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Veröffentlicht am 14.04.2018

Ergreifend, aufwühlend und in Erinnerung bleibend

Von dieser Welt
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„Von dieser Welt“ ist der erste Roman des vor etwa 30 Jahren verstorbenen US-Amerikaners James Baldwin. Die Erzählung wurde 1953 zum ersten Mal veröffentlicht und ist inzwischen ein Klassiker der Weltliteratur. ...

„Von dieser Welt“ ist der erste Roman des vor etwa 30 Jahren verstorbenen US-Amerikaners James Baldwin. Die Erzählung wurde 1953 zum ersten Mal veröffentlicht und ist inzwischen ein Klassiker der Weltliteratur. Jetzt wurde sie neu ins Deutsche übersetzt von Miriam Mandelkow mit einem Vorwort von Verena Lueken.

Die Geschichte trägt deutliche autobiographische Züge. James Baldwin verarbeitet darin, ungefähr fünfzehn Jahre später, die Ereignisse an dem Tag und der folgenden Nacht als er 14 Jahre alt wurde. Seinen Protagonisten nennt er John Grimes, der so wie er in Harlem/New York der 1930er heranwächst. Dessen Vater Gabriel verdient als Arbeiter gerade so viel um die Familie zu ernähren, doch er ist ein streng gläubiger Laienprediger der Baptistengemeinde. Sein Verhältnis zu den Weißen ist wie bei den meisten Schwarzen in Harlem von Hass genährt. Elizabeth, die Mutter von John, ist verantwortlich für Haushalt und Familie. Am Tag seines Geburtstags wird Johns jüngerer Bruder Roy auf der West Side bei einem Streit mit weißen Jugendlichen von einem Messer schwer verletzt.

Zunächst fragt sich John warum Roy in der Gunst des Vaters höher steht als er selbst und wieso Gabriel seine Frau wegen der angeblichen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht so drohend zur Rechenschaft zieht. Der folgende Teil des Romans lässt den Leser auf die Vergangenheit von Gabriels älterer Schwester Florence, von Gabriel und von Elisabeth zurück blicken, deckt Geheimnisse in der Familie auf und klärt dadurch viele Zusammenhänge.

Dieser eine Tag hat das Leben von John grundlegend geändert. Er ist wohlbehütet aufgewachsen und zum Glauben und zur Gottesfurcht angehalten worden. Sein Vater ist ein glühender Anhänger seiner Religion. Bei jedem Verhalten gegen die von den Eltern gesetzten Regeln und Grenzen bleibt es meist nicht beim Tadel, sondern Gabriel prügelt seine Kinder. Der pubertierende John setzt sich unweigerlich mit Recht und Unrecht auseinander. John sieht seinen Vater als Prediger im Auftrag der Kirche und deren Grundwerte vertretend. Seine Auflehnung gegen ihn bringt gleichzeitig eine in Fragestellung seines Glaubens mit sich. Währenddessen erlebt er täglich, dass sich die meisten Weißen überlegen geben in vielen Dingen. Die Schwarzen suchen Trost in ihrer Religion, die sie in der Gemeinschaft stark macht. Ohne die gebrochenen Lebenswegen seiner Eltern und seiner Tante zu kennen hat die bedeutende Nacht seines Geburtstags, die er in der Kirche im Kreis der Gemeinde verbringt, nachhaltigen Einfluss auf seine Gedankenwelt und seine Zukunft.

Unter der Voraussetzung, dass das Leben von James Baldwin dem von John sehr ähnlich ist, lässt sich feststellen, dass der Autor nicht zögert, die ihn bewegenden Gedanken durch seinen Protagonisten auszusprechen. Aus der Distanz vieler Jahre blickt er zurück auf seine Jugend und sucht sein Verhalten in dieser Zeit und sein Verhältnis zu seinen Eltern, vor allem zu seinem Vater, vor dem Hintergrund der Rassismus und der Glaubenstreue zu erklären. Es ist eine Auseinandersetzung mit an den ihn gestellten Erwartungen, die mit der Einnahme gewisser Rollen verbunden ist. Baldwins Roman bleibt jedoch nicht nur auf den Protagonisten bezogen, sondern erzählt gleichzeitig so viel mehr mit der exemplarischen Geschichte einer schwarzen Familie in den USA beginnend mit der Abschaffung der Sklaverei.

„Von dieser Welt“ ist mit so viel Ausdruck geschrieben, dass man die eigenen Gefühle des Autors zwischen den Zeilen zu spüren glaubt, seine Ohnmacht sich gegen die gegebene Ordnung zu stellen und seine Hoffnung, einen anderen Weg im Leben zu finden wie sein von ihm gehasster Vater und dabei authentisch zu bleiben. Der Roman ist intensiv, ergreifend, aufwühlend und bleibt in Erinnerung.

Veröffentlicht am 10.04.2018

Tief bewegender, ergreifender Roman

Der Zopf
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Hinter dem kurzen schlichten Titel des Romans „Der Zopf“ verbirgt sich eine fulminante Erzählung. Das Buch ist das Debüt der Französin Laetitia Colombani. So wie man zum Flechten eines Zopfs drei Stränge ...

Hinter dem kurzen schlichten Titel des Romans „Der Zopf“ verbirgt sich eine fulminante Erzählung. Das Buch ist das Debüt der Französin Laetitia Colombani. So wie man zum Flechten eines Zopfs drei Stränge benötigt verwebt sie in der Handlung geschickt die Geschichte von drei Frauen, die auf drei verschiedenen Kontinenten leben. Kurz innehalten ließ mich die Autorin beim Lesen einer Ballade, die das Knüpfen einer Perücke beschreibt und deren Strophen das Geschehen immer wieder unterbrechen.

Die erst 20-jährige Guilia ist die Tochter des letzten Perückenfabrikanten Siziliens. Als ihr Vater nach einem Unfall bewusstlos im Krankenhaus liegt, übernimmt sie die Führung des Unternehmens und stellt schon bald fest, dass die Firma kurz vor dem Konkurs steht, weil die benötigten Haare aus Italien für die Produktion nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Sarah ist 40 Jahre alt und eine erfolgreiche Anwältin, die im kanadischen Montreal lebt und neben ihrem Vollzeitjob ihre drei Kinder alleine großzieht. Eine schwere Krankheit schwächt sie, die Therapie zur Genesung lässt ihre Haare ausfallen. Eine Echthaarperücke würde ihr Aussehen verbessern und dadurch ein wenig ihres Selbstwertgefühls zurückgeben. Die Inderin Smita zählt in ihrem Land zu den Dalit. Sie ist Schmutzsammlerin wie bereits Generationen vor ihr. Ihr größter Wunsch ist es, dass ihre Tochter es einmal besser haben soll wie sie. Dazu ist sie bereit ihr Haar dem Gott Vishnu, den sie verehrt, zu opfern.

Der Roman spielt in der Gegenwart und ist schnörkellos geschrieben, mit spürbarem Ausdruck. Durch den Wechsel zwischen den drei Perspektiven entstanden kleine Cliffhanger die mich zum schnellen Weiterlesen verführten. Jeder der drei Frauen möchte ihren eigenen Traum von einem selbstbestimmten Leben verwirklichen, dazu kämpft jede ihren eigenen Kampf. So sehr die Geschichten sich auch unterscheiden mögen, so ähneln sie sich doch darin, dass die Erfüllung jedes Traums von gesellschaftliche Erwartungen aufgehalten wird.

Am meisten hat mich die Stigmatisierung Smitas als Dalit berührt und ihr Mut dazu, dem für sie und ihren Nachfahren vorgesehenen Leben zu entkommen. Der Weg dahin ist steinig und mit sehr viel Hoffnung verbunden, aber auch ohne über den Ausgang Gewissheit zu haben. Guilia ist eingebunden in die Traditionen ihrer Familie und der Branche, ihre gesamte Familie ist vom Erfolg des Unternehmens abhängig. Ihr Wagnis und das Risiko neue Wege zu gehen, sind beeindruckend und führen sie weg von der Alternative einer Heirat mit einem begüterten Mann. Sarahs Traum ist es, zum Partner in der Kanzlei aufzusteigen, die Anforderungen dazu sind hoch. Die Krankheit bringt ihr eine unwillkommene Auszeit, die jedoch dazu führt, ihren Wunsch zu überdenken, ihre Chancen abzuschätzen, weitere Möglichkeiten zu erkennen und bewundernswerterweise mit neuer Energie und Courage ihr Leben neu auszurichten.

„Der Zopf“ ist ein tief bewegender, ergreifender Roman, der einen Ausschnitt aus dem Leben dreier Frauen einfängt. Sie zeigen Kraft und Entschlossenheit von ihrem Lebensweg abzuweichen, um ihre Ziele zu verwirklichen. Gerne vergebe ich hierzu eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 04.04.2018

Abgründe der Gesellschaft, in die sich der Protagonist verfängt, treffend dargestellt

Das Leben des Vernon Subutex 1
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Der Eiffelturm in der oberen rechten Ecke des Covers weist den Leser schon beim ersten Betrachten des Buchs darauf hin, dass der Roman ihn beim Lesen nach Paris entführen wird, denn hier lebt Vernon Subutex, ...

Der Eiffelturm in der oberen rechten Ecke des Covers weist den Leser schon beim ersten Betrachten des Buchs darauf hin, dass der Roman ihn beim Lesen nach Paris entführen wird, denn hier lebt Vernon Subutex, Protagonist und Titelgeber des gleichnamigen Buchs von Virginie Despentes. Vernon hat mit seinem Plattenladen selbst erlebt wie es ist beliebt und bekannt, „ganz oben“ zu sein, jetzt findet er sich gesellschaftlich gesehen ganz unten am Rand der Gesellschaft, synonym dargestellt auf dem Titel durch den Einblick in den U-Bahn-Schacht. Sein Name ist von der Autorin bewusst satirisch gemeint, Subutex ist die Bezeichnung einer Ersatzdroge in Frankreich.

Der Vorname der Autorin ist auf dem Umschlag nicht zu finden. Sie hat selbst ein ereignisreiches Leben geführt und Einblicke in die unterschiedlichsten sozialen Schichten gewonnen, mit ihren Werken im Film und im Buch hat sie vielfach schockiert und Diskussionen ausgelöst, gleichzeitig wurde sie auch dafür ausgezeichnet. Ihr Nachname steht für Kontroversen, wie auch die Farbgebung und deren Anordnung auf dem Cover.

Vernon hat mehr als zwanzig Jahre als Verkäufer im Schallplattenladen in Paris gestanden, zunächst als Angestellter später dann als Besitzer, bis er aufgrund der zu geringen Umsätze schließen mußte. Das ist schon ein paar Jahre her und zuerst hat er noch durch den Verkauf von Restbeständen gelebt. Alex Bleach, Rockstar und sein guter Freund, hat ihm seit geraumer Zeit seine Miete bezahlt, doch jetzt ist er tot. In der Wohnung von Vernon hat er ein letztes Interview aufgenommen. Die Kassetten sind Vernons größtes Vermögen. Er nimmt sie mit als er seine Wohnung aufgrund des Mietrückstands räumen muss. Auf die Idee sich eine anderweitige bezahlte Arbeit zu suchen kommt er nicht, lediglich ein Dach über dem Kopf soll es sein. Daher nimmt er reihum, meist über facebook, Kontakt zu Freunden und Bekannten auf, die er hauptsächlich aus seiner Zeit als Plattenverkäufer kennt.

Mit Wehmut denkt er an den Tod einiger seiner besten Freunde und stellt fest, dass diejenigen, die ihm Obdach gewähren, sich im Laufe der Zeit geändert haben und wie er findet, nicht immer zu ihrem Vorteil. Für jeden hat er eine kleine erfundene Geschichte bereit, warum er eine Unterkunft sucht. Virginie Despentes bietet dem Leser eine bunte Mischung von Charakteren an, die insgesamt die französische Gesellschaft gut abbilden. Dazu verlässt die Autorin den Handlungsstrang über ihren Protagonisten und wendet sich dem Leben der entsprechenden Person zu. Sex, Alkohol, Drogen und natürlich Musik, über die sie die Verbindung zu Vernon meist hergestellt, sind fast in jeder Beschreibung der Figuren mehr oder weniger zu finden. Es ist oft eine rauhe, ungeschliffene Sprache die sie benutzt und die den Figuren Authentizität verleiht. Themen wie beispielweise Vor- und Nachteile der zunehmenden Digitalisierung, häusliche Gewalt und Ängsten vorm Älterwerden flechtet sie in die Hintergrunderzählungen ihrer Charaktere ein.

Virginie Despentes hat mit Vernon Subutex einen Charakter kreiert, der sich selbst noch nicht aufgegeben hat, aber im Laufe des Romans tief in der gesellschaftlichen Anerkennung sinkt. Glücklicherweise geht seine Geschichte weiter und ich bin sehr gespannt darauf, ob mit Hilfe seiner Freunde ein sozialer Aufstieg für ihn möglich ist und ob er diesen überhaupt will.

Veröffentlicht am 26.03.2018

Der abschließende Band eines unvergesslichen Stücks Literatur

Die Geschichte des verlorenen Kindes
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„Die Geschichte des verlorenen Kindes“ ist der vierte und abschließende Band einer Romanserie von Elena Ferrante, die sich rund um die Freundschaft der inzwischen 66-jährigen Ich-Erzählerin Elena und ihrer ...

„Die Geschichte des verlorenen Kindes“ ist der vierte und abschließende Band einer Romanserie von Elena Ferrante, die sich rund um die Freundschaft der inzwischen 66-jährigen Ich-Erzählerin Elena und ihrer gleichaltrigen Freundin Raffaella dreht. Die Erzählung umfasst die beiden Teile „Reife“ und „Alter“ sowie einen Epilog. Das Buch beginnt mit Elenas Rückblick auf die Zeit Ende der 1970er Jahre, in denen ihre Ehe scheiterte und sie schließlich zum Schreiben nach Neapel zurückkehrte. Der Titel des vierten Teils verhüllt ein tragisches Geheimnis, das erst nach etlichen Seiten im Buch gelüftet wird. Wieder ist der Geschichte ein Verzeichnis der handelnden Personen mit einer Kurzfassung zu den bisherigen wichtigsten Ereignissen vorweg gestellt. Dennoch entfaltet sich der volle Lesegenuss nur bei Kenntnis der vorigen Bände. Die Übersetzung von Karin Krieger ließ die Handlung für mich bis ins Detail verständlich werden.

Elenas Ehe steckt in der Krise seit aus ihrer Jugendschwärmerei Liebe geworden ist, die erwidert wird. Nach vielen Auseinandersetzungen mit ihrem Ehemann Pietro zieht sie schließlich mit ihren beiden Kindern in eine Wohnung, die ihr Geliebter ihr in Neapel gemietet hat in einer ansehnlichen Gegend. Inzwischen ist aus Lila, wie sie Raffaella seit Kindertagen nennt, eine erfolgreiche Unternehmerin geworden. Lila hat den Rione, die Gegend Neapels in der sie lebt, nie verlassen. Bei ihren Besuchen nimmt Elena die Spannungen dort wahr, die durch die kriminellen Organisationen des Viertels hervorgerufen werden.

Im Laufe der Zeit erfährt sie immer mehr über das geheime Leben ihres Geliebten. Zwar wird sie als Autorin auch weiterhin wahrgenommen, aber für einen weiteren neuen längeren Roman hat sie keine guten Einfälle. Sie möchte gerne unabhängig leben, jedoch verschlechtert sich ihre finanzielle Situation zunehmend. Als ihr ein Vorschuss zu einem Roman angeboten und eine erste Abgabefrist gesetzt wird, fällt ihr der Entwurf zu einer Geschichte ein, die sie vor Jahren geschrieben hat und die im Rione spielt. Um die Erzählung zu überarbeiten nimmt sie den Vorschlag von Lila an, in die Wohnung über ihr zu ziehen, auch damit die Umgebung auf sie wirken kann. In den folgenden Jahren unterstützen sich die Freundinnen gegenseitig in der Betreuung ihrer Kinder bis eines davon verloren geht.

Bereits am Ende des dritten Bands deutete sich an, dass Elena mit ihrem Leben nicht zufrieden ist. Nun sucht sie zu Beginn es abschließenden Teils den direkten Vergleich mit Lila in einem ständigen Kampf um den Vorrang, der durch Kriterien bestimmt wird die alleine Elena festlegt und bei denen finanzielle Unabhängigkeit und Ansehen weit oben stehen. Obwohl beide Frauen so unterschiedliche Wege eingeschlagen haben, möchte Elena ihrer Freundin vor allem als gute Mutter in nichts nachstehen, an einer entsprechenden Kritik durch Lila reibt sie sich auf. Doch von ihrer neuen Liebe lässt sie dennoch nicht ab, obwohl sie die Nachteile für ihre Töchter sieht. Sie genießt die neue Zuwendung und ignoriert alle gutgemeinten Ratschläge.

Lila hat sich inzwischen ein Netzwerk an Seilschaften geschaffen, die sie und ihr Unternehmen stützen, um damit in einer Welt der Korruption zurecht zu kommen. Sie scheut sich nie, ihrer Freundin die Realität nahe zu bringen. Von Elena wird das skeptisch gesehen und sie ist sich nie sicher, ob Lila ihr mit ihren Aussagen nicht schaden möchte. Nach einem schweren Erdbeben, das die Freundinnen erleben, findet Lila Worte für ihre Empfindungen, die nicht nur ihre Freundin berühren und wodurch ich neben Elena einen ungeschönten Blick auf Lila werfen konnte. Sie ist keine Konstante in ihrer Welt, sondern ängstigt sich davor durch nicht voraussehbare Variablen ins Trudeln zu geraten und die selbst geschaffene Sicherheit zu verlieren.

In ihrer Zeit in Neapel geben die Freundinnen sich gegenseitig Kraft und Halt, während dabei sowohl Stolz als auch Neid aufeinander, Hass und Verständnis zum Tragen kommen. Mit dem vierten Band konnte ich nochmals tief in Elenas und Lilas Gefühlswelt eintauchen und mit ihnen Höhen und einen besonders schweren Schicksalsschlag erleben. Der Epilog schließt den Kreis zum Prolog der Serie. Elena Ferrante hat mit ihrer Romanreihe ein Stück unvergessliche Literatur geschaffen, dem ich meine uneingeschränkte Leseempfehlung gebe.

Veröffentlicht am 25.03.2018

Jugendroman mit viel Spaß und Tiefgang

DUMPLIN'
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Der Roman „Dumplin‘ – Go Big Or Go Home“ von Julie Murphy besticht durch ein auffälliges Cover mit schwarzem Hintergrund und weißer Schrift, einer kleinen Krone im oberen Drittel und einer stilisierten ...

Der Roman „Dumplin‘ – Go Big Or Go Home“ von Julie Murphy besticht durch ein auffälliges Cover mit schwarzem Hintergrund und weißer Schrift, einer kleinen Krone im oberen Drittel und einer stilisierten vollschlanken Figur im roten Abendkleid, die sich in ihrer Pose dem Leben öffnet. Die Gestaltung hängt eng mit der Erzählung zusammen, denn die 16-jährige übergewichtige Protagonistin Willowdean bewirbt sich um die Krone, die jede Gewinnerin des ältesten Schönheitswettbewerbs von Texas erhält. Der Titel „Dumplin‘“ ist Willowdeans Kosenamen, den ihr ihre Mutter gegeben hat. Er lässt sich ins Deutsche mit „Knödel“ oder „Pummelchen“ übersetzen. Der Zusatz im Titel bedeutet, dass man zu etwas stehen oder es sein lassen soll. Wessen Herz nicht bei der Sache ist, der sollte damit erst gar nicht beginnen.

Willowdean, kurz Will genannt, wohnt in der texanischen Kleinstadt Clover City. Mit ihrer selbstbewussten Art ist sie bei vielen beliebt. Sie arbeitet an der Kasse eines Fast-Food-Ladens und trifft dort auf den gutaussehenden Bo, der sich entgegen ihrer Erwartung für sie interessiert. Einige Mitschüler mobben Will in der Schule wegen ihrer molligen Figur und auch ihre Mutter legt ihr immer wieder nahe, abzunehmen. Eigentlich fühlt sie sich bisher gut mit den überflüssigen Pfunden, doch je mehr Bo sich ihr nähert, desto größer werden ihre Bedenken, dass ihm ihr Körper zu füllig sein könnte und er sich dann doch noch von ihr abwenden wird. Den jährlichen Schönheitswettbewerb kann sie nicht ignorieren, weil ihre Mutter ihn in ihrer eigenen Jugend gewonnen hat und seit Jahren den Vorsitz im Planungsausschuss einnimmt. Doch statt den Kilos den Kampf anzusagen, stellt Will sich der großen Herausforderung und meldet sich zum Wettbewerb an.

Will und einige Personen, die sie sehr gerne mag, sind große Verehrerinnen der US-Amerikanischen Country-Sängerin Dolly Parton. Deren Songs beleben die Geschichte und gaben mir beim Lesen den einen oder anderen Ohrwurm. Dolly’s Marotte ist es, seit Jahren ihren Körper zahlreichen Schönheitsoperationen zu unterziehen. Sie steht dazu und bleibt trotz dieser körperlichen Veränderungen glaubwürdig mit der Aussagekraft ihrer Songs und ihrem Handeln. Das bewundert auch Will. Die Erzählung wird von ihr in der Ich-Form erzählt, was mir die Möglichkeit gab an ihrer Gefühls- und Gedankenwelt teilzuhaben. Mit den gegen ihre Korpulenz gerichteten Beleidigungen geht sie lässig um und ist um keine Antwort verlegen. Ganz im Gegenteil nimmt sie auch gerne Mitschülerinnen in Schutz, die ähnlich wie sie von anderen schikaniert werden. In dieser Hinsicht bewundert sie ihre langjährige Freundin Ellen, die sehr groß ist und noch selbstbewusster auftritt als sie selbst.

Ich war auf den ersten Seiten über die Art und Weise überrascht wie Will über ihre eigene und die Unzulänglichkeiten ihrer Mitschülerinnen hinweist ohne etwas zu Beschönigen. Doch der Grundton, den die Autorin in ihrer Erzählung anschlägt ist locker-leicht und auch witzig. Dennoch hat das Buch jede Menge Tiefgang. Julie Murphy macht dem Leser in ihrem Buch deutlich, dass es egal ist, wie man aussieht, denn nur die innere Einstellung zählt. Die Selbstverwirklichung, nach der wir streben, zu erreichen ist zwar großartig, gleichzeitig ist es anstrengend, den erreichten Level zu halten. Freundschaft, verbunden mit Zusammenhalt stärkt uns in jeder Lebensphase. Gemeinsam durchleben wir Höhen und Tiefen und müssen nicht immer einer Meinung sein. Gegenseitiger Respekt gehört dazu und das Einlassen auf einen Antrag zur Versöhnung.

Von Beginn an macht die Autorin allerdings auch deutlich, dass jemand mit zu großem Übergewicht gesundheitliche Probleme bekommen kann. Dazu führt sie Will’s Tante Lucy als Beispiel an, deren plötzlicher Tod vor einiger Zeit ihre Nichte immer noch traurig stimmt. Lucy hat aber auch auf viele Vergnügungen verzichtet, weil sie glaubte, diese nicht ausführen zu können. Will entscheidet sich aufgrund der Erfahrungen von Lucy dafür, in ihrem eigenen Leben viel mehr auszuprobieren.

Die Charaktere sind liebevoll und originell gestaltet, die Handlung beeindruckt durch manche unerwartete Wendung. Neben einer Auseinandersetzung zum Mobbing unter Jugendlichen enthält der Roman ebenso eine Konfrontation mit dem Umgang von Meinungsverschiedenheiten mit Freunden und eine romantische Liebesgeschichte. „Dumplin‘ – go big or go home“ macht einfach Spaß, weil die vergnüglichen Szenen die ernsten überspielen. Daher empfehle ich den Roman gerne weiter an Jugendliche ab 13 Jahren, aber auch an junge Erwachsene und Ältere.