Magus. Die Bruderschaft
Magus Die Bruderschaft„Magus“ beginnt mit dem Blick durch das Fadenkreuz eines Killers und endet auch genauso. Was zu dieser Situation führte ist Inhalt dieses Thrillers von Arno Strobel.
Es ist die Geschichte eines Geheimbundes, ...
„Magus“ beginnt mit dem Blick durch das Fadenkreuz eines Killers und endet auch genauso. Was zu dieser Situation führte ist Inhalt dieses Thrillers von Arno Strobel.
Es ist die Geschichte eines Geheimbundes, der sogenannten „Simonischen Bruderschaft“, die zielstrebig und durch gründliche Planung nur ein einziges Ziel anstreben: die Weltherrschaft zu übernehmen. Nicht durch Umstürze oder Kriege, sondern durch das Einschleusen von Priestern aus ihren Reihen, die sie bereits im Jungenalter rekrutiert und in eigenen Internaten für ihre Aufgaben ausgebildet hatten. Infiltration, Manipulation und Zeit – mit diesen drei „Waffen“ erreicht dieser Geheimbund beinahe sein Ziel …
Arno Strobel hat seine Idee ausgezeichnet umgesetzt. In umfassenden Rückblenden, durch Datum und Ortsangabe sehr übersichtlich gestaltet, erhält der Leser Einblick in die verschiedenen Stadien dieses globalen Plans. Ich konnte quasi die „Geburt“, den Grundgedanken bis hin zur letzten Konsequenz, dem Anschlag auf den neu gewählten Papst, rekonstruieren und hautnah mit verfolgen. Einzig die Herkunft der „Gründer“ hat mir einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Wieder einmal durften die Nazis die Bösewichte verkörpern und ein wenig zu oft wurden das Naziregime und seine Schrecken in diesem Buch erwähnt. Allein das große Thema „Katholische Kirche“ mit den erstaunlich detaillierten Erläuterungen über interne Vorgänge im Vatikan wäre zusammen mit dem Entstehen der Bruderschaft seitenfüllend gewesen.
Die bereits erwähnte Szene des Attentats, die Anfang und Ende des Buches einläutet, hat Strobel nicht nur textlich, sondern auch in der Cover-Gestaltung durch den Verlag gewählt. Ein sehr aussagekräftiges Element – denn dieser Anschlag könnte die jahrelangen, wenn nicht jahrzehntelangen Bemühungen der gefährlichen Bruderschaft zunichtemachen. Durch die Festnahme des Täters und seine Übergabe wichtiger Dokumente an Bischof Corsetti gelangt jener in Besitz des kostbarsten Schatzes der Bruderschaft: die Simonischen Tagebücher. Dort wird die Entwicklungsgeschichte dieser Verschwörung Wort für Wort wieder gegeben ... und der Leser darf gemeinsam mit dem Bischof in die Geschichte eintauchen, die diese Tagebücher erzählen.
Der Autor hat mit diesem Buch keinen Thriller geliefert, bei dem Verfolgungsjagden den Leser den Atem anhalten lassen. Er zieht hier vielmehr die Fäden im Hintergrund, lässt die Dinge ihren geordneten Lauf gehen und greift in den richtigen Momenten ein. Worauf lange hin gearbeitet wurde, scheint im Moment, als ein zielstrebiges Mitglied der Bruderschaft es ganz an die Spitze schafft, endlich in Erfüllung zu gehen. „Habemus Papam – Wir haben einen neuen Papst“ – ist das der Anfang vom Ende? Ein großartiger Einblick in den innersten „Kreis“ der Kirche mit Andeutungen über die Finanzgebaren, innere Machtkämpfe, Machenschaften und einer Truppe von Männern, die jederzeit zu etwaigen „Problemlösungen“ bereit stehen. Wie gesagt: Andeutungen, keine konkreten Aussagen. Dennoch genug, um dem Leser den Eindruck zu vermitteln, dass auch hier „mehr“ hinter der Fassade existiert, als man vermutet.
Bei der Geschichte der Simoner empfand ich das Thema „Nazis“ ein wenig zu dominierend. Auch die Schilderungen der teilweise sehr brutalen Szenen waren mir zu blutrünstig. Strobel bringt die Allmacht der Gründerväter dieser Bruderschaft unter anderem durch Methoden wie Einschüchterung, Drohungen, Erpressung und Mord zum Ausdruck. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass nur ein einziger Kandidat dieser ausgewählten Jugendlichen seinem Gewissen folgt und während des Theologiestudiums und der Rekrutierung zum Simoner seine Prioritäten setzt - und verweigert. Die unausweichliche Folge, die allen Kandidaten klar ist, ist sofortige Eliminierung, Mord. Doch es sind allesamt charakterstarke, junge Männer, die zudem tief gläubig sind. Hier erkenne ich einen winzigen Widerspruch …
Das Thema „Macht“ und der Missbrauch dieser Macht wurden von Strobel sehr anschaulich beschrieben. Der Umgang des „Obersten Simoner“ mit seiner Frau, seinem Zu-Tode-Quälen des eigenen Kindes und die Schilderungen einiger brutaler Handlungen habe ich als sehr heftig empfunden. Sie verdeutlichen aber, was Strobel damit ausdrücken wollte. Nichts destotrotz möchte ich eine Szene zitieren, ein Rückblick des Papstes, der in diesem Thriller in drei verschiedenen Varianten erzählt wird - hier die wahre, unbeschönigte Version: „Er war zum mächtigsten Mann der Welt geworden. Er sah sich selbst noch einmal an der Hand des Vaters aus den Trümmern steigen, sah diesen jüdischen Jungen aus dem zerstörten Geschäft kriechen und Hilfe suchend auf sie zulaufen. Das grinsende Gesicht seines Vaters, als er ihm die Pistole hinhielt. Und dann dieses unvergleichliche, unbeschreibliche Gefühl, als er, der dreijährige Kurt, diese Waffe nahm. Als er sie, geführt vom starken Arm seines Vaters, an den Kopf des Jungen hielt und abdrückte. Damals hatte er nicht gewusst, was es war, das ihn daran so sehr faszinierte. Einige Jahre später war es ihm klar geworden: Macht! Nie wieder konnte etwas auch nur annähernd einen solchen Rausch in ihm entfachen.“
Sätze wie diese lassen mich beim Lesen schaudern. Und sie lassen mich zudem nicht nur die Gräuel dieser unseligen Zeit begreifen, sondern auch, wie gefährlich am Abgrund wir stehen, wenn Wahnsinnige in der Fassade des gesetzestreuen Bürgers, des Priesters, Bischofs oder Kardinals, an die Macht kommen. Wie zerbrechlich im Grunde unsere „heile Welt“ ist, wie abgrundtief böse das Handeln eines Menschen sein kann.
Bei den Hauptfiguren dieses Buches bin ich ein wenig im Zwiespalt. So grandios gezeichnet der Charakter des Protagonisten Friedrich von Keipen ist, so mangelhaft kam mir im Gegenzug die Beschreibung der Ehefrau vor. Strobel erzählt Friedrich von Keipens Lebensgeschichte in allen Details, lässt auch die Emotionen und Beweggründe nicht zu kurz kommen und vermittelt mithilfe einiger Dialoge mit seinem Gönner Hermann von Settler die überragende Intelligenz dieses Jungen. Seine Intelligenz, aber auch die erbliche Belastung, die sich im Verlauf des Buches in Wahnvorstellungen äußern wird. Evelyn Geimer, die junge Lehrerin, die durch Erpressung und Morddrohungen gegen ihre Eltern dazu gezwungen wird, Von Keipen zu ehelichen, wird als charakterschwach und hilflos gezeichnet. Woher diese Frau stammt, wie sie zur Bruderschaft gestoßen und Ausbilderin der rekrutierten Jungen wurde, aber auch ihr persönlicher Hintergrund – das alles wird mit keinem Wort erwähnt.
Meines Erachtens hätte Strobel viel mehr aus diesem Charakter machen können, hier fand ich einfach keinen richtigen Zugang zu ihr. Evelyns Aufschrei und der Gedanke daran, diesen bösartigen Mann zu verlassen, kommt spät, zu spät. Erst nach dem brutalen Quälen seines jüngeren, schwächlichen Sohnes Franz, der aufgrund der Torturen, die ihm sein Vater beibringt, stirbt, bringt sie zur Besinnung. Jede Mutter muss spätestens hier an diesem Punkt mit einem empörten Aufschrei reagieren. Evelyn erträgt nicht nur stumm die seelischen Qualen, sondern lässt sich ohne Aufmucken von ihren Kindern trennen, lässt sich bevormunden und wird zu einer Befehlsempfängerin und reinen Lust- und Gebärmaschine degradiert. Wahrlich – hier hätte ich mir sehr viel mehr von einer intelligenten Lehrerin erwartet.
Hermann ist der ältere Bruder und potentielle Nachfolger von Friedrich, dem Magus der Bruderschaft. Seine Person wird zwar nicht sehr ausführlich, aber dennoch überzeugend dargestellt. Die Bewunderung und Anerkennung der Allmacht des Vaters wird durch das hautnahe Miterleben vom Tod des Bruders rapide gewandelt. Hermann empfindet ab sofort nur noch abgrundtiefen Hass auf den Vater und schwört Rache. Einige Nebenfiguren werden namentlich erwähnt, charakterlich beschrieben, verleihen im Buch ihren Gedanken und Meinungen Ausdruck und runden das Bild ab.
Beim Cover dieses Taschenbuchs handelt es sich um ein sehr aussagekräftiges Foto eines Papstes im Visier der Mordwaffe – was den Einstieg und zugleich auch das Ende dieses Buches versinnbildlicht. Genialer Gedanke, klasse Ausführung!
Dieser Thriller beinhaltet ein großes Geheimnis, das es zu lösen gilt. Man durchlebt mit dem Autor die Auswirkungen der Nazizeit, schnuppert die Luft des Vatikans und erhascht einige Seitenblicke in Abgründe, wo man niemals welche vermutet hätte. Für interessierte Leser des Spannungsromans absolut zu empfehlen.