Wenn Moral auf eiskalte Politik trifft- Eindringlicher, unter die Haut gehender Nachkriegsroman, der nach dem Lesen noch lange in mir nachhallte.
Bonn, 1948:
Die junge Marie Weißenburg, bekommt eine ganz besondere Stelle angeboten. Sie wird eine der Sekretärinnen im neu formierten Parlamentarischen Rat. Die Stelle verschafft ihr vor allem Ablenkung, ...
Bonn, 1948:
Die junge Marie Weißenburg, bekommt eine ganz besondere Stelle angeboten. Sie wird eine der Sekretärinnen im neu formierten Parlamentarischen Rat. Die Stelle verschafft ihr vor allem Ablenkung, denn seitdem ihr Vater, ein Offizier im Krieg gefallen ist, ist zu Hause nichts mehr wie früher. Aus Berlin, wo Marie, ihre Mutter, ihr Vater und ihre zwei Brüder Helmut und Fritz in einem schönen Haus, gut situiert lebten, mussten sie kurz vor Kriegsende flüchten und ließen sich schließlich in Köln nieder. Seitdem scheint es jedoch, als würden ihre Brüder und ihre Mutter etwas vor ihr verbergen. Und auch der Patenonkel von Helmut und Fritz, Onkel Karl, benimmt sich äußerst sonderbar. Marie ist erschüttert, als sie erfährt, dass einem der engsten Freunde ihres Vaters in Nürnberg der Prozess gemacht werden soll und sie fragt sich schließlich, ob ihr gefallener Vater so unschuldig war, an den Kriegsverbrechen, wie es ihr alle anderen glauben machen wollen.
So fährt sie heimlich nach Nürnberg und verfolgt die Verhandlung. Dort lernt sie auch die Jüdin Lina kennen, hilft ihr aus einer Notsituation und freundet sich mit ihr an. Auch der Journalist Jonathan hält sich in Nürnberg auf und ist den beiden Frauen während eines Ablenkungsmanövers gefällig. Marie und Jonathan haben sich bereits kurze Zeit zuvor kennen gelernt und vertiefen ihre Bekanntschaft miteinander. Sie spüren gleich, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen. Jonathan ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Marie, eine Schlüsselfigur bei seinen Recherchen für einen brisanten Artikel sein wird…
Berlin, 1949:
Vera arbeitet für einer Zeitung; schreibt allerdings nicht im politischen Ressort. Als ihr bester Freund seit Kindertagen, Jonathan, der ebenfalls dort angestellt ist, während seiner Recherchen für eine scheinbar hochexplosive Story, von einem Laster überfahren wird, ist Vera alarmiert. Vor allem, als ihr Jonathans letzte Aufzeichnungen auf postalischem Wege zugestellt werden und sich herausstellt, dass Jonathan ermordet wurde.
Vera beschließt, Jonathans letzten Wunsch zu erfüllen und seine Story, über geflohene Kriegsverbrecher, zu Ende zu schreiben. Doch bei ihren Nachforschungen, begibt sie sich auf äußerst dünnes Eis und in Lebensgefahr. Denn sie hat mächtige Gegner, die unter allen Umständen verhindern wollen, dass Jonathans Entdeckungen, eines Tages, öffentlich gemacht werden. Gerade in Zeiten des politischen Umbruches in Deutschland…
Bereits seit ihren Vorgängerromanen „Die Schwestern von Sherwood“ und „Die verbotene Zeit“, liebe ich Claire Winters Romane, da die Autorin stets interessante Themen aufgreift, die auf sehr unterhaltsame Art und Weise von ihr dargeboten werden.
Auch „Die geliehene Schuld“, ihr aktuelles Buch bildet da keine Ausnahme. Diesmal führt Claire Winter ihre Leser in die Nachkriegszeit und in die, für Außenstehende, recht undurchsichtige Welt der Geheimdienste.
Im Mittelpunkt ihres Romans stehen zwei starke junge Frauen, aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Während Marie begütert und von ihren Familienmitgliedern behütet aufwuchs, musste Vera, schon sehr früh, große Verluste verkraften. Im Krieg, starben, erst ihre Eltern und wenig später, ihr Ehemann. Eines haben die Frauen jedoch gemeinsam. Sie sind des Krieges müde, handeln jedoch, als es darauf ankommt mutig, entschlossen und uneigennützig, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Allerdings zögert Marie gefährlich lange; zu lange, was man als Leser jedoch gut nachvollziehen kann.
Obwohl die Akteure dieses Romans zum größten Teil fiktiv sind, hat die Story, mit der sich Jonathan beschäftigt, einen wahren Kern. Er findet nämlich heraus, dass Kriegsverbrechern mit Hilfe der Kirche und anderen Organisationen zur Flucht verholfen wird. Und dass die Alliierten kein großes Interesse daran zu haben scheinen, die Flüchtenden zu stoppen. Ich war beim Lesen hin und hergerissen; einerseits fand ich es überaus packend und spannend geschildert, wie Marie und Vera sich gegen mächtige Gegner behaupten müssen- andererseits ging mir die Geschichte so sehr unter die Haut, dass ich den Roman zwischenzeitlich weglegen musste, um diverse Romanpassagen besser verarbeiten zu können.
Überhaupt sollte man diesen Roman sehr aufmerksam lesen, damit man nicht die Übersicht verliert, denn die Handlung wird, zeitversetzt, nicht nur aus der Sicht von Vera und Marie vorangetrieben- später kommen noch andere Figuren dazu. Einen guten Leitfaden hat der Diana Verlag dem Leser sozusagen mit in die Hand gegeben, denn es befindet sich im Inneren des Buches ein bedrucktes Lesezeichen mit Personenverzeichnis.
Der Schreibstil der Autorin ist flüssig wie gewohnt, die Figuren sind gut charakterisiert und man kann sich gut in die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonisten hineindenken. Was aber noch wichtiger ist. Die Autorin wartet, bezüglich der (nur sporadischen) Verfolgung von Kriegsverbrechern, mit erschreckenden Fakten auf, die mir, in diesem Ausmaße, vor dem Lesen des Buches nicht in Gänze bewusst waren. Obwohl „Die geliehene Schuld“, streng genommen zur Unterhaltungsliteratur gehört, über die so manch ein Leser, der sich nur gehobene Literatur zu Gemüte führt, die Nase rümpft (zu Unrecht, wie ich finde ), ist es ein wichtiger, aufklärender Roman, der möglichst viele Leser erreichen sollte.
Kurz gefasst: Wenn Moral auf eiskalte Politik trifft- Eindringlicher, unter die Haut gehender Nachkriegsroman, der nach dem Lesen noch lange in mir nachhallte.