Ein bewegendes Schicksal in der DDR
Ein bewegendes Schicksal in der DDR
Bereits im Vorwort weist Annegret Range darauf hin, dass mit dem vorliegenden Buch ein Traum für sie in Erfüllung gehen durfte. Sie erklärt, dass die folgenden Seiten ...
Ein bewegendes Schicksal in der DDR
Bereits im Vorwort weist Annegret Range darauf hin, dass mit dem vorliegenden Buch ein Traum für sie in Erfüllung gehen durfte. Sie erklärt, dass die folgenden Seiten Erinnerung und zugleich Gewissheit seien, wie Gott einen Menschen durchs Leben führt. Sie fordert ihre Leser auf, Mut zu haben, und „an Gottes Hand über unser Leben“ zu glauben.
Annegret erblickte am 14. Juli 1957 als Tochter von Agnes und Erich Sawetzki das Licht der Welt. Als vorbestrafter und derzeit inhaftierter Pole wurde zu jenen Zeiten nicht nur der Vater, sondern zugleich auch seine Ehefrau als asozial eingestuft. Annegret wurde ihren Eltern daher bereits kurz nach der Geburt entzogen und kam ins Kinderheim Clara-Dieckhoff-Haus in Güstrow. Diese herzlose und radikale Vorgehensweise galt besonders jenen Menschen, die sich weigerten, den sozialistischen Normen zu entsprechen, die nicht ins ideologische Schema passten... Menschen wie die Sawetzkis.
Zu Annegrets Glück wurde das Kinderheim von christlichen Schwestern geführt, die das Mädchen liebevoll aufnahmen. Bereits 1961 fand sich ein Ehepaar aus Teterow, das großen Wert auf den christlichen Hintergrund ihres zukünftigen Adoptivkindes legte. Und bald durfte Annegret bei Laura und Heinrich Kahle einziehen. Sie wuchs in dem Glauben auf, die leibliche Tochter der Kahles zu sein. Erst durch Hänseleien in der Schule kam das Geheimnis ans Tageslicht. Das Mädchen lernte, sich zu wehren und weigerte sich zudem, sich an die sozialistischen Vorgaben anzupassen.
Lothar von Seltmann erzählt von Annegrets Werdegang, von den Hindernissen, die der Staat ihr in den Weg legt. Der Autor beschreibt die Lebensumstände dieser Zeit und den nahenden politischen Umbruch.
Die handelnden Personen werden anschaulich dargestellt, und abgesehen von der Protagonistin Annegret erfährt man auch Einzelheiten über ihre Adoptiveltern, ihren christlichen Schulfreund Kurt, der ihr in schweren Zeiten stets zur Seite stand. Man darf ihre Ausbildung zur Krankenschwester mitverfolgen, wo Annegret mit ihren drei christlichen Zimmergenossinnen ein „fidel-charmantes Ausbildungskollektiv“ bildet. Auch von den Konflikten mit den Adoptiveltern oder dem späteren Kennenlernen ihres Ehemannes berichtet Lothar von Seltmann, und geht detailliert auf die Ausgrenzung all jener Menschen, die ihren christlichen Glauben in der DDR offen leben, ein.
Annegrets Leben wurde chronologisch wiedergegeben, und ein Einblick in die politischen Entwicklungen im Hintergrund ermöglicht. Im Buch finden sich sehr viele, kursiv gedruckte Gebete und Lieder, und der Glaube nimmt einen hohen Stellenwert ein.
Das Schicksal Annegrets – eine Zwangsadoption in der DDR als Teil der deutschen Geschichte – stellte eine berührende und teilweise betroffen machende Lektüre für mich dar. Ich empfand es als bedrückenden Ausflug in das Seelenleben eines Kindes, das seinen leiblichen Eltern bereits nach der Geburt entzogen wurde. Meine persönliche Meinung zu diesem Buch ist ein wenig zweigeteilt. Einerseits fand ich die Schilderung des „Überwachungsstaates DDR“ als Nicht-Deutsche interessant, andererseits darf man angesichts anderer Rezensionen scheinbar davon ausgehen, dass es Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte gibt. Persönlich enttäuscht war ich vom gegenseitigen Umgang der Familie Kahle – ich hätte mir von bekennenden Mitgliedern der lutherischen Kirche und der baptistischen Freikirche etwas mehr Warmherzigkeit, Verständnis und Liebe erwartet. Ihr Verhältnis zueinander wirkte auf mich ein wenig unterkühlt wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass Annegret das lange ersehnte Kind war, das die Kahles nach den tragischen Ableben ihrer drei eigenen Mädchen, endlich adoptieren durften. Auch Annegrets Äußerungen ihren Eltern gegenüber zeugte manchmal von wenig Respekt und von Lieblosigkeit, was jedoch wohl unter anderem auch eine Reaktion auf deren besitzergreifendes und völlig vereinnahmendes Verhalten war.
„Annegret die fremde Tochter“ – ein Lebensbericht aus der DDR, das ich mit drei soliden Sternen bewerte.