Einfühlsame Schilderung des Coming-of-Age eines Jungen 1972 in Finnland!
Es gelingt dem Autor, mich mit diesem Roman in das Jahr 1972 hinein zu versetzen, das Jahr der Olympischen Spiele von München. Allerdings spielt der Roman in Finnland, in einer abgelegenen Provinz, wo ...
Es gelingt dem Autor, mich mit diesem Roman in das Jahr 1972 hinein zu versetzen, das Jahr der Olympischen Spiele von München. Allerdings spielt der Roman in Finnland, in einer abgelegenen Provinz, wo die Menschen nicht gerade im größten Wohlstand leben, die Männer im Winter arbeitslos sind und die Frauen mit Putztätigkeiten ihre Familien über Wasser halten. Wo die Jugend ihre Freizeit mit ihren Weltempfängern und beim Krebsefangen verbringt.
Das Coming-of-Age:
Zu dieser Zeit wird der namenlose Protagonist in die Pflicht genommen. Er übernimmt die Verantwortung für seine Eltern und arbeitet hart bei einer Regenrohrfirma mit dem klangvollen Namen "Volles Rohr". Dort erlebt er die Abläufe handwerklicher Arbeit mit und merkt, dass die Aufträge nicht immer professionell und gut ausgeführt werden. Auch der Leser wird von technischen Details nicht verschont, es ist eine Männerdomäne, die hier beschrieben wird.
Die Erfahrungen, die er in diesem Sommer macht, sind vielfältig. Es ist sein Coming-of-Age, das in einfühlsamer Weise geschildert wird. Einerseits erlebt er die praktische Arbeitswelt, lernt die groben Charaktere seiner Kollegen kennen, die hauptsächlich Saufen und Weiber im Kopf haben. Doch er kommt gut mit ihnen aus, denn er ist ein umsichtiger, zurückhaltender junger Mann, der zuhören kann und nicht vorschnell argumentiert. Zum Mann wird er jedoch, indem er die Mädchen jetzt als Frauen wahrnimmt.
Außerdem übernimmt er verantwortungsvoll die Mittlerrolle bei Rekku, einem geistig zurückgebliebenen, möglicherweise autistischen Kumpel ähnlichen Alters. Dieser muss wie Lennie in "Von Mäusen und Menschen" den Spott der Mitmenschen über sich ergehen lassen.
Wir erleben das Innerste dieses Helden mit und verschmelzen mit ihm. Das ist wirklich besonders an diesem hautnahen Miterleben!
Die Charaktere:
Es sind die besonderen, etwas schrulligen Charaktere und die Schilderungen der eigentlich alltäglichen Dinge, die in diesem Roman gut unterhalten. So wird der Besuch einer Sauna für den Protagonisten aufgrund seiner körperlichen Reifung zu einer ganz speziellen Männermutprobe. Mit seinem Freund Jukka baut er einen Piratensender auf, manipuliert andere Sendungen und wird so zu einem Helden seiner Zeit.
Die politische Situation Finnlands 1972 war mir nicht bewusst, hier bekommt man es anschaulich erklärt. Es sind Zeiten mit Korruption und wie die eigenmächtige Amtsverlängerung von Präsident Kekkonen im Land aufgenommen wird, auch die spezielle Beziehung zu Russland kommt zur Sprache. Der Autor bringt uns Finnland hier politisch näher.
Eindruck des Romans:
Olli Jalonen schreibt mit viel menschlichem Empfinden, er zeigt komische und tragische Erlebnisse, die berühren und nachdenklich machen über diese spezielle Zeit und den herrschenden Zeitgeist in Politik und Alltagsleben. Aber er zeigt auch, wie wichtig die persönliche Einstellung zum Leben und zu den Mitmenschen ist und den Menschen überhaupt erst zu einem reifen Mitbewohner werden lässt.
Dieser Roman wirkt so offensichtlich und leicht, ist aber tiefgründig und baut aus vielen leichten Teilen ein komplexes Ganzes, das einen Wälzer ergibt, der sich leicht erlesen lässt, aber viel kluge Hintergründe eingebaut hat.
Wer sich für Skandinavien interessiert, für die politische Zeit 1972 in Finnland oder aber Coming-og-Age liebt, der findet hier das geeignete Buch.
Im Anhang hat der Übersetzer Stefan Moster einen kleinen Aufsatz über die Politik Finnlands im Sommer 1972 geschrieben.