Dieses Buch wollte ich unbedingt lesen, weil ich die Thematik interessant finde. Gerade in der heutigen Zeit mit zunehmend mehr schlechten Nachrichten rund um Krieg, Religionsfeindlichkeit und eben auch Fanatismus, egal von welcher Gruppierung ausgehend. In Jugendbüchern kommt so etwas nicht so häufig vor. Ich war gespannt auf die Umsetzung.
Das Buch beginnt recht stark. Schnell ist man mitten in der Handlung drin. Die Entführung, welche auch schon im Klappentext erwähnt wird, findet gefühlt schnell statt. Dann schildert die Autorin das Martyrium während der sechs Tage sehr ausführlich und realistisch, soweit ich es mir selbst vorstellen kann. Dieser Inhalt beschreibt grob die erste Hälfte des Buches. Im weiteren Verlauf wird die Rückkehr aus der Gefangenschaft und der Umgang der Charaktere mit dieser Situation beschrieben. Jedoch ist das noch nicht alles, denn mit dem Ende der Freiheitsentziehung hat das perfide Spiel des Entführers noch kein Ende gefunden. Unsere Protagonistin Nara schwebt noch immer in Gefahr….
Vor dem Hintergrund, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt muss man festhalten, dass die detaillierte Beschreibung einer Entführung mit all ihren realen, schlimmen und bedrängenden Aspekten nicht für Jedermann eine passende Lektüre darstellt. Meiner Meinung nach hält sich das ganze aber in einem für Jugendliche geeigneten Rahmen. Es ist auf keinen Fall vergleichbar mit Entführungen aller Jussi Adler Olsen. Da habe ich wirklich schon Schlimmeres in Erwachsenenliteratur gelesen. Und das finde ich auch gut, denn auch als Jugendlicher sollte man nicht die Augen vor den hässlichen Seiten der Welt verschließen, man darf hier aber auch noch ein wenig geschont werden. Somit würde ich es zusammenfassen als: altersgerecht aber ehrlich geschrieben beschreiben.
Die erste Hälfte bis zum Ende der Entführung finde ich durchgehend spannend. Immer wieder passiert etwas Neues und Ungeahntes. Man hat noch nicht so recht Ahnung in welche Richtung das alles laufen wird und welche Motive dahinterstecken werden. In dieser Hinsicht wird das Buch insbesondere eine große Überraschung bereithalten. Es ist spannend, mysteriös und schnelllebig.
Das ändert sich jedoch, als die Protagonistin Nara wieder nach Hause gelassen wird. Von nun an muss sie Schweigen und darf mit keiner Menschenseele über das Erlebte sprechen, um ihren kleinen Bruder vor den Tätern zu beschützen. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich meine Schwierigkeiten mit dem Buch. Während mir Nara im ersten Abschnitt noch richtig gut gefallen hat und ich ihre Überlegungen in Gefangenschaft zum Teil als sehr klug und besonnen empfand, gefiel mir ihr Charakter in diesem zweiten Abschnitt zunehmend weniger. Ich finde, dass das Schweigen ein Problem darstellt. Man erfährt zum Glück aufgrund der Perspektive von Naras Innenleben und liest somit ihre Gedanken, welche Antworten und Fragen auf die Gesprächsbeiträge der anderen Charaktere sind. Aber mir fehlt hier etwas. Zum einen finde ich es überhaupt nicht überzeugend, dass sich die Protagonistin an das vom Täter auferlegte Schweigegebot hält und auf der anderen Seite kann ich es nicht nachvollziehen, dass ein Mädchen, welches sich bereits dadurch in Schwierigkeiten gebracht hat, indem sie weder der Polizei noch einem anderen erwachsenen Menschen von den an sie adressierten Drohbotschaften und Gewalttaten erzählt hat, nun nach ihrem Martyrium mit dieser Schiene weiter fährt. Mein Gedanke wäre doch eher, wenn ich schon in der ersten problematischen Situation (Handeln bis zur Entführung) offensichtlich falsch gehandelt habe, aber noch mit einem blauen Auge davongekommen bin, dass ich es beim nächsten Mal (sprich der anschließenden Bedrohungssituation) besser mache. Auch war ihr Bruder bis dahin noch nicht in fremder Gewalt und somit hätte sie sich vielleicht diskret an die Polizei wenden können. Es ist bestimmt so, dass es auch viele Leser geben wird, die sich gar nicht an ihrer Handlungsweise stören werden und es unter diesen Umständen vielleicht sogar nachvollziehbar finden werden. Ich kann mich dem aber einfach nicht anschließen. Mir ging das total gegen meine eigene Überzeugung wie man in derartigen Situationen handeln sollte und deswegen konnte ich mich ab diesem Moment nicht mehr in sie hineinfühlen und habe mich eher nur noch als außenstehender Beobachter gesehen, wohingegen es zuvor so war, dass ich mich sehr stark in die Situation hineinversetzen und mitfühlen konnte. Auch das Schweigen hat mich zugegeben genervt. Ich hätte es viel cooler gefunden, wenn Nara sich nicht so stark dem Willen ihrer Entführer gebeugt hätte. Erst sehr spät kommt ihr die Idee der Verschriftlichung ihrer Gedanken. Ich denke es wäre wohl mein erster Gedanke gewesen, wenn ich mich an das Schweigegebot hätte halten wollen. Das waren die Stellen, die mich bei Nara wirklich gestört haben.
Richtig gut gefallen haben mir die Kapitel, die aus einer anderen Sicht geschrieben waren. Man wusste nicht um wen es sich handelt und konnte nur Vermutungen anstellen. Diese Einschübe waren sehr erfrischend und brachten eine Menge Spannung.
Die Auflösung ist logisch. Teile davon empfand ich als vorhersehbar, aber es gab auch einige Überraschungen die zu Aha-Effekten führen dürften. Insgesamt ist mir die Aufklärung zu kurz gehalten. Ich hatte am Ende das Gefühl eine zensierte Version zu lesen, weil ein großer Teil ausgeblendet und nur später darüber geredet wurde, man das tatsächliche Geschehen aber nur bis zu einem gewissen Punkt miterleben konnte. Das ist schade. Hier war die Spannung an einem hohen Punkt ehe sie so einen Dämpfer erlitten hat. Das mag auch dem geschuldet sein, dass das Buch ein etwas jüngeres Publikum primär ansprechen soll.
Gut finde ich, dass sowohl auf Fanatismus im christlichen als auch im muslimischen Glauben eingegangen wird. Das Buch kann dazu beitragen, dass man seine Vorurteile überdenkt. Es behandelt diese komplexe Thematik nicht nur einseitig, sondern wirft einen umfassenderen Blick darauf. Ich finde dieses durchaus schwierige Thema auch gelungen für Jugendliche aufbereitet. Trotz der Komplexität bleibt es verständlich und auch greifbar. Die Jugendlichen sehen sich in diesem Moment ebenso wie die Charaktere aus heiterem Himmel damit konfrontiert und können so den Figuren in ihren Denkmustern gut folgen und sich so zunehmend ein eigenes Bild machen.
Der Schreibstil ist angenehm zu lesen. Er ist für ein Jugendbuch genau richtig. In der zweiten Hälfte war es mit den Dialogen ein bisschen schwierig (ihr erinnert euch, die Protagonistin muss schweigen), was aber durch die Erzählperspektive aufgefangen wurde.
Insgesamt finde ich, dass das Buch sehr stark losgelegt hat. Es bewältigt nicht nur in einer Hinsicht ein schwieriges Thema. Die Entführung wird sehr spannend erzählt und bringt immer wieder neue Anreize. Die zweite Hälfte war für mich nicht immer nachvollziehbar und setzte im Punkt Ausführlichkeit meiner Ansicht nach den falschen Schwerpunkt. Trotzdem war die Auflösung vollkommen stimmig und logisch, wenn auch sehr kurz im Vergleich zum Rest. Die Protagonistin erzeugt bei mir ambivalente Gefühle. Ich bin nicht vollkommen zufrieden, habe mich aber trotzdem gut unterhalten (wenn man das angesichts des Inhalts und Themas so sagen darf) gefühlt. Als ich meine Zweifel bezüglich des Verhaltens der Protagonistin beiseite geschoben hatte, ging das Buch auf eine gute Art und Weise weiter, die auch durchaus spannend war. Auch ist es ein Buch mit Message, was ich sehr mag. Somit lande ich insgesamt bei einer etwas überdurchschnittlichen Gesamtbewertung.