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Veröffentlicht am 06.04.2018

Ich möchte KEIN Eisbär sein

Das Eis
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im - nicht mehr so - kalten Polar: damit stelle ich mich gegen den Wunsch, den die schweizer Gruppe Grauzone 1981 besang. Inzwischen ist so einiges passiert, gerade auch in Bezug auf die Erderwärmung: ...

im - nicht mehr so - kalten Polar: damit stelle ich mich gegen den Wunsch, den die schweizer Gruppe Grauzone 1981 besang. Inzwischen ist so einiges passiert, gerade auch in Bezug auf die Erderwärmung: Gletscher kalben noch und nöcher, das Polarmeer ist bedroht und die langfristige Existenz der Eisbären gleich dazu. Umso mehr Touristen gibt es, die einen Blick auf sie in ihrer eigentlichen Umgebung erhaschen wollen - und leider gibt es auch noch genügend, die zu gern auf sie schießen und anschließend mit einem selbst erlegten Eisbärenfell prahlen würden - ganz und gar ohne Rücksicht auf Einzelschicksale,

So war Tom Harding nicht und er konnte auch seinen Freund Sean Cawson von seiner Haltung und Einstellung überzeugen. Mit der Unterstützung durch internationale Investoren waren sie dabei, eine exklusive Lodge für Touristen, die zudem ein weltweites Symbol für den Umweltschutz sein sollte, zu erschaffen. Doch Tom kehrte von einer gemeinsamen Tour nicht zurück.

Erst vier Jahre später wird er gefunden - Sean ist inzwischen erfolgreich mit der Lodge und auch in weitere Geschäfte der Geldgeber involviert. Zudem hat er sich nach der Scheidung von seiner Frau und Gefährtin früherer Jahre mit einer jungen und sehr erfolgreichen Schönheit zusammengetan und es sieht so aus, als bekäme er alsbald den Ritterorden verliehen. Alles bestens also. Aber: Kann es sein, dass er tatsächlich seinen besten Freund in der ein oder anderen Art und Weise auf dem Gewissen hat?

Die Geschichte wird hauptsächlich aus der Sicht von Sean erzählt und zwar in der Sicht einer Retrospektive: Alles beginnt mit dem Auftauchen von Toms Leiche - danach werden die Ereignisse sozusagen von hinten aufgerollt.

Eine Erzählweise, die spannend, vielschichtig, aufschlussreich und klug daher kommt, dennoch manchmal ein wenig langatmig wirkt, manchmal malt die Autorin aus meiner Sicht auch ein wenig zu sehr in schwarz und weiß. Insgesamt ist dies ein überraschender, teilweise auch schockierender, dabei sehr zeitgemäßer Umweltroman. Nein, keine Ökogeschichte, finde ich! Es geht um das Schicksal unserer Erde mit all ihren Belangen, das hier exemplarisch an einem "Fall" aufgerollt wird. Laline Paull schreibt durchaus fesselnd, nur gelegentlich wird es des Guten ein wenig zu viel. Dennoch: ein sehr empfehlenswertes Buch, gerade auch als Geschenk an jüngere Menschen, die ja in Zukunft die Geschicke der Erde zu verantworten haben werden!

Veröffentlicht am 02.04.2018

Ein ungesundes Leben

The Woman in the Window - Was hat sie wirklich gesehen?
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in jeder Hinsicht führt Anna: sie lebt ganz allein in einem New Yorker Stadthaus, das sie aufgrund ihrer Agoraphobie seit über zehn Monaten nicht verlassen hat, sie trinkt viel zu viel und vor allem: sie ...

in jeder Hinsicht führt Anna: sie lebt ganz allein in einem New Yorker Stadthaus, das sie aufgrund ihrer Agoraphobie seit über zehn Monaten nicht verlassen hat, sie trinkt viel zu viel und vor allem: sie beobachtet ihr Umfeld, also ihre Nachbarn. Nicht einfach nur so, nein, dafür hat sie ein hochsensibles Fernglas, mit dem ihr wirklich kein Fitzelchen entgeht. Sie beobachtet Szenen des Familienstreits, des Ehebruchs - und einmal tatsächlich einen Mord.

Und zwar ist das Opfer eine Frau, die noch kürzlich bei ihr zu Besuch war. Den Rest der Familie hat sie in Teilen auch schon kennengelernt, natürlich auf dieselbe, einzig mögliche Art.

Oder hat sie sich das nur eingebildet? Denn Anna liebt doch sehr in ihrer eigenen Welt und betrügt nicht nur andere, sondern auch sich. Ist sie selbst die Manipulierende in diesem Geflecht, oder bestimmen andere Faktoren die Handlungsentwicklung? Anna selbst, die jahrelang als Kindertherapeutin tätig war, hat jedenfalls beste Voraussetzungen dafür. Und Ein Psychothriller, den Hitchcock sicher gerne verfilmt hätte: prall gefüllt mit subtilem Nervenkitzel, dessen Ursache sich erst ganz zum Schluss offenbart.

Allerdings leider mit einigen (wenigen) unlogischen Wendungen und Erzählsträngen, die nicht richtig aufgedeckt werden, was ich schade finde bei einem so spannungsreichen Stoff.

Wobei die Spannung eher eine der ruhigen Art ist: die Handlung entwickelt sich eher hintergründig. Wer gerne einen geschickt aufgebauten Thriller mit überraschenden Elementen liest, der ist hier an der richtigen Adresse!

Veröffentlicht am 21.03.2018

Das Buch der Schuld

Von Vögeln und Menschen
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In Margriet de Moors Roman "Von Vögeln und Menschen" geht es klar um Schuld: um echte, um nicht eingestandene und um solche, die anderen angehängt wurde. Es geht um schuldige und unschuldige Männer und ...

In Margriet de Moors Roman "Von Vögeln und Menschen" geht es klar um Schuld: um echte, um nicht eingestandene und um solche, die anderen angehängt wurde. Es geht um schuldige und unschuldige Männer und Frauen. Vor allem um Frauen. Ich sehe das Buch als einen Familienroman, gewissermaßen aber auch als Krimi, einer, der quasi rückwärts erzählt wird.

Denn die Geschichte beginnt in der Gegenwart mit Rinus Caspers, der als Vogelvertreiber am Amsterdamer Flughafen arbeitet - und zwar mit Begeisterung - und mit seiner Frau Lina, einer Krankenschwester, die ebenso wie er Vögel liebt. Scheinbar hat sich etwas ereignet, doch bald schwenkt der Fokus auf ein lange zurückliegendes Ereignis:

Ein alter Mann wird in seinem Zimmer im Seniorenheim ermordet aufgefunden: ein sehr netter Herr, der, obwohl schon sehr bejahrt, noch eine ganze Weile hätte leben können, so gut wie er beisammen war. Doch er hatte Geld - Geld, das nun fehlt und das kann auch bei lieben Menschen ein Grund für Mord sein. Eine Schuldige - nämlich seine Haushaltshilfe Louise ist schnell gefunden und gibt den Mord nach anfänglichem Leugnen zu, wofür sie lange Jahre ins Gefängnis muss. Ihre Familie geht daran zugrunde und sie selbst letztendlich auch.
Jahre später stirbt eine Frau durch das Zutun von Louises Tochter Lina. Diese, längst glücklich verheiratet und Mutter eines elfjährigen Sohnes, gibt ihre Schuld sofort zu, ja, sie macht diese sogar größer als diese in der Anklage ist, wo nämlich von einem Unglück, schlimmstenfalls einem Totschlag ausgegangen wird. Doch Lina sagt aus, diesen Mord seit Jahrzehnten geplant zu haben.

Eine traurige Geschichte um große Themen wie Schuld und Sühne, aber auch Reue und Hingabe - wie auch um deren Fehlen. Und zwar durchaus auch auf anderen Ebenen als in diesem ganz besonders dramatischen, im Zentrum der Handlung stehenden Fall. Doch Margriet de Moor hat sie mit einer Leichtigkeit, einer Klarheit - die in der deutschen Übersetzung sehr gut transportiert wird - geschildert, die Charaktere ebenso eigenwillig wie plastisch dargestellt, dass ich sie schnell gelesen hatte. Im Vergleich zu anderen Werken der Autorin empfand ich es als besonders zugänglich. Da die Autorin stets einen gewissen Abstand zu ihren Figuren und der Handlung wahrt, bleibt man auch als Leser ein Beobachter von außen, was ich mit Blick auf die Handlung als sehr passend empfinde. Man wird dadurch quasi davor bewahrt, sich selbst zu sehr zu involvieren.

Ein aus meiner Sicht spannender und vielschichtiger Roman, der jedoch durch seine nüchterne Erzählweise sicher auf einige Leser auch (zu) kalt wirken kann. Ich empfehle ihn dennoch als ein ungewöhnlichen Roman, den ich gerade durch den fernen Blick, den man als Leser hat, als besonders wirkungsvoll empfunden habe. Wenn auch viele Fragen offen blieben. Doch das ist sicher Absicht und Teil des Romankonzepts.

Veröffentlicht am 15.03.2018

Karl kehrt zurück

Leinsee
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Und zwar nach Leinsee, der Stätte, dem Ort seiner Herkunft. Dass das sein Zuhause ist, kann man so nicht sagen, es ist das Heim seiner Eltern, die Wirkungsstätte von Ada und August Stiegenhauer, DEM Künstlerpaar ...

Und zwar nach Leinsee, der Stätte, dem Ort seiner Herkunft. Dass das sein Zuhause ist, kann man so nicht sagen, es ist das Heim seiner Eltern, die Wirkungsstätte von Ada und August Stiegenhauer, DEM Künstlerpaar schlechthin, das gemeinsame Objekte schafft und so populär ist, dass sich Christo und Jeanne-Claude warm anziehen können (bzw. konnten). Und die beiden waren einander stets genug, ihr Sohn passte nicht hinein in diese symbiotische, geradezu magische Beziehung. Und so verbrachte er seine Jugendjahre im ungeliebten Internat und verließ das Elternhaus schnellstmöglich auf Nimmerwiedersehen.

Doch jetzt ist alles anders: Karl, unter Pseudonym inzwischen selbst als Künstler in Berlin erfolgreich, kehrt nach dem Erhalt einer tragischen Nachricht nach jahrelanger Abwesenheit zurück ins Elternhaus, das jetzt allerdings ohne Eltern ist: Ada ist aufgrund einen Hirntumors im Krankenhaus, die Chancen stehen so schlecht, dass sich August das Leben genommen hat, um nicht ohne seine geliebte Partnerin weitermachen zu müssen.

Karl fährt also mehr oder weniger zurück, um seine Eltern zu beerdigen. Doch nach Augusts Bestattung entwickeln sich die Dinge auf allen Ebenen anders mit dem Resultat, dass Karls Einstellung zu Familie, Leinsee, ja zu seiner Zukunft insgesamt sich grundlegend ändert. Nicht zuletzt aufgrund neuer Freundschaften, vor allem die der achtjährigen Tanja.

Der Leser begleitet Karl nun über viele Jahre, nimmt teil an seinem Leben und Wirken. Wobei er das Paket der Vergangenheit stets mit sich trägt.

Ein Roman, bei dem der Leser durchaus mit dem Protagonisten ins Hadern kommen kann - nicht so sehr mit seinen Überzeugungen wie mit seinen Handlungen, die oft, auch in späteren Jahren etwas vom Eifer der Jugend haben und in ihrer Wirkung und Nachhaltigkeit, die eigentlich auch Karl bewusst sein sollte, offenbar nicht klar durchdacht sind. Leser also, die sich gern mit der Hauptfigur identifizieren, sind hier eindeutig fehl am Platz.

Dafür ist das Buch für Leser, die gerne mal eine eher ungewöhnliche, in schöner, klarer und eindringlicher Sprache verfasste Geschichte lesen wollen, genau das Richtige. Ich hing ein bisschen dazwischen, da mich Karl doch wieder und wieder zu irritieren wusste, aber das hat mich eher nicht gestört, denn als Kölnerin weiß ich, dass jeder Jeck anders ist. Ein bisschen mehr Hintergrundinformation an der ein oder anderen Stelle hätte gut getan, finde ich! Aber trotz dieser Einwände habe ich dieses Buch quasi in einem Rutsch gelesen und auch genossen und gebe somit - wenn auch mit geringfügigen Einschränkungen - einen schönen Lesetipp weiter!

Veröffentlicht am 12.03.2018

Die brutale Ermordung eines kleinen Mädchens

Idaho
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Der kleinen May nämlich, die erst sechs Jahre alt war - ein Verbrechen, in dem die Beteiligten zu einer Familie gehören. Einer, die allem Anschein nach glücklich gelebt hat. Ein Glück, das mit einem Hieb ...

Der kleinen May nämlich, die erst sechs Jahre alt war - ein Verbrechen, in dem die Beteiligten zu einer Familie gehören. Einer, die allem Anschein nach glücklich gelebt hat. Ein Glück, das mit einem Hieb erlischt. Wie, in aller Welt, kann so etwas geschehen)

Ich habe den Roman als atmosphärisch und beklemmend zugleich empfunden. Die Handlung kreist nicht um den Fall selber, also den Mord an dem Mädchen May, sondern beschäftigt sich vielmehr damit, wie die Überlebenden weiter leben und wie sie damit leben. Überraschend, doch gleich von Beginn an in die Handlung integriert ist die Einbeziehung von Ann, Wades zweiter Frau, die er nach dem tragischen Vorfall heiratet und die damit die ganzen Umstände "nur" im Nachhinein er- und durchlebt. Und doch ist sie definitiv eine der Hauptfiguren, zumal streckenweise aus ihrer Perspektive berichtet wird.

Insgesamt bleiben dem Leser nach Beendigung des Romans viele Fragezeichen sowie Platz für Spekulationen,wie es auch manchmal im realen Leben der Fall ist. Ein bisschen so wie in dem großartigen Film "Three Billboards outside Ebbing, Missouri", in dem die Mutter nach dem Mörder ihrer Tochter sucht, diese Suche und der Umgang damit - sowohl durch die Mutter selbst wie auch durch die weitere Familie und auch durch dritte - im Fokus steht.

Im Debütroman der jungen Autorin Emily Ruskovich ist die Täterin von Beginn an bekannt, eigentlich bereits davor. Die Romanhandlung setzt also in einer vermeintlich klaren, unstrittigen Situation an, die aber schnell kippt und beim Lesenden Unmengen von Fragen aufkommen lässt.

Ein eher leiser Roman - auch in der Hinsicht, dass hier teilweise die Figuren, die logischerweise eher am Rande stehen sollten, ins Zentrum gezogen werden. Kein Buch, das dazu einlädt, eine Nähe zu den Charakteren zu entwickeln, eher eines, das den Leser befremdet zurück lassen könnte. Oder auch gebannt durch die ganz eigene, eindringliche Sprache der Autorin, deren Faszination ich erst nach und nach erlegen bin.

Auch ich bin nach der Lektüre befremdet, sogar irritiert und muss erstmal überlegen, was ich mit all den Fragezeichen mache, die in meinem Kopf kreisen. Doch habe ich diesen Roman als sehr lohnend und bereichernd empfunden und möchte diejenigen potentiellen Leser zur Lektüre ermutigen, die sich gerne durch eine unübliche Art des Erzählens überraschen lassen und Mut und den Willen zur Lücke haben!