Wir wollen nur noch sein und überleben
Wiesenstein„Das unentschiedene Schwanken scheint eine Spezialität von ihm zu sein. Nun gut, wer wankt, gewahrt vielleicht mehr als derjenige, der stur geradeaus schreitet.“
Inhalt
Gerhart Hauptmann, ein angesehener ...
„Das unentschiedene Schwanken scheint eine Spezialität von ihm zu sein. Nun gut, wer wankt, gewahrt vielleicht mehr als derjenige, der stur geradeaus schreitet.“
Inhalt
Gerhart Hauptmann, ein angesehener und schon zu Lebzeiten berühmter Mann, flieht schwerkrank mit einem der letzten Züge aus der zerbombten Großstadt Dresden, deren Schönheit nun in Schutt und Asche liegt. Sein Ziel, welches er sehnlichst zu erreichen hofft, ist seine Trutzburg Wiesenstein, ein stattliches Gebäude, fast ein Schloss, weitab vom Kriegsgeschehen in Schlesien gelegen. Dort, so wünscht er sich, soll sein Leben enden, in Sicherheit, abgeschirmt von der Welt, die durch den Zweiten Weltkrieg derart aus den Fugen geraten ist. Mit ihm reisen seine besorgte Ehefrau Margarete, der neugewonnene und unentbehrliche Masseur Metzkow und die langjährige, treue Sekretärin Pollak. Als sie fast wie von Zauberhand die Heimat erreicht haben, beginnt Hauptmann zu genesen, bald schon sitzt er wieder als Oberhaupt des Hauses am Tisch. Doch vor der Haustür tobt die Barbarei, die Kriegsmaschinerie fährt ihre letzten Ressourcen auf und muss sich bald schon vom Endsieg verabschieden. Wiesenstein bleibt der letzte Zufluchtsort für den Nobelpreisträger und seine Bediensteten und wird doch mehr und mehr zum Gefängnis, denn nicht nur die Vorräte gehen zur Neige, sondern die Angst, wer der erste Fremde vor den Toren sein wird, treibt alle um – erstmals eine Situation, der auch Gerhart Hauptmann mit seiner Dichtung nichts mehr entgegenzusetzten weiß.
Meinung
Der in Niedersachsen aufgewachsene Autor Hans Pleschinski, selbst ein Kenner der Kulturlandschaft, weil er nicht nur Germanistik studierte, sondern auch Theaterwissenschaft, setzt sich in seinem aktuellen Roman „Wiesenstein“ absolut glaubwürdig und nah an der historischen Wahrheit mit den Ereignissen kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges auseinander. Es gelingt ihm dabei auf famose Art und Weise nicht nur ein Buch über den Dichter Gerhart Hauptmann zu verfassen, sondern auch ein schockierendes Intermezzo der letzten Kriegstage aufzuzeichnen. So dass ich zu allererst die Arbeit und die damit verbundene Recherche loben möchte. „Wiesenstein“ ist ein opulentes, ein monumentales Gesamtwerk, welches man nicht unbedingt mögen muss, um ihm dennoch Respekt zu zollen.
Der Plot kommt mit nur wenigen Protagonisten aus, die sich klar in zwei Lager spalten. Auf der einen Seite die Hausherren, also das Ehepaar Margarete und Gerhart Hauptmann, auf der anderen Seite eine Hand voll Angestellter, die unterschiedlich lange im Dienste weilen und dementsprechend mehr oder weniger Auskunft geben können über ihr Leben an der Seite der Vorgesetzten. Dabei legt der Autor großen Wert darauf, alle Protagonisten gleichermaßen mit einem persönlichen Hintergrund auszustatten, so dass es dem Leser gar nicht schwer fällt, sich die Menschen vorzustellen, die hier auf gut 500 Seiten agieren. Auffallend dabei ist die klare Zuteilung der Sympathiewerte. Denn während die Hauptmanns nach und nach immer weniger Zuspruch bekommen, empfindet der Leser für die Randfiguren schon bald viel mehr Verständnis und Entgegenkommen. Dennoch bleibt Pleschinski sehr objektiv, urteil nicht und zeigt auch, dass Hauptmann im Dritten Reich zwar beständig an seinem Prestige gearbeitet hat und seine dichterische Meinung sehr wohl und äußerst überlegt zur Verfügung stellte, innerhalb seines Refugiums aber durchaus unparteiisch blieb und vor allem der Kunst und dem geistigen Austausch einen hohen Stellenwert einräumte.
Besonders gelungen ist auch das Porträt der zerstörten Städte, das klägliche Scheitern der verbliebenen deutschen Kämpfer und die nachfolgende Barbarei, die auch den letzten Lebenswillen vieler Menschen zerstörte. In teilweise grausigen Bildern beschreibt er den Zug der Vertriebenen, der Entflohenen der Konzentrationslager oder auch die Hilflosigkeit der einfachen Bürger, die nicht mehr wissen, was sie in nächster Zukunft essen sollen. Damit rüttelt das Buch wieder einmal wach und schärft das Bewusstsein, wie vernichtend und sinnlos ein Krieg sein kann und wird, wenn man ihn erst mit einer derartigen Vehemenz initiiert.
Letztlich war es wohl der Schreibstil und die teilweise überladene Erzählweise, die mir die Freude an diesem Buch etwas genommen haben. Zunächst einmal die vielen historischen Fakten, vermischt mit den Eckdaten des dichterischen Gesamtwerkes von Hauptmann und dann noch in Kombination mit längeren lyrischen Auszügen aus dessen vielfältigen Publikationen – beim besten Willen, hier muss man nicht nur hochkonzentriert lesen, sondern wird immer wieder unschön aus den Gedankengängen herausgerissen. Hinzu kam ein mir unglücklich erscheinende Kombination zwischen einem fiktiven Roman und einem informativen Sachbuch. Dadurch das viele Fakten belegt sind und sowohl Orte als auch Personen auf Tatsachen beruhen, fehlte mir stellenweise die Leichtigkeit, die dichterische Freiheit des Autors, die interessanten Aspekte, die einen klassischen, belletristischen Roman für mich ausmachen.
Fazit
Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen facettenreichen, sachlich orientierten Roman, der sich intensiv mit dem Krieg und auch mit dem Leben Gerhart Hauptmanns in seinen letzten Tagen auseinandersetzt. Und wenn er nicht so mühsam zu lesen gewesen wäre, hätte ich noch einen kleinen Bonuspunkt für die Schilderung eines im Umbruch befindlichen Landes gegeben. So aber bleibt es mir in erster Linie als ein herausforderndes Leseerlebnis in Erinnerung, dem ich viel Zeit gewidmet habe, ohne dass es Nachklang in mir auslöst und das ist sehr schade. Ich empfehle die Lektüre all jenen, die sich historisch oder aus Interesse mit Gerhart Hauptmann befassen möchten, die aber bestenfalls einen Bezug zu der Thematik haben sollten. Es empfiehlt sich darüber hinaus in die Leseprobe zu schauen, der Schreibstil bleibt entsprechend.