Der Roman „Das Maikäfermädchen“ von Gina Mayer rückt als zentrales Thema die Abtreibung in den Vordergrund. Abtreibung, oft als letzten Ausweg, als Akt der Verzweiflung. Abtreibung in den Nachkriegszeiten, wo große Not, bittere Armut und endloser Hunger die beherrschenden Gedanken der Menschen sind. In dieser Zeit erscheint vielen jungen Mädchen und Frauen die „Engelmacherin“ Käthe als letzter Ausweg aus ihrer hoffnungslosen Situation. Käthe ist Hebamme, die ihr Handwerk, gebärenden Frauen beizustehen, stets geliebt hatte. Doch Käthe kommt in eine Situation, wo ein Abbruch der Schwangerschaft der einzige Weg zu sein scheint, das Leben und Seelenheil eines jungen Mädchens zu bewahren. Eine ehemalige Kollegin namens Lilo und ein Überlebender des Konzentrationslagers namens Schimanek helfen der mutigen Frau bei ihrem Vorgehen. Doch ihre Tat bleibt kein Geheimnis, und bald wenden sich viele Verzweifelte an sie, in der Hoffnung, ein Entkommen aus ihrer ausweglosen Situation zu finden.
Die Autorin macht aus einem an sich schon Seiten füllenden Grundthema ein Buch, das man schwer aus der Hand legen kann. Sie beschreibt mit sehr eindrucksvollen und authentischen Protagonisten den täglichen Kampf um das Überleben im Deutschland der Nachkriegsjahre. Keine Aneinanderreihung von Fakten, wie es uns aus Geschichtsbüchern bekannt ist, sondern vielmehr ein tiefes Eintauchen in diese Zeit. Als Leser mit Fantasie und Einfühlungsvermögen wird man mitten ins Geschehen katapultiert, vermeint durch die bildhaften Beschreibungen von Situationen und Emotionen beispielsweise den eisigen Schnee zu spüren, den Duft des Parfums, der wehmütige Erinnerungen an die schönen Jahre vor dem Krieg weckt, zu riechen. Und man erlebt aus Käthes Sicht das Grauen der Abtreibung eines Kindes in jeder schrecklichen Einzelheit mit. Die Zerrissenheit einer Hebamme, die im Grunde dazu ausgebildet wurde, das Leben der Kinder zu retten, nicht, es zu vernichten. Zugleich jedoch der Versuch, auch jenes der Mütter zu bewahren. Mütter, die in ihrer Verzweiflung und hilflos allein gelassen, nur zu oft dazu übergehen, selber Hand anzulegen und sich dabei schwer zu verletzen, wenn nicht gar zu töten. Der große Gewissenskonflikt zu diesem brisanten Thema wird durch folgenden Absatz im Buch sehr gut zusammengefasst: „Woher willst du das wissen? Woher willst du wissen, dass es für das Kind gut war? Vielleicht wäre es ein glücklicher Mensch geworden. Also gut. Vielleicht wäre es ein unglücklicher Mensch geworden. Ich bin auch ein unglücklicher Mensch. Genau wie dein Hambach. Aber leben wollen wir trotzdem.“
Gina Mayer beleuchtet die Aspekte eines solchen Eingriffes. Sie verurteilt nicht. Sie zeigt vielmehr das Leid, die Motivationen und die Tragweite einer falschen Entscheidung in jenen Jahren auf. Man kann nicht umhin, sich in ihre Protagonisten hinein zu versetzen, ihre Beweggründe zu verstehen und mit einem Schauer auf dem Rücken weiter zu lesen. Und man ist als Leser fassungslos angesichts der Lebensumstände direkt nach dem Krieg. Für Menschen meiner Generation ein kaum vorstellbar schweres Leben. Es verlangt dem Leser große Bewunderung ab, wie Trümmerfrauen harte Arbeit in Kauf nehmen, wie sie es durch geschickte Tauschgeschäfte und Erfindungsgeist schaffen, sich und ihre Lieben durch den Tag zu bringen, nicht zu verhungern. „Das Maikäfermädchen“ ist für mich ein „Auszug aus den Tagen der Nachkriegszeit“, wo Menschen versuchen, den Mantel der Vergessenheit über die schrecklichen Geschehnisse in den Konzentrationslagern zu legen. Das Hauptmotiv mag wohl Selbstschutz sein, um anhand des Grauens nicht vollständig zu resignieren und den Verstand zu verlieren. Um weiter machen zu können. Irgendwie. Immer einen Schritt nach dem anderen. Hinein in eine bessere Zukunft.
Fazit:
Dieses Buch von Gina Mayer hat mich zutiefst beeindruckt und sehr nachdenklich zurück gelassen. Durch den hohen Spannungsfaktor und den flüssigen Schreibstil ist man versucht, das Buch sehr rasch zu lesen. Dennoch kommt man nicht umhin, einiges zu reflektieren und die Seiten aller Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Als Leser taucht man förmlich in diesen Roman ein, der eine intensive Beschäftigung mit der Thematik und ein langes Nachwirken geradezu garantiert. Die Autorin Gina Mayer ist für meine Person eine großartige Neuentdeckung, deren Werke ich zukünftig genau verfolgen – und auch lesen – werde.