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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.03.2018

Ein spannend inszeniertes Kunstwerk

Die Gestirne
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Um was geht es? Walter Moody landet im Jahr 1866 per Schiff in Neuseeland, genauer gesagt in Hokitika, der Goldgräberstadt. Das ganze Land steckt offenbar in einem gewaltigen Goldrausch. Im Crown Hotel, ...

Um was geht es? Walter Moody landet im Jahr 1866 per Schiff in Neuseeland, genauer gesagt in Hokitika, der Goldgräberstadt. Das ganze Land steckt offenbar in einem gewaltigen Goldrausch. Im Crown Hotel, wo er sich ein Zimmer mietet, trifft er in einem Raucherzimmer auf zwölf unbekannte Männer. Die zwölf Sterne. Die gesamte Handlung samt Protagonisten steht unter dem Aspekt der Sterne und Planeten. Man ahnt, dass jeder dieser Männer etwas zu verbergen hat. Eine Reihe von rätselhaften Verbrechen, verbindet die Zwölf schließlich. Eine Hure wird halbtot auf der Straße aufgefunden, ein wohlhabender Geschäftsmann verschwindet spurlos und ein beträchtlicher Schatz wird im Zuhause eines armen Alkoholikers entdeckt. Zufälle? Zusammen widmen sich die Männer den ungelösten Fällen und versuchen, ihnen auf den Grund zu gehen.

Drei verschiedene, oft statische Handlungsstränge führen also die Charaktere dieses Buches wie Fäden eines Netzes zusammen. Jeden einzelnen Strang hier nun kurz wiederzugeben, erscheint mir nicht passend und beinahe unmöglich, denn die Autorin selbst brauchte dafür immerhin über 1000 Seiten. Nur so viel sei noch gesagt: Erst wenn man "Die Gestirne" gelesen hat, weiß man wirklich, was Komplexität bedeutet. Uffz! Gerüst um Gerüst baut sich das Finale auf und verlässt die Bühne mit einem beeindruckenden Knall. Wumms!

Eine Freundin gab mir den Rat, mir ausgiebig Zeit zu nehmen für dieses Buch. Ich hab ihren Rat leichtfertig abgetan. "Was sind schon 1040 Seiten?". An dieser Stelle, liebe Maya: Touché! Der nächste Caipirinha geht dann wohl auf mich ...

Die Charaktere sind grundverschieden in ihren Persönlichkeiten und Eigenarten. Charlie Frost zum Beispiel zeichnet sich durch eine dominante Ichbezogenheit aus. Passend zum Sternzeichen Stier arbeitet er als Bankier. Man sagt den Stieren nach, dass sie mit ihren goldenen Nasen dort Geld riechen, wo auch immer es zu finden ist. Die vermutlich stereotype Reaktion auf ihn ist: wie unsympathisch! Bäh!

Anna Wetherell wirkt hingegen äußerst naiv und unbeholfen. Als Hure fristet sie ihr Dasein in Gegenden und bei Leuten, die man als junge Frau unbedingt versuchen sollte zu vermeiden. Man möchte sie am liebsten in flauschige Watte packen und beschützen. Eine Frau mit schwächeren Charakterzügen, leider, wenngleich sie mir äußerst authentisch und sympathisch erscheint.

Die zweite weibliche Hauptprotagonistin Lydia bringt jede Menge Intrigen, Manipulationen und Unberechenbarkeit in die Geschichte. Ich erlebe sie als eine autarke und resolute Person.

Der Schreibstil ist zeitgenössisch angehaucht und trägt dazu bei, dass man gefühlt durch den Roman fliegt. Auf einer magischen Wolke zwischen Zeit und Raum, Gut und Böse, Schicksal und Bestimmung. Dennoch bedacht darauf, den ernsten und ironischen Unterton zu bewahren, denn dies ist keine Lektüre, die man "mal eben so" liest. Man muss sie verinnerlichen und ihr die notwendige Aufmerksamkeit schenken. Die astrologische Struktur der Geschichte gefällt mir besonders. Sie weckt in mir den Gedanken, dass jedes Schicksal der Protagonisten nicht zufällig, sondern vorherbestimmt sein könnte. Und doch finden sie beinahe en passant zueinander. "Alle Wege führen nach Rom", kommt mir in den Sinn. Wobei Rom hier ein ziemlich verworrenes Labyrinth darstellt.

Das Cover ist schlicht gehalten mit einem hellen Cover, einem künsterlisch abstrakt wirkenden Gesicht einer jungen Frau sowie dem in goldenen Buchstaben geschriebenen Buchtitel.

Fazit: Ein spannend inszeniertes literarisches Kunstwerk.

Tipp: Geduldig sein und durchhalten! ;)

Veröffentlicht am 15.03.2018

Bleibt lange im Gedächtnis

Baba Dunjas letzte Liebe
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Baba Dunja ist mit ihren über 80 Jahren schon eine sehr betagte Frau, als sie in ihr Dorf Tschernowo zurückkehrt, das mitten in der Todeszone um den zerstörten Kernreaktor Tschernobyl liegt. Sie will sich ...

Baba Dunja ist mit ihren über 80 Jahren schon eine sehr betagte Frau, als sie in ihr Dorf Tschernowo zurückkehrt, das mitten in der Todeszone um den zerstörten Kernreaktor Tschernobyl liegt. Sie will sich nach ihrer erzwungenen Flucht aus Tschernowo nicht länger vorschreiben lassen, wo sie zu wohnen hat. Stattdessen will sie nach einem harten, arbeitsreichen Leben bei ihren Toten in der Heimat sein und Ruhe finden ... an dem Ort, der ihre letzte Liebe sein soll.
Nur ganz wenige Menschen sind dorthin zurückgekehrt und leben fernab der Zivilisation unter einfachsten Bedingungen. Alles ist anders als woanders in Tschernowo. Dieses Gefühl vermittelt die Autorin bereits auf den ersten Seiten.

Baba Dunja ist sehr bescheiden, ernährt sich aus ihrem selbst angelegten Gemüsegarten, spart ihre mickrige Rente für ihre Enkeltochter Laura und fährt hin und wieder in die Stadt Malyschi, um Einkäufe zu tätigen. Baba Dunjas Tochter, eine Bundeswehr-Chirurgin in Deutschland, meidet den persönlichen Kontakt zu ihr und erlaubt diesen auch nicht ihrer eigenen Tochter Laura, die ihre Großmutter nie kennengelernt hat. Der Kontakt beschränkt sich folglich auf Versorgungs-Päckchen und Briefe.
Alles wirkt friedlich und beständig, bis ein junger Mann seine kleine Tochter von der Mutter verschleppt und in den Ort bringt. Baba Dunja und ihre Nachbarn handeln prompt, denn ein gesundes Kind gehört einfach nicht in die Todeszone des Reaktors. Baba Dunja schreitet ein und muss sich dafür vor Gericht verantworten. Es kommt noch schlimmer, als man den Vater ermordet auffindet und alle Bewohner des kleinen Dorfes festgenommen werden.

Fazit: Eine wunderschöne und lehrreiche Erzählung, trotz der wenigen Seiten. Obwohl Vieles idealisiert wird, bleibt der Ernst des Themas nicht außen vor.

Ein schönes Buch über die Nachwirkungen eines schrecklichen Unglücks und das damit verbundende Schicksal vieler Menschen. Alina Bronsky erinnert mit ihrem Buch an ein trauriges Kapitel in der Geschichte Russlands.

Baba Dunja wird mir sicher noch länger im Gedächtnis bleiben, und ich werde hier und da an sie denken.

Das Cover ist in dezenten, blass wirkenden Farben gehalten und erinnert an alte Bilder aus der Sowjetzeit. Es passt zum Inhalt des Buches.

Veröffentlicht am 15.03.2018

Wunderschönes Hörbuch

Kuschelflosse - Das unheimlich geheime Zauber-Riff
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Wer sagt, in der Unterwasserwelt sei es trist und langweilig, der hat noch nie so ein schönes Hörbuch genießen dürfen. Die Geschichte an sich ist wirklich kindgerecht aufbereitet und für das Zielalter ...

Wer sagt, in der Unterwasserwelt sei es trist und langweilig, der hat noch nie so ein schönes Hörbuch genießen dürfen. Die Geschichte an sich ist wirklich kindgerecht aufbereitet und für das Zielalter bestens geeignet. Wir erleben vier Freunde auf dem Weg zur Zauber-Schildkröte. Werden sie das Riff jemals erreichen? Wen und was entdecken sie alles unterwegs?

Der Erzählstil ist genial! Ich muss zugeben, dass ich erst skeptisch war. Ich kenne Ralf Schmitz natürlich schon aus dem Fernsehen als Comedian, dessen Stand-Up-Comedy mir allerdings oft langweilig vorkam. Umso überraschter war ich von seinen Erzählfähigkeiten. Die unterschiedlichen stimmlichen Facetten waren rundum gelungen und haben mich nachhaltig beeindruckt. Mit verschiedenen Tonlagen und Sprachfehlern verleiht er den knuffigen Protagonisten viele Besonderheiten und jedem seinen eigenen Charakter. So fiel es mir auch nicht schwer zu erkennen, welcher "Protagonist" da gerade spricht.

Ich musste verdammt oft lachen, das tat richtig gut. ;)

Auch die Hintergrundmusik passte immer perfekt zum Szenario, was geschildert wurde und welches ich mir bildlich prima vorstellen konnte. Ich habe mich soooo wohl gefühlt beim Hören und durfte wieder Kind sein!

Das Cover mochte ich auf Anhieb. Es ist niedlich gestaltet worden, perfekt für die kleinen Zuhörer. Toll gemacht!

Fazit: Ich werde diese Geschichte noch ganz, ganz oft anhören. Solltet ihr auch! :) Das Bilderbuch dazu werde ich mir jetzt auch noch kaufen, denn ich bin dermaßen gespannt und neugierig, wie dieses wohl aussehen mag. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich Freude an Hörbüchern/Hörspielen habe. Also werde ich mir jetzt öfter welche kaufen und anhören, wenn ich abends auf dem gemütlichen Sofa liege und mich ausruhe.

Veröffentlicht am 15.03.2018

Explizite Szenen, präzise, brutal, wortgewaltig

Der erste Sohn
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Im Zentrum des Geschehens steht die Familie McCullough. Eli, der erste Sohn des Ehepaars McCullough, wird im Frühjahr 1836 geboren. Dem Tag der Gründung des Staates Texas. Mit Hilfe seiner Geschichte werden ...

Im Zentrum des Geschehens steht die Familie McCullough. Eli, der erste Sohn des Ehepaars McCullough, wird im Frühjahr 1836 geboren. Dem Tag der Gründung des Staates Texas. Mit Hilfe seiner Geschichte werden die großen Mythen des Wilden Westens erzählt. Nachdem Eli im Alter von 13 Jahren seine Familie - Mutter, Schwester und Bruder - durch einen Überfall der Comanchen verliert und er von ihnen als Gefangener verschleppt wird, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich dem Stamm anzupassen. Er lernt zu überleben und eignet sich verschiedene Fertigkeiten an. Er wird zu ihrem Krieger, reitet mit auf Beutezüge und skalpiert sogar seine Opfer. Das Blatt wendet sich prompt, als der Großteil des Stammes drei jahre später aufgrund einer Pockenepidemie verstirbt. Eli kehrt zu den Weißhäutigen und in deren Zivilisation zurück. Dort kann er seine Fähigkeiten so weit einsetzen, dass er Land und Öl in Geld und Macht verwandelt. Nach und nach erschafft er so eine einflussreiche Dynastie.

Im Verlauf der Geschichte erfahren wir als Leser seine aufsteigende sowie einflussreiche Entwicklung zum Öl-Baron und auch mehr über seinen Sohn Peter, seine große Liebe Maria und seine Urenkelin Jeanne. Immer nebenher noch etwas über die (ungeschönte) Geschichte des wilden Westen. Die Handlung nimmt allerdings keine Rücksicht auf Empfindlichkeiten der Leser. Vielleicht wirken die Handlungen gerade deswegen so authentisch.

Erzählt wird in verschiedenen Zeitebenen über einen Zeitraum von 150 Jahren. Es dauerte etwas, bis ich mit den Perspektivenwechseln zurechtkam. Einmal drin, ging es dann aber durchweg gut.

Die Charaktere sind vielschichtig, gut ausgearbeitet und wirken sehr lebendig. Eli fand ich zwar nicht direkt sympathisch, aber er hat mich neugierig auf sich gemacht. Im Verlauf des Buches gewann er mehr und mehr an Respekt. Oft las ich seine Worte und dachte mir: Oh, wie poetisch.

Das Cover mag ich sehr. Es sieht nicht unbedingt nach dem wilden Westen aus, dennoch gefällt mir das Titelbild. Auch die Farben sind stimmig. Alles wirkt beruhigend und läßt die Abenteuer erahnen, die sich dahinter verbergen.

Fazit: Explizite Szenen, präzise, brutal, wortgewaltig, gut recherchiert, lehrreich und unglaublich fesselnd. Ich dachte nicht, dass mir das Buch so sehr zusagen würde und bin selbst überrascht davon. Die beachtliche Zahl an Seiten, vor der ich anfangs Angst hatte, da ich dachte, dass mich das eher abschrecken würde, spielte gar keine Rolle mehr. Ein unglaublich intensiver und mitreißender Roman, der mich nachhaltig schwer beeindruckt hat. Nichts war langweilig oder unstrukturiert. Ich hätte mir jedoch gewünscht, die Saga wäre chronologisch erzählt worden. Vor allem bei so viel Inhalt.

Ich werde "Der erste Sohn" definitiv noch einige Male lesen. Außerdem möchte ich mir das Hörbuch dazu vornehmen. Es soll genauso großartig sein.

Veröffentlicht am 15.03.2018

Mal etwas anderes

Totenhaus
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Dieses Buch ist der zweite Teil der "Totenfrau-Trilogie". Das erste habe ich leider noch nicht gelesen (irgendwie neige ich dazu, immer mittendrin in einer Reihe anzufangen, grummel), aber ich hatte dadurch ...

Dieses Buch ist der zweite Teil der "Totenfrau-Trilogie". Das erste habe ich leider noch nicht gelesen (irgendwie neige ich dazu, immer mittendrin in einer Reihe anzufangen, grummel), aber ich hatte dadurch keine Schwierigkeiten.
Blum ist eine Bestatterin und hat Menschen auf dem Gewissen. Da ich dem Buch nicht spoilerhaft vorgreifen möchte, bleibe ich möglichst allgemein: Ist ein Mörder weniger schuldig, wenn er böse Menschen umbringt?
Brünhilde Blum hatte eine fragwürdige Kindheit, einen toten Mann und zwei kleine Mädchen. Sie wuchs in einem Heim ohne Erinnerung an ihre leiblichen Eltern und etwaiger Geschwiste auf. Sie fühlt sich oft einsam, allein und ist innerlich total ausgebrannt. Im Griechenland-Urlaub schlägt sie eines Tages eine deutsche Zeitschrift auf und sieht sich selbst auf einem Bild. Es ist ein großformatiges Foto einer Skulptur aus einer Münchner Ausstellung. Eine pinke Leiche, aufgeschnitten und inszeniert auf einem Zebra. Sie ist zutiefst schockiert. Doch auch die Neugier ist geweckt. Sie reist zu der Leichenausstellung und ist sich sicher: die tote Frau auf dem Zebra ist ihre Schwester. Zeitgleich werden bei einer Exhumierung auf einem Friedhof zwei Köpfe und vier Beine in einem Sarg gefunden. Das Chaos wirft viele Fragen auf und schließlich wird Blum zur Fahndung ausgeschrieben. Die Spannung steigt mit jeder Seite, bis es zum gnadenlosen Showdown kommt.

Fazit:

Von der ersten Seite an war ich in Bernhard Aichners eigenwilligen, durchaus lockeren Schreibstil vernarrt. Er benutzt meist kurze prägnante Sätze, was ich überhaupt nicht schlimm fand, denn so war an den richtigen Stellen die passende Dramatik aufgebaut. Bernhard Aichner kann mit fünf Wörtern das ausdrücken, wofür andere AutorInnen drei ganze Zeilen benötigen würden. Außerdem gibt es keine Anführungszeichen, nur Bindestriche, die ankündigen, dass nun die andere Person spricht. Ungewöhnlich, aber interessant.

Das Ende des Romans ist relativ offen gehalten. "Totenhaus" besticht vor allem durch psychologische Spannung und Tragik, die ich mit jeder Zeile spürte, und macht neugierig auf den dritten und somit letzten Band der Trilogie.

Die Charaktere waren sehr vielschichtig gestaltet, die Handlung blickdicht, düster und sehr emotionsgeladen. Die einzelnen Handlungsstränge waren gut dargestellt und der rote Faden zog sich durch das gesamte Buch.

Das Cover finde ich schlicht, jedoch keineswegs langweilig. Die Farben passen sogar irgendwie (Tod, Bestattung) zum Inhalt und verraten dennoch nichts.

Eine klare Kaufempfehlung für jeden, der mal "was anderes" probieren möchte.