Cover-Bild Engele
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20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Rowohlt Berlin
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 208
  • Ersterscheinung: 13.03.2018
  • ISBN: 9783737100335
Claudia Tieschky

Engele

In größeren Abständen trifft Lotte ihren Liebhaber. Aus einer Laune heraus beginnt sie eines Tages, ihm von ihrer Großmutter zu erzählen. Sie gerät in eine Erinnerung, die sie lange vor sich selber verborgen hat. Ruth benahm sich in Lottes Kindheit oft exzentrisch und rätselhaft, sie war eine dominante, überschäumend lebenslustige, dann wieder harte Frau. Vor dem Krieg arbeitete Ruth als Krankenschwester in Berlin, sie war emanzipiert und hatte Affären. Es folgt das Familienglück mit dem charismatischen Musiker Siegfried in der süddeutschen Kleinstadt, das in den Fünfzigern jäh zerbricht. Siegfried muss ins Gefängnis – ein Sittlichkeitsdelikt, über das Lotte nie Genaues erfährt. Für Ruth ändert sich alles: Mit kalter Kraft bringt sie ihre Kinder durch, erlebt ihr kleines Wirtschaftswunder, sucht Eskapaden … während Lotte erzählt, begreift sie Ruth immer besser – auch ihre distanzierte Mutter und ihr eigenes Leben, ihre unsteten Lieben.
Ein offenes Geheimnis und nebenher ein deutsches Sittenbild, von drei Frauen und verblüffenden Freiheiten. Inspiriert von ihrer eigenen Familiengeschichte, erzählt Claudia Tieschky in ihrem Roman dicht, fesselnd und poetisch von einem unbekannten Deutschland.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.03.2018

Lebendige und aufwühlende Erzählung

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„Engele“ ist der Debütroman von Claudia Tieschky. Der Titel ist dem Nachnamen von Siegfried, dem Großvater der Protagonisten Lotte, entlehnt. Lotte sucht nach Freiheit und scheut jede feste Bindung. Bereits ...

„Engele“ ist der Debütroman von Claudia Tieschky. Der Titel ist dem Nachnamen von Siegfried, dem Großvater der Protagonisten Lotte, entlehnt. Lotte sucht nach Freiheit und scheut jede feste Bindung. Bereits das Buchcover vermittelte mir ein kleines Stück dieses Wunsches mit dem Blick der abgebildeten Figur in den endlos wirkenden Himmel.

So ähnlich wie sie schaut nun zu Beginn des Romans Lotte in einem Berliner Hotelzimmer in die Dunkelheit der Nacht, hinter ihr im Bett liegt Frieder, der geliebte Mann. Lotte ist Journalistin und wohnt in München. Mit Frieder trifft sie sich in unregelmäßigen Abständen in Berlin. Die Stadt verbindet sich für beide im Laufe der Zeit mit der Liebe, Lotte verbindet damit aber auch die aufregenden Jahre ihrer Großmutter Ruth, zu der ihre Gedanken schweifen, während sie in den Nachthimmel schaut. Frieder und Lotte erzählen sich gerne Geschichten, die den anderen überraschen, wahrscheinlich, um das Schweigen zwischen ihnen zu überbrücken und nicht von sich und ihrem Alltag erzählen zu müssen. Lotte beschließt, ihre Erinnerungen an Ruth zu teilen.

Ruth kam als junge Frau 1936 auf der Suche nach Unabhängigkeit nach Berlin und ging dort einer Anstellung als Kinderpflegerin im Krankenhaus von Virchow nach. In ihrer Freizeit frönte sie dem Laster. Zigaretten, Alkohol und Liebeleien gehören für sie zu ihrer Vorstellung von Freiheit. Sie gibt sich mondän und genießt ihr Leben in vollen Zügen, bis sie 1942 den einige Jahre älteren Siegfried trifft. Er ist Offizier, aber gleichzeitig auch Musiker und angehender Komponist. Einige Zeit nach der Geburt von Clara, der Mutter von Lotte, ziehen sie wegen des Kriegs in die Heimat von Siegfried in den Süden Deutschland. Ruth arrangiert sich mit den veränderten Verhältnissen und lebt nun eine andere Art von kleinem Glück, bis dieses je beendet wird, als Siegfried ein Verbrechen begeht.

Die Autorin hat sich von ihrer eigenen Familiengeschichte zu diesem Roman inspirieren lassen. Mit großem Einfühlungsvermögen erzählt sie ihre Geschichte so, dass sie realistisch erscheint. Obwohl die Erzählung durch die gedanklichen Sprünge von Lotte, die sich zu verschiedenen Zeiten an unterschiedlichen Orten erinnert, stückweise erzählt wird, ergibt sie ein zusammenhängendes Bild. Sah ich zunächst noch mit Ruth eine junge Frau mit Zöpfen und Koffer am Bahnhof ihrer Heimat stehen auf dem Weg nach Berlin, so zog ich im Folgenden Anfang der 1970er mit ein in das neue Einfamilienhaus von Claras kleiner Familie und landete wieder in der Gegenwart an Lottes Seite.

Claudia Tieschky distanziert sich an einigen Stellen bewusst von ihrer Protagonistin, scheinbar ordnend, um den Augenblick zu vergegenwärtigen und dann wieder in die Gedankenwelt von Lotte einzusteigen. Mehrfach sucht Ruths Enkelin nach Gründen, warum sie ausgerechnet jetzt dem Leben ihrer Großmutter nachgeht. Immer mehr wird ihr bewusst, wie stark sie von ihr geprägt wurde. Allein aus Erzählungen macht sie sich ein Bild von ihr, das stark geprägt ist von Willenskraft und Selbstbewusstsein, aber auch Hartnäckigkeit verbunden mit klaren Ansagen. Fotos zeigen ihren Hang zum Besonderen, das jedoch im Zeitablauf an Extravaganz verloren hat. Lotte kann sich selbst aber noch an das gebliebene Durchsetzungsvermögen erinnern.

Clara wirkt im direkten Vergleich mit Ruth farblos, möglicherweise weil sie dadurch gegen ihre Mutter und deren Verhalten rebelliert. Ist Lotte zunächst nicht bewusst, warum Clara das tut, so wird ihr der Grund später klar. Der Schlüssel dazu ist Siegfried. Er bietet ihr eine finanzielle Absicherung. Sein Verstoß gegen Anstand und Gesetz lässt Ruths Arrangement mit dem gesitteten Leben einer Ehefrau platzen und neue Wesenszüge auftreten. Sie wird zu der Frau, an die Lotte sich erinnert und mit der sie sich nun vergleicht.

„Engele“ ist ein Roman über drei auf ihre ganz eigene Weise starke Frauen, deren Leben eng miteinander verknüpft ist. Er spielt vor den realen geschichtlichen Begebenheiten und bildet ganz nebenbei ein Bild unserer Gesellschaft ab. Von Beginn an lauert im Hintergrund das Unbegreifliche, dem ich mich an der Seite von Lotte zaudern näherte. Die Folgen, mit denen Ruth all die Jahre gelebt hat, drückt diese immer wieder durch ein Abgleiten ins Vulgäre aus. Die Erzählung wird dadurch lebendig und aufwühlend. Eine unerwartete Wendung sorgt für einen furiosen Abschluss des Romans. Leise Töne, Kraft und Ausdruck vereinen sich hier zu einer wunderbaren Geschichte, die ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 29.05.2020

Aufarbeitung der Familiengeschichte

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Die Erzählerin Lotte, eine Frau um die 40, erzählt ihrem Geliebten eine Geschichte, die ihrer Familie. Diese beginnt im Vorkriegsberlin. Dorthin zieht es ihre Großmutter Ruth. Sie ist lebenslustig und ...

Die Erzählerin Lotte, eine Frau um die 40, erzählt ihrem Geliebten eine Geschichte, die ihrer Familie. Diese beginnt im Vorkriegsberlin. Dorthin zieht es ihre Großmutter Ruth. Sie ist lebenslustig und führt ein freies, unabhängiges, wildes Leben, wie sie es auch später ihrer Enkelin als Beispiel hinstellt. Dann trifft sie ihren späteren Mann Siegfried, mehr als zwei Jahrzehnte älter als sie, Musiker. Er schickt sie und die Tochter Clara aus Schutz vor dem Krieg in seine Heimatstadt in der schwäbischen Provinz, wo Ruth zu einem ruhigen Leben genötigt ist. Von Siegfried begangene Sexualstraftaten zu Lasten mehrerer Mädchen bedeuten das Ende für das Familienglück. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis bleibt Ruth zwar bei ihm, verachtet ihn aber bis zu seinem Tod sechzehn Jahre später.
Mit dieser Geschichte arbeitet die bindungsunfähige, von ihrer Großmutter geprägte Erzählerin auch ihre eigene Einstellung gegenüber Männern auf und ihre stets belastet gewesene Beziehung zu ihrer eigenen Mutter, die im Gegensatz zu ihrer Mutter ein biederes Leben führte. Es sind wirklich drei interessante Frauengeschichten zwischen Kriegsjahren und Gegenwart. Allerdings lässt sich aufgrund vieler Zeitsprünge schon einmal der Überblick verlieren.
Ein schönes Buch und vielleicht Ansporn, sich mit der eigenen Familiengeschichte zu beschäftigen, um zu wissen, wodurch man geprägt ist.

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