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Veröffentlicht am 21.02.2018

Prost(ata) die Zweite

Tanztee
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Tanztee statt Eierlikör steht nun auf dem Terminplan von Hendrik Groen. Aber auch diesmal passt der Titel nicht so recht, denn Hendrik entflieht eher dem Tanztee als sich ihm zu stellen. Aber das ist auch ...

Tanztee statt Eierlikör steht nun auf dem Terminplan von Hendrik Groen. Aber auch diesmal passt der Titel nicht so recht, denn Hendrik entflieht eher dem Tanztee als sich ihm zu stellen. Aber das ist auch schon das Einzige, das aus meiner Sicht an diesem Buch nicht passt, der Rest tut es um so mehr. Denn Hendrik ist ein Junge bzw. - um die Dinge klarzurücken - ein Greis aus dem Leben und zwar einer, der inzwischen schon 85 Jahre auf dem Buckel hat und seine noch überschaubare Zukunft wohl in dem Amsterdamer Seniorenheim verbringen wird, das den maßgeblichen Schauplatz des Geschehens bildet. Wo nicht (nur) der Alkoholgenuss, sondern auch die verschiedenen kleinen und vor allem größeren Zipperlein, die man eben so hat, eine ungewollt große Rolle spielen. Hendrik hat ein Buch geschrieben und zwar ist es kein Roman, sondern ein Tagebuch, das jeden Tag des Jahres 2015 dokumentiert, wie er das auch schon 2013 tat.

Hendrik ist ein Typ, der zwar nicht überschäumend frohgemut ist, dennoch ist er bereit, jeden Tag seines restlichen Lebens zu genießen, aber so, wie er es will! Und mit wem er es will! Damit ist dieses Buch quasi eine Hymne auf die Indiviualität, auf den eigenen Weg, den man in jeder Situation gehen kann, selbst wenn einem die Freunde nach und nach wegsterben. In diesem Band geht es emotional ganz schön zur Sache, denn die Tage von Hendriks bestem Freund sind nun gezählt. Und Hendrik wäre nicht er selbst, wenn er sich dem nicht so stellen würde, wie es am besten zu ihm passt - mit Trauer, aber auch mit einer gehörigen Portion Schalk im Nacken!

Wir wissen ja schon vom ersten Band, dass auch Hendriks eigenes Leben nicht gerade ein Rosengarten war - dennoch scheint gerade dies ihm deutlich zu machen, welche Prioritäten er noch setzen will und wann Schluss sein sollte. Auch das gehört nämlich zu einem selbstbestimmten Leben. Dieses Buch ist nicht niedlich, es ist nicht anrührend, auch wenn es bestimmte Dinge tief in mir drin sehr berührt hat (ja, das ist ein Unterschied). Ich bewundere Hendrik nicht, ich will ihn auch nicht kennen lernen - aber ich hoffe sehr, dass ich selbst und die Menschen die mir wichtig sind, im hohen Alter ebenso in der Lage sein werden, ihre Prioritäten zu setzen wie Hendrik es tut. Auf jeden Fall habe ich tiefen Respekt vor ihm und vor seiner Art, die Dinge anzupacken. Sein Seniorenclub Alanito (Alt, aber nicht tot) trotzt wie schon in den Eierllikörtagen den Widrigkeiten des Lebens, von denen es im Alter leider mehr und mehr gibt. Dass man dennoch viel Spaß haben und offen in die Welt blicken kann, das zeigt uns Hendrik hier einmal mehr!

Ich liebe diesen Kerl und seine Kumpels von Alanito! Keine Ahnung, ob es diesen Hendrik wirklich gibt, aber wer auch immer dieses Buch geschrieben hat, der hat etwas geschaffen, das mich beeindrucken konnte, das ich nicht so schnell vergessen und unbedingt weiterempfehlen werde! Wer so altert, der hat es wirklich drauf!

Veröffentlicht am 21.02.2018

Eine Leidenschaft

Marylin
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ist es, das da aus Seattle kommend in der Toskana, die ihre neue Heimat werden soll, landet: Lina hat nach kurzer und schwerer Krankheit ihre Mutter verloren und soll nun bei ihrem Vater in Italien leben, ...

ist es, das da aus Seattle kommend in der Toskana, die ihre neue Heimat werden soll, landet: Lina hat nach kurzer und schwerer Krankheit ihre Mutter verloren und soll nun bei ihrem Vater in Italien leben, von dem sie bis vor Kurzem noch überhaupt nichts wusste.

Und zunächst mag sie dort auch überhaupt nicht bleiben, ist ihr neuer Wohnort doch - gerade in ihrer aktuellen Situation - ein äußerst morbider: sie lebt auf einem amerikanischen Soldatenfriedhof, einer Gedenkstätte also. Außerdem ist ihre beste Freundin tausende von Kilometern entfernt, überhaupt alle Menschen, die sie kennt, auch ihre Großeltern.

Doch langsam freundet sie sich mit ihrer Umgebung an und lernt nicht nur ihren Vater zu schätzen, sondern auch das Umfeld - es zeigt sich, dass es sehr attraktive Jungs in der Toskana gibt, die auch gar nicht abgeneigt sind, mit Lina Zeit zu verbringen.

Wenn sie mal dazu kommt, denn sie ist an das Tagebuch ihrer Mutter aus deren Italienzeit gekommen und an deren Geschichte ist so einiges ziemlich fragwürdig. Allmählich tastet sich Lina vor, nicht ohne Hilfe der neuen Bekannten.

Ein schönes Jugendbuch, das auch sehr eindringlich die Stimmung in der Toskana spiegelt und nur gelegentlich zu sehr an der Oberfläche bleibt.

Sommerlektüre fürs Gemüt nicht nur für junge Italienurlauberinnen!

Veröffentlicht am 20.02.2018

Der alte Mann und das Gebirge

Wiesenstein
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Das Riesengebirge in Niederschlesien, genauer gesagt. Dort haust der alte Mann, nämlich der berühmte Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann, zum Ende des zweiten Weltkriegs und will auch nicht fort ...

Das Riesengebirge in Niederschlesien, genauer gesagt. Dort haust der alte Mann, nämlich der berühmte Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann, zum Ende des zweiten Weltkriegs und will auch nicht fort aus seiner schlesischen Heimat, obwohl er nicht nur dort bekannt ist wie ein bunter Hund. Auch, wenn dem nationalsozialistischen Deutschland schon das Feuer unter dem Allerwertesten brennt - Hauptmann gilt als eine der Ikonen Deutschlands und wird auch jetzt noch hofiert und gut versorgt - wie es übrigens unter allen Regierungen der Fall war.


Hauptmann ist kein Nazi, aber er hat es sich bequem gemacht im Regime, kann er doch in seinem geliebten Haus Wiesenstein wohnen bleiben und wird mit allem Komfort versorgt, den man sich nur denken kann. Dafür erwartet das Regime das ein oder andere flammende Statement zur rechten Zeit - nun ja, aus Hauptmanns Sicht kein allzu großes Opfer.


"Wiesenstein", der Roman, der nach Hauptmanns Haus, nach seiner Trutzburg sozusagen - denn genau als solche sieht er sein in jüngeren Jahren erworbenes und selbst geschaffenes bzw. zumindest erweitertes Heim - gibt die aller- aber wirklich allerletzten Zuckungen des Nationalsozialistischen Deutschland wider und beginnt unmittelbar nach der Bombardierung Dresdens, die Hauptmann ausgerechnet in der Stadt bzw. in deren unmittelbaren Umgebung erleben musste.


Jetzt soll es heimgehen und so zieht der bereits bettlägerige Hauptmann gemeinsam mit seiner Frau Margarete in Begleitung der Sekretärin Annie Pollak und des sich gerade erst angedienten Masseurs Paul Metzkow entgegen allen Flüchtlingsströmen alle düsteren Vorhersagen ignorierend gen Osten: Nur nach Hause, lautet die Devise! Und zum ersten Mal kommt ein Bedürfnis zum Vorschein, das sich wie ein roter Faden durch den ganzen Roman zieht: die Menschen in seiner Umgebung, hier also Annie und Paul, erhoffen sich Schutz durch die Nähe zu Gerhart Hauptmann, Sicherheit vor feindlichen Truppen, ebenso aber eine gewisse Gewährleistung von Komfort - was 1945 vor allem bedeutet, satt zu werden und etwas zum Anziehen zu haben, vielleicht sogar zum Wechseln. Und daheim auf Wiesenstein wartet noch ein ganzes (naja, kleines, aber immerhin) Bataillon von Bediensteten mit denselben Erwartungen.


Der Hauptteil des Romans, auf Wiesenstein, hat etwas Unwirkliches, ja Groteskes. Autor Hans Pleschinski vermag diese Endzeitstimmung, die auch in Haus Wiesenstein herrschte, trotz einiger Längen und Umständlichkeiten, die ich empfunden habe, unglaublich kraftvoll und dicht, mit einer starken Präsenz wiederzugeben. Fast empfand ich mich als Teil der Hauptmann'schen Entourage. Das "normale" Leben, auch wenn es das eines alten, ja sterbenden Mannes und seines Umfelds ist, in harten Zeiten und in einer Gegend, die quasi schutzlos ist, zumindest im Verlauf des Romans dazu wird - das hat etwas sehr, sehr Frappierendes, betroffen machendes.


Ein kluger, unglaublich umfassend recherchierter Roman, der dem Thema dank eindringlicher Schilderung eine kraftvolle Präsenz einzuhauchen vermag! Ja, es gibt Passagen, in denen Hauptmanns Werke seitenweise zitiert werden. Ja, es gibt Passagen, in denen der Meister parodiert, oder vielmehr: bloßgestellt wird. Ja, diese Teile fügen sich nahtlos in den Roman. Nein, ich habe sie nicht gerne gelesen, überhaupt nicht gerne.


Aber ich muss auch nicht jede Kleinigkeit dieses absolut opulenten Werkes, nein: Meisterwerkes schätzen, um es in seiner Gesamtheit würdigen zu können. Und das tue ich hiermit und empfehle es jedem weiter, der Romane über signifikante historische Personen und Entwicklungen so liebt wie ich. Die Lektüre ist eine wahre Herausforderung, aber was für eine! Ich jedenfalls knie nieder vor einem Meilenstein der deutschen Literatur!

Veröffentlicht am 07.03.2018

Haare als Rettungsanker

Der Zopf
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Drei Frauen von drei verschiedenen Kontinenten: Nämlich aus Asien, Europa und Amerika sind in diesem Roman versammelt.

Erzählt wird immer reihum aus der Perspektive einer der Frauen: der Inderin Smita, ...

Drei Frauen von drei verschiedenen Kontinenten: Nämlich aus Asien, Europa und Amerika sind in diesem Roman versammelt.

Erzählt wird immer reihum aus der Perspektive einer der Frauen: der Inderin Smita, der Italienerin Giulia und der Kanadierin Sarah, die nicht nur auf verschiedenen Kontinenten leben, sondern auch in völlig unterschiedlichen Welten.

Während Smita in ihrer Heimat ein Opfer des Kastensystems ist, da sie als Dalit zu den Ärmsten der Armen gehört und quasi rechtlos ist, arbeitet Giulia auf Sizilien in der kleinen Perückenfabrik ihres Vaters, einem Familienunternehmen also und Sarah hat sich in Montreal eine erfolgreiche Anwaltskarriere als Teilhaberin einer der einflussreichsten Kanzleien aufgebaut.

Doch dann stürzt bei jeder Einzelnen ihre bisher existierende Welt zusammen, alle Werte sind auf einmal null und nichtig.

Und für jede der drei beginnt ihre eigene Geschichte, und zwar eine ausgesprochen haarige, auch wenn sich das in Smitas und Sarahs Fall erst sehr spät herausstellt.

Ein Wunder - oder vielmehr drei Wunder? Nun ja, man kann es so sehen oder auch nicht. Es ist jedenfalls so, dass die Kraft einer jeden Frau es schafft, in ihrem Leben eine Änderung zu bewirken, sich vom Tiefpunkt zu lösen. Und wenn man so etwas vorher nicht für möglich gehalten hat, dann ist es in der Tat ein Wunder, wenn auch eigentlich am meisten für die Betroffene selbst.

Die französische Autorin Laetitia Colombani hat hier ein ebenso berührendes wie originelles Werk geschaffen, das sowohl von der Atmosphäre, die sie herzustellen versteht, als auch von ihren eindringlichen Charakteren, deren Darstellung nicht vieler Worte bedarf, aber dennoch sehr bildhaft und anschaulich ist, lebt.

Haare als Rettungsanker sozusagen - der Lesende braucht ein wenig Geduld, um zu dieser Erkenntnis zu kommen, denn der die drei Frauen verbindende Zopf wird - im übertragenen Sinne - erst ganz am Ende des Romans geflochten. Man wird es beim Genuss dieser so anregenden Lektüre aber - so mein Eindruck - kaum merken, dass man ein bisschen auf die Probe gestellt wird.

Ich habe mich während der Lektüre mit allen drei Frauen angefreundet - in Gedanken zumindest und es fiel mir schwer, diesen warmherzigen, aber alles andere als süßlichen Roman zu beenden und aus der Hand zu legen, weil es ja für mich keine andere Möglichkeit gibt, diese neuen Freundschaften zu pflegen. Außer eine noch - in Gedanken. Und das werde ich auch tun, indem ich diesen Roman und seine Protagonistinnen immer im Sinn - und im Herzen behalte!

Veröffentlicht am 09.02.2018

Eine alte Dame mit Biss

Fräulein Hedy träumt vom Fliegen
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und dazu steinreich: das ist Fräulein Hedy, die in ihrem "Kaff" im Münsterland eine großere Rolle spielt. Nämlich die einer Mäzenin für hochbegabte Kinder, Jugendliche und andere Personen, die sie so ins ...

und dazu steinreich: das ist Fräulein Hedy, die in ihrem "Kaff" im Münsterland eine großere Rolle spielt. Nämlich die einer Mäzenin für hochbegabte Kinder, Jugendliche und andere Personen, die sie so ins Auge fasst. Aber man will sie raushaben aus der Stiftung, denn ihre Präsenz und vor allem ihre Dominanz, die passt so einigen nicht, vor allem nicht ihrer eigenen Tochter Hannah. Was, das Fräulein - um die 90 Jahre alt ist es übrigens - hat eine Tochter?

Ja, und das hat - wie alles andere auch, eine Geschichte, Hedys Lebensgeschichte nämlich und diese erzählt sie peu á peu ihrem neuesten Stipendiaten Jan, der eigentlich ihr Physiotherapeut ist und eindeutig zum Personenkreis der sonst so ins Auge gefassten Stipendiaten gehört.

Doch auch Jan hat eine eigene Geschichte und seinen eigenen Kummer... und so geht die Beziehung zwischen Fräulein Hedy und ihm einen mehr als steinigen Weg, der genauso einfühlsam wie differenziert beschrieben wird.

So sehr ich die Figuren des Autors Andreas Izquierdo liebe, einige Nebenfiguren blieben diesmal aus meiner Sicht als Charaktere sehr blass, was ich schade fand. Wobei ich es aber durchaus legitim finde, einige der Figuren nur als Statisten fungieren zu lassen, aber nur dann, wenn ihre Rolle im Erzählverlauf wirklich eine nebensächliche ist, was hier aus meiner Sicht nicht der Fall war. Aber das ist Meckern auf sehr, sehr hohem Niveau, denn diese Geschichte liest sich einfach göttlich! Auch wenn Hedy schon ordentlich auf den Putz haut und so viel Haare auf den Zähnen hat, dass es schon nicht mehr schön ist. Doch hat dieser Roman etwas von einer Satire und Hedy damit etwas von einer Karrikatur, so dass es unbedingt legitim ist. Und wer meint, dass er mit meiner "Einordnung" das Buch in einer bestimmten Sparte ablegen kann, der wird sich wundern, denn es weist auch klare Elemente (und nicht zu wenige) eines historischen Romans auf, eines Genres, in dem Andreas Izquierdo bereits reüssiert hat, nämlich mit seinem preisgekrönten Roman "König von Albanien". Dieser Autor lässt sich nämlich in kein Schema pressen!

Was mir an den Büchern des Autors Izquierdo so gefällt: sie sind ganz und gar außergewöhnlich und sehr originell, nichts ist darin kopiert, und die Kombination der Themen (innerhalb eines einzigen Buches, wohlgemerkt): darauf muss man erstmal kommen. Mein Liebling ist immer noch "Club der Traumtänzer", aber dieses kommt gleich danach!