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Veröffentlicht am 25.04.2018

Unterdrückte Gefühle …

Der schwarze Falter
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Ziemlich verstört kommt Gerald Candless von einem Spaziergang zu einem nahegelegenen Hotel zurück, zu dem er Freunde begleitete – kurze Zeit später stirbt der 71jährige beliebte Schriftsteller an einer ...

Ziemlich verstört kommt Gerald Candless von einem Spaziergang zu einem nahegelegenen Hotel zurück, zu dem er Freunde begleitete – kurze Zeit später stirbt der 71jährige beliebte Schriftsteller an einer Herzattacke. Ein Schock für seine beiden Töchter Sarah und Hope, zu denen er ein inniges Verhältnis hatte – eine Befreiung für seine Ehefrau Ursula, die jahrzehntelang unter seiner Lieblosigkeit und Kälte leiden musste. Kurze Zeit nach der Beerdigung schlägt der langjährige Verleger der Familie vor, eine Biographie über Gerald Candless zu schreiben. Mit dem Gedanken, eine Lobeshymne auf den geliebten Vater zu verfassen, erklärt sich die ältere Tochter Sarah dazu bereit. Doch mit Bestürzung muss sie bald feststellen, dass im Lebenslauf des berühmten Autors einiges nicht stimmt. Er hat weder an der Universität studiert, noch als Reporter bei der Zeitung gearbeitet, wie er früher seinen Mädchen erzählt hatte. Weitere Recherchen ergeben, dass Gerald Candless bereits im Alter von sieben Jahren verstorben ist. Sarah ist fassungslos. Wer war ihr Vater wirklich? Was hatte er zu verbergen, dass er mit sechsundzwanzig Jahren eine völlig neue Identität angenommen hatte? Anhaltspunkte kann sie eventuell in seinen Büchern finden, in denen er Etappen seines Lebens verarbeitet hat und die alle auf dem Cover einen schwarzen Falter als Erkennungszeichen tragen …

Die Autorin Barbara Vine, die eigentlich Ruth Rendell hieß und unter diesem Namen über 30 Bücher, hauptsächlich Kriminalromane, veröffentlichte, wurde 1930 in South Woodford geboren und starb am 2. Mai 2015 in London. Unter dem Pseudonym Barbara Vine schrieb sie überwiegend Thriller mit psychologischem Hintergrund. Sie war bekannt für ihre elegante Dichtkunst und wurde mit zahlreichen angesehenen Literaturpreisen ausgezeichnet.

„Der schwarze Falter“ überrascht den Leser schon zu Beginn mit einer hintergründigen Spannung, die bis zum Ende durchhält. Dabei ist es kein Kriminalroman oder Thriller nach gewohntem Muster, sondern eher eine Detektivgeschichte, in der Tochter Sarah die Ermittlungen leitet. Zwar kann man schon verhältnismäßig früh ahnen, warum Gerald Candless seine Identität gewechselt hatte, doch die auslösenden Umstände erfährt man erst zum Schluss. Dann erst wird man der ganzen Tragweite des Ereignisses bewusst und kann dem Protagonisten und seinem Handeln ein gewisses Verständnis entgegenbringen.

Mehrere Handlungsstränge beleben das Geschehen und werden am Ende perfekt zusammen geführt: die Geschichte einer lieblosen Ehe, die erleichterte Witwe und ihr allmähliches Antasten an ein neues Leben, die Beziehungsunfähigkeit der beiden Töchter und ihre langsame Annäherung an ihre Mutter, Sarahs spannende Nachforschungen über ihre Familie und nicht zuletzt die Entdeckung des sorgsam gehüteten Geheimnisses aus Geralds Vergangenheit. Sehr lebendig und verschiedenartig sind die Charaktere, jeder für sich besticht durch Individualität. Man empfindet ihre Emotionen und erlebt diese als Leser hautnah mit, fühlt Trauer über ihre geplatzten Träume, ist wütend über ein Netz von Lügen und blickt in Abgründe der menschlichen Seele.

Fazit: Ein gut durchdachtes, stimmiges Psycho-Drama mit beklemmendem Ende. Empfehlenswert für Leser, die eher die leisen Töne lieben!

Veröffentlicht am 02.04.2018

Einsamkeit im Alter oder Honi soit qui mal y pense

Unsere Seelen bei Nacht
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Sie sind beide über siebzig, Addie Moore und Louis Waters, beide seit einigen Jahren verwitwet und sehr einsam. Man kennt sich flüchtig, wie man eben jemanden kennt, der seit über vierzig Jahren in der ...

Sie sind beide über siebzig, Addie Moore und Louis Waters, beide seit einigen Jahren verwitwet und sehr einsam. Man kennt sich flüchtig, wie man eben jemanden kennt, der seit über vierzig Jahren in der Nachbarschaft wohnt. Lange hatte Addie überlegt und gezögert, nun fasst sie sich ein Herz und klingelt bei Louis. Sie hat ihm ein Angebot zu machen, kein unmoralisches, wie sie extra betont. Sie bietet ihm an, die Nächte bei ihr zu verbringen, neben ihr im Bett zu liegen, zu reden und nicht alleine einzuschlafen. Am nächsten Abend steht Louis vor Addies Tür … - Das nächtliche Treffen der beiden alten Leute bleibt in der Kleinstadt Holt in Colorado nicht lange geheim. Die Nachbarn tuscheln und sind schockiert, Louis‘ Tochter Holly, die extra aus Colorado Springs angereist kam als sie von der Geschichte erfuhr, ist empört und Addies Sohn Gene verbietet der Mutter gar den Umgang mit Louis …

Ein wunderbarer kleiner Roman von knapp 200 Seiten, den der US-Schriftsteller Kent Haruf (1943–2014) noch kurz vor seinem Tod fertig gestellt hat und der 2015 posthum unter dem englischen Titel Our Souls at Night erschienen ist. Der in Colorado beheimatete Lehrer schrieb insgesamt sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt spielen und für die er einige Preise und Auszeichnungen erhielt. Die deutsche Ausgabe erschien am 22.3.2017 im Diogenes-Verlag und wurde von der als Pociao bekannten Übersetzerin, Autorin und Verlegerin Sylvia de Hollanda einfühlsam übersetzt.

Der Schreibstil Harufs ist ruhig und distanziert. Es gelingt ihm großartig, Gefühle einfach und schön auszudrücken. Er fesselt den Leser an die Geschichte, ohne unnötige Spannung entstehen zu lassen. Nach kurzer Zeit hat man sich auch daran gewöhnt, dass die wörtlichen Reden nicht durch Satzzeichen hervorgehoben sind. Kurze Kapitel und knappe Dialoge erzeugen mit sparsamen Worten das unbestimmte Gefühl, dass den beiden Protagonisten nur noch wenig Zeit bleibt. Der feinfühlige, liebevolle Umgang miteinander macht das Geschehen sehr real und authentisch – sie liegen nebeneinander im Bett, endlose Gespräche füllen die Nacht und Erinnerungen aus ihrer beider Leben werden ausgetauscht.

Die wohlige Grundstimmung wird aber jäh gestört, als Addies Sohn Gene auftaucht. Auf geradezu hinterhältige Weise greift er in ihr Leben ein, indem er droht, ihr den Enkel zu entziehen. Das ist zu viel für Addie, zumal der kleine Jamie dringend die Liebe seiner Großmutter braucht, die ihm im Elternhaus nicht gegeben wird. Wie wird sich Addie entscheiden? Zerbricht dieses wunderbare späte Glück? Bleiben ihr und Louis nur noch die heimlichen nächtlichen Telefongespräche? Dem Leser jedenfalls bleibt eine Hoffnung: Ein Film mit Jane Fonda und Robert Redford soll in Vorbereitung sein!

Fazit: Ein bewegender, warmherziger Roman über Liebe im Alter und spätes Glück, aber auch über Neid, Bosheit und Missgunst der Mitmenschen. Ein Lese-Highlight!

Veröffentlicht am 02.04.2018

Apartheid – Rassentrennung in Südafrika

Summ, wenn du das Lied nicht kennst
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Zum Inhalt: Südafrika 1976. Als Tochter eines englischen weißen Ehepaares wuchs die 9jährige Robin Conrad bisher relativ unbeschwert unter der Obhut des schwarzen Hausmädchens Mabel in Boksburg bei Johannesburg ...

Zum Inhalt: Südafrika 1976. Als Tochter eines englischen weißen Ehepaares wuchs die 9jährige Robin Conrad bisher relativ unbeschwert unter der Obhut des schwarzen Hausmädchens Mabel in Boksburg bei Johannesburg auf. Dies änderte sich abrupt, als ihre Eltern beim Aufstand in Soweto ermordet wurden und Mabel spurlos verschwand. Jetzt muss sich Tante Edith um Robin kümmern, doch die ist Flugbegleiterin und naturgemäß wenig zu Hause. --- Zur selben Zeit macht sich in der Transkei die schwarze Lehrerin Beauty Mbali vom Stamme der Xhosa auf den beschwerlichen Weg nach Johannesburg, um dort ihre Tochter zu suchen und heimzuholen. Die 17jährige Nomsa wird seit den Unruhen in Soweto vermisst. --- Durch einen glücklichen Umstand trifft Edith auf Beauty und kann sie davon überzeugen, als Kinderfrau für Robin bei ihr einzuziehen. Das traumatisierte Mädchen fasst bald Vertrauen zu Beauty und entwickelt eine innige Beziehung zu ihr. Aber Beauty sucht weiterhin verzweifelt nach ihrer Tochter - und Robin befürchtet wieder verlassen zu werden, sollte Beauty diese finden…

Zur Autorin: Bianca Marais wurde 1976, im Jahr des Soveto-Aufstandes, in Südafrika geboren, wuchs in Johannesburg auf und siedelte 2012 mit ihrem Ehemann, vier Haustieren und zwei Koffern um nach Toronto, um dort Creative Writing zu studieren. 2014 veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte, 2017 erschien der vorliegende Roman in Englisch und 2018 in deutscher Sprache im neu gegründeten Wunderraum Verlag in sehr ansprechender Aufmachung.

Was man wissen sollte: Von 1949 bis 1992 herrschte in Südafrika die Rassentrennung. Während die weißen Bewohner alle Rechte hatten und die Politik bestimmten, lebten die anderen Volksgruppen unterdrückt. Es war Nicht-Weißen untersagt, in denselben Gegenden zu wohnen wie die Weißen, mit ihnen auf dieselben Schulen zu gehen, dieselben Verkehrsmittel, dieselben Lokale und sogar dieselben Toiletten zu benutzen. Um den Weißen keine Konkurrenz zu machen, durften Schwarze nur ungelernte Arbeiten verrichten. Ehen zwischen Schwarzen und Weißen waren verboten. Es war Schwarzen auch untersagt, eigene Parteien zu gründen, usw. …

Leseeindruck: Ein Stück Zeitgeschichte, das viele Menschen verdrängt oder nicht bewusst wahrgenommen haben, greift die Autorin mit diesem Roman auf. Sie lässt zwei Personen, ein weißes Mädchen und eine schwarze Frau, aus ihrer jeweiligen Sicht erzählen. Durch die Zuneigung, die beide füreinander empfinden, wird die Brutalität und Sinnlosigkeit der Rassentrennung besonders deutlich. Beeindruckend auch die Geschichte von Maggie, einer weißen Frau, die mit ihrem Mann im Untergrund gegen die Apartheid kämpft. Der Schreibstil ist bemerkenswert intensiv, emotionsgeladen und lebendig. Das Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen und bis zum Schluss nicht mehr losgelassen. Ich habe mit den Protagonisten gelitten, mit ihrem Schicksal gehadert, war empört und schockiert. Dass ein 9- bzw. 10jähriges Mädchen manchmal sehr altklug und wie eine Erwachsene denkt und handelt erklärt sich am Ende, als Robin sagt: Damals wusste ich nicht, was die Zukunft bringen würde … (S. 484). Auf eine Fortsetzung, worüber ich mich sehr freuen würde, lässt folgender Satz hoffen: Aber das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll. (S. 485).

Fazit: Traurig, berührend, schockierend, aber immer voller Hoffnung, mit einem Thema, das durch die vielen ausländischen Mitbürger aktueller denn je ist. Absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 15.03.2018

„Wer hier `reingeht, ist ledig aller Qualen!“

Das Totenschiff
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Als der amerikanische Seemann Gale vom Landgang in Antwerpen zum Hafen zurück kommt, ist sein Schiff, die S.S. Tuscaloosa, weg. Ausgelaufen ohne ihn, aber mit seinem ganzen Hab und Gut, seinem Seemannsbuch ...

Als der amerikanische Seemann Gale vom Landgang in Antwerpen zum Hafen zurück kommt, ist sein Schiff, die S.S. Tuscaloosa, weg. Ausgelaufen ohne ihn, aber mit seinem ganzen Hab und Gut, seinem Seemannsbuch und seinem Pass. Unmöglich, ohne Seemannsbuch ein anderes Schiff zu bekommen, und noch unmöglicher ein neues Seemannsbuch ohne Pass oder einen neuen Pass ohne Identitätsnachweis. Er ist nun ein „Niemand“, er existiert einfach nicht. Diese leidvolle Erfahrung bleibt Gale nicht erspart, der nun als „Staatenloser“ von einem Land zum anderen abgeschoben wird. In Portugal schließlich gelingt es Gale, auf der Yorikke, einem Schmuggelschiff bei dem man es mit den Papieren nicht so genau nimmt, als Kohlenschlepper anzuheuern. Bald muss er feststellen, dass es sich um ein Totenschiff handelt, denn auch die anderen Seeleute sind ohne Papiere, also „lebende Tote“. Dort lernt er auch einen weiteren Kohlenschlepper, Stanislaw Koslowski, kennen, den ein ähnliches Schicksal auf das Schiff verschlagen hat und der bald sein bester Freund werden sollte. Bei einem Landgang im Hafen von Dakar werden die beiden shanghait und landen auf der Empress of Madagascar, einem Totenschiff der anderen Art. Mit ihrer wertlosen aber hoch versicherten Ladung Alteisen soll sie mit Mann und Maus versenkt werden, um der Reederei und dem Kapitän ein hübsches Sümmchen einzubringen. Doch anders als geplant läuft sie auf einem Riff auf, Gale und Stanislaw können sich total erschöpft auf eine Planke retten und treiben nun hilflos im Ozean …

B. Traven, geb. 1882 – gest. 1969, nannte sich der Autor, der wie viele andere auch anonym veröffentlichte. Er schrieb zwölf Romane, einige Erzählungen und einen Reisebericht, alle in seiner ironisch-sarkastischen Ausdrucksweise und alle verbinden Abenteuer mit kapitalismuskritischem Hintergrund. Wie 1974 festgestellt wurde, soll Traven mit dem Theaterschauspieler und Anarchisten Ret Marut, der 1924 nach Mexiko floh, identisch sein. Recherchen bestätigten dann 2012, dass B. Traven und Ret Marut beides Pseudonyme eines gewissen Otto Feige, Maschinenschlosser und Gewerkschaftssekretär aus Schwiebus in der preußischen Provinz Brandenburg, sein sollen.

Ganz egal wie sich der Autor genannt haben mag, schreiben konnte er, und zwar sehr gut. Traven lässt seinen Protagonisten selbst erzählen, manchmal wütend und traurig, manchmal ironisch und sarkastisch, voll hintergründig beißendem Humor, aber immer hoffnungsvoll und zuversichtlich. Man wird geradezu in die Geschichte hinein gezogen, in das traurige Los des heimatlosen Seemannes ohne Schiff und ohne Papiere, der eigentlich nur überleben will. Engstirniger Bürokratismus einerseits und aufopferungsvolle Hilfsbereitschaft und Freundschaft andererseits berühren den interessierten Leser. Obwohl nicht allzu viel geschieht und die Handlung nur wenige Höhepunkte hat, fand ich das Buch nie langweilig. Auch die ab und zu verwendeten seemännischen Ausdrücke dürften jedermann geläufig sein und bereiteten mir keine Schwierigkeiten. Die Thematik ist heute, bedingt durch die vielen Flüchtlinge ohne Ausweis, aktueller denn je. Darf man, ja soll man, einer Person auf Treu und Glauben gültige Papiere ausstellen, obwohl man deren Identität nicht feststellen kann? Gewiss hat man heute ganz andere Möglichkeiten (der Roman entstand 1926) als damals, dennoch bleibt das Problem. Ein weiteres großes Thema des Romans ist die Ausbeutung der Schwächeren durch die jeweils Höhergestellten, was sich in der Hierarchie bis ganz nach oben fortsetzt und auch heute noch seine Gültigkeit hat.

Fazit: Nicht einfach nur ein einzigartiger Abenteuerroman, sondern auch eine Anklage gegen Bürokratismus und Geldgier und nicht zuletzt eine Hymne an die Freundschaft.

Veröffentlicht am 12.02.2018

Alter und Einsamkeit – gehören die wirklich zusammen?

Nachts, wenn der Tiger kommt
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Seit fünf Jahren schon, seit dem Tod ihres Mannes Harry, lebt die 75jährige Ruth allein in dem abgeschiedenen Haus in den Dünen am Meer. Mit ihren beiden Söhnen hat sie nur telefonisch Kontakt, sie führen ...

Seit fünf Jahren schon, seit dem Tod ihres Mannes Harry, lebt die 75jährige Ruth allein in dem abgeschiedenen Haus in den Dünen am Meer. Mit ihren beiden Söhnen hat sie nur telefonisch Kontakt, sie führen weit weg ihr eigenes Leben - Jeff in Sydney und Phil in Hongkong. Bisher konnte sie alles noch ganz gut allein bewältigen, doch in letzter Zeit fühlt sich Ruth sehr einsam. Die Arbeit wird immer mühsamer, das Gedächtnis lässt sie öfters im Stich und neben den Schlafstörungen sind es die nächtlichen Geräusche, die sie nicht zu identifizieren vermag. Sind es Schritte? Ist es der Wind? Oder ist es gar ein Tiger, der durchs Wohnzimmer schleicht? Ruth ist mehr und mehr verunsichert. Da kommt Frida nicht ungelegen, die eines Morgens vor der Tür steht - vom Staat geschickt, wie sie sagt - um sich um Ruth und den Haushalt zu kümmern. Zunächst ist Ruth froh über Fridas Fürsorge, doch bald fühlt sie sich bevormundet und kontrolliert. Nach dem Besuch eines Jugendfreundes verändert sich Ruth dramatisch. Sie verliert immer mehr den Bezug zur Realität und Frida übernimmt vollends das Kommando …

Die Autorin Fiona McFarlane wurde in Sydney geboren, studierte an der dortigen Universität und promovierte an der University of Cambridge. Sie schrieb Kurzgeschichten, die in einigen namhaften Zeitschriften veröffentlicht wurden. „Nachts, wenn der Tiger kommt“ ist ihr erster Roman. Er erschien 2013 unter dem englischen Titel „The Night Guest“ und wurde inzwischen in 19 Ländern und 15 Sprachen publiziert. 2014 wurde Fiona McFarlane als die beste Australische Nachwuchsautorin ausgezeichnet.

Erstaunlich, wie einfühlsam die junge Autorin die Thematik des Alterns, der Einsamkeit und des Verwirrtseins behandelt. Sehr real empfindet man die Übergänge zwischen Wirklichkeit und Wahnvorstellung und ertappt sich als Leser des Öfteren dabei, an seinem eigenen Verstand zu zweifeln. Man ist mit seiner Sympathie voll und ganz bei Ruth und leidet mit ihr, wie sie langsam von der Realität in einen Dämmerzustand abgleitet, der nur noch ab und zu von Versuchen des Aufbegehrens und der Selbstbestimmung unterbrochen wird. Gute Gefühle kann man aber auch Frida entgegenbringen. Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Tatkraft und Aufopferung sie den Haushalt wieder in Schuss bringt und mit welch stoischer Ruhe sie Ruths Eigenheiten erträgt. Auch wenn von Anfang an klar ist, dass mit Frida etwas nicht stimmen kann, entbehrt das Buch nicht einer gewissen Spannung. Man ahnt, dass die Geschichte nicht gut ausgehen kann, hofft aber dennoch auf ein gutes Ende.

Der Schreibstil der Autorin ist von beeindruckender Intensität, flüssig, gut verständlich und gelegentlich leicht ironisch. Sehr gut und außergewöhnlich lebendig sind die Protagonisten heraus gearbeitet. Die doch so gegensätzlichen Charaktere der beiden Frauen ergänzen sich großartig. Die detailgetreue Beschreibung des einsam gelegenen Hauses in den Dünen, des Meeres und des sonnendurchfluteten Strandes wirkt sehr authentisch und bringt eine gewisse Leichtigkeit in die sonst eher bedrückende Atmosphäre.

Fazit: Ein großartiger Roman, der den Leser in seinen Bann zieht und ihn am Schluss sehr nachdenklich zurück lässt.