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Veröffentlicht am 21.05.2018

Eine Wiener Mordserie mit und vor historischem Hintergrund

Schönbrunner Finale
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Gekonnt und mit jeder Menge österreichischem Schmäh verbindet Gerhard Loibelsberger Fantasie mit Fakten und kreiert so eine ganz eigene Art von Roman.

Die Hauptfigur des fiktiven Joseph Maria Nechyba, ...

Gekonnt und mit jeder Menge österreichischem Schmäh verbindet Gerhard Loibelsberger Fantasie mit Fakten und kreiert so eine ganz eigene Art von Roman.

Die Hauptfigur des fiktiven Joseph Maria Nechyba, seines Zeichens einer der letzten Oberinspectoren Österreich-Ungarns, ist dabei, eine Reihe von (tatsächlich) verübten Verbrechen aufzuklären - was das Buch zu einem spannenden Wien-Krimi macht. Die genau aufgearbeitete Geschichte des Reiches und die historisch akkuraten Erzählungen und Beschwerlichkeiten der damaligen Zivilbevölkerung geben dem Roman einen Touch in Richtung “unterhaltsames Geschichtsbuch”, was absolut nicht negativ klingen soll.

Auch wenn dieser Band das Finale der Reihe um Nechyba darstellt, lässt er sich auch gut unabhängig davon lesen und verstehen. Wenngleich Nicht-Österreichern dafür zusätzlich zum Glossar am Ende des Buches auch direkt im Text Übersetzungen spezieller (Wiener) Begriffe als Fußnoten zur Verfügung stehen. Manche Redewendungen oder Bezeichnungen sind mittlerweile auch in Österreich nicht mehr in Verwendung oder sehr rar geworden, anderes ist einfach noch immer üblich und verleiht dem Roman ein wunderbares Flair.

Auch die Figur des Oberinspectors, im Büro und im Kaffeehaus ein selbstbewusster Beamter und zuhause etwas unter der Fuchtel seiner Frau - die ebenfalls arbeiten geht - macht einen Großteil der, wenn man so sagen kann, Liebenswürdigkeit des Buches aus. Er ist prinzipientreu ohne stockkonservativ zu wirken und wirkt angesichts des drohenden Umsturzes im Land schlussendlich fast etwas naiv, hat er sich doch beinahe recht gut mit der Lebensmittelknappheit und den Bedingungen während des Krieges allgemein arrangiert.

Er ist allerdings keiner, der die relativ guten Umstände für sich und seine Frau als gegeben hinnimmt, er weiß genau, dass sie dies unter anderem seiner Position und der Verwandtschaft auf dem Lande verdanken, wo die Leute zwar arm, aber noch nicht hungernd leben. Für gute Lebensmittel nützt Nechyba zusätzlich auch zwielichtige Kanäle, erscheint dabei aber nie kriminell oder korrupt, kann er doch für alles, was nicht geschenkt ist, auch bezahlen.

Joseph Maria Nechyba darf sich nach Abschluss seines Falles und dieses Romans nun vor allem auf seinen Ruhestand freuen und die Leser auf weitere, andere Bücher von Gerhard Loibelsberger.

Veröffentlicht am 02.05.2018

Flotter Krimi für zwischendurch

Sommernachtstod
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Dieses Buch ist für mich ein guter, netter (auch wenn das oft abwertender klingt als es gemeint ist) Schwedenkrimi. Die Geschichte hat viele klassische Zutaten: ein Verbrechen geschieht in einem kleinen ...

Dieses Buch ist für mich ein guter, netter (auch wenn das oft abwertender klingt als es gemeint ist) Schwedenkrimi. Die Geschichte hat viele klassische Zutaten: ein Verbrechen geschieht in einem kleinen Dorf, niemand hat etwas gesehen, niemand weiß etwas und gleichzeitig wissen alles etwas. Die Geschehnisse werden von Vorverurteilungen gelenkt. Die gebrandmarkten Familien gehen unterschiedlich damit um und dem vergraulten Ermittler lässt die Sache keine Ruhe, weil er sie nicht aufklären konnte.

Die Hauptfigur ist Veronica, eine zutiefst verletzliche Person, die auch damals von dem Verbrechen betroffen war und es nagt auch an ihr, dass es keine Aufklärung gab. Sie ist aus dem Dorf geflohen doch die Sache holt sie wieder ein. Ein junger Mann, ein Außenstehender, bringt alles ins Rollen und die beiden beschließen nach der Wahrheit zu suchen. Was passierte vor wirklich vor rund 20 Jahren?

Auch wenn Veronica durchaus “nervige” Momente hat und nicht jedes Detail schlüssig ist (ein Zettel lässt sich nach langer Zeit unter Wasser noch herzeigen?), lässt sich der Krimi flott lesen und unterhält gut. Für alle, die gerne etwas Spannung, aber keine Psychothriller mögen und auch auf allzu viel Blut verzichten können, bietet sich “Sommernachtstod” als flottes Buch für zwischendurch an.

Veröffentlicht am 24.04.2018

Ich trinke, also bin ich?

Die Geschichte des Wassers
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Wer die etwas langatmigen ersten Abschnitte dieses Buches übersteht, wird belohnt. Und zwar mit einem nachdenklich machenden Roman über Luxus, Vergänglichkeit und Miteinander. Maja Lunde hat nur wenige ...

Wer die etwas langatmigen ersten Abschnitte dieses Buches übersteht, wird belohnt. Und zwar mit einem nachdenklich machenden Roman über Luxus, Vergänglichkeit und Miteinander. Maja Lunde hat nur wenige Hauptfiguren gewählt dafür seziert sie diese vorsichtig und wirft viele Fragen auf.

Wie sehr bestimmt unsere Vergangenheit, unsere Kindheit, wer wir jetzt sind? Was könnte in Europa passieren, wenn die Klimaerwärmung noch ein paar Jahrzehnte so voranschreitet? Lunde stellt Thesen auf, erfindet ein erschreckendes Szenario und lässt den so normalen Griff zur Wasserflasche plötzlich in anderem Licht erscheinen.

Kein Eis, kein Regen, kaum Trinkwasser. Wollen wir das wirklich? Können wir das verantworten? Oder wird alles schon nicht so schlimm werden, wenn wir den Kopf nur tief genug in den Sand stecken? Sand jedenfalls sollten wir dann genug haben, wenn ganze Landstriche ausdörren und unbewohnbar werden. Das jedenfalls passiert - bis jetzt nur - im Roman. 2041 begleitet der Leser eine kleine Familie, Vater und Tochter, auf der Flucht. Der Flucht vor Hitze, Flammen und Verdursten.

Das Buch macht durstig. Durstig nach Wasser, aber auch nach Lundes Erzählstil, nach ihren Charakteren und wunderbaren Geschichten. “Die Geschichte des Wassers” ist eine kleine Mahnschrift, aber genauso ein schöner, eigenwilliger Roman um zutiefst menschliche Gedanken und Gefühle.

Veröffentlicht am 11.04.2018

Wie ein Stollen der weit in die Vergangenheit reicht

Tiefer denn die Hölle (Ein Martin-Bauer-Krimi 2)
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Tief hinab - und das nicht nur metaphorisch - geht es in Martin Bauers zweitem Fall. Der evangelische Polizeipfarrer aus Duisburg mischt sich hartnäckig wie erfolgreich in Polizeiarbeit ein und bringt ...

Tief hinab - und das nicht nur metaphorisch - geht es in Martin Bauers zweitem Fall. Der evangelische Polizeipfarrer aus Duisburg mischt sich hartnäckig wie erfolgreich in Polizeiarbeit ein und bringt damit Gruppenleiterin Verena Dohr wieder einmal intern in Bedrängnis.

Dabei beginnt alles relativ harmlos, als Bauer seinem katholische Kollegen Vaals helfen will und in dessen Vergangenheit zu graben beginnt. Was er dabei zutage fördert, hat weitreichende Konsequenzen und bringt eine Reihe von Personen unmittelbar in Gefahr.

Auch wenn man als geübter Lokal-Krimi-Leser immer hoffen kann, dass solche Bücher im Grunde gut enden werden, ist es immer spannend zu erleben, was dem Autor zwischen Prolog und eben diesem Ende so alles einfällt. In diesem Fall sind es Autoren, Peter Gallert und Jörg Reiter, die einiges parat haben. Die Entwicklung des Krimis an sich ist spannend, nicht weniger langweilig werden die Beschreibungen und Intrigen auf der Polizeistation und ganz nebenher kann Martin Bauer - da evangelisch - auch mit Familienprobleme aufwarten.

Kurze Abschnitte lassen die knapp 400 Seiten nur so verfliegen und auch wenn sich zwischendurch manchmal ein Twist schon abzeichnet unterhält dieser Krimi sehr gut und macht Hoffnung auf einen dritten Teil. Hier im zweiten Band war für mich die reine Krimihandlung etwas geradliniger und vorhersehbarer als im ersten Teil (Glaube Liebe Tod), daher gefiel mit letzterer noch einen Tick besser.

Veröffentlicht am 07.04.2018

Wie Macht, Geld und Intrigen auch die besten Freunde zu Feinden werden lassen

Das Eis
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Im Zweifel für den Angeklagten. Darauf hofft auch Sean Cawson, auch wenn es kein Strafprozess ist, sondern eine gerichtliche Untersuchung, der er sich gegenüber sieht. Und das alles nur, weil das Eis schmilzt. ...

Im Zweifel für den Angeklagten. Darauf hofft auch Sean Cawson, auch wenn es kein Strafprozess ist, sondern eine gerichtliche Untersuchung, der er sich gegenüber sieht. Und das alles nur, weil das Eis schmilzt.

Was sich zu Beginn - eine Leiche wird in der Arktis gefunden, weil ein Gletscher kalbt - wie ein Thriller liest, entwickelt sich zu einem tiefgehenden Roman, der ganz nebenbei noch den Umgang mit Rohstoffen und unserer Natur anspricht und teilweise anprangert. Sean Cawson kannte den Toten, er war mit ihm gemeinsam unterwegs, als dieser nicht zurückkehrte. Drei Jahre ist das nun her und aktuell sieht sich der reiche und mächtige Brite mit einer Untersuchung konfrontiert, die klären soll, ob er Mitschuld am Tod im Eis seines Gefährten hatte.

Immer, wenn die Erzählung etwas abflacht, gerät man als Leser in einen neuen Strudel der Ereignisse, der einen selbst und auch Cawson immer wieder mitreißt. Man ist überall hautnah dabei, spürt den eisigen Wind der Arktis im Gesicht, sitzt im Gerichtssaal hinter dem Protagonisten, steht bei den Aussagen neben den Zeugen und blickt hinter die Pokerfaces derjenigen, die die Geschicke unserer Welt bestimmen: Mächtige. Alles dreht sich letztendlich um Macht und diese beruht entweder auf politischen Ämtern oder viel Geld. Oder beidem.

Ein sehr zentrales Beispiel dafür ist in diesem Roman Sean Cawson, der in zahlreichen Situationen die verschiedensten Facetten zeigen darf. Je nach Blickwinkel ist er nur ein kleiner Fisch oder jemand, der die Fäden in der Hand hält. Aber er ist neben allem auch ein Mensch mit Probleme wie du und ich sie kennen und haben.

Die Beziehung, die der Leser zu Sean hat, ist nicht immer einfach und sie trifft während der 458 Seiten auf viele Hindernisse, die sie auf die Probe stellen. Man mag von den Protagonisten halten was man möchte, ob nun Idealist oder Intrigant, am Ende des Tages steckt wohl von allem etwas in jedem von uns.