Irgendwie ist -Wie man die Zeit anhält- ein Buch, das man nochmal lesen will, um es nochmal besser zu verstehen und vielleicht noch einmal Dinge zu entdecken, die man vielleicht verpasst bzw. überlesen hat. Denn das Buch war voll von Infos, Menschen, Geschichte, Szenerien, etc., was es, zumindest bei mir, unmöglich machte, alles zu verinnerlichen.
Geschrieben ist das Buch aus der Sicht von Tom, der im Jahre 1581 geboren wurde, aber heute noch auf Erden wandelt. Eigentlich ist Tom auch nur der Spitzname seines 2. Vornamens, aber der Leser wird ihn hauptsächlich unter diesem Namen kennen und seine, über die Jahre angehäuften, Aliase lediglich nebenbei erfahren.
Die Erzählperspektive zieht sich durch das komplette Buch. Dabei reist der Leser durch die Zeit, da Tom sowohl aus seiner Gegenwart berichtet, als auch in Erinnerungen schwelgt, die bei ihm durch alles Mögliche ausgelöst werden können. Die Zeiten wechseln sich demnach ab und sind auch in einer unbestimmten Reihenfolge wiedergegeben. Es ist beinahe schon wie ein Tagebuch, nur, dass eben nicht Tage, sondern diverse Jahrzehnte/ Epochen im Mittelpunkt stehen.
Das Buch handelt sich hauptsächlich um Tom, sein Leben, seine Erfahrungen und Erinnerungen. Es geht darum, wie er mit seiner besonderen Situation versucht umzugehen und wie er sich durch das Leben kämpft. Es zeigt, wie Tom durch die Zeit wandelt auf der Suche nach sich selbst, nach dem Sinn des Lebens und der einen Person, die sein Herz besitzt, aber dessen Schicksal ihm unbekannt ist. Jene Person ist die, die seinen Lebenswillen noch erhält. Nach all der Zeit, dem Leid und seinem gebrochenen Herzen, scheint er depressiv, einsam, teilweise verzweifelt, unnahbar und nachdenklich. Denn mit diesem "Gen" zu Leben, mit der Gewissheit Jahrhunderte vorbeiziehen zu sehen, Veränderungen mitzumachen und geliebte Menschen und Freunde zu verlassen oder zu verlieren- das ist Segen und Fluch zugleich. Und bevor er sich all dem aussetzt und gegebenenfalls Menschen oder sich selbst in Gefahr bringt, schottet er sich lieber ab.
Im Verlauf der Geschichte, wird dann eine Organisation auf ihn aufmerksam und "rekrutiert" ihn, was sein Leben zumindest für eine Weile zu vereinfachen scheint. Dennoch hat dies auch einen Haken und nicht alles läuft legal ab. Es gibt Geheimnisse die gewahrt werden müssen und so manch einer, der diesem auf die Spur kommt könnte sich dadurch in Gefahr begeben. Wenn dann also Tom versucht ein neues Leben in London zu beginnen und dort auf seine Kollegin Camille trifft, fängt er an weiter alles in Frage zu stellen und zum 1. Mal seit Jahrhunderten keimt etwas in ihm auf, was ihn nicht nur Angst macht, sondern auch ein schlechtes Gewissen bereitet, ihn verunsichert und innerlich zermürbt und zerreißt. Kann die Zeit alte Wunden heilen? Was ist, wenn nicht alles so scheint, wie es ist?
Vieles in dem Buch hat die -Zeit- im Vordergrund. Was bedeutet Zeit? Welchen Einfluss hat sie? Wie wirkt sie sich aus? Was geschieht in ihr? Etc. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. All das spielt eine Rolle.
Ich muss deutlich machen, dass Tom kein Zeitenwandler ist- also nicht durch die Zeit reist. Zumindest tut er es nicht körperlich, sondern nur durch seine Erinnerungen. Er lebt tatsächlich Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr,..., Jahrhundert zu Jahrhundert. Aktuell ist er über 400 Jahre alt. Äußerlich wirkt er aber wie ein Mann mittleren Alters.
Sprachlich hat mir das Buch wirklich gut gefallen. Dazu gehe ich gleich mehr im Fazit ein.
Aufgeteilt ist das Buch in 5 Teile, die aber alle gleich aufgebaut sind und demnach von Zeit zu Zeit, von Gegenwart in die Vergangenheit und zurück springt.
Fazit:
Wie auch schon -Ich und die Menschen- , hat mich dieses Werk von Matt Haig begeistert. Es gab zwar ein paar Dinge, die mich gestört haben (Dazu gleich mehr), aber größtenteils hat mir das Buch gefallen.
Matt Haig hat so eine besondere Gabe, wie ich finde, die Wörter so aneinander zu reihen und sie so zu komponieren, dass sie wunderschön und teils poetisch klingen und den Leser einfach in seinen Bann zieht. Besonders in den ersten Teilen des Buches dachte ich öfters: "Wow. Das klingt toll/schön". Die Wortwahl ist einfach klasse, meiner Meinung nach. Und mehr als 1x regte mich das geschriebene zum Nachdenken und zum reflektieren an.
Die kleinen Gedichte zwischendrin- Hach....
Die jeweiligen Zeiten/ Epochen wirkten auf mich sehr gut recherchiert. Sofern ich das jedenfalls beurteilen kann. Überprüft oder nachgelesen habe ich davon jetzt nichts.
Mit dem Protagonisten konnte ich mich sofort anfreunden. Trotz des Faktes, dass Tom nicht "normal" war, wirkte das Buch bzw. die Geschichte und die Protagonisten echt auf mich. Sie waren einfach menschlich.
Von den Meisten Nebenprotagonisten hat man meist nur kurz etwas mitbekommen. So richtig warm wurde ich mit Rose nicht, aber ihre kämpferische Art gefiel mir.
Das Thema Zeit fand ich sehr spannend, aber auch recht komplex- genauso wie der Einbau von all den Infos zu den jeweiligen Zeiten, von denen Tom erzählte. Ich mag Geschichte, hatte sowohl Geschichtsunterricht, als auch Kostümgeschichte, Kunstgeschichte, Designgeschichte und Textilkunde (Was auch ein wenig Geschichte innehat) und konnte dennoch Dinge erfahren, die ich noch nicht kannte. Dass Tom Geschichtslehrer war und eben mit seinen Erfahrungen unterrichten konnte, machte ihn sympathisch, da er mich eine meine Dozentin erinnerte, die selber mit ihren eigenen Erfahrungen und Bildern (Sie reist sehr viel) den Stoff an uns vermittelte. Dennoch muss ich sagen, dass ich irgendwann auch den Kopf so leicht abschalten musste. Es gab einfach zu viele Infos, zu viel Geschichte. Es zog sich durch das ganze Buch, was nicht komplett negativ zu betrachten ist, aber mir fehlte etwas wesentliches. Emotionen und Zwischenmenschliches.
Dass Matt Haig Shakespeare und Co (ein paar berühmte und bekannte Menschen der Geschichte) mit eingebaut hat fand ich klasse. Auch, dass die Geschichte größtenteils in London stattfand (Ich war selber erst vor fast 2 Monaten dort und konnte mir so einiges gut bildlich vorstellen).
Hin und wieder gab es Momente, die mich schmunzeln ließen. Aber auch Momente, die mich innehalten ließen und nachdenklich stimmten.
Generell sollte man keine Lovestory erwarten, denn das ist sie nicht. Der Klappentext ist diesbezüglich irreführend. Natürlich kommt Liebe auch vor, aber im Falle von Tom gibt es diese in 3 Formen - Liebe der Mutter, Liebe der Frau- Liebe des Kindes. Und jede Form hinterließ seine Spuren bei ihm, die ihn Jahrhunderte lang haben leiden lassen. Das ist, bis Camille auftritt, aber kommt das eher kurz und flüchtig rüber und ist eigentlich kaum erwähnenswert. In diesem Punkte hätte ich mir mehr gewünscht. Weniger Geschichte und dafür mehr Tom und die Liebe. Tom, der glücklich ist/wird. Tom, der zum Leben zurück finden. Tom, der wieder zu sich selbst findet. Einfach mehr Tom von heute.
Persönlich fand ich, dass das Buch leider zum Ende hin schwächer wurde. Die Sache mit Hendrich, Omai und Marion. Es gab so einiges, dass ich irgendwie nicht so ganz nachvollziehen kann.
SPOILER:
Omai -> Hendrich verlangt von Tom ihn aufzusuchen und ihn als Alba zu "rekrutieren". Tom sagte, dass er Omai seit Jahrhunderten nicht gesehen hat. Aber dann kurze Zeit später hat er auf einmal Omais Handynummer. Wenn er diese die ganze Zeit hatte... warum "rekrutiert" er diesen nicht über Handy? Warum fliegt er deshalb extra nach Australien? Macht für mich keinen Sinn.
Hendrich-> Ich frage mich echt, warum Tom eigentlich nichts hinterfragt hat oder warum er nicht alles selber auf dem Grund gegangen ist, nicht nachgeforscht und keine Beweise z.B. für dieses Institut in Berlin, verlangt hat. Tom war, als er Hendrich kennenlernte, schon einige Jahrhunderte alt. Steht in der Blüte seiner Zeit- zumindest äußerlich. Er müsste doch schlau und weise genug sein, um Hendrich nicht alles zu glauben und ihm auch nicht komplett zu vertrauen. Klar war er einsam und hat sich sicher an jeden Strohhalm geklammert, der bedeutet hat, mit seinesgleichen Kontakt zu haben bzw. "Freunde" zu haben, aber ob das ausreicht, das Gehirn komplett abzuschalten- na ich weiß nicht.
Die Szene am Ende fand ich irgendwie unrealistisch und kann den Beweggrund auch nicht verstehen. Zum Ersteren glaube ich, dass jemand, der brennt, nicht noch etliche Meter Seelenruhig laufen kann. Zum Letzteren- Warum tat er das? Wozu zündete er sich selber an? Kann ich nicht nachvollziehen.
Marion-> Ihr komplettes Aussehen mag ja gut und normal sein für die heutige Zeit, aber sie ist nun mittlerweile auch schon einige Jahrhunderte alt und sollte wissen, dass Tattoos usw. nicht einfach so entfernt werden können. Sie würde in der Zukunft (in 1000 Jahren oder einem Jahrhundert) , wenn Tattoos out sind (wer weiß das schon) ein totaler Außenseiter sein. Sie würde die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Leute könnten sie für ein Alien oder sonstwas halten. Während ihr Vater sich also immer versteckt hat, hat sie alle Blicke auf sich gezogen. Hmm...
SPOILER ENDE
Wie bereits erwähnt hätte ich mir etwas mehr Lovestory, Emotionen und Zwischenmenschliches gewünscht. Sicherlich war Tom durch alles, was er durchgemacht und erlebt hat etwas abgehärtet, aber so richtig rüber kam z.B. der Schmerz bei einem Verlust bei mir nicht. Man merkte schon, dass er an der Vergangenheit zu knabbern hatte und einige Erinnerungen ihn plagten, aber irgendwie.... ich weiß auch nicht. Mir hat einfach dieser Funke gefehlt.
Das Ende war soweit Ok.
Im Großen und Ganzen würde ich das Buch empfehlen. Wer ein sprachlich gutes Buch möchte und Geschichte mag, wird an diesem Buch sicher Gefallen finden. Wer gerne zum Nachdenken angeregt wird und hier und da etwas neues entdecken will ebenso. Wer eine reine Liebesgeschichte sucht, könnte am Ende etwas enttäuscht sein.
Auf jeden Fall danke ich dem vorablesen Team für dieses Vorab-Leseexemplar ( Ich hatte meine Pünktchen eingelöst, da ich schon erwartet hatte, dass mir auch dieses Matt Haig Buch zusagen würde. Hehe)