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Veröffentlicht am 08.04.2018

Schreckensszenario über den Wolken

Flugangst 7A
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Die hochschwangere Nele steht kurz vor ihrem geplanten Kaiserschnitt. Ihrem Vater Mats, mit dem sie seit Jahren nur sporadisch Kontakt hat, hat sie erlaubt, sie nach der Geburt zu besuchen. Deshalb steigt ...

Die hochschwangere Nele steht kurz vor ihrem geplanten Kaiserschnitt. Ihrem Vater Mats, mit dem sie seit Jahren nur sporadisch Kontakt hat, hat sie erlaubt, sie nach der Geburt zu besuchen. Deshalb steigt Mats, der als Psychiater tätig ist und selbst von schlimmster Flugangst geplagt wird, in den für ihn ersten Flug seit Jahren von Buenos Aires nach Berlin. Kurz nach dem für ihn nervenaufreibenden Start erhält er einen Anruf, der alle anderen Ängste in den Schatten stellt: Seine Tochter wurde entführt. Wenn er will, das sie überlebt, soll er sein Flugzeug zum Absturz bringen – mithilfe eines psychisch labilen Passagiers…

Von Sebastian Fitzeks letzten Büchern hat mir „Passagier 23“ am besten gefallen, weshalb mich die Buchbeschreibung neugierig machte: Erneut wird dem Leser ein Szenario auf begrenztem Raum geboten – diesmal nicht auf einem Schiff, sondern über den Wolken. Zu Beginn des Buches begegnet der Leser Dr. Martin Roth, den man schon aus anderen Büchern des Autors kennt. Er will einen Patienten mit Locked-in-Syndrom befragen, der nur noch blinzeln kann. Was hat es damit auf sich?

Die Frage bleibt erst einmal unbeantwortet. Stattdessen lernt man Nele und ihren Vater Mats kennen, zwischen denen gerade tausende Kilometer liegen. Nele wird in Berlin in Kürze ihr Kind zur Welt bringen. Sie hat sich vor Jahren durch eine Tattoo-Nadel mit HIV infiziert, weshalb für sie ein Kaiserschnitt angesetzt ist. Sie ist auf sich allein gestellt, denn ihren Ex hat sie vor die Tür gesetzt, als er bei ihrem Geständnis, schwanger zu sein, handgreiflich geworden ist. Ihren Vater, der ihre Mutter im Stich gelassen hat, will sie erst am Tag nach der Geburt sehen. Nele ist ein starker und selbstbewusster Charakter, gleichzeitig fragte ich mich aber, ob sie sich nicht zu viel zumutet.

Als Neles Fruchtblase einige Stunden vor dem geplanten Kaiserschnitt platzt, steigt ihr Vater gerade ins Flugzeug. Aufgrund seiner Phobie kennt er alle Statistiken rund um Flugzeugabstürze wie die gefährlichsten Phasen beim Flug und die besten Plätze, von denen er gleich mehrere gebucht hat. Er hat interessante Fakten rund ums Fliegen auf Lager. Mit seinem phobischen Verhalten sorgt er allerdings für Unruhe und wird vom Flugpersonal argwöhnisch beobachtet. Doch schon nach wenigen Seiten rückt all das durch die schreckliche Nachricht von Neles Entführung in den Hintergrund.

Die Geschichte nimmt schnell an Tempo auf und schafft im Nu eine schockierende Situation. Die Kapitel sind kurz, oft mit Cliffhangern versehen und die Perspektive wechselt ständig, sodass der Lesern gleichzeitig an verschiedenen Orten ist und mitfiebert. Die meisten Kapitel sind aus der Sicht von Mats, Nele und Feli. Letztere macht sich auf Mats Bitte auf eigene Faust auf die Suche nach seiner Tochter.

In Neles Kapiteln wird beschrieben, wie es ihr in der Hand ihres Entführers ergeht. Hier zielt alles darauf ab, durch Gewalt zu schockieren. Mats muss währenddessen abwägen, was er tun soll. Dabei hat mich gestört, dass moralische Überlegungen zu kurz kommen – für Mats ist zu schnell klar, dass er versuchen will, den Absturz herbeizuführen, damit seine Tochter leben kann. Seine Versuche, die psychisch labile Person an Bord zu manipulieren, sorgten aber für die gelungene psychologische Spannung, die ich bis dahin vermisst habe. Schnell wird klar, das hinter diesem „Fall“ noch mehr steckt, als es zunächst den Anschein macht. Es geht bei weitem um mehr als ein Jahre zurückliegendes Trauma. Felis Suche in Berlin lässt unterdessen hoffen, dass sie einen entscheidenden Hinweis findet.

Unerwartete Wendungen in allen Handlungssträngen zeigen, dass alles komplexer ist als gedacht. Die Lage spitzt sich immer weiter zu, lässt den Leser aber lange nicht die Zusammenhänge erkennen. Als diese schließlich klarer wurden konnten sie mich nicht voll überzeugen, denn hier kommt für mich zu viel Ungeheuerliches zufällig zusammen. Eine Überraschung hat der Autor sich bis ganz zum Schluss aufgehoben, deren Idee ich gelungen fand.

In „Flugangst 7A“ soll der Psychiater Mats durch Manipulation eines labilen Passagiers ein Flugzeug zum Absturz bringen, um seine hochschwangere Tochter Nele zu retten. Neles Kapitel schockieren den Leser mit roher Gewalt, während Mats Aktivitäten zwar nicht hinterfragt werden, aber die von mir erwartete psychologische Spannung bieten. Der Autor schafft ein beklemmendes Szenario, dessen komplexe Zusammenhänge ich nicht so glaubwürdig fand, bei dem ich aber mitfiebern konnte. Ich vergebe knappe vier Sterne für diesen Schrecken über den Wolken.

Veröffentlicht am 08.04.2018

Survival-Story mit vorsichtiger Liebesgeschichte

Sieben Tage voller Wunder
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Fünf Wochen sind vergangen, seit Hannah herausgefunden hat, dass ihr Freund sie betrogen hat und sie deshalb von London nach Kanada zu ihrer Schwester geflüchtet ist. Noch immer nicht schlauer in Bezug ...

Fünf Wochen sind vergangen, seit Hannah herausgefunden hat, dass ihr Freund sie betrogen hat und sie deshalb von London nach Kanada zu ihrer Schwester geflüchtet ist. Noch immer nicht schlauer in Bezug auf die Frage, wie es weitergehen soll, will sie nun trotzdem nach Hause fliegen. Schon am Flughafen fällt ihr mehrfach ein Mann auf, der scheinbar das gleiche Ziel hat. Ein dramatisches Ereignis sorgt dafür, dass die beiden unter bedrohlichen Umständen zusammenarbeiten müssen und dabei bald mehr über den anderen erfahren.

Von Dani Atkins hatte ich zuvor nur „Die Achse meiner Welt“ gelesen, was mir mitsamt seiner mysteriös-unerklärlichen Komponente sehr gefallen hat. Deshalb war ich neugierig, ob es auch in diesem Buch solch eine Komponente gibt. Im Nu war ich mitten drin in der Geschichte von Hannah, die sich nach fünf Wochen Auszeit bei ihrer Schwester auf den Weg in die Heimat macht, wo sie sich ihrem Vielleicht-Ex Freund stellen muss.

Ich konnte Hannahs Unsicherheit, wie es für sie weitergehen soll, gut nachvollziehen. Diese Frage schwebt wie eine riesige Wolke über ihrem Kopf. Doch sehr bald muss sie sich einem noch viel ernsteren, handfesten Problem stellen: Ihr Flugzeug über den kanadischen Bergen ab. Sie ist unverletzt, aber irgendwo im verschneiten Nirgendwo, und außer ihr ist nur Logan da, der ihr schon am Flughafen auf sympathische Weise aufgefallen ist.

Die Seiten fliegen beim Lesen nur so dahin und der Titel verrät auch schon, dass die Geschichte nur einen kurzen Zeitraum umfasst. Ich fand es interessant, zu erleben, wie Hannah und Logan mit ihrer schwierigen Lage umgehen. Hannah kommen immer wieder Zweifel, doch Logan behält einen kühlen Kopf und hat so manche gute Idee rund um das Überleben in der Wildnis.

Die beiden gehen typischen Survival-Tätigkeiten nach wie einen Unterschlupf bauen, Feuer machen und Essen beschaffen, die wenig Neues boten. Dabei kommen sie natürlich auch ins Gespräch. Vor allem Logan ist sehr neugierig und bringt Hannah dazu, viel von sich preiszugeben und noch einmal darüber nachzudenken, was sie eigentlich will. Durch ihre verzweifelte Lage sieht sie einiges in einem neuen Licht.

Der Umgang der beiden wird immer vertrauter, denn der Überlebenskampf schweißt zusammen. Immer wieder wird es aber auch zu einem Kampf im wahrsten Sinne des Wortes und dramatische Momente ließen mich mitfiebern, ob die beiden durchhalten werden. Kurz vor dem Schluss gibt es dann eine mysteriöse Entwicklung, mit der ich aber schon gerechnet hatte. Obwohl bei mir das Überraschungsmoment ausblieb führt die Autorin die Geschichte zu einem versöhnlichen Schluss.

In „Sieben Tage voller Wunder“ kämpft Hannah gemeinsam mit einem ihr bis dato Unbekannten ums Überleben. Das Buch ist eine Survival-Story mit vorsichtiger Liebesgeschichte. Ich fand die Annäherung in einer so bedrohlichen Situation gelungen beschrieben, hätte mir aber noch mehr überraschende Entwicklungen gewünscht. Deshalb vergebe ich knappe vier Sterne an Hannahs und Logans Versuch, zu zweit in der verschneiten Wildnis zurechtzukommen.

Veröffentlicht am 08.04.2018

Das Ringen um die Macht über Mythica und die Magie geht weiter

Eisige Gezeiten
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In Mythica bringen sich die verschiedenen Parteien im Kampf um Macht in Position. Alle vier Essenzen wurden eingefordert und jede befindet sich in der Hand einer anderen Person. Doch wie entfesselt man ...

In Mythica bringen sich die verschiedenen Parteien im Kampf um Macht in Position. Alle vier Essenzen wurden eingefordert und jede befindet sich in der Hand einer anderen Person. Doch wie entfesselt man ihre Kraft? Das ist bisher nur Lucia gelungen, die nach dem Tod ihres Geliebten von Trauer und Wut getrieben ein neues Ziel verfolgt. Magnus und Cleo treffen unterdessen in Limeros ein, wo sie ihre jeweils nächsten Schritte planen. Werden sie dabei miteinander oder gegeneinander arbeiten? König Gaius sticht mit einem geheimen Plan in See, und auch Amara verfolgt in Kraeshia ihre eigene Agenda. Wer wird die Oberhand gewinnen?

Mit „Eisige Gezeiten“ ist nun der vierte Band der Falling Kingdoms-Reihe erschienen, die voraussichtlich sechs Bände umfassen wird. Die Wartezeit war mit anderthalb Jahren seit dem letzten Band wieder recht lang, aber ich freue mich, dass es noch weitergeht. Ich musste deshalb erst ein wenig im dritten Band blättern, um die Erinnerung aufzufrischen und in den vierten Band eintauchen zu können. Dort geht es nach einem kurzen Prolog, in dem man noch einmal das Wichtigste über die Kristallkugeln mit Elementarmagie erfährt und ein kleines Geheimnis gelüftet wird, schwungvoll weiter.

Auch dieser Band bietet wieder eine Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven. Erneut begleitet man Cleo, Magnus, Lucia und Jonas. Zusätzlich kommen nun Amara und Felix zu Wort, die dem Leser schon bekannt sind und die diesmal eine größere Rolle spielen, während andere Charaktere wie Nic und Lysandra ein wenig in den Hintergrund treten. Das brachte frischen Wind in die Geschichte sowie neue Einblicke und Erkenntnisse, die dem Leser bislang vorenthalten wurden. Besonders spannend fand ich, was die vier Personen, die jeweils eine Kugel mit Elementarmagie in ihren Besitz gebracht haben, damit machen. Lucia konnte bislang als einzige die Macht entfesseln. Sie hat nach den jüngsten Ereignissen eine dramatische Wandlung durchgemacht und als Leser erlebte ich mit, welche erschreckenden Konsequenzen die Entfesselung tatsächlich hat.

Die anderen Besitzer der Kugeln nutzen diese vor allem, um sich in eine strategisch gute Position zu bringen. Dabei geht der Blick erstmals auch über die Grenzen Mythicas hinaus, denn nicht weit entfernt lauert ein mächtiger Herrscher, der zu einem gefährlichen Feind werden könnte. Diese neue Bedrohung hat mich allerdings nicht voll überzeugt, da mir hier alles zu schnell ging und es zu dramatischen Szenen kommt, die durch die Naivität der Beteiligten überhaupt erst entstehen konnten. Auch in Mythica irritierte mich so manches Mal die Leichtgläubigkeit der Charaktere, während ich es weiterhin gelungen fand, dass niemand eindeutig gut oder böse ist, sondern alles eine Sache der Perspektive ist. Während die Charaktere zu Beginn des Bandes vor allem Erkundungen einholen, beobachten und Pläne schmieden, wird es mit der Zeit wieder actionreicher. Nach einem ersten Spannungshighlight steht die große Frage im Raum, was das für die ganze Welt bedeutet. Weitere dramatische Momente erhielten meine Neugier bis hin zu einem wichtigen Kampf am Ende, durch den sich die Machtverhältnisse erneut verschieben. Der fünfte Band ist in Englisch schon erschienen, weshalb ich hoffe, dass die Übersetzung nicht allzu lange auf sich warten lässt.

In „Falling Kingdoms: Eisige Gezeiten“ geht das Ringen um die Macht über Mythica und die Magie weiter. Die Essenzen sind gefunden, doch nur Lucia ist die Entfesselung bislang gelungen. Es war wieder interessant, die verschiedenen Charaktere auf ihrem Weg durchs Land und nun auch darüber hinaus zu begleiten. Dramatische Momente und kleine Überraschungen hielten die Spannung aufrecht, doch einige Charakteren verhielten sich für meinen Geschmack zu leichtgläubig. Wer die Reihe kennt, der sollte sich auch diesen vierten Band nicht entgehen lassen, auch wenn ein gewisses Mitten-in-der-Reihe-Gefühl nicht ausbleibt. Allen anderen, die Lust auf eine temporeiche High Fantasy-Reihe haben, empfehle ich, die Reihe mit dem ersten Band, „Flammendes Erwachen“, zu beginnen!

Veröffentlicht am 08.04.2018

Identitätssuche auf verschiedenen Ebenen

Außer sich
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Ali reist nach Istanbul, um dort ihren Bruder Anton zu suchen. Denn seit dieser verschwunden ist hat er nichts von sich hören lassen, nur eine Postkarte aus ebendieser Stadt hat er geschickt. Doch wie ...

Ali reist nach Istanbul, um dort ihren Bruder Anton zu suchen. Denn seit dieser verschwunden ist hat er nichts von sich hören lassen, nur eine Postkarte aus ebendieser Stadt hat er geschickt. Doch wie findet man einen Bruder in einer solchen Metropole? Bald trifft sie auf Katho, der ihre Gedanken rund um ihre Identität ins Wirbeln bringt, und auf ihre Erinnerungen an all die Geschichten ihrer Familie in den Generationen vor ihr.

Das Buch beginnt mit einer kurzen Erinnerung von Ali daran, wie sie mit ihrer Familie von Russland nach Deutschland gekommen ist. Danach trifft der Leser ihr erwachsenes Ich bei ihrer Ankunft in Istanbul wieder. Sie geht dem einzigen Hinweis auf den Verbleib ihres Bruders nach. Der Onkel eines Freundes kümmert sich vor Ort ein wenig um sie, und bald lag ich gedanklich neben Ali auf dessen wanzenbefallenem Sofa und tauchte ein in ihre Erinnerungen und Überlegungen.

Die Ereignisse im Buch sind nicht chronologisch erzählt und schon bald gerät Alis Suche nach Anton in den Hintergrund. Viel wichtiger wird ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Da ist zum einen Katho, der eigentlich eine Sie ist, sich aber schon länger Testosteron spritzt und damit eine Möglichkeit nutzt, mit der auch Ali sich bei der Frage „Wer will ich sein“ beschäftigt. Ali beobachtet viel; dabei weiß man oft nicht, was Realität ist und was nur Illusion. Oft lässt sie sich und ihre Gedanken treiben ohne Ambition auf ein irgendwo Ankommen. Ich gewann immer mehr Informationen über sie als Person hinzu und konnte sie doch nie ganz greifen.

Zum anderen taucht man immer tiefer in die Geschichten einzelner Vorfahren ein: Der ihrer Eltern, der Eltern ihrer Mutter, der Eltern dieser Großmutter… Man erfährt, was diese bewegt hat, wie sie gelebt haben und wonach sie sich gesehnt haben. Als russische Juden wurden sie über die Jahrzehnte immer wieder Opfer von Ausgrenzung und Gewalt und haben für die Realisierung von ganz unterschiedlichen Vorstellungen eines ausgefüllten Lebens gekämpft. Beim Lesen der verschiedenen Lebensgeschichten entsteht allmählich ein Eindruck, der sich für mich wie ein Puzzle anfühlte, bei dem nicht alle Teile zusammenpassen und trotzdem die Ahnung eines Bildes entsteht. Hilft all das Ali, für sich selbst und ihre Zukunft Klarheit zu schaffen? Das wird nicht abschließend beantwortet. In jedem Fall hilft es beim Blick zurück und dem Verständnis, wo sie herkommt.

Die Suche nach der eigenen Identität dreht sich um Heimat, Familie und das eigene Fühlen, zu einem großen Teil aber auch um die sexuelle Identität. Viele der insbesondere in der Gegenwart handelnden Personen haben zu dieser ein aus meiner Sicht gestörtes Verhältnis. Die Frage, ob man sich als Mann oder Frau fühlt ist völlig berechtigt und heute kein Tabu mehr. Doch es wird mit Männern und Frauen fast jeden Alters geschlafen, auch innerhalb der eigenen Familie; Prostitution, Missbrauch und Vergewaltigung werden thematisiert. Die oft abstoßenden Schilderungen erschreckten mich und ebenso die Apathie, mit der so mancher Charakter das hinnahm. Der Roman überschreitet hier bewusst Grenzen und rückt dafür andere Aspekte in den Hintergrund, über die ich gerne mehr erfahren hätte, wie die Reaktionen auf Alis Wandlung und ihre Jugend in Deutschland. Der Abschluss ist schließlich wie das ganze Buch eine große Frage mit einer kleinen Antwort, ein mit stumpfer Schere abgeschnittener Faden, der zerfasert und mich aufgewühlt und in Gedanken vor allem bei Alis Familiengeschichte zurücklässt.

„Ausser sich“ berichtet von Ali, die in Istanbul nach Anton sucht, und mehr noch nach Antworten auf die Frage, wo sie herkommt und wer sie sein will. Die Struktur der Geschichte ist kunstvoll; dabei haben bei mir insbesondere die Puzzlestücke rund um Alis Vorfahren und ihre Einwanderung nach Deutschland einen Eindruck hinterlassen, während mir der Fokus auf einige Grenzüberschreitungen zu stark war. Das Lesen ist wie ein Segeln im Sturm, bei dem man mal hierhin, mal dorthin getragen wird und worauf man sich einlassen sollte.

Veröffentlicht am 08.04.2018

Ein neuer Kingsbridge-Roman mit frischen Charakteren und großer Politik

Das Fundament der Ewigkeit
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Kingsbridge im Jahr 1558: Ned Willard kehrt nach einem Aufenthalt bei seinem Onkel in Calais in die Stadt zurück. Er ist fest entschlossen, nun endlich seine geliebte Margery Fitzgerald zu heiraten. Als ...

Kingsbridge im Jahr 1558: Ned Willard kehrt nach einem Aufenthalt bei seinem Onkel in Calais in die Stadt zurück. Er ist fest entschlossen, nun endlich seine geliebte Margery Fitzgerald zu heiraten. Als Sohn der reichsten Kaufmannsfamilie der Stadt ist er keine schlechte Partie. Doch obwohl Margery seine Gefühle erwidert, drängt ihre Familie sie energisch dazu, Bart zu heiraten, den zukünftigen Grafen von Shiring. Als Neds Familie fast alles verliert, hält ihn endgültig nichts mehr in Kingsbridge. Er tritt in den Dienst der protestantischen Elizabeth Tudor, die der katholischen Mary Tudor auf den Thron folgen will. Sie will sich dafür einsetzen, dass niemand mehr aufgrund seines Glaubens getötet wird. In Frankreich und der spanischen Niederlande beobachtet man die Entwicklungen genau – hier ist man katholisch und hat eigene Vorstellungen davon, wie man mit Protestanten umgeht. Wird es Ned gelingen, einen Beitrag zu einem friedlichen Miteinander der Religionen zu leisten?

Nachdem ich vor Jahren sowohl „Die Säulen der Erde“ als auch „Die Tore der Welt“ begeistert gelesen habe, habe ich mich sehr gefreut, als ein dritter Kingsbridge-Roman angekündigt wurde. Seit den Ereignissen des zweiten Buches sind gut 200 Jahre vergangen und im Zentrum der Handlung stehen die Nachfahren der früheren Protagonisten. Ich war gespannt, wie es ihnen ergehen wird. Man braucht aber nicht zwingend das Vorwissen der anderen Bücher, um in diese Geschichte eintauchen zu können.

Das Buch beginnt wie einst „Die Säulen der Erde“ mit einer Hinrichtung. Der Erzähler merkt an, dass er den Verurteilten jahrzehntelang gejagt hat und verhindern konnte, dass dieser den größten Teil der Königsfamilie tötet. Wann dies passiert und wer Erzähler und Verurteilter sind, wird vorerst nicht aufgeklärt. Stattdessen findet man sich im Jahr 1558 wieder, wo Ned Willard gerade von Calais nach Kingsbridge zurückgekehrt ist und feststellen muss, dass seine Geliebte gegen ihren Willen mit dem zukünftigen Grafen von Shiring verheiratet werden soll.

Schnell konnte ich einen ersten guten Überblick darüber gewinnen, wie die verschiedenen Personen zueinander stehen. Durch die erzwungene Heirat Margerys, einem Angriff auf Calais und einer Klage gegen Neds Mutter wurde die Handlung schnell spannend und dramatisch. Wer die Vorgänger kennt, der weiß, dass für die sympathischsten Charaktere erst einmal alles schief geht. Ned lässt deshalb schon bald alles hinter sich und tritt in den Dienst von Elizabeth Tudor, wo er in den folgenden Jahren das politische Geschehen hautnah miterleben wird.

Neben den Kapiteln in England erfährt man auch mehr über die politische Situation in Frankreich, Spanien und der spanischen Niederlande. Die Handlungsstränge sind zu Beginn unabhängig voneinander, laufen später aber alle zusammen. Auch hier werden dem Leser Geheimnisse und Intrigen geboten. Da ist zum Beispiel Neds Bruder Barney, der aus Spanien fliehen muss und zu diesem Zweck in die Armee eintritt oder Sylvie, deren Vater in Paris streng verbotene protestantische Schriften verkauft und die sich in einen Spion der Katholiken verliebt. Gut und Böse sind insbesondere bei den fiktiven Charakteren recht klar verteilt und ich fieberte mit, ob sich die mir sympathisch gewordenen Charaktere behaupten und ihre Pläne verwirklichen können.

Viele Charaktere stehen bald im Dienst von einflussreichen politischen Persönlichkeiten. Beim Lesen erfährt man viel über die politischen Entwicklungen und insbesondere das Thema Katholiken versus Protestanten spielt eine wichtige Rolle. Der Autor berücksichtigt in seiner Geschichte viele historische Ereignisse und verschafft den fiktiven Charakteren wichtige Rollen darin. Die einen planen Verschwörungen, während die anderen versuchen, sie aufzudecken – letzteres nicht immer erfolgreich. Das fand war oft spannend, insbesondere im Mittelteil hätte ich mir aber oft eine straffere, weniger ausschweifende Erzählweise gewünscht. Über 60 Jahre lang begleitet man die Charaktere durch Höhen und Tiefen bis hin zu einem letzten dramatischen Anschlagsplan und einem runden Schluss.

In „Das Fundament der Ewigkeit“ versuchen Nachfahren der Protagonisten der früheren Kingsbridge-Romane, ihre Pläne zu verwirklichen. Dabei spielt das Ringen zwischen Katholiken und Protestanten bis hin zum Bürgerkrieg eine große Rolle, denn die fiktiven Charaktere sind bei vielen historischen Ereignissen hautnah dabei. Der Aufbau der Geschichte ist seinen Vorgängern nicht unähnlich und manche Entwicklungen hätten straffer beschrieben werden können. Insgesamt bietet dieses Buch gelungene Unterhaltung, die sich kein Ken Follett-Fan entgehen lassen sollte!