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Veröffentlicht am 11.03.2018

Ein wunderbarer Schmöker!

Das Geheimnis der Muse
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„Das Geheimnis der Muse“ hat mir ausgezeichnet gefallen, daher empfehle ich den Roman auch wärmstens weiter.
Im Fokus stehen zwei Künstlerinnen: eine junge Malerin im Jahr 1936 in Andalusien, kurz vor ...

„Das Geheimnis der Muse“ hat mir ausgezeichnet gefallen, daher empfehle ich den Roman auch wärmstens weiter.
Im Fokus stehen zwei Künstlerinnen: eine junge Malerin im Jahr 1936 in Andalusien, kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges, und eine farbige, junge Schriftstellerin im Jahr 1967 in London. Beide haben erhebliche Schwierigkeiten, ihre Werke an die Öffentlichkeit zu tragen. Die beiden wollen lieber im Hintergrund bleiben.
Die Erzählstränge wechseln sich ab: Mal wird die Geschichte von Olive, der Malerin erzählt, die sich im Dachzimmer einer andalusischen Finka eingerichtet hat und dort die Blütezeit ihrer Schaffenskraft erlebt. Zusammen mit ihren Eltern ist sie dorthin aus London gezogen, der Vater ein Kunsthändler, der so manches Bild u.a. an Peggy Guggenheim verkauft, die Mutter eine gelangweilte Schönheit. Die Geschichte von Odelle, die aus Trinidad nach London vor paar Jahren kam und nun bei einer angesehenen Galerie einen Job ergattert hat, spiegelt sich im gewissen Sinn darin. Zudem gibt es noch andere Verbindungen zwischen den beiden. Odelle will das Geheimnis eines Bildes aufdecken, mit dem sie eines Tages konfrontiert wird. Odelles Vorgesetzte Marjory Quick, die für sie und ihr Talent eine Mentorin und Förderin wird, scheint auch ein dunkles Geheimnis zu verbergen.
In beiden Erzählsträngen gibt es Liebesgeschichten, spannende Frauenschicksale, allerhand Rätselhaftes um das Bild der Heiligen Rufina, um die Identität von Marjory Quick, auch um die von manch anderen Figuren. Das Thema der Identität ist schon gut präsent, aber auch so authentisch den Erzählteppich eingewoben worden! Das gilt auch für die in die Tiefe gehenden, treffenden Gedanken um Künstler, ihr Schaffen, ihre Werke und Künstlerdasein insg. Es wird auch mit manchem Denkfehler in der Hinsicht aufgeräumt, die Fettnäpfe, in die die Neulinge oft treten, beim Namen genannt uvm. Man liest auch klare Botschaften heraus, die an die Künstler/innen gerichtet wurden.
Es gibt auch schöne, rührende Momente, auch Szenen, bei denen ich schmunzeln musste, z.B. dort wo die weit hergeholten Interpretationen der heutigen Kunsthistoriker dem Leser mit Augenzwinkern präsentiert wurden. Es geht auch um Frauenfreundschaft, Ehe, Mutter-Tochter Beziehung, Eifersucht, Leidenschaft, Verrat, Demütigung, Mord, uvm.
Beide Erzählstränge sind auch sehr schön, sehr atmosphärisch und so zum Greifen nah erzählt worden, sodass man gleich in den Roman abtaucht, zusammen mit den Figuren ihre Geschichten lebt und mit ihnen fiebert, bis die letzte Seite umgeblättert worden ist.

Fazit: Ein wunderbarer Schmöker über die Liebe und Freundschaft, über Künstler und ihre Werke uvm. Alle Zutaten für einen schönen Roman sind da und entfalten sich prima zu ihrer wahren Größe. Es ist definitiv kein (!) 08/15 Frauenroman nach Schema F.
Da geht es so ab: das Buch auf, die Welt aus, das Kopfkino an, Lesegenuss bis zur letzten Seite. Fünf leuchtende Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 09.03.2018

Toller, spannender Roman, bei dem das Lustige und Ernste eng bei einander liegen.

Kühn hat Ärger
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„Kühn hat Ärger“ hat mir schon sehr gut gefallen, habe viel Spaß damit gehabt.
Wer einen Aktionskrimi nach Schema F sucht, der kann gern weitersuchen.
Hier wird der Gesellschaft der Spiegel vors Gesicht ...

„Kühn hat Ärger“ hat mir schon sehr gut gefallen, habe viel Spaß damit gehabt.
Wer einen Aktionskrimi nach Schema F sucht, der kann gern weitersuchen.
Hier wird der Gesellschaft der Spiegel vors Gesicht gehalten, auf eine ironisch-humorige und zuweilen auch ernste Art übers Leben und das, was dazu gehört philosophiert. Hier findet man Charakterstudien, v.a. beim Kühn und zum Schluss dem Täter& Co.
Kühn ist zwar ein Held, wie es für Protagonisten typisch ist, hat aber auch seine dunkleren Seiten. Er grübelt gern und oft, und steigert sich irgendwann dermaßen in seine Fantastereien, dass er sie dann problemlos als Grundlage für einen Seitensprung verwenden kann, wobei er eigentlich kein Typ zu solchen Allüren ist. Das Ganze ist mit guter Prise Humor dargeboten, sodass man es schmunzelnd wahrnimmt und dabei an Sketche von Loriot denkt. Die obligatorische Sexszene fehlt natürlich auch nicht, aber da kann man sich schieflachen. Sehr gekonnt dargestellt.
Man sieht auch deutlich, dass dieser Roman von einem Mann geschrieben wurde, denn diese Weltanschauung des Mannes, Beamten im Polizeidienst, Familienvaters mit zwei Kindern, all die typischen Eheprobleme, Ärger bei der Arbeit mit dem besten Kollegen und daheim beim Gift im Keller, etc. pp. ist plastisch wie hautnah vor Augen der Leser geführt worden und gewährt tiefe Einblicke in die Psychologie des Mannes.
Auch wie er sich an seinem Platz im Leben irgendwo im unteren Segment der Mitte, wo oben die Schönen und Reichen sind, die sich alles leisten können und unten die ganz Armen ohne jeder Hoffnung oder bessere Aussichten, eingerichtet hat und wie es ihm dabei geht, wie er sich dabei fühlt, wird im Laufe der Erzählung deutlich und regt sehr zum Nachdenken an.
Diese wachsende Kluft zwischen Arm/hoffnungslos und Reich/zweckoptimistisch/für alles bereit steht einem zum Greifen nah vor Augen und kommt recht realistisch rüber. Realistisch ist auch diese allgegenwärtige Gefahr des Abrutschens der Mittelschicht ins Mittellose, wenn man die Probleme im Keller des Kühnschen Hauses in Betracht zieht und welche Rolle dabei die Banken& Co. gespielt haben. Bis zum Verbrechen aus Verzweiflung, wie man es bei manchen Nebenfiguren sieht, ist da nicht weit.
Jan Weiler hat sein Werk selbst gelesen. Das ist ihm sehr gut gelungen. Alle Figuren haben ihre eigene Stimme, ihre eigene Art zu sprechen, was man auch deutlich heraushört. Weiler hat seine eigene Art vorzutragen und ist daran prima wiedererkennbar. Mir hat seine Darbietung sehr zugesagt. Ich höre gerne auch seine weiteren Hörbücher.

Fazit: Ein toller, spannender Roman, bei dem das Lustige und Ernste eng bei einander liegen, sehr gekonnt geschrieben, den ich sehr gern gehört habe, der mich köstlich amüsiert und zum Nachdenken angeregt hat. Es war mein erster Kühn, aber bestimmt nicht der letzte. Ich verbleibe auf die Fortsetzung gespannt und vergebe gern die 5 wohl verdienten Sterne und eine Hörempfehlung.

Veröffentlicht am 08.03.2018

Ein echtes Highlight, ein must read!

Wut
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„Wut“ von Julia Ebner hat mir ausgezeichnet gefallen, daher empfehle ich das Buch gern auch weiter.

Wie der Klappentext zutreffend sagt: „Mit gezielten Undercover-Recherchen und Gesprächen mit Radikalen ...

„Wut“ von Julia Ebner hat mir ausgezeichnet gefallen, daher empfehle ich das Buch gern auch weiter.

Wie der Klappentext zutreffend sagt: „Mit gezielten Undercover-Recherchen und Gesprächen mit Radikalen beider Seiten zeigt sie, wie sich die Strategien von Islamismus und Rechtsradikalismus wechselseitig ergänzen und verstärken… Die Autorin geht den Ursachen der wechselseitigen Radikalisierung auf den Grund und zeigt, wie Extremisten Angst, Verunsicherung und Wut instrumentalisieren.“

Faszinierend ist nicht nur der Mut, den Julia Ebner bei ihren Recherchen an den Tag gelegt hat, spannend und aufschlussreich sind auch die Ergebnisse, die sie in diesem Buch präsentiert.

Die Erfolgsrezepte, die Extremisten nutzen, „um uns so zu manipulieren, dass wir ihre Geschichten glauben und daher gemäß den Regeln ihrer fiktiven Weltordnung handeln“ hat sie unter die Lupe genommen und die 5 Grundzutaten herausgefiltert, die auch für beide Seiten gelten: Es geht um Einfachheit, Stimmigkeit, Empfänglichkeit, Identifizierung und Inspiration, S. 47-59. Sie erklärt auch anschaulich, wie es gemeint ist, u.a.:

„Sowohl die Viktimisierung des ‚wir‘ als auch die Dämonisierung des ‚Anderen‘ werden durch den Gebrauch von Archentypen erleichtert.“

„Ein zusätzlicher Reiz radikaler Gruppen liegt in dem starken Zugehörigkeitsgefühl, das sie unter ihren Mitgliedern erzeugen. Durch Verwendung gemeinsamer Sprache, Symbole und Gebräuche fördern sie die Homogenität in Wir-Gruppen.“

„Empathie für die Protagonisten ihrer Geschichte auszulösen und Hass auf die Antagonisten zu erzeugen, ist die Grundlage der Strategien beider Extreme.“ S. 52.

Noch viele andere aufschlussreiche Dinge sagt sie vielerorts, führt prima treffende Vergleiche an, den Stoff insg. so gehaltvoll, kurz und prägnant dargelegt, dass er nicht nur jedem verständlich sein wird, sondern auch gleich im Gedächtnis bleibt.

Was noch wichtiger ist: Ebner gibt ihren Lesern die Grundlagen in die Hand, welche Gemeinsamkeiten, davon gibt es recht viele, wie man zusammen mit ihr feststellt, und die Wechselwirkungen, die Rechtsextreme und radikale Islamisten in ihrer Weltsicht und in ihren Aktionen aufweisen, zu erkennen helfen. Die Extremisten beider Lager schauen wie zwei Seiten eines und desselben Phänomens aus, die ohne einander ihre Wirkung nicht vollends entwickeln können, da sie u.U. einander helfen, mehr an Aufmerksamkeit und an Gewicht im politischen Geschehen zu gewinnen und so das Leben der Mitte der Gesellschaft immer mehr und nachhaltiger zu beeinflussen.

Nach dieser Lektüre wird es dem Leser leichter fallen, die Aktivitäten der Extremisten zu identifizieren, ihre Ursachen zu verstehen und die angepeilten Auswirkungen abzuschätzen.

Ebner bringt auch die Lösungsvorschläge: „Freiheit wäre, nicht zwischen schwarz und weiß zu wählen, sondern aus solcher vorgeschriebenen Wahl herauszutreten… Um diese Freiheit zu erreichen, wird es entscheidend darauf ankommen, junge Menschen mit Kreativität, Mut und der Fähigkeit zu kritischem Denken auszurüsten: der Fähigkeit zum kritischen Denken, um manipulative Sprache und verzerrte Fakten zu erkennen; dem Mut, alles und jeden infrage zu stellen; und der Kreativität, über die eigenen Echokammern und Grenzen der Vorstellungskraft hinauszugehen.“ S. 280.

Die Rolle der Eliten, wie Julia Ebner auch selbst zum Schluss zugibt, wurde in ihren Untersuchungen nicht berücksichtigt. Die Eliten und ihre Handlanger wurden zwar am Anfang als Akteure im Hintergrund angedeutet, dieser Aspekt aber weitestgehend insg. elegant umschifft. Aber auch so wie es dasteht, stellt ihr Werk ein sehr lesenswertes Buch dar, das zu begreifen hilft, wie die Geschichten der Rechtextremen und Islamisten funktionieren, unter welchen Bedingungen ist ihnen Erfolg sicher, wie sie es bisher recht erfolgreich angestellt haben und wie man sinnvollerweise auf ihre Aktivitäten reagieren kann.

Das Buch ist gut gemacht: Festeinband in Frühlingsgrün, Umschlagblatt in Dunkelblau. Schön als Geschenk.

Fazit: Ein echtes Highlight in Sachen Politik im Frühling 2018, ein must read, das der Aufklärung und Orientierung der Leser in diesen nicht einfachen Zeiten bestens dient. Sollte jede(r) gelesen haben. 5 leuchtende Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 02.03.2018

Starke Frau, spannende Lebensgeschichte, toll geschrieben!

Margaret Stonborough-Wittgenstein
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Dieses neue, schöne Werk aus der Feder von Margret Greiner habe ich sehr gern gelesen und empfehle es auch gern weiter.
Schon allein der Name der Autorin war mir Grund genug, zu diesem Buch zu greifen, ...

Dieses neue, schöne Werk aus der Feder von Margret Greiner habe ich sehr gern gelesen und empfehle es auch gern weiter.
Schon allein der Name der Autorin war mir Grund genug, zu diesem Buch zu greifen, denn „Auf Freiheit zugeschnitten“, die Lebensgeschichte von Emilie Flöge, der Lebensgefährtin von Gustav Klimt, die ich vor paar Jahren gelesen und genossen habe, ist und bleibt unvergessen. Auch für die Lebensgeschichte von Margaret Stonborough- Wittgenstein das konnte ich mich absolut begeistern. Sie hat mir einige schöne, erfüllte, gespannte Lesestunden geschenkt. Ich fühlte mich sehr wohl dabei und bin insg. mit der Lektüre vollauf zufrieden.
Es lohnt sich, Margaret kennenzulernen: ihre Herzenswärme, ihre Stärke, ihren Wunsch, gute Dinge zu tun, Schönes, Nützliches in die Welt zu setzen, anderen zu helfen, dem unbedingt auch die Taten folgten. Mit ihrem Charme, Menschenkenntnis und der Gabe, mit Menschen umzugehen konnte sie vieles erreichen.
Sie kam aus einer wohlhabenden Familie. Ihr Vater war ein erfolgreicher Unternehmer, auch ihr Mann war vermögend. Geld war kaum ein Problem. So konnte u.a. ein Portrait von der jungen Margaret bei Gustav Klimt in Auftrag gegeben werden, das man auf dem Cover sieht. Es war eine spannende, für beide Seiten bereichernde Begegnung, sehr schön und bildhaft beschrieben.
Margaret hatte ein untrügliches Gefühl für Stil und Harmonie. Sie konnte jede Wohnung gemütlich und geschmackvoll einrichten. Später ließ sie ein Haus im kubistischen Stil nach eigenen und ihres Bruders Ludwig Vorstellungen bauen, das Palais Stonborough, heute Haus Wittgenstein.
Ein glückliches Familienleben war ihr wohl nicht in die Wiege gelegt, weder von ihrem Elternhaus her noch in ihrer eigenen Familie. Zu den zwei Söhnen aus der Ehe mit dem Amerikaner Jerome Stonborough kamen zwei Ziehsöhne dazu. Durch die Ehe wurde sie selbst zu einer Amerikanerin, aber Wien und Gmunden blieben für sie immer ihre Heimat, ein Teil von ihr, die sie im Exil schmerzlich vermisste.
Mit Margarets Leben wurde auch ein Teil der Weltgeschichte erzählt. Nach dem Anschluss Österreichs in 1938 wurde es ungemütlich für die Wittgensteins in ihrer Heimat. Der Krieg hat auch ihre Ziehsöhne gegen einander kämpfen lassen, uvm.
Dieses Werk ist einfach toll geschrieben. Man taucht gleich in das Geschehen ein, es hält einen gefangen bis die letzte Seite umgeblättert ist, was ziemlich schnell geschieht, da man das Buch kaum aus der Hand legen mag, und noch länger darüber hinaus. Oft musste ich denken: so wunderbar schreibt nur Margret Greiner, was an ihrem eigenen Stil, ihre eigenen Art, die Menschen zu beschreiben liegt. Diese Bemerkungen hie und da, die Interpretationen der Ereignisse, die von geschulter Beobachtungsgabe, Lebensweisheit und schriftstellerischem Können zeugen! Ich habe sie in der gesamten Länge genossen.

Das Buch ist schön, passend zum Inhalt gemacht. Festeinband in Violett, Umschlagblatt, auf dem der Namenszug in goldenen Lettern auch haptisch hervorgehoben ist, mehrere s/w Fotos, in den Text integriert, helfen die Ausführungen zu verbildlichen. Zeittafel, Literaturliste runden das Ganze ab.

Fazit: Ein tolles Buch, dem ich viele Leser wünsche. Eine starke Frau, eine spannende Lebensgeschichte, die alles hat, um auch ein anspruchsvolles Leserherz glücklich zu machen. 5 Sterne gibt es von mir und eine klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 01.03.2018

Eine sehr gut gelungene, toll geschriebene Biographie.

Rudi Dutschke. Die Biographie
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Rudi Dutschke Biographie aus der Feder von Ulrich Chaussy habe ich sehr gern gelesen und empfehle sie gern auch weiter.

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „‘Achtundsechzig‘ ist in der Bundesrepublik ...

Rudi Dutschke Biographie aus der Feder von Ulrich Chaussy habe ich sehr gern gelesen und empfehle sie gern auch weiter.

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „‘Achtundsechzig‘ ist in der Bundesrepublik mit dem Namen Rudi Dutschke verbunden. Er war Gesicht und Stimme der deutschen Studentenbewegung, repräsentierte Aufbruch und Generationenkonflikt wie kein zweiter. Ulrich Chaussy kennt Dutschke wie kaum ein anderer. Seine Biographie zeichnet das spannende Bild eines mitreißenden Menschen, dem nur wenige Jahre öffentlichen Wirkens gegönnt waren, bis ein Rechtsradikaler ihn bei einem Attentat schwerst verletzte.
Niemand anders hat der 68er-Bewegung so sehr seinen Stempel aufgedrückt wie Rudi Dutschke (1940-1979). Mit ihm ist die Revolte der Studenten mehr als nur verbunden – seine individuelle Biografie ist mit dem Verlauf einer kollektiven Bewegung eins geworden insbesondere durch das Attentat vom Gründonnerstag 1968, das er nur um Haaresbreite überlebte und an dessen Spätfolgen er schließlich starb.
Ulrich Chaussy kennt Rudi Dutschke wie kein zweiter Biograph. Er hat mit allen wichtigen Zeitzeugen gesprochen, hat alle relevanten Archive ausgewertet, als Ergebnis seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Dutschke und 68 legt er diese komplett neu bearbeitete und erweiterte Biographie vor.“

Zum Autor: „Ulrich Chaussy, Jahrgang 1952, studierte Germanistik und Soziologie und war als Autor und Moderator vor allem für den Bayerischen Rundfunk tätig. Seine Bücher über die Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“ und über das Oktoberfestattentat erschienen in mehreren Auflagen. Letzteres wurde unter dem Titel „Der blinde Fleck“ 2013 für das Kino verfilmt und trug zur Wiederaufnahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt bei. Sein Werk als investigativer Journalist und Buchautor wurde mit deutschen und internationalen Preisen ausgezeichnet.“

Wohl strukturiert, chronologisch geordnet, erzählt diese Biographie die Lebensgeschichte von Rudi Dutschke, „… von der aufbegehrenden Jugend und den revoltierenden Studenten als Vorbild bewundert, von weiten Teilen des westdeutschen Establishments als Störenfried und moskauhöriger Revoluzzer verteufelt.“
Mit seinem klaren, aussagestarken Schreibstil erwies sich Ulrich Chaussy ein vorzüglicher Erzähler, der es versteht, die Leser für seine Inhalte zu gewinnen und sie dabei prima zu unterhalten. Auch deshalb war mir diese Bio ein Lesegenuss. Es war unmöglich, nicht mitzugehen und nicht mitzufühlen.
Rudi Dutschke war ein kluger, belesener Mann, der auch dem heutigen Leser viel Respekt abverlangt. V.a. weil er klar und unabhängig denken konnte und für ein besseres Leben kämpfte. „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht.“ S. 457.

Seinen Pazifismus hat er bereits in der Schule in Lukenwalde mit Verve verteidigt. Er hat bereits als Schuler die richtigen Fragen gestellt, s. seinen Aufsatz im Anhang. Deutlich liest sich auch heraus, dass er gute Gründe dafür hatte, denn nach paar Jahren der Popularität der Haltung „nie wieder Krieg“, es wieder mit den militärischen Allüren in der dt Politik bergauf ging.
So wie er von Chaussy dargestellt wurde, war er Held seiner Zeit, wobei er vom bekannten Boulevardblatt stets als Terrorist verleumdet wurde. Die verklärende Rolle der Massenmedien in Sachen Volksverdummung liest sich sehr deutlich heraus. Das besagte Haus hat sich auch damals kaum mit Ruhm bekleckert, wenn es um tatsachengerechte Schilderungen ging, ein Meister in Verbreitung der alternativen Fakten und der Hetze. Laut Aussagen von Josef Bachmann wäre er ohne den Gedankengut, den das besagte Blatt an jeder Straßenecke verbreitet hatte, kaum auf die Idee gekommen, auf Dutschke zu schießen.

Wie aber Dutschke mit Bachmann danach umging ist sehr beeindruckend. Jedenfalls zeugen die Briefe Dutschkes von seiner menschlichen Größe und persönlichen Reife.
Rudi Dutschke kam auch sonst sympathisch rüber. Er war für die bessere Welt und hat dies zu seiner Lebensaufgabe gemacht. So einfach war dieser Weg aber nicht. Nach seiner Hirnverletzung musste er neu lesen, schreiben und denken lernen. Die Jahre im Exil als politischer Flüchtling, erst in London, dann in Dänemark, haben auch ihre Spuren hinterlassen. Letztendlich konnte er wieder zurück nach Deutschland, das sich politisch in der Zwischenzeit verändert hatte, die Große Koalition stand nicht mehr zur Debatte. Heute wird sie wieder als alternativlos verkauft. Und hier kommen wir zum nächsten wichtigen Punkt dieses Werkes: Die Aktualität der Aussagen dieser Dutschke Bio ist schon verblüffend. Da sind so viele Botschaften, Ideen zum besseren, selbstbestimmen Leben, etc., die heute immer noch genauso akut und aktuell sind wie zu Dutschkes Lebzeiten.
Zum Schluss stellt Ulrich Chaussy klar: „Die detaillierte Rekonstruktion von Dutschkes im kurzen Jahr der Revolte von 1967/68 proklamierte Aussagen und der von ihm getragenen Aktionen erbringt: Rudi Dutschke hat nie einem Kurs das Wort geredet oder gar danach gehandelt, der als Blaupause für das Konzept der späteren RAF angesehen werden könnte. Er lehnte die Verletzung und Tötung von Menschen ab. Christliche Ethik wie marxistische Analyse haben in ihm diese Position doppelt gefestigt, und diese Ablehnung erstreckte sich auch auf die gleichgültige Hinnahme von Kollateralschaden von Menschen.“ S. 475.

Die s/w Fotos von Rudi Dutschke und seiner Familie, von seinen Schulkameraden und später von Mitstreitern in SDS sind in den Text eingearbeitet worden. Ein Plus, denn man kann sich das alles gleich besser vorstellen und muss nicht stets hin- und rückblättern. Auch die Atmosphäre kommt mit den Fotos im Text besser rüber.

Das Buch ist sehr schön gestaltet: Festeinband in Rot, Umschlagblatt, dessen Rücken auch rot ist, der Name in weißen Buchstaben ist auch haptisch hervorgehoben. Das Lesebändchen in hellgrau, passend zum Umschlagblatt. Perfekt als Geschenk.

Fazit: Eine sehr gut gelungene, toll geschriebene Biographie, die ich sehr gern gelesen habe. Ich habe mich dabei sehr wohl und niveauvoll unterhalten gefühlt. Darin habe ich viel Spannendes und Bereicherndes entdeckt. Freue mich, meine Zeit damit verbracht zu haben. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung!