Ilse Reiche, Ehegattin des Malers Georg Reiche, hätte eigentlich allen Grund ihren Ehemann zu verlassen, denn er entpuppt sich im Laufe der Zeit als zwar freundlicher, liebender Gatte jedoch mit einem sehr schwachen Charakter gesegnet. Tugenden wie Fleiß oder Strebsamkeit findet man bei ihm leider vergebens und so verwundert es nicht, dass Ilse alle Register ziehen muss, damit ihre Familie nicht verhungert. Ihren drei Töchtern, Annmarie, Aurora und Lydia versucht sie daher, erwähnte Tugenden zu vermitteln, die dem Vater fehlen, doch Aurora, die attraktivste der Schwestern, entwickelt dennoch Standesdünkel, die nicht zu ihrer einfachen Herkunft zu passen scheinen und ergeht sich in Missmut und Tagträumereien über ein besseres Leben in Reichtum.
Lydia und Annmarie sind dagegen zwei vernünftige Mädchen, die im Haushalt mit anpacken. Während Lydia die Gabe des Zeichnen und Malens von ihrem Vater geerbt hat, hat Annmarie jedoch den richtigen Platz im Leben noch nicht gefunden und scheint eine Frau ohne Leidenschaften zu sein, was Ilse sehr befremdet.
Um seine Familie finanziell über Wasser zu halten, lässt sich Georg in einem schwachen Moment dazu hinreißen, Kunstwerke zu kopieren und die Fälschungen zu verkaufen, was schon einmal dafür gesorgt hat, dass er ins Gefängnis musste.
Wegen seiner kriminellen Taten sind die Reiches bereits mehrmals gezwungen gewesen, ihren Wohnort zu wechseln und so gelangen sie schließlich im Jahre 1792 nach Frankfurt.
Doch dort angekommen will kein Mensch Georg eine Anstellung geben und so fürchtet er langsam aber sicher den Hungertod für sich und seine Familie. Ein ihm unbekannter Mann, der zum Teil russische Wurzeln hat, spricht ihn dann, als Georg verzweifelt in einer Schenke sitzt und sein letztes Geld ausgibt, im richtigen Moment an und offenbart ihm eine verheißungsvolle Offerte. Zarin Katharina die Große möchte viele Deutsche nach Russland locken, damit die Orte bevölkert und die riesigen Ländereien bewirtschaftet werden können. Und Georg und seine Familie sollen Teil der neuen Einwanderer werden. Als Anreiz wird ihm eine stattliche Summe Geld, und dann vor Ort, ein eigenes Haus für seine Familie nebst landwirtschaftlicher Gerätschaften versprochen. Da Georg jedoch weiterhin seiner Malerei nachgehen möchte und der Mann durchblicken lässt, dass nicht nur Bauern sondern auch Einwanderer mit anderen beruflichen Qualitäten gesucht werden, lässt sich Georg auf dieses, wie er denkt, lohnendes Angebot ein. Er ahnt nicht, dass nicht nur die Reise nach Russland überaus gefährlich und beschwerlich werden wird, sondern auch die Ankunft am Zielort jede Menge an unangenehmen Überraschungen für die Familie bereithalten wird. Werden die Reiches in Russland durchalten?
Zunächst fiel mir das ansprechende Cover des Romans auf und trotz der Tatsache, dass ich nicht unbedingt gerne Romane mit russischem Setting lese, da ich bislang kein besonderes Interesse an der Historie des Landes hatte (eine Meinung, die ich nach dem Lesen dieses Buches revidiert habe) , habe ich mich dennoch für dieses Buch entschieden, da ich halt sehr gerne historische Romane von Ines Thorn lese.
Auf 380 Seiten erzählt die Autorin eine, wie ich finde, sehr spannende Auswanderungsgeschichte einer deutschen Familie in schwierigen Zeiten. Die Mitglieder der Familie Reiche könnten unterschiedlicher nicht sein- werden jedoch mit mütterlicher Liebe und eiserner Entschlossenheit von Mutter Ilse zusammengehalten.
Gerade die Unterschiedlichkeit der einzelnen Akteure und wie ihr Charakter im Laufe der Zeit, durch die Veränderungen, die sie in Russland erwarten, geformt wird, haben mich sehr interessiert weiterlesen lassen, wobei ich jedoch anmerken muss, dass ich Ilses bedingungslose Liebe für einen solch schwachen Tagträumer, wie Georg es ist, leider zu keinem Zeitpunkt nachvollziehen konnte, da sie ansonsten als eine solch starke Frau beschrieben wird. Aber wahrscheinlich ist es gerade ihre innere Stärke, die sie an der Seite ihres Ehemanns ausharren lässt, auch wenn er glaubt, für richtige Arbeit nicht geschaffen zu sein.
Sowohl die beschwerliche Reise nach Russland als auch die Schwierigkeiten in ihrer neuen Heimat sorgen dafür, dass beim Lesen niemals Langeweile aufkommt, allerdings fand ich schon hier und da, dass manche Schwierigkeiten sich zu einfach in Luft auflösen. Auch auf das Erlernen einer neuen Sprache wird mir, für meinen Geschmack etwas zu wenig eingegangen - selbst wenn sich die Reiches in einem Ort aufhalten, in dem fast nur Deutsche leben.
Da ich mich, wie eingangs erwähnt, mit der russischen Historie nicht auskenne, war es mir bislang auch neu, dass es bereits zu damaligen Zeiten Auswanderungswellen gen Russland von Deutschen gab. Ich weiß daher nicht, wie viel historische Authentizität in diesen historischen Unterhaltungsroman eingeflossen ist, doch hat mich die Jahresangabe auf dem Buchcover etwas stutzig hat werden lassen, da die Geschichte nicht im Jahre 1765 beginnt, sondern viel später, wenn man bedenkt, dass sich die weiblichen Protagonistinnen zu Beginn des Romans über Offiziere der französischen Revolution unterhalten. Auch kann Katharina die Große Napoleons Feldzüge nicht mehr mitbekommen haben nach meinem Wissenstand, da die Zarin bereits 1796 verstarb und Napoleons Stern nach Kämpfen in Ägypten und Italien erst Anfang 1799 aufging, als er zunächst als erster Konsul der französischen Republik eingesetzt wurde.
Abgesehen davon, haben mich diese historischen Ungenauigkeiten aber auch nicht großartig gestört beim Lesen, da der Roman in erster Linie ja ein Unterhaltungsschmöker sein soll und keine historische Abhandlung und in diesem Buch eindeutig die Menschen, ihre Sorgen, Ängste und Nöte im Fokus des Geschehens stehen.
Ich könnte mir übrigens auch gut eine Fortsetzung um eine der drei Schwestern, Aurora, vorstellen, denn ihr Ende bzw. Werdegang hätte meiner Meinung nach noch viel Potential.
Kurz gefasst: Unterhaltsame, sehr spannende Auswanderungsgeschichte einer deutschen Familie in schwiegen Zeiten- ein echter Pageturner, der mich eine schlaflose Nacht gekostet hat, weil ich das Buch nicht eher zur Seite legen konnte, bis ich die letzte Seite ausgelesen hatte.