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Veröffentlicht am 18.01.2019

Nur etwas für Actionliebhaber – ansonsten herrscht trübe Grünödnis

Die Klinge des Schicksals
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Danèstara von Tiamin ist die „Klinge des Schicksals“, die nächtens und im Schlaf an irgendeinen Ort des Kontinentes Nankan teleportiert wird, um dort für die Mächte des Guten einzugreifen. Dieses Mal geht ...

Danèstara von Tiamin ist die „Klinge des Schicksals“, die nächtens und im Schlaf an irgendeinen Ort des Kontinentes Nankan teleportiert wird, um dort für die Mächte des Guten einzugreifen. Dieses Mal geht es um nichts weniger, als die Rettung der Welt, denn Nankan wird von der Grünödnis bedroht, jenem menschenfeindlichen Urwald, der wildwuchernd bereits den Kontinent Yarkin verschlungen hat, an dem Nankan als Subkontinent hängt, zersplittert in viele sehr unterschiedliche Reiche mit sehr unterschiedlichen Merkmalen. Danèstara steht dem schwangeren Mädchen Kalenia bei, einem Zirkel von Dämonenbeschwörern auf die Spur zu kommen, die für das Vordringen der tödlichen Natur verantwortlich zeichnen. Ein Wettlauf der Klingen, Intrigen und des Blutes beginnt.

Soweit die Geschichte. Ab hier wird es ernst, und wer das Buch noch lesen möchte, sollte nicht weiterlesen.

Heitz schreibt ein aufschlussreiches Nachwort, in dem er zwei Motive für diesen Roman offenbart: Erstens präsentiert er seinen Grundgedanken für „Die Klinge des Schicksals“: „Was wäre, wenn wir eine ältere Heldin hätten […]?“ Zum Zweiten liefert er mit Yarkin/Nankan „[w]ieder eine neue Welt […], weil es […] sehr viel Spaß macht, neue Welten zu entwerfen.“

Damit sind schon die zwei Grundübel des Romans benannt.

Erstens ist Danèstra nicht alt. Sie hat nur weiße Haare, ansonsten agiert sie wie eine Frau in den besten Jahren. Sie könnte alles zwischen 30 und 50 sein. Nicht umsonst steht auf Seite 556 (von 571): „Zum ersten Mal wirkte sie erschreckend alstund zerbrechlich.“ Genau! Hätte Heitz eine ältere Heldin haben wollen, hätte Danèstra auch älter sein sollen. Weiße Haare und Runzeln als Merkmale des Alters machen noch keinen alten Helden (der wirklich mal reizvoll wäre, aber sich eher im englischen Landhauskrimi antreffen lässt). Zum "Helden" unten mehr.

Zweitens ist es einerseits eine tolle Sache, Welten zu entwerfen, es ist aber andererseits noch toller, wenn diese Welten auch stimmig funktionieren. Nankan aber ist eine Mixtur von lauter mehr oder weniger guten Ideen, die anfangs vielleicht gut klangen, aber nicht über 500 Seiten tragen. Beispielsweise die Natur als „das Böse“ (TM). Das ist ein witziger Gedanke, den aber auch Heitz nicht zu Ende denken mag, denn schließlich ist es doch nicht die Grünödnis (was für ein verqueres Oxymoron), die auf der Gegenseite steht, sondern die von bösen Menschen bedrohte „gute Natur“. Oder die Binnensee Meerwasser/Süßwasser, die ein maroder Damm trennt. Das Szenario ist ein pfiffiger Gedanke, zumal sich eine echte Bedrohung für den Subkontinent ergibt, wenn der Damm bricht. Aber dass die Crokodyle des Süßwassers sich später in der salzigen See ganz im Osten tummeln, ist eine entlarvende Inkonsistenz. Auch die Merkmale der einzelnen Reiche – Elektriker, Bodenschürfer, Stierwahlkönige, Dammwächter und superreiche Verschwender sind Gedanken, die keine tragfähige Basis für einen im Gesamten funktionierenden Kontinent erschaffen. Die zum Teil unaussprechlichen Namen und sinnlosen Akzente tun ihr Übriges, mich mit den Ideen fremdeln zu lassen („Danèstara“, „Nankan“ hat über dem zweiten A einen langen Strich, den meine Textverarbeitung nicht einmal unter den Sonderzeichen kennt).

Nankan ist wie ein Kramladen, in dem es ein paar echte Entdeckungen, aber vor allem sehr viel Ramsch gibt.

Und nun zur Handlung, da wird es dann noch schlimmer.

Heitz hat in diesem Fantasy-Roman keine Helden erschaffen, sondern jede Menge naiver Meuchelmörder, angefangen bei unserer Supergreisin Danèstra, die ihre Interpretation des Schicksals stets sehr schnell zu fassen scheint, um sie anschließend nicht mehr zu hinterfragen. Eigentlich handelt sie stets nach dem ersten Augenschein, ohne über Alternativen nachzudenken. Erst auf Seite 396 fängt sie einmal an, ihre leisen Zweifel auch zu formulieren („Es stimmt überhaupt nichts überein. Was übersehe ich?“), aber zu diesem Zeitpunkt sind schon jede Menge Menschen einfach abgemessert worden. Dass es sich um Scheusale handelt, mildert es nicht, da viele, viele Unbeteiligte ebenfalls über die „Klinge des Schicksals“ springen mussten. Noch ärger treibt es der Schütze Iridian, der für ein Schiffsticket eine ganze Familie abknallt (S. 404). Ist vielleicht deshalb nicht so schlimm, weil es sich um Reiche handelt? Jedenfalls droht Heitz im Nachwort an, dass Danèstras Truppe wiederkommen könnte, dann aber bitte nicht mit solchen Mördern.

Graue Helden sind eine feine Sache, aber Helden zeichnet in allen guten Büchern des Genres aus, dass sie niemals so werden wie ihre Gegner, niemals. Im Angesicht der Gefahr bleibt ein Held immer seinen Prinzipien treu, und diese sind niemals beliebig. Einzelne für „das größere Ganze“, ein „höheres Ziel“ oder „ad maiorem dei gloriam“ zu opfern, ist ein vornehmes Vorrecht der Bösewichte. Denn wahre Helden sind immer dem Individuum verpflichtet, auch die „Klinge des Schicksals“, zumindest am Beginn ihrer Queste, als es noch um Kalenias Wohl ging. Danèstra gilt als Kämpferin für „Das Gute“ (TM), und ich frage mich: warum? Ihre dümmlich-naive Handlungsweise legt das nicht nahe, sondern ist kriminell fahrlässig. Eine Einteilung in „Das Gute“ (TM) und „Das Böse“ (TM), die auch noch innerweltlich vorgenommen wird, zeugt nicht gerade von der Bemühung um Grauschattierungen, korrespondiert aber auf unangenehme Weise mit der Naivität der Handelnden.

Im Übrigen: Wenn Kalenia sagt, sie sei das Instrument zur Rettung der Welt – wieso ist dann das Gegenteil richtig, wenn sich dies Aussage als Lüge entpuppt? Wieso also hält man Kalenia dann für das Instrument der Zerstörung der Welt und nicht – wie es am Ende geschieht – schlicht für eine übergeschnappte Lügnerin? Hanebüchen.

Passt aber zu der blindwütigen Jagd, zu der Danèstra mit ihrer Truppe aufbricht. Dieser über das Knie gebrochene Aufbruch samt Auftrag ist wahrscheinlich auch der Grund, warum man so schwer in den Roman hineinkommt. Die ersten 100 bis 150 Seiten sind nicht spannend – wie auch viele Rezensionen bemerken. Überdies führt die Meucheljagd über den Kontinent auch dazu, dass im Vorbeirauschen Teile der Handlung wie Fremdkörper wirken (etwa der Sonderauftrag der beiden Ingeniae im Köhlerdorf oder die folgenlose Tötung des Königs Horneus). Was das Figurenkonzept betrifft, formuliert es Ilreen dem Schützen Vytain gegenüber ausgesprochen treffend (S. 509): „Aber bei der ganzen Rennerei blieb keine Zeit, dich näher kennenzulernen.“ Genau! Uns Lesern auch nicht! Alle Figuren sind platt, eindimensional und austauschbar.

Ein Tiefpunkt der Handlung ist der Moment, in dem der Bösewicht seinen Plan zu einem unpassenden Zeitpunkt enthüllt, zu dem eigentlich keine Zeit für lange Erklärungen ist, nach denen überdies niemand gefragt hat (S. 439).

Das Ende in einem Völkerbund der Kriegsparteien ist überraschend seicht. Man fragt sich auch, wie es dazu kommen kann, nachdem die hinter dem Wald stehenden Treyden zuerst alle Menschen getötet haben, die in ihrem Wald herumgingen, und selbst während der diplomatischen Phase zum Schluss noch Erpressung, Mord und Totschlag geschehen. Das sind Handlungsmomente bar der Logik, in denen man dem Autor einfach nicht folgen kann.

Das betrifft insbesondere die Idee des „Grünen Herzens“, also des Edelsteins, um den es am Ende den Waldgeistern geht: Es ist ausweislich der im Buch erzählten Geschichte entstanden, nachdem der Wald bereits wucherte. Es ist zudem der Rest eines Magiers, keines Waldbewohners. Wie kann es dann zum zentralen energetischen Kern des Waldreiches geworden sein?

So wie der holprige Einstieg des Erzählers bisweilen wie eine schlechte Übersetzung einer fremdsprachlichen Urfassung des Textes wirkt, wirken viele Ideen und Wendungen wie plötzliche Einfälle, die nachträglich eingefügt wurden und auch nachträglich mit der Handlung verknüpft werden.

Ist denn gar nichts gut an dem Roman?

Doch, natürlich. Er liest sich nach anfänglichen Schotterstrecken schnell und flüssig und ist einer seichten Serie im Fernsehen allemal vorzuziehen. Die Fülle an Einfällen des Autors liefert auch immer wieder tolle Momente – so ist es kaum möglich, den armen Tropf Quent nicht zu mögen. Auch die Elektrotechnik aus Izozath ist eine stimmige Idee. Und mit dem seltsamen UN-Hochgericht in der Causa Kalenia versöhnt einen fast vollständig der Satz „Rache kennt keine Gerechtigkeit.“ (S. 464)

Das war mein erster Heitz. Und es wird mein letzter bleiben. Wer es aber mit den Details nicht so genau nimmt und rasante Action einem kniffligen Plot vorzieht, der kommt hier auf seine Kosten.

Veröffentlicht am 18.01.2019

Gut gedacht, aber nicht gut gemacht

Binti
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Im vorliegenden „Binti“-Band sind drei Novellen der gefeierten amerikanischen Autorin Nnedi Okorafor erstmals versammelt, die zuvor einzeln erschienen sind. Okorafor gilt als Stimme eines Afrofuturismus, ...

Im vorliegenden „Binti“-Band sind drei Novellen der gefeierten amerikanischen Autorin Nnedi Okorafor erstmals versammelt, die zuvor einzeln erschienen sind. Okorafor gilt als Stimme eines Afrofuturismus, der Themen und Anliegen der afrikanischen Diaspora in Science-Fiction-Geschichten auch mittels Elemente der afrikanischen Kulturen berührt. Die namensgebende Protagonistin des Bandes ist die dem namibischen Himba-Volk entstammende Binti, die wegen ihrer herausragenden mathematischen Leistungen und ihrer Befähigung zur Harmoniemeisterin die Gelegenheit erhält, an der intergalaktischen Oomza-Universität zu studieren. Dieser Schritt – nicht nur aus dem Stamm oder der Heimat hinaus, sondern sogar ins All und in eine von Technologie geprägte Welt – ist für eine Himba mehr als ungewöhnlich. Binti ist eine Ausnahmeerscheinung, weshalb die Autorin an ihr die Fragen nach Stammeszugehörigkeit, ethnischer Bindung, Bewahrung und Hinterfragen von Traditionen, Fortschrittsglaube und Heimatsuche angehen kann. Mithin also den Widerspruch von afrikanischer Erdverbundenheit (oder gar naturverbundener Rückständigkeit) auf der einen und Weltraumtechnologie auf der anderen Seite.

Der Ansatz ist vielversprechend und lenkt sich auf die zentralen Themen des Afrofuturismus bzw. als afrikanisch verstandener Science-Fiction-Literatur. Okorafor scheitert damit allerdings auf ganzer Linie, weil sie erstens ihre Erzählung schlecht konstruiert, zweitens ihre Figur überfrachtet und drittens einfach nicht gut erzählt.

1) Die drei Novellen – ursprünglich einzeln erschienen – entbehren einer schlüssigen Handlung oder mindestens eines inneren Wachstumsprozesses bei Binti. Die mittlere Novelle besitzt zudem weder Anfang noch Ende, sondern ist als Mittelteil der beiden anderen konstruiert. Die Konfiguration Bintis als Mathematikgenie, Zauberweberin (mittels Magie) und Harmoniemeisterin hat erhebliche Schieflage und wirkt wie der Darstellung eines Rollenspielcharakters bei D&D. Handlungen Bintis werden wenig oder gar nicht motiviert, Ereignisse bleiben bedeutungslos (Warum fährt Binti nach einem Jahr nach Hause? Warum bleibt der Schuss auf Okwu folgenlos? Wohin geht die Seele nach dem Tod – wenn es eine gibt – und wieso kommt sie zurück?). Diie „willing suspension of disbelief“ endet recht bald.

2) Binti ist ein erstaunliches Mädchen, das sich von ihrer Herkunft emanzipiert. Sie erlebt Neues, erfährt ihr und ihrem Stamm Unbekanntes und erwirbt – buchstäblich – Fähigkeiten fremder Völker und Rassen. Die Spannung zwischen den Himba und den Koush (ein anderes Volk in Bintis Heimat) ist schon sehr groß – aber beides sind Menschenvölker. Wird hier Kolonialismus verhandelt, weil die Koush auf die Himba herabsehen? Das bleibt unklar, denn die nächste Spannung ergibt sich zwischen den Menschen und den Medusen, die übernächste zwischen den Medusen und den Koush im Besonderen, zwischen Binti und ihrem Volk der Himba und schließlich zuletzt in der Auseinandersetzung zwischen Mensch und lebendigem Raumschiff. Binti hat an allen diesen Völkern Anteil (bzw. umgekehrt), und das ist zuviel. Die Figur implodiert ohne Aussagekraft wegen unsachgemäßer Überfrachtung. Es hätte gut getan, die zentrale Handlungsträgerin auf eine Gruppe von Personen aufzuspalten, um dieselbe Geschichte zu erzählen.

3) Der ständige Monolog Bintis in der Ich-Perspektive vermittelt keine Entwicklung, nicht einmal eine analytische Beschreibung, sondern sehr viel naives Staunen, oberflächliche Beobachtung und vor allem: Redundanz. Die Zahl der mit „Ich“ beginnenden Absätze und Sätze ermüdet gewaltig.

Ist das typisch afrikanische Fantasy? Ich weiß es nicht. Womöglich ist es ein Lable, das auf Okorafors fantastischen Geschichten geklebt wird, weil sie sich (auch) in der afrikanischen Mythologie bedient. Die Medusen aber und Bintis Erscheinung als Gorgo mit dem Schlangenhaupt ist der griechischen Mythologie entnommen. Ansonsten geht Okorafor sträflich mit den mystischen/mythischen Elementen ihrer Erzählung um: Was war an "Star Wars - Episode 1" noch ärgerlicher als Jar Jar Binks? Die Erfindung der Midi-Chlorianer, die einen Menschen zum Jedi-Ritterdasein befähigen. Kleine Mikroorganismen ersetzen die Mystik der "Macht" (TM), mit der Luke den Todesstern allein erledigt. Hier sind es auf Seite 188 kleine Nanoiden von Außerirdischen, die ein Wüstenvolk in ihr But und in ihre DNA aufnahm, um fortan mit mystischer Kommunikationsfähigkeit gesegnet zu sein. Oder: Vom Tode auferstehen kann man einfach mittels einer Frischzellenkur. Oder: Alien-DNA im eigenen Leib verändert zwar den Charakter, aber wenn man es erst einmal weiß, muss man diesen neuen Charakterteil einfach unter Kontrolle bringen, eine Identitätskrise folgt nicht. "Mehr steckte nicht dahinter", Zitat S. 199!? Kreisch! Man muss ja nicht gleich eine so große Sache daraus machen wie bei Gregor Samsa, aber das ist ein literarischer Offenbarungseid.

Gefallen hat mir an der ersten Kurzgeschichte/Novelle noch, wie Okorafor ihre Leser einfach in die Szene wirft, ohne viel zu erklären. Die Funktionsweise von biologischem Stahl, lebendige Raumschifforganismen, schwebende Medusen nimmt man beim Lesen einfach so hin. Das ist gut und hält den Geist wach.

Ich wurde aber nach einer sehr großen Anfangssympathie mehr und mehr enttäuscht von der handwerklichen Unfähigkeit der Autorin, von künstlerischer Literarizität will ich gar nicht reden. Viele gute Gedanken sind schlicht mangelhaft umgesetzt: gut gedacht, aber schlecht gemacht.

Veröffentlicht am 18.05.2020

Das verquere Weltbild der Donna Leon - oder : Schweigen wäre Gold

Das goldene Ei
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Gute Kriminalliteratur führt den Leser nicht nur durch die Entwirrung eines Verbrechens, sondern auch in und durch ein Milieu, gesellschaftliche Umstände, aktuelle Themen und öffnet den Horizont dafür ...

Gute Kriminalliteratur führt den Leser nicht nur durch die Entwirrung eines Verbrechens, sondern auch in und durch ein Milieu, gesellschaftliche Umstände, aktuelle Themen und öffnet den Horizont dafür in einer Wiese, für die die Kriminalhandlung Werkzeug ist, das Werk aber der Roman als Literatur.

Donna Leon versucht das auch immer wieder und fasst jede Menge aktueller Themen an, widmet sich Missständen und würzt das lokale Kolorit Venedigs mit der Lebens- und Gedankenwelt der eingeborenen Venezier. Bisweilen wirkt dieses Thema wie mit dem Holzhammer in einen gemütlichen Familienroman geklopft, in dem eigentlich nur die heile Welt von Commissario Brunetti, seiner Gattin, der Heiligen Santa Paola sowie den beiden engelsgleichen Kindern ausgebreitet werden sollten. Die Mitglieder der Familie Brunetti besitzen alle diese sympathischen kleinen Fehler, damit sei menschlich wirken. Große Fehler haben sie nicht. Oder doch?

Einen Fehler haben die Brunettis allerdings, und der geht mir mittlerweile weit über das erträgliche Maß hinaus: Sie sind bornierte, fremdenfeindliche Vorurteilsträger ohne einen Funken der Fähigkeit, diese Engstirnigkeit zu bedenken, zu kritisieren oder gar zu überwinden.

Ich bin kein Italienkenner und besitze deshalb nur einen angesammelten und nie durchgesehenen Haufen von klischeehaften Vorstellungen und Vorurteilen über die politischen Verhältnisse in Italien, aber befinde mich damit offenbar in der „guten Gesellschaft“ mit Donna Leon und Guido Brunetti & Co., denn die Zahl der staatsfeindlichen, demokratieverächtenden Sätze nimmt von Fall zu Fall zu.

„Warum sonst unterhielten sich Politiker nach wie vor selbstherrlich am Handy über die Verbrechen und Verfehlungen (…)? Warum verhandelten sei am Telefon über Bestechungssummen? Warum gaben sie Prostituierten Tausende von Euro (..)? Für wie dumm halten die uns? Wie sehr verachten sie uns?“ (S. 34) Und weiter: „Aber nicht alle Politiker konnten so sein. Sonst, dachte Brunetti, blieben einem anständigen Bürger nur zwei Möglichkeiten: Auswandern oder Selbstmord.“

Ach ja? Abgesehen davon, dass man auch einfach die Richtigen wählen könnte – und das sind solche, die Staat und Gemeinwohl als Konstrukt von allen für alle verstehen, also eben nicht Populisten –, bleibt Anständigen vor allem, selbst in die Politik zu gehen! Politiker werden weder als Politiker noch (und vor allem) als korrupte Pol8itiker geboren! Wenn man möchte, dass die politische Kaste das Volk abbildet, dann muss man aufhören, mit diesen sinnlosen Abgrenzungen, sondern – so lange man ein Fan der Demokratie bleiben möchte – die Volkvertreter als Spiegel der Gesellschaft verstehen, in dem die Idioten, Verbrecher, Glücksritter, aber auch die Genialen, Selbstlosen, Weltverbesserer etc. der Normalverteilung in der Bevölkerung folgen sollten. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist Obstruktion, Beklagen (statt Anklage), Verachtung und so weiter schädlich für alle. Weil es die Anständigen fernhält und den Unanständigen eine Rechtfertigung bietet, unanständig zu bleiben.

Der Gestus Brunettis ist einem Pegida-Demonstranten oder rechten Verschwörungstheoretiker angemessen: „Weil wir am Ende alle gleich sind: unterdrückt von diesem System, das sich niemals ändern wird. Von Leuten, die oben sind und immer nur tun, wozu sie lustig sind.“ (S. 253 f.)

Danke fürs Gespräch.

Brunetti sei voll „Misstrauen gegenüber allen politischen Parteien, allen Politikern und allen religiösen Führern“ (S.212). Allen? Das ist eine so derartig vorurteilsgeleitete Verallgemeinerung, dass sie an Dummheit grenzt. Wenn diese Dummheit denn Grenzen hat.

Religiosität ist bei Donna Leon auch stets fragwürdig. Ihre Priester und Gläubigen sind wahnsinnige Frömmler, deren Exerzitien offenbar aus dem kleinen Brevier des Flagellanten des Opus Dei stammen (S. 236, 249 u.ö.). das ist ein so abgeschmacktes wie abgefucktes Klischee und macht nur denen Spaß, die eine ebenso große Schublade für Kirchenmonster haben.

Ich würde Donna Leon gerne einmal rückfragen, warum sie ihre Klischees eigentlich nicht bricht, reflektiert oder hinterfragt. Was eigentlich ihr eigenes Gedankengut ist oder was imaginiertes Gedankengut einer Romanfigur oder was nur ventiliert wird, um einer vermeintlichen Mehrheitsmeinung zu gefallen. Wenn Brunetti „allen religiösen Führern“ misstraut, denkt er (Leon) dabei an die katholische Kirche? An islamische Mullahs? Oder soll das auch jüdische Rabbiner und den Dalai Lama einbeziehen?

Den wahrscheinlich nicht, denn es gehört zum komfortablen Weltbild Brunettis nur das verächtlich zu finden, was in seinen Kram passt. Die Verfehlungen „der da oben“ sind jederzeit ein Argument gegen jene. Gewiss gefiele es ihm auch nicht, wenn man mit seiner Privatsphäre oder heilen Informationen aus seinem Leben (oder dem seiner Familie) Schindluder triebe. Dass er selbst seine Polizeiarbeit aber mit den Methoden des illegalen Hackings unter Missachtung sämtlicher Persönlichkeits- und Datenschutzrechte betreibt, ruft bei ihm immer seltener Schuldgefühle hervor.

Der Zwecke heiligt Brunetti die Mittel: da er ja ein Guter ™ ist, darf er das. Die aber, die er für die Bösen ™ hält, dürfen das nicht, das ist bigott. Eine ähnliche Unterscheidung wird auch zwischen Ausländern unterschiedlicher Herkünfte gemacht: Mittelmeerflüchtlinge sind gut, chinesische Geschäftemacher sind böse (darum dürfen sie vor dem Gesetz auch ungleich sein). Dass beides Menschen sind und wie Menschen behandelt werden müssen, das wäre die richtige Erkenntnis eines aufgeklärten Bürgers. Gilt nicht für Brunetti & Co.

Und nun diese Kaspar-Hauser-Geschichte des vorliegenden Bandes: Ich hasse den Begriff des Gutmenschen, weil er im Kern eine menschliche Grundhaltung diffamiert, die begrüßenswert ist: Anstand, Mitgefühl, Streben nach Verbesserung. Aber wie hier die Schuldgefühle Brunettis und seiner Frau, der Heiligen Paola, zum Movens der Geschichte gemacht werden, ist brechreizerregend bigott. Denn Brunetti ermittelt vor allem, weil er sich besser fühlen möchte; weil er sein Fehlverhalten heilen möchte. Das ist ebenso bigott und widerwärtig wie die Tatsache, dass ein ganzes Viertel über das Schicksal Kaspar Hausers bescheid wusste, aber weder etwas daran zu ändern bereit war noch die eigene Mitschuld daran erkennt. Das wird aber gar nicht thematisiert!

„Das goldene Ei“ ist eine Ansammlung billiger Klischees, eine Anhäufung pegidaverdächtiger Vorurteile, die zum Himmel stinken, sowie eine Reihung vorhersehbarer Versatzstücke einer Empörungshaltung, die schlicht langweilig ist.

Und dabei habe ich kaum ein Wort darüber verloren, wie bedauerlich es ist, dass es in Brunettis Welt gar keine Entwicklung gibt, dass alles gleich bleibt und deshalb irgendwann öde wird. Donna Leon hätte Brunetti alt werden und in Rente schicken sollen. Wallander hat es vorgemacht.

Genug – der Rest ist Schweigen (à la Kaspar Hauser).

Veröffentlicht am 03.04.2018

Naiv und ärgerlich

Vom Himmel in die Traufe
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Die Story geht so: Arbeitsloser "fliegender Holzfäller" namens Hermanni Heiskari rettet reiche Ballonfahrerin und Unternehmerin Lena Lundmark nach einem Absturz. Sie verspricht ihm, ein Jahr lang alle ...

Die Story geht so: Arbeitsloser "fliegender Holzfäller" namens Hermanni Heiskari rettet reiche Ballonfahrerin und Unternehmerin Lena Lundmark nach einem Absturz. Sie verspricht ihm, ein Jahr lang alle Kosten der alltäglichen Lebensführung zu übernehmen, und verliebt sich in den Naturburschen. Als Schoßhund und Butler fungiert Lenas Onkel Ragnar, mit dem Hermanni nun auf eine zwölfmonatige Sause durch Finnland und die Welt geht. Zum Zeitvertreib - und weil Hermanni seit Jahren eh nichts anderes macht - planen sie den Aufstand der Arbeitslosen. Am Ende heiraten Hermanni und Lena, Ragnar bricht sich ein Bein und die Aufstandspläne stürzen aus dem Hochzeitsballon.
Der Klappentext (der auch Lundmark fälschlich Lundberg nennt) legte noch nahe, dass sich die Geschichte um den Naturburschen dreht, der auf dem Parkett der wohlanständigen Gesellschaft für herzhafte Peinlichkeiten sorgt. Es hätte also eine hübsche Eulenspiegelei werden können. Stattdessen entblödet sich der Autor nicht, seinen Holzfäller mit ausgefeilten, vollkommen idiotischen und nur den eingefleischten Pegida-Mitläufer in fromme Wallung versetzenden Aufstandsplänen auszustatten, nämlich einer Revolte der Arbeitslosen gegen das finnische und internationale Schweinesystem, damit sie endlich zu ihrem Recht kämen. Ragnar, dessen falscher Obristenrang am Ende gar keine humoristische Auflösung mehr erfährt, und Lena, die als gestandene Businessfrau viel zu hausmütterlich und passiv rüberkommt, reden Hermanni den Schwachsinn aber nicht aus. Im Gegenteil: Sie planen mit.
Abgesehen von diesem umstürzlerischen Zeitvertreib tun die Protagonisten Paasilinnas das, was Paasilinna seine Protagonisten immer tun lässt: Sie reisen. Warum? Weil nur die Fortbewegung von einem Ort zum anderen dem Buch den Anschein von Bewegung geben kann. Die Handlung ist nämlich stets eher kümmerlich. Mit dem ständigen Wechsel des Ausblicks durch unmotivierte, aber fortwährende Kulissenschieberei simuliert Paasilinna wenigstens eine Handlung. In „Vom Himmel in die Traufe“ begleiten wir Hermanni und Ragnar zunächst in jeden unaussprechlichen Ort Lapplands (die die Sprache kann man den Autoren nicht verantwortlich machen; umgekehrt mögen deutsche Ortsnamen dem Landesfremden genauso verwirrend vorkommen), wo gesoffen wird, was die Holzfällerleber aushält. Dann geht es in die weite Welt: Schweden, Irland (ein anderes Säufer-Dorado, wie es scheint), Tahiti und Portugal.
Die ganze Zeit hofft man auf witzige, entlarvende Begegnungen des natürlichen Menschen, der sich die unschuldige Einfalt bewahrt hat, mit der Zivilisation und ihren falschen Masken. Das passiert aber nicht: Es bleibt beim Wechsel der Kulissen wie im Reiseführer und dem geplanten Aufstand. Allen handelnden Personen ist zudem eine die Wirklichkeit verzerrende, unterkomplexe Naivität zueigen, die womöglich eine Grundhaltung des Autors darstellt. Auch die dialektische Diskrepanz zwischen dem intensiven Kriegsspiel und dem Lotterleben in Lundmarks Schlaraffenland wird nicht aufgegriffen, genutzt oder vorgeführt; wahrscheinlich von Paasilinna nicht einmal bemerkt, und das ist das Schlimmste!
Mir ist vollkommen schleierhaft, wie Paasilinna zu seinem Erfolg gekommen ist. Die immer wieder auftretenden, wirklich originellen und lustigen Details können den Mangel an Handlung, Literarität und Witz (!) nicht aufwiegen. Drei Romane von Paasilinna habe ich gelesen, dabei bleibt es.

Veröffentlicht am 16.08.2017

Noch einen gebratenen Elch gefällig?

Der Mann, der mit Schlangen sprach
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Um es vorwegzunehmen: Andrus Kivirähks Roman „Der Mann, der mit Schlangen sprach“ hat mich nicht überzeugen können. Gar nicht. Außer einer originellen Idee, einer Reihe von skurrilen (und leider auch buchstäblich ...

Um es vorwegzunehmen: Andrus Kivirähks Roman „Der Mann, der mit Schlangen sprach“ hat mich nicht überzeugen können. Gar nicht. Außer einer originellen Idee, einer Reihe von skurrilen (und leider auch buchstäblich aufgereihten) Einfällen und bemerkenswerten Ideen sowie einer wirklich schicken Aufmachung durch die Hobbit-Presse des Klett-Cotta-Verlages kann ich dem Buch nichts abgewinnen.
Worum geht es?
Leemet stammt von den Waldleuten ab und lernt als Letzter die Schlangensprache, mittels der er die Tiere des Waldes kommandieren und mit den Schlangen kommunizieren kann. Das harte Leben der Waldleute aber ist bedroht durch das moderne Leben im Dorf, immer mehr wandern ab, um lieber Brot zu essen und Wollkleidung zu tragen, bis schließlich Leemet mit wenigen anderen allein ist im Wald. Diese Exposition einer mittelalterlichen Welt voller kleiner Facetten urtümlicher Magie nimmt die erste, handlungsarme Hälfte des Romans ein. In der zweiten Hälfte findet Leemet eine Frau, verliert sie wieder, findet eine neue, verliert auch diese, verliert seine Freunde, seine Verwandten, seinen Großvater, den Wald und gewinnt am Ende das hehre Amt des Wächters über den Nordlandwurm. Dieses mächtige Ungetüm beschützt die Waldleute, solange sie es mit kollektiver Schlangenzunge rufen konnten. Die Geschichte wird von Leemet selbst in der Ich-Perspektive in einem nicht endenden inneren Monolog referiert, der seine Denkweise und seine Sicht auf die sich wandelnde Welt darlegt. Leemet spricht mit sehr verhaltener Sentimentalität über den Niedergang seiner Kultur und über den Tod seiner Nächsten, wie er überhaupt wenig Emotionen mitbringt, erst recht nicht Mitleid mit den vielen Menschen und Tieren, die in diesem Roman zu Tode gebracht werden. Es ist dieser distanzierte, emotionslose Tonfall. die Distanz zwischen dem grausamen Geschehen und der lapidaren, ja bisweilen sarkastischen Kommentierung, die mich rätseln lässt, warum andere Leser hier Lesegenuss erleben.
Ich muss mich also fragen, ob ich den Roman missverstanden habe? Handelt es sich um eine große Allegorie, in der Krieg, Kolonisierung, Religion und Verklärung der Vergangenheit durch Verzerrung an den Pranger gestellt werden? Sind die skurrilen Einfälle eigentlich satirische Geniestreiche, die mit schwarzem Humor das Allzumenschliche aufs Korn nehmen? Und Satire soll ja bekanntlich weh tun. Geht es hier vielleicht auch um die Frage, was es bedeutet, Letzter zu sein, allein zu sein?
Möglich, dass ich alles missverstanden habe - aber nach meinem Dafürhalten könnte der Roman nur als intelligente Satire durchgehen, wenn er seine Welt konsistent und seine Charaktere glaubwürdig gestalten würde. Durch die Schlangensprache zerplatzende Rehe, sexuelle Beziehungen zwischen Mensch und Bär, billigste Klischees ignoranter Christen, einseitige Typen wie der Waldweise Ülgas oder der rabiate Tambet legen aber nahe, dass Kivirähk so viel Raffinesse nicht zuzutrauen ist.
Wie der Großvater auf das Kennenlernen seines Enkels Leemet reagiert, wirkt komplett unglaubwürdig (S. 256 ff.). Wie über das Brotessen als Wurzel allen Übels der Degeneration gesprochen wird, ist dümmlich und in keiner Weise geeignet, den Prozess der Zivilisation satirisch darzustellen (S. 131 ff.). Die Mengen an Fleisch, die etwa Leemets Mutter täglich auf den Tisch wirft, sind nur durch blutigste Massaker an den Tieren des Waldes denkbar - und lassen den Leser sich gleichzeitig wundern, wie das unnötige Abmessern von so vielen Bambis eigentlich mit dem Lob des mit der Natur im Einklang stehenden Lebens vereinbar sein soll (z.B. S. 149). Überhaupt zeigt sich hier wie auch an sehr vielen anderen Stellen, wie wenig Ahnung Kivirähk von der Größe eines Elchs, von der Wirklichkeit des Pflügens oder von dem konkreten Vorgang des In-die-Kehle-Beißens hat. Es geht nicht darum, dass Details korrekt sein sollen, sondern darum, dass eine Geschichte nur funktioniert, wenn sie im Rahmen der von ihr selbst festgelegten Gesetzmäßigkeiten glaubwürdig ist. Sätze wie der folgende lassen überdies offen zu Tage treten, wie absurd Tonfall und Meinungsäußerung oft sind, ohne dass sie gleichzeitig als satirische Überhöhung durchgehen können: „Ein Pflug ist ein irres Gerät, damit kann man Pflügen, das ist echt klasse“. (S. 228) Selbst die begeistertsten Dörfler können sich nicht derartig über das schweißtreibende Pflügen äußern; es handelt sich schließlich nicht um einen Sportwagen.
 
Die Gespräche der Figuren untereinander wirken oft hölzern und knapp neben der Spur (S. 363):
„Trotzdem musst  du ihn nicht so stark drücken“, sagte Andreas und nahm den Helm an sich. „Ist doch wirklich schön, Männer, da kann man nicht meckern. Weltniveau! Ach, diese Ritter haben echt tolle Sachen.“
„Allerdings stimmten alle im Chor zu. „das ist was anderes als unsere alten Mützen.“
„Wie könnt ihr überhaupt einen so feinen Helm mit einer alten Mütze vergleichen!“, rief Andreas. „Der glänzt doch und ist aus Metall. (…) Ich setze ihn mir auf und alle Frauen machen sofort die Beine breit.“
Solche Dialoge haben kein Weltniveau, sondern stammen eher aus dem Improvisationstheater einer Pennälerbude. Hier fehlen Witz und ein glaubwürdiger Tonfall.

Womöglich ist auch die Übersetzung durch Cornelius Haselblatt schuld, die für das Rumpeln der Sätze verantwortlich sein mag. Punktuell liegt sie einfach daneben. Kostprobe? „Auch der Vogel, dem das Brüten misslingt, weil die Bäume ständig einstürzen, ist nicht schuld an seinem Schicksal.“ (S. 385) Bäume stürzen nicht ein, sie stürzen um.

Es kommt dem immer mehr mit dem Boden verwachsenden, ja zum Humus zerfließenden Narren Meeme in einem seiner denkwürdigen Auftritte zu, den meines Erachtens letztgültigen Satz zu äußern, nämlich "alles ist sinnlos". (S. 454)