Kinder des Meeres
Alles beginnt 1509 in Portsmouth mit einem tragischen Unglück, das sich während der Festlichkeiten, anlässlich des Stapellaufs der Mary Rose, ereignet und das die Werftkinder Fenella, Anthony und Sylvester ...
Alles beginnt 1509 in Portsmouth mit einem tragischen Unglück, das sich während der Festlichkeiten, anlässlich des Stapellaufs der Mary Rose, ereignet und das die Werftkinder Fenella, Anthony und Sylvester nie vergessen werden. Besonders Anthony, der Hochbegabte, ist den Menschen unheimlich, was sie ihn auch Jahre später immer wieder spüren lassen. Er ist ein Genie, wenn es darum geht, Schiffe zu entwerfen und zu bauen. Mit seinen Fähigkeiten gewinnt er auch das Interesse des Königs, und Henry VIII. möchte ihm die Mary Rose, sein Lieblingsschiff, zur Überholung anvertrauen. Aber es kommt anders, denn immer wieder schlägt dem jungen Mann Neid und Feindschaft entgegen. Fenella und Sylvester, seine besten Freunde, sind stets für ihn da, aber auch sie können ihn nicht gegen den offenen Hass schützen, der ihm so oft entgegengebracht wird. Auch gibt es eine Sache, welche die Dreierfreundschaft überschattet, denn Anthony und Sylvester erkennen, dass sie beide in Fenella verliebt sind.
Sie sind zu dritt und lieben sich gegenseitig mehr als ihr Leben, und doch sind sie so unterschiedlich. Anthony macht es einem nicht leicht, ihn gern zu haben, im Gegensatz zu den beiden anderen Werftkindern, die eine geradezu unerschütterliche Liebe in ihrem Herzen haben, nicht nur zueinander, sondern der ganzen Menschheit und dem Leben gegenüber. Anthony ist der Besondere unter ihnen, ein Genie, das seiner Sache stärker zugetan ist als jedem Sterblichen.
Während er der Dunkle ist, wirkt Sylvester dagegen wie eine Lichtgestalt. Er ist zu gut für die Welt, und er ist unerschütterlich in der Liebe zu seinen Freunden. Fenella steht zwischen den beiden ungleichen Männern, die beide ihre Freunde sind und von denen sie einen liebt: Anthony. Vielleicht könnten sie sich arrangieren und glücklich sein, wären da nicht die Umstände, die ihnen das Leben schwer machen. Das Schicksal fordert große Opfer von den Freunden und hält, neben emotionalen Höhenflügen, auch schwärzeste, tiefste Abgründe für sie bereit, und irgendwann tauchen Zweifel auf. Aber nicht immer ist das Offensichtliche auch die Wahrheit.
Charlotte Lyne spielt meisterhaft mit Worten. Sie baut filigrane und wunderschöne Kunstwerke daraus. Es ist ihre unverwechselbare Sprache, die mich gefesselt hat und die den Roman zu etwas ganz Besonderem macht. Gerade wenn es darum geht, Emotionen zu beschreiben, gelingt ihr dies meisterhaft.
In die phantastische Geschichte um ihre drei Werftkinder hat die Autorin sehr viele geschichtliche Tatsachen verwoben, so ist man ein stiller Beobachter Henrys VIII, man begleitet ihn durch seine sechs Ehen. Besonders über Anne Boleyn, ihre Ansichten und Beweggründe und über ihr Schicksal, erfährt man einiges. Man macht Bekanntschaft mit interessanten historischen Charakteren, wie beispielsweise mit Thomas Cranmer, und man lernt, Verständnis für die Handlungen des Königs aufzubringen.
Während man diesen Roman liest, erfährt man viel Schreckliches, das sich die Autorin jedoch, im Gegensatz zu ihren fiktiven Werftkindern, nicht ausgedacht hat, sondern das zur damaligen Zeit durchaus so oder ähnlich geschehen ist. Die Ereignisse wühlen auf und verlangen dem Leser viel Verständnis ab. Manchmal habe ich gezweifelt, wo mich die Handlung hinführen wird, und über einige Wendungen in der Geschichte war ich auch traurig, aber letztendlich hat sich alles stimmig gefügt, so dass ich am Ende das Buch zufrieden, wenn auch mit leisem Bedauern, zuklappen konnte.