Wenn Martha tanzt
Die Rahmenhandlung des Romans spielt in der Gegenwart, genau genommen im Jahr 2001 in New York. Thomas Wetzlaff, der Ich-Erzähler, ist aus Deutschland angereist, um das Tagebuch seiner Urgroßmutter Martha ...
Die Rahmenhandlung des Romans spielt in der Gegenwart, genau genommen im Jahr 2001 in New York. Thomas Wetzlaff, der Ich-Erzähler, ist aus Deutschland angereist, um das Tagebuch seiner Urgroßmutter Martha bei Sotheby's versteigern zu lassen. Es handelt sich natürlich nicht um irgend ein Tagebuch, sondern Martha, 1900 in einem kleinen Örtchen in Pommern, als Tochter des Kapellmeisters geboren, ging als junge Frau nach Weimar ans Bauhaus. Dort fand sie ihre Berufung im Tanz und lernte viele Bauhaus-Künstler kennen, die sich alle in ihrem Notizbuch verewigt haben. Entsprechend wertvoll ist dieses, denn es enthält bislang unbekannte Zeichnungen von Klee, Kandinsky und anderen Künstlern der damaligen Zeit.
Als die Nazis die Kunstschule schlossen, kam Martha nach Hause zurück – mit dem besagten Tagebuch und mit einem Kind.
Ich muss gestehen, dass ich einige Zeit brauchte, um mich an den besonderen Schreibstil zu gewöhnen. Während Thomas Wetzlaffs Ausführungen in der Gegenwart flüssig und in einer modernen Sprache geschrieben sind, bedient sich der Autor für die Rückblenden diverser besonderer Stilmittel, durch die sich die Atmosphäre der Geschichte völlig verändert.
In den Kapiteln, wo man über Marthas Kindheit und ihre Zeit am Bauhaus erfährt, wirkt die Sprache sehr reduziert, teilweise abgehackt; die Halbsätze überwiegen. Dadurch bleibt immer eine gewisse Distanz zu den Charakteren, auch zu Martha. Diese wirkte immer ein wenig geheimnisvoll, was vermutlich im Sinn des Autors ist. Auch viele der anderen Charaktere wirkten auf mich zum Teil rätselhaft, wobei sich das meiste im Lauf des Romans klärt und so manches Geheimnis zutage kommt.
Sehr interessant fand ich die Schilderungen rund um das Bauhaus, seine Menschen und seine Kultur. Hier erfährt man viele historisch interessante Details zu dieser Zeit. Die Bauhaus-Bewegung forcierte nicht nur eine Zusammenführung von Kunst und Handwerk, sondern ihre Anhänger und Künstler pflegten einen ganz neuen, anderen Lebensstil und Zeitgeist.
Insgesamt fand ich den Debütroman von Tom Saller sehr interessant und informativ. Marthas Geschichte ist fesselnd und berührend erzählt. Es ist ein tiefgründiger Roman, der bis zuletzt immer ein wenig rätselhaft bleibt. Nur das Ende war, wenn es auch rund ist, für mein Empfinden etwas zu schicksalsträchtig und dramatisch. Auf jeden Fall finde ich, es ist ein guter, sehr ausdrucksstarker und lesenswerter Roman um eine Zeit und eine Entwicklung in der Kunst, über die ich bisher nur sehr wenig wusste.