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Veröffentlicht am 10.03.2018

Ein gelungener Debütroman

Wenn Martha tanzt
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Martha Wetzlaff wird 1900 in einem Dorf in Pommern im „großen Haus“ geboren. Hundert Jahre später findet ihr Urenkel Thomas ein Notizbuch – Marthas Aufzeichnungen. Und nicht nur das. Zahlreiche, nie vorher ...

Martha Wetzlaff wird 1900 in einem Dorf in Pommern im „großen Haus“ geboren. Hundert Jahre später findet ihr Urenkel Thomas ein Notizbuch – Marthas Aufzeichnungen. Und nicht nur das. Zahlreiche, nie vorher gesehene Zeichnungen diverser bekannter Künstler die am Bauhaus in Weimar unterrichtet haben – darunter Paul Klee und Wassily Kandinski. Ihr Urenkel beginnt, sich mit Marthas Geschichte zu beschäftigen: wer war sie und wie kam sie in den Besitz dieses Notizbuches?

Marthas Geschichte ist zweifellos eine aufregende. Als Tochter eines Musikdirektors wächst sie mit der Musik auf. Immer an ihrer Seite sind ihr verstorbener Bruder „Heinzchen“ und Wolfgang, ein Freund der Familie und ebenfalls Musiker. Doch Martha scheint das Talent für Musik nicht geerbt zu haben. Wenn sie Geige spielt, klingt es nicht wie bei anderen. Doch sie sieht die Musik vor sich. Und so beschließt sie schließlich, nach Weimar ans „Bauhaus“ zu gehen, um dort zu studieren und ihr Talent zu entdecken. Dort landet sie bei Walter Gropius, der damalige Leiter. Zahlreiche weitere Künstler kommen ans Bauhaus um dort zu unterrichten. Über viele Umwege entdeckt sie schlussendlich den Tanz für sich.

Die Geschehnisse in Weimar und auch danach, sowie der zweite Erzählstrang in der „Gegenwart“ (2001) in New York sind sehr packend und auch schlüssig. Saller schafft es, Geschichte, Politik, Kunst und Musik zu einer Geschichte zu verschmelzen. Der Schreibstil ist sehr speziell mit vielen kurzen und klaren Sätzen. Mir hat er sehr gefallen. Besonders schön fand ich, wie plötzlich klar wird, dass Martha die Tänzerin in vielen bekannten Kunstwerken ist (zB Paul Klees „Tänzerin“). Sallers Debütroman ist zweifelsohne ein Meisterwerk, und ich hoffe dass noch viele weitere Romane folgen.

Veröffentlicht am 06.03.2018

Ruhig und tiefgründig

Nachsommer
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„Alles bloß Beschwörungsversuche, Sündenböcke, vorgeschobene Ausflüche anstelle dessen, was ich mich ihm niemals zu sagen traute: Sei mir nicht böse, dass ich es nicht ertrug, dich sterben zu sehen. Verzeih ...

„Alles bloß Beschwörungsversuche, Sündenböcke, vorgeschobene Ausflüche anstelle dessen, was ich mich ihm niemals zu sagen traute: Sei mir nicht böse, dass ich es nicht ertrug, dich sterben zu sehen. Verzeih mir, dass ich dich im Stich gelassen habe.“

Olof findet sich nach Jahren plötzlich zurück in seinem Elternhaus. Seine Mutter liegt im Sterben. In den Tagen und Stunden bis zum Tod trifft er nach über zehn Jahren seinen jüngeren, ihm ganz und gar unähnlichen Bruder Carl und dessen Ehefrau Klara das erste mal wieder. Deren zwei Kinder, Sam und Sebastian, sind ebenfalls mit von der Partie. Und dann ist da noch Tom, „Onkel“ Tom, der Freund seiner Mutter. Und so nimmt die Geschichte seinen Lauf…

Bargum behandelt vor allem zwischenmenschliche Beziehungen. Den Tod des Vaters als sie noch Kinder waren, den Olof nie verkraftet hat. Die Beziehung zwischen Olof und Tom, den Olof sein Leben lang nicht als Freund der Mutter anerkennen konnte. Und um die schwierige Beziehung der beiden Brüder. Carl, der jüngere, wurde von seiner Mutter bevorzugt, jedoch dadurch auch massiv eingeengt. Er tat, was er musste um sich zu befreien und hat so seine Mutter sehr gekränkt. Für Olof war es umso schwerer, weil er immer der weniger geliebte war. Das alles kommt nun nach Jahren plötzlich auf den Tisch. Nach Jahren, während denen alle Beteiligten sich mit ihrem eigenen Leben auseinander gesetzt hatten und keine Gedanken mehr daran verschwendet hatten. Und dann kommt noch ans Licht, dass Olof und Klara sich besser kannten als zuvor bekannt…

Dies war mein erstes Buch von Johan Bargum. Ich war überrascht, wie dünn das Büchlein ist. Mit seinem unglaublich poetischen und ruhigen Schreibstil hat Bargum mich völlig überzeugt. Er lässt manche Details offen, sodass der Leser sich seinen Teil denken kann. Nicht alles wird explizit erwähnt. Wie sagt Bargum so schön, „Weiß man eigentlich jemals, was vor sich geht?“

Veröffentlicht am 24.02.2018

Beeindruckender Roman von einem Zeitzeugen der Reichskristallnacht

Der Reisende
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„Aber wenn man geköpft werden soll und weiß nicht warum, dann verliert man wohl die Ruhe und die Nüchternheit der Betrachtung.“ (S.140)

Wir schreiben November 1938, die Zeit der Novemberpogrome. Der wohlhabende ...

„Aber wenn man geköpft werden soll und weiß nicht warum, dann verliert man wohl die Ruhe und die Nüchternheit der Betrachtung.“ (S.140)

Wir schreiben November 1938, die Zeit der Novemberpogrome. Der wohlhabende jüdische Kaufmann Otto Silbermann wird in seiner Wohnung überfallen. Mit viel Glück schafft er es, zu entkommen. Er hat jedoch keine Informationen über den Verbleib seiner Ehefrau oder seiner Bekannten. Fortan ist er auf der Flucht, mit lediglich einem Koffer voller Geld. Doch er hat kein Ziel, er kann nirgends hin. Er versucht, nach Belgien zu fliehen, wird aber an der Grenze aufgegriffen und zurück nach Deutschland gebracht. An einem Ort zu bleiben scheint ihm zu gefährlich. Und so fährt er mit dem Zug von einer deutschen Stadt in die nächste. „Ich bin jetzt Reisender, ein immer weiter Reisender. Ich bin überhaupt schon ausgewandert. Ich bin in die Deutsche Reichsbahn emigriert.“, so Silbermann.

Ulrich Alexander Boschwitz hat diesen Roman bereits 1938 verfasst. Er wurde 1939 in England und 1940 in den USA publiziert, jedoch sollte es noch bis 2018 dauern, bis das Buch auf Deutsch verlegt wird. Das Buch ist sehr philosophisch. Der Schreibstil ist sehr interessant und sicher der damaligen Zeit entsprechend. Die Sprache ist sehr ausdrucksvoll. Der Roman umspannt eine Zeit von nur wenigen Tagen und die meisten Szenen handeln von Silbermann allein, was etwas ungewohnt ist. Boschwitz lässt den Intellektuellen Silbermann auf seiner Reise über seine Situation philosophieren, wobei diesem immer mehr klar wird, wie aussichtslos seine Situation ist. Er ist gefangen in Deutschland, und bis auf einen Koffer mit Geld hat er sein gesamtes Hab und Gut verloren. Es ist zu gefährlich, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Dennoch lernt er auf seiner Reise eine Reihe verschiedener Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten kennen, mit denen er sich austauscht. Dieses Buch ist wohl das früheste literarische Dokument über die Zeit zwischen dem 7. und 13. November 1938. Fazit: Ein wirklich interessanter und sehr spannender Roman, der von einem Zeitzeugen verfasst wurde.

Veröffentlicht am 03.02.2018

Wunderschön und sehr traurig

All die Jahre
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„Manchmal verging zwischen einem Tag und dem nächsten ein ganzes Leben.“

Es ist 1957, als die einundzwanzigjährige Nora Flynn und ihre jüngere Schwester Theresa Irland verlassen und mit dem Schiff nach ...

„Manchmal verging zwischen einem Tag und dem nächsten ein ganzes Leben.“

Es ist 1957, als die einundzwanzigjährige Nora Flynn und ihre jüngere Schwester Theresa Irland verlassen und mit dem Schiff nach Boston auswandern. Dort wartet Charlie, Noras Verlobte, der schon vorher nach Boston ist, um alles vorzubereiten. In Irland gibt es keine Optionen mehr für sie – und so machen sie sich hoffnungsvoll auf zu einem neuen Leben. Theresa möchte Lehrerin werden und Nora wünscht sich nichts mehr, als ihr diesen Traum zu erfüllen – koste es, was es wolle. Doch Theresa macht einen folgenschweren Fehler. Sie wird schwanger. Nora trifft eine Entscheidung, die ihr und Theresas Leben für immer verändern wird.

Fünfzig Jahre später trifft sich die ganze Familie bei einer Beerdigung wieder. Auch Theresa, die inzwischen im Kloster lebt, trifft Nora seit Jahren zum ersten Mal wieder. Hier müssen sie endlich aufarbeiten, was in den Jahren seit der Einreise in Amerika passiert ist.

Sullivans Schreibstil ist außerordentlich; ruhig und flüssig. Die Charaktere sind stark, die Geschichte unendlich realistisch – ich wollte das Buch nicht aus der Hand legen. Nora und Theresa sind zwei starke Protagonisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jede versucht, auf ihre Art mit der Entscheidung zurechtzukommen. Die Kapitel spielen abwechselnd in 1957/1958 und 2009, und Sullivan schafft es auf brillante Weise, so alle relevanten Treffen und Briefwechsel über 50 Jahre zu beschreiben. Ein außerordentliches Buch, das nachdenklich und traurig macht, aber auch eine wunderschöne Erzählung.

Veröffentlicht am 04.01.2018

Eine abenteuerliche Reise um die Welt

Wer ist B. Traven?
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Leon Borenstein ist Journalist, ursprünglich aus Deutschland, aber in den USA aufgewachsen. Es ist 1947. Leon soll herausfinden, wer hinter dem Autor bzw. Pseudonym „B. Traven“ steckt. Es gibt zahlreiche ...

Leon Borenstein ist Journalist, ursprünglich aus Deutschland, aber in den USA aufgewachsen. Es ist 1947. Leon soll herausfinden, wer hinter dem Autor bzw. Pseudonym „B. Traven“ steckt. Es gibt zahlreiche Gerüchte und Mythen, um wen es sich bei „B. Traven“ handeln könnte – doch keine scheint eine richtige Spur zu sein. Seine Suche führt ihn um die ganze Welt. Leon ist bei den Dreharbeiten zu „Der Schatz der Sierra Madre“ in Mexiko dabei und spielt dort unter anderem mit Humphrey Bogart Schach. Auch eine Frau lernt er dort kennen. Weit entfernt entdeckt er Wien in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg. Später kehrt er nach Kalifornien zurück, um schliesslich wieder in Mexiko zu landen…

Der Schreibstil ist wahnsinnig gut, die Schauplätze sind ausgezeichnet gewählt. Die Protagonisten sind vielfältig und bunt. Dieses Buch konnte ich kaum aus der Hand legen. Ich fühlte mich in die Vierzigerjahre versetzt. Seifert kann diese Zeit wirklich gut beschreiben. Eine Mischung aus Abenteuer, Liebesgeschichte und Reisen – was will man mehr? Ich hatte vorher noch nichts von Traven gehört, weshalb meine Wunsch-Bücherliste nun auch einige von Traven enthält. Dieses Buch hat mich wirklich positiv überrascht.