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Veröffentlicht am 21.02.2018

Eine ungewöhnliche Geschichte aus Belgien

Heute leben wir
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Dass Belgien im Zweiten Weltkrieg - einmal mehr nach dem großen Leid, das dem Land und seinen Einwohnern bereits im Ersten Weltkrieg zugefügt wurde, unglaubliche Schäden zugefügt wurden, ist bekannt. Wie ...

Dass Belgien im Zweiten Weltkrieg - einmal mehr nach dem großen Leid, das dem Land und seinen Einwohnern bereits im Ersten Weltkrieg zugefügt wurde, unglaubliche Schäden zugefügt wurden, ist bekannt. Wie groß das Ausmaß dieser Leiden vor allem und gerade auch in Bezug auf Einzelschicksale ist, das konnte ich bisher nur erahnen.

Hier begegnen wir der kleinen Renée, einem siebenjährigen jüdischen Mädchen, das es in die Ardennen verschlagen hat - woher sie kommt, wer ihre Eltern sind, das erfahren wir nicht, denn auch Renée kann sich nicht mehr an sie erinnern, so lange ist sie schon auf sich selbst gestellt - unvorstellbar in der heutigen Zeit. Bisher hat sie es dank unterschiedlicher mutiger Menschen, denen sie begegnet ist und die sie unter ihre Fittiche nahmen, geschafft zu überleben, doch jetzt macht der belgische Geistliche, dem sie zuletzt anvertraut wurde, einen entscheidenen, aber verständlichen Fehler: er übergibt sie an amerikanische Soldaten - so denkt er. Dass dies in Wirklichkeit Deutsche sind, Angehörige der SS, die sich mit fremden Federn schmücken und so in den letzten Kriegsmonaten noch versuchen, ihre Seite auf besonders perfide Art zu stärken, das ahnt er - und viele andere um ihn herum auch nicht. Doch Renée gerät an einen ungewöhnlichen Vertreter der nationalsozialistischen Ideologie und der SS: Matthias, der nicht nur deutsche, sondern auch kanadische Wurzeln hat und lange Jahre bei einem Indianerstamm gelebt hat, also für damalige Verhältnisse eine sehr internationale Vergangenheit aufweist. Und dieser, obwohl eigentlich außergewöhnlich brutal und kaltschnäuzig agierend, kann sie einfach nicht umbringen, wie es sein Auftrag gewesen wäre. "Nicht er hat entschieden, sie nicht zu töten. Sie hat es entschieden." (S. 283)

Er bringt sie bei einer belgischen Bauersfamilie unter, die - wie könnte es in diesem Roman anders sein - auch in vielem ziemlich besonders ist, gleichwohl wie alle zu der Zeit unter den verschiedenen Besatzungsmächten, die alle auf ihr Recht pochen, leidet. Gerade auch an diesen Menschen - der Familie Paquet - kann man das Leid der Belgier, die als Zivilisten quasi mitten an der Front "hingen", sehr gut und sehr schmerzhaft nachvollziehen.

Ein Buch, das mir lange im Gedächtnis bleiben wird. Ein Buch, in dem nichts schwarz bzw. weiß bleibt, ein Buch, das den Leser dazu herausfordert, nicht eindimensional zu denken, ihn daran hindert, die Figuren in "gut" und "schlecht" aufzugliedern. Auch die Verteilung der Sympathien fällt nicht immer leicht, einige Figuren, nicht zuletzt die beiden Protagonisten Matthias und Renée, aber auch einige Nebendarsteller, wie bsp. Philibert, der mitten im Roman wie aus dem Nichts auftaucht, "nicht alle Fritten in derselben Tüte hat" (S. 139) und dem Geschehen eine entscheidende Wendung gibt, erschienen mir doch arg konstruiert und teilweise so unglaubwürdig, dass es mir streckenweise schwerfiel, der Handlung so richtig ernsthaft und engagiert zu folgen - so wie es ein Roman, der eine solch wichtige Episode der jüngeren Geschichte thematisiert und dabei ungewöhnliche Wege beschreitet, es eigentlich verdient hätte.

Auch erschienen mir einige Handlungsstränge so ungewöhnlich, dass es hilfreich gewesen wäre, auf der anderen Seite das alltägliche, das damals übliche, soweit man etwas, das sich während des Zweiten Weltkrieges abgespielt hat, überhaupt so bezeichnen kann. Aber Sie verstehen hoffentlich, was ich meine: wenn alles außergewöhnlich und seltsam ist, nutzt es sich irgendwann ab.

Zudem hatte ich das Gefühl, dass einige Darstellungen und auch Redewendungen sehr modern abgefasst sind - zu modern für die 1940er Jahre. Dennoch habe ich den Roman sehr gern und mit Genuss gelesen und empfehle ihn mit den erwähnten kleinen Vorbehalten gerne weiter.

Veröffentlicht am 21.02.2018

Manchmal hat man einfach keine Wahl

Gott ist nicht schüchtern
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Wie schnell man in Damaskus vor ein paar Jahren vom angehenden Mediziner bzw. einer angehenden Schauspielerin zum Flüchtling werden kann, das schildert Autorin Orga Gjrasnowa in diesem Roman, der aus meiner ...

Wie schnell man in Damaskus vor ein paar Jahren vom angehenden Mediziner bzw. einer angehenden Schauspielerin zum Flüchtling werden kann, das schildert Autorin Orga Gjrasnowa in diesem Roman, der aus meiner Sicht eher dokumentarischen bzw. zeitgenössischen Wert hat. Eindringlich schildert sie die Geschicke der beiden jungen Leute Hammoudi und Amal, allerdings diese nicht so sehr literarisch wie zeithistorisch geprägt und gerade dies macht derzeit ihren besonderen Reiz aus, wenn es auch ein tragischer, ein dramatischer, ja ein überaus schmerzlicher Reiz ist. Aber einer, den jeder von uns vergegenwärtigen sollte, da er an uns nicht vorbeigehen kann, nicht vorbeigehen darf. Diese weltpolitischen Entwicklungen berühren jeden und sie sollten auch jeden schmerzen - wie kann es sein, dass dies nicht der Fall ist.

Wir erleben Hammoudi als Winner-Typen, den es für nur fünf Tage nach Damaskus verschlagen hat: er muss seinen Pass verlängern. Aus den fünf Tagen werden fast fünf Jahre - am Ende muss er - ebenso wie Amal - an Flucht denken, um das vor wenigen Jahren noch sichere Land verlassen zu können.

Es sind quasi zwei Einzelschicksale, die hier erzählt werden, quasi zwei Parallelwelten - eher ergänzender als völlig nebeneinander existierender Art- werden dargestellt. Die Wege von Hammoudi und Amal kreuzen sich nur kurz, nur punktuell.

Ja, manchmal hat man einfach keine Wahl: wie oft das bei Menschen von ganz ähnlicher sozialer Herkunft wie uns selbst bspw. aus Syrien der Fall ist, das zeigt hier die Autorin Olga Grjasnowa.

Auch wenn Frau Grjansowa, dokumentiert, also die Ereignisse darstellt, wenn man es so nennen kann, sehr sachlich erzählt - auch dann scheint es manchmal, als wolle sie uns eine Vorlage, ja, eine Vorgabe anbieten zu den Entwicklungen unserer Zeit und fast erscheint sie mir - wenn auch überaus eindringlich - zu plakativ. Dennoch: ein lesenswerter Roman, der uns unsere Ära in all ihrer Hoffnungslosigkeit und Grausamkeit vorführt. Mit einer Härte, die manchmal einfach unumgänglich scheint.

Veröffentlicht am 21.02.2018

Mut war einfach eine Form von Weitergehen (S.415)

Bis an die Grenze
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Bis Josie zu dieser Erkenntnis kommt, ist sie bereits ein ganzes Stück gegangen und gefahren und hat sich auch innerlich eine ganze Ecke - ja, eine Dimension - weiterbewegt. Fort von ihrem hoffnungslos ...

Bis Josie zu dieser Erkenntnis kommt, ist sie bereits ein ganzes Stück gegangen und gefahren und hat sich auch innerlich eine ganze Ecke - ja, eine Dimension - weiterbewegt. Fort von ihrem hoffnungslos scheinenden Leben in Ohio, fort von ihrer aufgelösten Zahnarztpraxis, ihrer gescheiterten Beziehung mit dem ungewöhnlichen Carl, aber immer noch mit ihren beiden Kindern Paul und Ana - auch sie nicht gerade leicht zu handhaben.

Josie selbst allerdings auch nicht, am wenigsten von sich selbst und so ist ihr spontaner Aufbruch nach Alaska vor allem eine Reise zu sich selbst, eine Suche - und eine mögliche Erkenntnis dessen, was wirklich wichtig ist im Leben.

Wer bereits Erfahrungen hat mit dem Autor Dave Eggers, der weiß, dass er sich hier auch als Leser keiner geringen Herausforderung scheint, denn Eggers nimmt sein Publikum mit auf (Ab)Wege, von denen sie bislang nicht mal zu träumen wagten. Das erledigt Eggers für sie bzw. für uns, dieser Teufelskerl, wenn es um das Schildern des amerikanischen, nein, des globalen Alltags im 21. Jahrhundert geht.

Sich Dave Eggers und Josie zu stellen, heißt, sich gewissermaßen sich selbst zu stellen, denn den Leser möchte ich sehen, der die ein oder andere absurde Situation in Josies Leben mit seinem eigenen vergleicht, sich überlegt, wie er in der ein oder anderen Situation selbst reagiert hätte.

Denn das verrate ich Ihnen schon - Josies Schicksal lädt stellenweise förmlich ein zum sich selbst Schämen. Allerdings habe ich mir im Nachhinein immer wieder die Frage gestellt, ob ich denn selbst so viel unbescholtener, so viel sauberer als Josie aus der Sache herausgekommen wäre. Ein furioser Roman, was das Innenleben der Protagonistin angeht, auch wenn man immer wieder befremdet ist.

Für das absolute Highlight im Roman muss man aus meiner Sicht schon fast bis zum Ende durchgehalten haben, dann lernt man von Dave Eggers, was der so häufig bemühte Satz "Jeder Mensch ist musikalisch" eigentlich wirklich für eine Bedeutung haben kann.

Ich hatte Spaß an diesem Buch und habe mich keine Sekunde gelangweilt, wenn mich auch manches zu sehr befremdet hat, um uneingeschränkt begeistert zu sein. Ein Buch für Leser, die sich selbst ein wenig besser kennenlernen wollen und nicht so recht wissen, wie sie es anstellen sollen. Nicht so wie Josie, würde ich sagen - aber Eggers hat mir durchaus auch auf andere Ideen gebracht!

Veröffentlicht am 21.02.2018

Ein Drama reich an Emotionen

Wenn das Eis bricht
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entwickelt hier die schwedische Autorin Camilla Grebe die wir bislang als kriminalistisches Duo zusammen mit ihrer Schwester Asa Träff kannten: sie entwickelten gemeinsam die Reihe um die Pychotherapeuthin ...

entwickelt hier die schwedische Autorin Camilla Grebe die wir bislang als kriminalistisches Duo zusammen mit ihrer Schwester Asa Träff kannten: sie entwickelten gemeinsam die Reihe um die Pychotherapeuthin Siri Bergman.

Nun also im Alleingang, aber auf keinen Fall weniger packend. Aus drei Perspektiven wird die Geschichte um einen Mord erzählt: aus der eines Polizisten, der herbeigeholten Kriminalpsychologin Hanne und von Emma, die in den Fall verwickelt ist - nur wie genau?

Und auch Hanne und Peter, so der Name des Polizisten, haben bereits ihre Aktien in dem Fall, der Parallelen zu einem lange verjährten Mord aufweist. Und sie haben auch eine gemeinsame Vergangenheit, eine, die an Dramatik kaum zu überbieten ist.

Wie auch in anderen Erzählsträngen die dramatische Komponente vorherrscht - keiner der Protagonisten hat es bisher leicht gehabt, alle schleppen ein ordentliches Stück der Vergangenheit mit sich rum.

Was sich als immer dichterer, aufeinander aufbauender Fall erweist, birgt dennoch einige ganz gewaltige Überraschungen, die die Autorin geschickt in ihren Fall eingebaut hat und die den Leser quasi unerwartet erwischen. Ein wirklich spannendes Buch mit ein paar kleineren Längen in dem ein oder anderen Erzählstrang - auf einigen Punkten wird aus meiner Sicht dann doch ein bisschen zu intensiv herumgeritten.

Dennoch ein sehr lohnens- und lesenswerter Thriller, der streckenweise ganz schön an die Nieren geht und beweist, dass Camilla Grebe wirklich sehr intensiv und mitreißend zu schreiben vermag!

Veröffentlicht am 11.02.2018

Die Magie englischer Gärten

Je tiefer man gräbt
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entfaltet bei mir ihre volle Wirkung und so war ich gleich gespannt, als ich diesen Krimi mit der jungen Gärtnerin Mags als Protagonistin in die Finger bekam. Dazu spielt er im Frühsommer in Cornwall - ...

entfaltet bei mir ihre volle Wirkung und so war ich gleich gespannt, als ich diesen Krimi mit der jungen Gärtnerin Mags als Protagonistin in die Finger bekam. Dazu spielt er im Frühsommer in Cornwall - was kann es Schöneres geben!

Die junge Witwe Mags ist nach einer großen Enttäuschung aus den Vereinigten Staaten in ihre Heimat England - genauer gesagt Cornwall - zurückgekehrt, wo sie sich völlig ohne Geld ein neues Leben aufbauen muss. Sogar das Erbe ihres Vaters, das Elternhaus nämlich, muss sie verscherbeln, aber eines kann ihr keiner nehmen: das, was ihr Vater ihr beigebracht hat, nämlich die Kunst des Gärtnerns und so hat sie sich binnen zwei Jahren ein ganz gut laufendes Gartenbau- und pflege-Unternehmen aufgebaut, sie selbst ist zwar ihre einzige feste Mitarbeiterin, aber sie hat bereits so einige Erfolge verzeichnet, als sie auf dem herrschaftlichen Anwesen im Ort bei einer Gartenführung aushelfen soll, was sie nur zu gern tut. Den Garten hat nämlich ihr geliebter Vater angelegt und die Umgebung ist für sie mit wunderbaren Kindheitserinnerungen verknüpft - nicht zuletzt an den attraktiven Sohn der Familie, Thomas. Wobei dieser nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt hat, obwohl er vor einigen Jahren eine furchtbare Enttäuschung hinnehmen musste, seine Verlobte verließ ihn nämlich direkt nach der Verlobung. Und nun macht Mags im Garten seiner Familie einen grausigen Fund.

Man merkt teilweise, dass dieser Krimi aus der Feder einer deutschen Autorin stammt, es werden nämlich alle Klischees in Bezug auf England bemüht, die man sich nur denken kann. Aber es kommen auch interessante Hintergrundinformationen hinzu, die darüber hinausgehen und vor allem ist die Schilderung der Gärten und der kornischen Landschaft derart atmosphärisch, dass das mich beim Lesen gleich wieder versöhnlich gestimmt hat und ich auch darüber hinwegsehen konnte, dass der eigentliche Kriminalfall recht absehbar und zudem nicht allzu spannend war.

Spannend fand ich vielmehr Mags als Person und die Figuren um sie herum - da ist noch viel Potential, denn Vieles aus Mags`persönlicher Geschichte wird nur angedeutet, weswegen ich mir fast sicher bin, dass da noch was kommt - nämlich weitere Bände mit der sympathischen Gärtnerin in der Hauptrolle. Ich freue mich sehr darauf, denn trotz meiner kleinen Meckerei - einer auf sehr hohem Niveau, möchte ich betonen - habe ich regelrecht darin geschwelgt! Ein Krimi für alle, die es nicht zu blutig haben müssen und England mögen!