Cover-Bild Munin oder Chaos im Kopf
20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: S. FISCHER
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 224
  • Ersterscheinung: 22.02.2018
  • ISBN: 9783100488404
Monika Maron

Munin oder Chaos im Kopf

Roman
Mina Wolf, Journalistin und Gelegenheitstexterin, opfert den Sommer, um einen Aufsatz über den Dreißigjährigen Krieg für die Festschrift einer Kleinstadt zu schreiben. Eine irre Nachbarin, die Tag für Tag von morgens bis abends auf ihrem Balkon lauthals singt, zwingt sie, nur noch nachts zu arbeiten. Die kleine, enge Straße gerät in Aufruhr und in Minas Kopf vermischen sich der Dreißigjährige Krieg, die täglichen Nachrichten über Krieg und Terror mit der anschwellenden Aggression in der Nachbarschaft. Als auch noch eine Krähe in ihre nächtliche Einsamkeit gerät, die sie Munin nennt und mit der sie ein Gespräch über Gott und die Welt beginnt, ist das Chaos in Minas Kopf komplett.
Monika Maron entwirft in diesem turbulenten Roman provokant und mit Humor ein Stimmungsbild unserer Zeit.

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Veröffentlicht am 30.08.2018

Gott und die Welt und das Wesen von Auseinandersetzungen und Volkes Maul

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„Aber es hatte sich etwas verändert seit dem letzten Sommer. Die Menschen waren gereizter …geworden, was nicht nur die Bewohner unserer Straße betraf, sondern auch alle anderen, und das nicht, weil die ...

„Aber es hatte sich etwas verändert seit dem letzten Sommer. Die Menschen waren gereizter …geworden, was nicht nur die Bewohner unserer Straße betraf, sondern auch alle anderen, und das nicht, weil die Welt sich in den letzten zwölf Monaten so verändert hätte, sondern gerade weil sie sich nicht verändert hatte, weil das, was schon vor Jahren begonnen und sich im vergangenen Jahr in Krieg, Krisen und weltweitem Terror entladen hatte, alltäglich geworden war.“ S. 10 Journalistin Mina Wolf will in ihrer Wohnung für eine Kleinstadt eine Festschrift über den Dreißigjährigen Krieg verfassen, doch die unmelodisch lauthals vom Balkon singende Nachbarin bringt Unfriede unter die Anwohner und macht Mina die Arbeit außerhalb der Nachtstunden unmöglich.

Bald sieht Mina damals wie heute die Gefahr von Kriegen durch die armen überzähligen Söhne bevölkerungsreicher Länder, sie zieht Parallelen zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und anderen: „Klimawandel, Wassermangel, Hunger, Verdopplung der Bevölkerung…diesmal nicht in Europa, sondern in Afrika.“ S. 30, sowie zwischen dem Prager Fenstersturz und der Situation mit der Sängerin: „Wir können die Frau schließlich nicht vom Balkon werfen“. Sie schafft es, auf mich weder dumm noch ignorant noch als Gutmensch zu wirken, dennoch lässt der Text über Ursachen nachdenken wie auch über Konsequenzen, somit für mich ein Treffer, auch wenn ich mich noch frage, wie ihr das gelingt:

Autorin Monika Maron lässt in diesem leicht zu lesenden Roman ihre Protagonistin philophieren über den Krieg: „Bevor ein großer Krieg endgültig ausbricht, hat er als Wissen, wenigstens als Ahnung um seine Unvermeidlichkeit von dem Volk schon Besitz ergriffen. Anders ließe es sich nicht erklären, dass in Sarajewo ein einziger Schuss fiel und alle Welt wusste, dass nun in Europa Krieg herrschte.“ S. 53. Sie traut sich aber auch, dem „Volk aufs Maul“ zu schauen, so angesichts des Protests des Taxifahrers, als der Kakophonie vom Balkon nicht beizukommen ist: „In diesem Land muss man inzwischen verrückt sein, zu doof oder zu faul zum Arbeiten, nicht Deutsch können, drogenabhängig oder kriminell sein, damit sich jemand mit dir beschäftigt. So sieht’s doch aus. Die Frau kann eine janze Straße terrorisieren, und die is aber die Einzje, um die man sich kümmert.“ S. 95

Dass dann auch noch eine Krähe in Minas Leben hüpft, mit ihr zu sprechen beginnt und weitere philosophische Diskussionen anregt, gefiel mir – wird für einige aber sicher zu schräg sein und neigt mit der Erweiterung der Betrachtungen auf Gott und Genderdiskussionen ein wenig hin zur Überfrachtung der wenigen Seiten. Bei mir „passte“ das Gesamtpaket und mein einziger echter Kritikpunkt ist der Preis von € 20,00 für nur knapp über 200 Seiten gebundener Text (lieber Fischer-Verlag: packt ein Lesebändchen dran, damit akzeptiere ich fast alles ?

https://www.youtube.com/watch?v=NK5L4gF086s

Veröffentlicht am 27.03.2018

Mit einer wunderbaren Sprache erzählt, voller kluger Beobachtungen und mit viel literarischem Witz, entwirft Monika Maron in diesem Alterswerk nicht nur ein provozierendes Stimmungsbild unserer Zeit, sondern zieht auch ein eher skeptisches Resümee ihrer e

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Monika Maron, Munin oder Chaos im Kopf, S. Fischer 2018, ISBN 978-3-10048840-4

In ihrem neuen, politisch wenig korrekten Roman, lässt die mittlerweile 76-jährige Schriftstellerin Monika Maron ihre Ich-Erzählerin ...

Monika Maron, Munin oder Chaos im Kopf, S. Fischer 2018, ISBN 978-3-10048840-4

In ihrem neuen, politisch wenig korrekten Roman, lässt die mittlerweile 76-jährige Schriftstellerin Monika Maron ihre Ich-Erzählerin eine ganze Menge wohl eigener Beobachtungen und Einschätzungen formulieren und aussprechen.

Die Ich-Erzählerin heißt Mina Wolf. Sie arbeitet als journalistische Freelancerin und Gelegenheitstexterin und hat, auf welchem Wege auch immer, von der kommunalen Spitze einer westfälischen Kleinstadt den Auftrag erhalten, für eine städtische Festschrift einen Beitrag über der Dreißigjährigen Krieg zu verfassen.
Zunächst eher widerwillig (sie hat ja den ganzen Sommer Zeit) beginnt sie zu recherchieren, und zu lesen, denkt nach über deutsche Befindlichkeiten und die Verwerfungen der Welt und über Religionskriege damals und heute. Ihre Beobachtungen und Vergleiche bewegen sich gegen den medialen Mainstream der letzten Jahre, politisch sehr unkorrekt, aber durchaus im Rahmen dessen, was eine Mehrheit einer zunehmend schweigenden Bevölkerung schon lange denkt über die Schwierigkeiten der Integration von Millionen junger muslimischer Männer (Maron spricht tatsächlich von „Millionen“) und über die Gefahr von Parallelgesellschaften.
Mina Wolf ist zunächst zögernd, dann aber immer zutraulicher werdend, eine einbeinige Krähe zugeflogen. Sie kommt nicht täglich, aber wenn sie da ist und das ausgelegte Futter verspeist hat, ist sie der Journalistin eine skeptisch-pessimistische, aber sehr meinungsfreudige Gesprächspartnerin. Diese Dialoge mit der klugen Krähe, die so was symbolisiert wie eine zweite innere Stimme der Erzählerin, bilden das literarische Zentrum des Romans und sind für den Leser eine wahre intellektuelle Freude.

Schon bald hat Mina Wolf den Eindruck, in einer sogenannten Vorkriegszeit zu leben, so wie es Michael Stürmer in der Ausgabe der WELT vom 19.12.2016 formulierte. Gestützt und befeuert wird dieser für sie bestürzende Eindruck durch das, was die Rahmenhandlung des Romans bildet und eine literarisch gelungene Parabel darstellt für das Wutpotential in unserer Gesellschaft, das sich an den unterschiedlichsten Stellen Bahn bricht, das aber niemand wirklich richtig verstanden hat. In der direkten Nachbarschaft der ansonsten recht stillen und unauffälligen Wohnstraße in Berlin-Schöneberg, in der Mina Wolf lebt, lebt auch eine psychisch kranke Frau, die jeden Tag von morgens bis abends lauthals auf ihrem Balkon singt. Ihr Singen ist eher eine disharmonisches Schreien, das schon bald die anderen Anwohner nervt und in einer Einwohnerversammlung zusammenbringt. Doch diese Versammlung bringt keine Einigung, sondern bringt die Unterschiede in der politischen Haltung der Anwohner erst zu Tage (linke, liberale und stramm rechte) mit schlimmen Folgen für das weitere Zusammenleben.

Dieser immer weiter zunehmende Aufruhr und die damit verbundene Aggression in der kleinen, engen Straße, der auch vor Anschlägen und persönlichen Beleidigungen und Angriffen nicht Halt macht und der tägliche Terror und Krieg in den Medien vermischen sich in Minas Kopf mit dem, was sie über den Dreißigjährigen Krieg herausfindet.

Sie schläft mittlerweile tagsüber, um nachts vor dem Geschrei der irren Nachbarin geschützt zu sein. In vielen Nächten ist die Krähe, der sie den Namen Munin gegeben hat, ihr kluger und widerborstiger Gesprächspartner, der sie immer mehr von seiner skeptischen Haltung was die Lernfähigkeit des Menschen betrifft, überzeugt.

Immer mehr hat sie den Eindruck, dass sie tatsächlich in einer neuen Vorkriegszeit lebt und dass sich der kleine Krieg der Nachbarn im „großen Krieg in Deutschland“ spiegelt.

Mit einer wunderbaren Sprache erzählt, voller kluger Beobachtungen und mit viel literarischem Witz, entwirft Monika Maron in diesem Alterswerk nicht nur ein provozierendes Stimmungsbild unserer Zeit, sondern zieht auch ein eher skeptisches Resümee ihrer eigenen politischen Haltung.

Ein sehr aktueller Roman, der eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis verdient hätte.