbahn stattfindet, wohin sich Silbermann gerne flüchtet. Andererseits ist es eine Reise in dessen Kopf. Seine Gedanken überschlagen sich, werden wirr und hindern ihn daran, zu schlafen. Die Eindringlichkeit, mit der Boschwitz dies alles beschreibt, überträgt sich auf den Leser, ob man nun will oder nicht.

Über allem liegt eine gewisse Unruhe, Unsicherheit und Angespanntheit, die niemanden kalt lässt. Jede direktere Begegnung mit anderen wird zur möglichen Falle, selten kann Silbermann frei heraus reden, was seine wirren Gedanken zusätzlich befeuert. Sein Zittern überträgt sich auf den Leser, man hofft, man bangt und kann nicht verstehen, wie es einmal so weit kommen konnte.

Veröffentlicht am 02.02.2018

Britisch-deutsches Ermittlerduo im zerstörten Köln

Echo der Toten. Ein Fall für Friederike Matthée (Friederike Matthée ermittelt 1)
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Beate Sauer versetzt den Leser hier gekonnt in die mühselige und entbehrungsreiche Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. 1947 in Deutschland. Die Ruinen dominieren Stadtbilder, der Schwarzmarkthandel blüht, ...

Beate Sauer versetzt den Leser hier gekonnt in die mühselige und entbehrungsreiche Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. 1947 in Deutschland. Die Ruinen dominieren Stadtbilder, der Schwarzmarkthandel blüht, Lebensmittel sind rar und die Briten beherrschen als Besatzungsmacht große Teile des Landes. Doch das Verbrechen hat mit Ende des Krieges nicht Halt gemacht.

Ein Mann wird auf dem Land in einer Scheune ermordet. Der Tote war gewissermaßen recht prominent, da er als Schwarzmarkthändler weit herumkam. Der Fall wird Richard Davies von der Royal Military Police zugeteilt, weil auch britische Waren gehandelt wurden. Er fordert Unterstützung von der Weiblichen Polizei an, denn es soll ein Kind befragt werden, das ein wichtiger Zeuge sein könnte. Friederike Matthée wird ihm zugeteilt und die beiden ermitteln fortan in Absprache mit der deutschen Kriminalpolizei.

Solche Ermittlungen können generell, auch heutzutage, relativ mühevoll und schwierig sein. Umso mehr Hochachtung muss man vor jenen Personen haben, die damals tatsächlich mit den Umständen zurechtkommen und ihre Arbeit machen mussten. Die Menschen und Geschehnisse im Roman sind erfunden, dennoch erlebten zahlreiche Überlebende tatsächlich den Januar 1947, der mit niedrigsten Temperaturen und viel Schnee die Leute im Griff hatte. Fließendes Wasser und warme Räume waren keine Selbstverständlichkeit, ganz abgesehen davon, sich täglich sattessen zu können.

Diese Zustände stellt die Autorin hier deutlich heraus, vor allem auch dadurch, weil sie Matthée mit Davies zusammenspannt. Als Mitglied der britischen Besatzungsmacht und durch seinen Rang in der Polizei hat er weniger Einschränkungen als die meisten deutschen Bürger. Er ist es gewohnt, beim Essen etwas Auswahl zu haben und muss sich um Sprit für seinen Jeep keine Sorgen machen. Die beiden können den Fall am Ende lösen, doch im Licht der ganzen “Reise” und der Ereignisse bis dahin erscheint das fast nicht mehr so wichtig. Die Atmosphäre und die Annäherung zweier so unterschiedlicher Leben in einer so schwierigen Zeit sind die wahren Stars dieses Krimis.

Veröffentlicht am 05.11.2017

Amüsante Ermittlungsarbeit aus den Vierzigern

Geheimnis in Rot
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Dieser Krimi ist kein „neues“ Werk, sondern eine Wiederauflage des Kriminalromans von Mavis Doriel Hay von 1936. Dies muss man vorab wissen, um sich vollständig auf den wunderbaren Schreib- und Erzählstil ...

Dieser Krimi ist kein „neues“ Werk, sondern eine Wiederauflage des Kriminalromans von Mavis Doriel Hay von 1936. Dies muss man vorab wissen, um sich vollständig auf den wunderbaren Schreib- und Erzählstil der Autorin einlassen zu können und auch gewissen Ausdrücke und Sichtweisen der Protagonisten besser zu verstehen.
Die Hauptfiguren in diesem „Krimi-Klassiker“ sind großteils Mitglieder einer Familie, der Melburys, die einen imposanten Wohnsitz im Ort Flaxmere in der Nähe von Bristol ihr Eigen nennt. Umrahmt werden die Geschwister, ihre Angeheirateten und Kinder sowie der Herr des Hauses, Sir Osmond, von einigen Dienstboten, einem Chauffeur und Osmonds Privatsekretärin.
Eines der traditionellen Weihnachtstreffen geht schief und es gibt einen Mord. Colonel Halstock übernimmt die Ermittlungen, die sich aus heutiger Sicht angenehm ruhig, durchdacht und auch etwas amüsant gestalten, fehlten doch damals viele der Möglichkeiten, die bei heutigen Polizeiarbeiten selbstverständlich sind. Aber die gute alte Taktik mit Einzelgesprächen und Zusammensetzen aller Hinweise und Widersprüche liest sich unterhaltsam und gibt dem Leser Zeit, selbst mitzuraten.
Nicht fehlen dürfen auch klassische Elemente wie ein (geändertes?) Testament, daraus resultierend Neid und Missgunst sowie einige Falschaussagen in den Verhören. Zwar wird die Handlung durchaus chronologisch erzählt, aber es kommen einige Schlüsselfiguren ausführlich selbst zu Wort, diverse Abschnitte zeigen also auch verschiedene Sichtweisen auf, was Abwechslung bringt.
Letztendlich kann man als Leser durchaus schon früh auf einen Teil der Lösung kommen und mit den vielen Namen kommt man leicht durcheinander. Der so erfrischende Schreibstil und die recht eigenen Charaktere machen das aber wieder wett.

Veröffentlicht am 01.10.2017

Vergangenheitsbewältigung für Grauner und sein Südtirol

Nachts am Brenner
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Wie auch schon beim Vorgänger „Die Stille der Lärche“ kreiert Lenz Koppelstätter auch in „Nachts am Brenner“ wieder seine ganz eigene Atmosphäre, die dem Leser die Bewohner Südtirols und deren Eigenheiten ...

Wie auch schon beim Vorgänger „Die Stille der Lärche“ kreiert Lenz Koppelstätter auch in „Nachts am Brenner“ wieder seine ganz eigene Atmosphäre, die dem Leser die Bewohner Südtirols und deren Eigenheiten näherbringt. Lokalkolorit entsteht auch durch die passend und dosiert eingesetzte ortstypische Sprache, in die auch etwas Italienisch miteinfließt.

Nebenerwerbsbauer und Haupterwerbskommissar Johann Grauner muss diesmal einen grausamen Mord am Brenner aufklären, Kompetenzverwirrungen mit den dort zuständigen Polizisten (und später auch den österreichischen Behörden) inklusive. Grauner und sein Kollege Claudio Saltapepe beginnen mit den ganz normalen und dennoch spannenden Ermittlungen – sie befragen Dorfbewohner, Freunde und Wegbegleiter des Toten.

Die Spur, besser die Spuren, führen schließlich in verschiedene Richtungen und es passiert ein weiteres Verbrechen. Noch dazu wird Graupner durch ganz aktuelle Entwicklungen mit einem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit konfrontiert und stellt neben dem Fall seine eigenen privaten Ermittlungen an.

Die Geschichte ist spannend, liest sich flott und der Erzählstil ist sehr angenehm. Wenn man etwas kritisieren kann, dann, dass doch viele kleinere Ereignisse eine Rolle spielen und am Ende relativ viel zu Falllösung zusammengesetzt werden muss. Nicht nur die Vergangenheit wird aufgearbeitet, auch aktuelle politische Themen bekommen ihren Platz und die zahlreichen Fäden werden nicht alle am Ende des Krimis klar verbunden. Die restlichen Zusammenhänge kann sich der Leser aber sehr einfach selbst denken. Überraschen kann Koppelstätter schlussendlich dann aber mit einem Epilog…