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Veröffentlicht am 21.02.2018

Berichte von der Front als Graphic Novel

Großväterland
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um es einmal sehr allgemein zu beschreiben, präsentieren der Historiker Christian Hardinghaus und der Zeichner Markus Freise hier einmal in ungewohntem Format. Zeitzeugenberichte aus dem zweiten Weltkrieg ...

um es einmal sehr allgemein zu beschreiben, präsentieren der Historiker Christian Hardinghaus und der Zeichner Markus Freise hier einmal in ungewohntem Format. Zeitzeugenberichte aus dem zweiten Weltkrieg sind es, die hier sozusagen im Comicmodus aufbereitet werden. Dabei verlieren sie keineswegs die Ernsthaftigkeit, die Gewichtigkeit der Bedeutung, nein, die Zeichnungen lassen die Vorgänge - die meisten gezeichneten Ereignisse spielen sich an der Front ab - noch eindringlicher und vor allem plastischer wirken.

Ziemlich starker Tobak also, der hier Schülern - denn dies ist die primäre Zielgruppe - vorgesetzt werden soll. Doch die Autoren wissen, was sie tun und gehen hart gegen bestehende Gefahren wie verblassende Erinnerungen - eine natürliche Folge des allmählichen Verschwindens von Zeitzeugen - an. Es sind sieben längere und 2 kürzere (so genannte One-Pager) Kriegsberichte von insgesamt sieben Männern und zwei Frauen, alle in den 1920ern geboren, bei Kriegsbeginn also teilweise noch Kinder, auf jeden Fall aber Jugendliche.

Die gesamte Bandbreite, die Ausweitung des Zweiten Weltkrieges wird hier vorgeführt, die Berichte kommen aus unterschiedlichen "Ecken", von der Ostfront natürlich, dann schildert einer der jungen Männer seine Erlebnisse am D-Day in der Normandie, aus Norwegen, Polen und und und. Ebenso wie geographische Verschiedenheiten prägen zeitliche Unterschiede die Geschichten - sie erstrecken sich über die gesamten (fast) sechs langen, furchtbaren Kriegsjahre.

Unterfüttert hat Christian Hardinghaus die Zeitzeugenberichte mit zahlreichen Hintergrundinformationen zu jedem einzelnen Erlebnis, die aus dem Buch ein fundiertes, informatives und enorm bereicherndes Instrument sowohl für den Schulunterricht als auch die individuelle Fortbildung werden lassen. Und das definitiv nicht nur für junge Leute!

Ich fand es schade, dass es keine Fotos und keine näheren Informationen zu den Zeitzeugen gab, wenn ich es auch gut nachvollziehen kann, dass sie möglicherweise anonym bleiben wollten. Dennoch, es hätte die ganzen Bezüge noch um einiges lebendiger werden lassen!

Als ein weiteres Manko sehe ich die aus meiner Sicht nicht allzu individualiert gestalteten Personenzeichnungen. Bei Gisela bspw. der wir gleich im ersten One-Pager zu Kriegsbeginn begegnen, war für mich nicht auszumachen, ob sie ein junges Mädchen, ein Kind oder sogar schon ein älterer Mensch ist - auch das Geschlecht ist für mich nicht ganz klar zu identifizieren. Und das ist nicht der einzige Fall, so dass es aus meiner Sicht ein deutliches qualitatives Gefälle zwischen Texten und Zeichnungen gibt.

Aber dennoch ist das Buch insgesamt ein außerordentlich lohnenswerter Beitrag zur Verarbeitung des Zweiten Weltkrieges - nicht nur für junge Menschen!

Veröffentlicht am 21.02.2018

Durch einen dummen Verkehrsunfall zur Vollwaisen

Solange ich in deinem Herzen bin
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wird die kleine Ella, als ihr Vater Will von einer Autofahrerin, die auf den Boden ihres Wagens statt auf die Straße schaut, totgefahren wird. Da ihre Mutter Alice auch nicht mehr lebt, ist sie nun ganz ...

wird die kleine Ella, als ihr Vater Will von einer Autofahrerin, die auf den Boden ihres Wagens statt auf die Straße schaut, totgefahren wird. Da ihre Mutter Alice auch nicht mehr lebt, ist sie nun ganz allein auf der Welt. Elternlos zieht nun zu ihren Großeltern, den Eltern von Will, die sich rührend um sie kümmern, aber auch nicht mehr die Jüngsten sind und sowieso nicht die Eltern ersetzen können.

Der Leser erlebt die Geschichte aus einer ungewöhnlichen Perspektive - nämlich aus der des toten Will. Dieser hatte seiner Tochter versprochen, sie nie mehr allein zu lassen und muss dieses Versprechen nun brechen.

Oder doch nicht? Gibt es für ihn eine Möglichkeit, ins Leben zurückzukehren, den Tod rückgängig zu machen? Oder kann er möglicherweise aus dem Reich der Toten mit Ella Kontakt aufnehmen, an ihrer Seite sein?

Ein interessantes Thema, dachte ich mir, mit einem geradezu metaphysischen Ansatz. In der Tat eine interessante, ausgesprochen ungewöhnliche Geschichte, doch leider war alles ein wenig zu sensationsorientiert aufgebaut.

Gerade zum Ende hin jagte eine Räuberpistole die nächste, wurde die Geschichte immer verwegener. Zudem kamen zu viele Tote darin vor für meinen Geschmack, mir hätte es besser gefallen, wenn sie sich aufs Wesentliche, also auf Will und Ella konzentriert hätte. Ein interessanter Gedanke zum Leben nach dem Tod, der leider ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist.

Veröffentlicht am 21.02.2018

Ein Krimi der anderen Art

Totenrausch
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Eher der ruhigen, der introvertierten - doch wer glaubt, es ginge hier gemächlich zu, der befindet sich auf dem Holzweg! Nein, dies ist ein auf reduzierte Art überaus rasanter Krimi, auf den sich einzulassen ...

Eher der ruhigen, der introvertierten - doch wer glaubt, es ginge hier gemächlich zu, der befindet sich auf dem Holzweg! Nein, dies ist ein auf reduzierte Art überaus rasanter Krimi, auf den sich einzulassen lohnt.

Worum es geht: Bestatterin Blum - eingeführt bereits in den Vorgängerbänden "Totenfrau" und "Totenhaus"- ist auf der Flucht: jede Menge Leichen haften ihr an. Diesmal führt ihr Weg über den Umweg in den hohen Norden geradewegs nach Hamburg - und Blum wäre nicht Blum, wenn sie nicht schnurrstracks auf der Reeperbahn und im Rotlichtmilieu landen würde - und das mit ihren beiden Töchtern im Schlepptau!

Dass sie bald nicht mehr Blum, sondern Marie Müller heißt und dem brutalen Zuhälter Schiele auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist - das müssen Sie nicht verstehen. Jetzt noch nicht - erst, wenn Sie der Geschichte von Brünhilde Blum/ Marie Müller literarisch gefolgt sind.

Weitere Figuren tauchen auf - sie alle als schräg zu bezeichnen, ist - gelinde gesagt - eine Untertreibung sondergleichen! Und die Handlung wird blutig und hart - auch wenn es viel um innere Entwicklungen geht, sind es große Themen, die hier angesprochen werden: es stellt sich die Frage, wem man vertrauen kann und wer man selber ist - vom gesamten Umfeld gar nicht zu Reden. Blum jedenfalls bereitet sowohl sich als auch anderen jede Menge Schwierigkeiten - wobei nur der kleinere - durchaus nicht geringe Teil - hausgemacht ist .

Ein ruhiger, aber heftiger Thriller und damit eine ausgesprochen ungewöhnliche, umso wirkungsvollere Kombination. Teilweise sind die Entwicklungen dennoch ein wenig langsam. Das bezieht sich aber ausschließlich auf den Schreibstil, wenn man sich vergegenwärtigt, was da so los ist, geht es eindeutig Knall auf Fall.

Ein Buch für anspruchsvolle Thrillerfreunde, die wollen, dass es kracht und dass blut fließt und die nicht zu empfindlich sind. Im Gegensatz zum Vorgänger "Totenhaus", der meinen Geschmack nur teilweise getroffen, bin ich diesmal so ziemlich auf meine Kosten gekommen. Und empfehle die Geschichte mit Brünhilde/Marie, die mit diesem Band vollendet bzw. abgerundet wird, von ganzem Herzen!

Veröffentlicht am 21.02.2018

FliegerIN, grüß mir die Sonne

Unsere Hälfte des Himmels
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... grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond!

So durfte es in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft nicht mehr heißen, in denen die Frauen nur für die Familie da sein sollten.

Das ...

... grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond!

So durfte es in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft nicht mehr heißen, in denen die Frauen nur für die Familie da sein sollten.

Das bekommen Amelie, Johanna und ihre Freundinnen, die seit Jahren dem Segelflug in Frankfurt am Main frönen, zu spüren, wobei Johanna und Amelie sich dennoch um einen Ausbildungsplatz im von ihnen erstrebten Berufsfeld bemühen und durchaus noch darauf Chancen haben.

Doch unerwarteterweise wird etwas anderes für Amelie wichtiger, als die Liebe in ihr Leben tritt. Wird sich ein Keil zwischen die beiden Freundinnen schieben?

1971, über dreißig Jahre später: Amelies Tochter Liselotte sorgt sich um ihre Mutter, die ins Koma gefallen ist. Wird sie jemals daraus erwachen und Liselotte eine Antwort auf die vielen Fragen zu ihrer Herkunft geben können? Und wird Liselotte es schaffen, sich von ihrem spießigen Mann Eduard zu lösen, der sie nur als Heimchen am Herd zu brauchen scheint?

Die junge Nachbarin ihrer Mutter, die Studentin Marga wird eine unerwartete Hilfe für Liselotte bei dem Versuch, das Tor zur Vergangenheit zu öffnen.

Ein Buch über die Rolle der Frau im Laufe des 20.Jahrhunderts, die uns Frauen des 21. Jahrhunderts zeigt, dass unsere Ahninnen es um einiges schwerer hatten als wir und nicht wenige Hürden zu nehmen hatten. Für meinen Geschmack enthält dieser Roman, der insgesamt durchaus mitreißend und spannend ist, ein paar Klischees zu viel. Doch ist es wahrlich interessant, die Geschichte der Fliegerinnen und einige (erfundene) Einzelschicksale zu verfolgen. Ein Buch über Frauen, die ihren eigenen Weg gehen wollten!

Veröffentlicht am 21.02.2018

Späte Bekanntschaft mit der Heimat

Die Töchter des Roten Flusses
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macht die Juristin Tuyet, Kind vietnamesischer Eltern, aufgewachsen in Deutschland beim Vater und der deutschen Stiefmutter. Sie kommt im Alter von 29 Jahren zum ersten Mal nach Hanoi in Vietnam, die Stadt, ...

macht die Juristin Tuyet, Kind vietnamesischer Eltern, aufgewachsen in Deutschland beim Vater und der deutschen Stiefmutter. Sie kommt im Alter von 29 Jahren zum ersten Mal nach Hanoi in Vietnam, die Stadt, aus der ihre Eltern kommen - und ihr wird erst während ihres Aufenthaltes dort klar, dass sie ihre leibliche Mutter, der sie zuletzt als Kleinkind begegnet ist, suchen will. Dadurch steht ihr einiges an Erlebnissen und Abenteuern bevor.

Doch den Leser erwartet noch einiges mehr, denn ihm wird auch noch die Geschichte von Tuyets Eltern, die in der DDR studiert bzw. gearbeitet haben, vermittelt sowie jede Menge Wissenswertes über Vietnam.

Für mich war es wie eine Rückkehr - ich habe vor ein paar Jahren Vietnam bereist und es war wunderbar, die Erinnerungen auf farbigste Art und Weise wieder aufleben zu lassen.

Doch so farbig und belebend die Darstellungen des historischen und kulturellen Hintergrundes durchgehend waren, so zäh und zunächst schwer nachvollziehbar waren manche der Wendungen, die die Autorin Beate Rösler ihren Charakteren so auferlegte. Dennoch, auch wenn es des Guten ein wenig zu viel war, hat mir der Roman insgesamt gut gefallen, vor allem das vietnamesische Lokalkolorit das man beim Lesen in Hülle und Fülle zu schnuppern bekommt sowie das überaus vielschichtige Bild von der DDR, das die Autorin den Leser sehr geschickt durch den Filter der vietnamesischen Studenten und Gastarbeiter wahrnehmen lässt - eine ganz neue Perspektive - auch das gab es in der "Zone"!

Ja, die Autorin Beate Rösler hat akribisch recherchiert und sie hat ein Händchen fürs Atmosphärische: so gelingt es dem Leser nicht nur, ins farbenprächtige Treiben in Vietnam einzutauchen, sondern auch in das Ostberlin der späten 1970er und 1980er Jahre bis hin zur Wende einzutauchen.

Die Irrungen und Wirrungen jedoch, die ihre Figuren so durchmachen müssen, sind fast des Guten zu viel - dass eine Person all diese Schicksalsschläge auf sich vereinbaren muss, ist (nicht nur in einem Fall) einfach nicht nachvollziehbar!


Ein spannendes und vielschichtiges Buch, das viele Aspekte der Probleme des heutigen und auch des früheren Vietnam anspricht. Dadurch bleibt die Feinarbeit im Hinblick auf die Ausarbeitung der Figuren und auch die Entwicklung einiger Erzählstränge leider ein bisschen auf der Strecke. Insgesamt jedoch ein farbenprächtiges und auch einfühlsames Buch, das einlädt, mit offenerem Blick durchs Leben zu gehen, auch in andere Kulturen einzutauchen: es lohnt sich!