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Veröffentlicht am 28.04.2018

Sie dürfen nicht vergessen werden.

Die Vergessenen
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2013: Manolis Lefteris, ein Mann „für besondere Fälle“, erhält den Auftrag, für einen Klienten alte Akten zu beschaffen, die sich im Besitz einer alten Dame befinden. Für ihn eigentlich ein Routineauftrag ...

2013: Manolis Lefteris, ein Mann „für besondere Fälle“, erhält den Auftrag, für einen Klienten alte Akten zu beschaffen, die sich im Besitz einer alten Dame befinden. Für ihn eigentlich ein Routineauftrag ohne besonderen Hintergrund.

1944: Kathrin Mändler tritt eine Stelle als Krankenschwester im Pflegeheim Winkelberg an und beginnt eine Affäre mit dem leitenden Arzt der Klinik, Dr. Karl Landmann. Zu spät erst bemerkt sie das Lebensbedrohende, das hinter den Kulissen der Klinik und unter Kontrolle des Arztes geschieht.

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„Die Vergessenen“ ist ein Kriminalroman, der mich nicht losgelassen hat. Ich wollte eigentlich nur ein bisschen lesen, anfangen mit dem Buch - und habe es dann an einem Tag ausgelesen. Weglegen war nicht möglich.

Es gibt viele Bücher und Filme über die NS-Zeit, aber ich glaube, ich habe noch nichts über diese „Vergessenen“ gelesen - Menschen, die durch Behinderungen oder andere „Untauglichkeiten“ durchs Raster der Herrenmenschen fielen und buchstäblich aussortiert wurden.
Aber nicht offiziell in den Gaskammern, sondern leise und klammheimlich sterben gelassen wurden, in Hungerhäusern oder durch Krankheiten. Und das in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, Orten, an denen sie geschützt und versorgt werden sollten.
Der Roman geht nicht in die detaillierte Tiefe des gesamten Geschehens, beispielhaft werden drei Schicksale herausgesucht, die mit der Protagonisten Kathrin in Verbindung stehen.
Eine Krankenschwester, die nach und nach erkennt, dass sie in einem Pflegeheim arbeitet, in dem Behinderte und psychisch erkrankte Soldaten sterben gelassen werden und die zusammen mit einem Kollegen drei Leben und drei Tode protokolliert, um nach Kriegsende die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu können.

Dazu jedoch wird es erst viele Jahrzehnte später kommen und das unter Umständen, die so vermutlich nicht geplant waren.

Der Roman verknüpft gekonnt und vielschichtig 1944 und die Gegenwart (2013) anhand von direkt mehr als einer Handvoll Personen, die alle irgendwie miteinander verbunden und in ihrer Familiengeschichte und ihren Vergangenheiten traumatisiert sind.

Zu Beginn ist es nicht immer leicht sich reinzufuchsen in das, was einem da präsentiert wird. Viele Personen und ihre Stimmen prasseln auf einen ein und man muss sich erst einmal zurechtfinden in dem Durcheinander an Zeiten, Situationen und Gegebenheiten.
Ist man einmal drin in der Geschichte kommt man nicht mehr raus. Möchte es auch gar nicht.

Sprachlich wunderbar geschickt konstruiert baut sich eine große Spannung auf, die sich quasi bis zur letzten Seite weiterzieht - bis man nach und nach für sich selber erkennt, was eigentlich passiert ist und wer mit wem etwas zu tun hat.

Und niemand ist der Held. Das finde ich persönlich besonders beachtlich. Kathrin Mändler erkennt das große Unrecht, was den Patienten angetan wird und setzt ihr eigenes Leben aufs Spiel, um während der Morde zu protokollieren und später etwas gegen dieTäter tun zu können.
Als ihr die Möglichkeit gegeben wird, stehen ihr ihre Gefühle Dr. Landmann gegenüber im Wege und sie schweigt.
Bis die Wahrheit und ihre mutigen Taten erst Jahrzehnte später ans Licht kommen. Und das mittels einem „Mann für die besonderen Fälle“, Manolis, dessen eigene tragische Familiengeschichte ihn eng verbindet mit der Historie von Kathrin Mändler - und dessen Weste, wenn er auch viel Moral und Empathie besitzt, nicht unbedingt eine der weissesten ist.

Die Geschichte springt zwischen den Charakteren, den Orten und den Zeiten ohne verwirrend zu werden.
Vielschichtig und detailliert entwickelt sich eine Geschichte, die klug konstruiert ist, in sich schlüssig und zum Ende keine Fragen mehr offen lässt.

Ausser natürlich, wie so etwas wirklich passieren konnte, der wahre Hintergrund dieser Geschichte.

Veröffentlicht am 23.04.2018

Packender und intelligenter Psychothriller

Was ihr nicht seht
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Kate ist Kriegsreporterin und berichtet von den Brennpunkten der Kriege dieser Welt
Als ihre Mutter stirbt kehrt sie zurück an den Ort ihrer eigenen Dämonen.
Um sich von ihr zu verabschieden stellt sie ...

Kate ist Kriegsreporterin und berichtet von den Brennpunkten der Kriege dieser Welt
Als ihre Mutter stirbt kehrt sie zurück an den Ort ihrer eigenen Dämonen.
Um sich von ihr zu verabschieden stellt sie sich nach Jahren der Abwesenheit wieder dem Ort ihrer Kindheit, verbringt einige Tage in ihrem Elternhaus.

Dem Ort, an dem sie mit ihrer Schwester Sally nach dem Tod des gemeinsamen Bruders alleine Jahre voller Gewalt und Angst erlebt hat.
In denen sie zusehen musste, wie ihr alkoholkranker Vater ihre Mutter und sie selbst misshandelte.

Kate leidet durch ihren Job an einer posttraumatischen Belastungsstörung und hat Albträume.
Der Ort ihrer Kindheit verschlimmert ihren Zustand, sie hört Stimmen, hat vermutlich sogar Wahnvorstellungen, ist angewiesen auf Schmerz- und Schlaftabletten.

Eines Nachts hört sie Schreie, sieht im Nachbargarten einen kleinen Jungen, der augenscheinlich Hilfe braucht.
Niemand glaubt ihr, dass dieser Junge nicht ihren Albträumen entsprungen ist und so macht sie sich selber auf, herauszufinden, was in diesem Haus geschieht.

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„Was ihr nicht seht“ ist ein unglaublich packender Psychothriller, der von Seite eins an fesselt. Weglegen und pausieren eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.
Sprachlich faszinierend pragmatisch, einfach und eindringlich erzählt gliedert sich der Roman in drei Teile, erzählt einmal aus der Perspektive Kates und einmal aus der Sicht von Sally.
Durch den perspektivischen Wechsel bekommt der Leser die Chance, beide Frauen zu verstehen, die Emotionen und Gedanken beider Personen nachvollziehen und miterleben zu können.

Unglaublich real beschrieben die Szenarien aus Syrien, aus Aleppo.
Die Beschreibungen der Kriegsmomente verursachen Gänsehaut und auch als Aussenstehender einfacher Leser dieser Geschichte lässt sich ahnen, dass es ohne Belastungsstörung für Kate gar nicht ausgehen kann. Was sie dort miterlebt sprengt die Vorstellungskraft aller, die in friedlichen Ländern leben.

Faszinierend verwoben der große militärische Konflikt unserer Zeit mit den persönlichen Kriegen, die Kate und Sally in ihrer Vergangenheit führen mussten. Eine schreckliche Familiensituation, aus der sich beide Frauen nicht vollends befreien konnten.
Während Kate geflohen ist aus ihrer Vergangenheit und ihre Dämonen durch die anderer ersetzt hat ist Sally im Ort ihrer Familie geblieben und betäubt sich mit Alkohol.

Die Beziehung der beiden Frauen ist kompliziert und von Erinnerungen überschattet, die nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen.

Rasante Sprünge und vollkommen unvorhersehbare Wendungen machen „Was ihr nicht seht“ zu einem atemlosen Thriller.
Immer wenn man denkt, man könne jetzt verstehen oder sogar vorhersehen, was geschehen wird schlägt die Geschichte einen Haken und alles, was man bis dato zu wissen glaubte wird ungeschehen gemacht.

Bis zur letzten Seite ist man gefesselt von der Geschichte - intelligent konstruiert, in sich schlüssig und faszinierend im Aufbau bleibt dieser Psychothriller uneingeschränkt spannend.

Veröffentlicht am 10.05.2018

Theater vom Feinsten.

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«
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»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«: Zwei Theaterstücke


Zwei Theaterstücke in einem Band. Zweimal Komödie mit doch so unterschiedlichen Hintergründen.
Nr ...

»Nichtalltägliches aus dem Leben eines Beamten« und »Einladung zum Klassentreffen«: Zwei Theaterstücke


Zwei Theaterstücke in einem Band. Zweimal Komödie mit doch so unterschiedlichen Hintergründen.
Nr 1.
Hans Fredenbek, seines Zeichens so knapp am Fünfzigsten schrammend ist Beamter wie er im Buche steht. Schon optisch ist er mit dem leicht angeknitterten, natürlich grauen Anzug, dem akkurat gescheitelten Haar und der Krawatte das Sinnbild eines Arbeitenden im sicheren Dienst. Beginnend mit seinem Eintritt in sein selbstverständlich schlichtes Büro - in der Tat aber mit Laufband! - steigert sich sein monologisierendes Gedankentum über einen fehlenden Radiergummi bis hin zu einer rätselhaften Kalendernotiz (SHz). Abschweifend in private Erinnerungen und Emotionen ergeht er sich in Gedanken zu allgemeinen Verwaltungsaufgaben, Pisa-Studien und beamtischen Aufgaben, die er ach so gerne immer perfekt erledigen möchte. Ist er doch quasi verheiratet mit seiner Stelle. Doch leider stehen ihm so manche aufgestaute Emotionen ordentlich im Weg.

Nr 2.
Wir sitzen im Zug mit Marina, deren Handy klingelt. Carsten, ehemaliger Mitschüler - und das ist immerhin fast zwanzig Jahre her - ruft sie an um sie zum Klassentreffen einzuladen. Nun muss man wissen: die Beiden waren damals mal ein Paar. Und Carsten, der die große Wiedervereinigung organisieren muss (darf?), der sieht seine Chance gekommen, vielleicht alte Gefühle noch einmal aufleben zu lassen.
Zusammen mit den neugierigen Augen und Ohren diverser Mitreisender verfolgen wir Marina und ihr Telefonat mit Carsten über alte Freunde, Schicksalsschläge und … vielleicht der Erkenntnis, dass man sich doch eigentlich sogar noch ganz gerne mag. Wer weiss ….


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Mein Gott, der Herr Fredenbeck. Ich glaube, er ist schon ein bisschen zu lange Beamter. Verheiratet ist er, klar - aber ob mit der Gattin oder dem Beruf, das sei mal dahingestellt.
Man unterstellt Beamten ja ganz gerne mal Gleichtönigkeit in ihrem Beruf, und Hans scheint sich das bewusst oder unbewusst zu Herzen genommen zu haben. Alles ist gleich. Immer.

Heute liegt nur leider der Radiergummi woanders - das führt direkt zu einer Gedankenschnappatmung bei ihm. Wunderbar absurd ergeht er sich schwallartig in Abhandlungen über die Beschaffenheit und Aufgabe von Radiergummis und erläutert uns wortreich den Begriff AKTIV.

Abstrus komische Elemente lassen einen schon beim Lesen immer wieder auflachen - und dann bleibt einem das Lachen im Halse stecken, denn man realisiert, wie tragisch-komisch der Herr Fredenbeck in seiner Lage eigentlich ist. Wie er da philosophiert über alltägliche Geschehnisse und nach und nach deutlich wird, wie die Jahre des Beamtentums eine Staubschicht an Paragraphen über seine Gefühlsfähigkeit gelegt haben. Klar musste es im Urlaub krachen zwischen ihm und seiner Frau.
Er lebt für Zahlen, für Fakten, geregelte Abläufe - da hat sich so Einiges angestaut, was sich nun in teils wahnsinnigen Gedankenlabyrinthen über das Publikum ergiesst.
Skurril und zynisch ist das „Nichtalltägliche“ eines Beamten, wahnsinnig lustig und todtraurig.

Zu Lesen schon ein Fest - auf der Bühne würde ich es wahnsinnig gerne einmal erleben. Es braucht nicht mal ein großes Bühnenbild das Ganze - denn Herr von Fredenbeck organisiert das schon mit seinem Monolog selber, das Füllen der Bühne.

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Ganz anders das Klassentreffen. Nicht eine Person sondern gleich mehrere stehen und sitzen uns gegenüber und eigentlich geht es gar nicht alle was an, was Carsten und Marina da so besprechen.
Aber so ist es halt, wenn man im Zug einen Anruf entgegennimmt. Da hat man die nette ältere Dame im Nebenabteil, die es nicht lassen kann, mit spitzer Zunge ihren Senf auf das Gespräch zu streichen. Geht gar nicht ohne.
Carsten ist offensichtlich immer noch Feuer und Flamme für Marina und so nach und nach entpellt sich das „Warum“ auch für die Zuschauer.

In einem wunderbar dargelegten Dialog der Beiden wird man mitgenommen auf eine Zeitreise nach damals, erlebt die Schickssalsschläge gleich mit und lernt sie kennen, die ehemaligen Mitschüler.
Herrlich schräg und spitzfindig überzeichnet die Mitreisenden, die mit großen Ohren ähnlich dem Publikum verfolgen, was sich denn nun tut zwischen ihrer Neben-Sitzenden und dem Telefonpartner. Und endet ziemlich offen - was es nur spannender macht.

Anders als bei Herrn von Fredenbeck haben wir hier keinen zynischen, sondern einen realen, etwas entspannteren Humor, der einen in den Dialogen aber nicht weniger laut auflachen lässt.
Die Situationskomik beider Stücke ist herrlich spontan, Martin Schörle hat ein faszinierendes Talent dafür, in eigentlich trockene oder normale Alltagsthemen Witz und unglaubliche Ironie zu stricken.

Beide Stücke würde ich sehr gerne mal auf der Bühne erleben, ich bin überzeugt, dass sie „live“ sogar noch besser sind als beim Lesen.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Spannender und mitreißender Mittelalterroman.

Unter einem Banner
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Reykan, einer der höchsten Offiziere unter der Flagge des Königs Renard kämpft eine aussichtslose Schlacht um das Ansehen der Krone. Seine Truppen unterliegen dem Reich Notia und Reykan verliert nicht ...

Reykan, einer der höchsten Offiziere unter der Flagge des Königs Renard kämpft eine aussichtslose Schlacht um das Ansehen der Krone. Seine Truppen unterliegen dem Reich Notia und Reykan verliert nicht nur den Krieg, sondern auch seinen Gefährten, dem seit fast zwanzig Jahren sein Herz gehörte.
Er fängt an zu trinken, verfällt in Depressionen und hadert mit seiner Berufung, Soldat zu sein.

Renard aber befördert ihn zu einem seiner Leibwächter und Reykans Pflichtbewusstsein kettet ihn an eine Aufgabe, die er so nicht ausführen wollte.
Als die Königsstadt Arlis überfallen wird und ein Putsch stattfindet wird König Renard getötet und nimmt Reykan das Versprechen ab, seinen Sohn Benrik zu beschützen und in Sicherheit zu bringen.

Eine Aufgabe, die Reykan mehr als widerstrebt, ist der offen homosexuell lebende Benrik doch ein selbstgefälliger und verwöhnter junger Prinz, weltfremd und voller Allüren.

Die beiden machen sich auf eine Reise, die sie überraschend immer näher zusammenbringt. Während Gefahren und Intrigen an jeder Ecke lauern und sie mehr als einmal um ihr Leben bangen müssen fangen sie an, sich mehr und mehr zu verstehen, aufeinander verlassen zu können und voneinander zu lernen.

Jedoch steht Benrik die große Aufgabe bevor, das Reich seines Vaters von den Putschisten zurückzuerobern - wird er es schaffen? Wie wird es weiter- und ausgehen für ihn und Reykan?




Für mich ein sozusagen halb-neues Genre. Mittelalter und Fantasy immer gerne - Gay Romance in diesem Zusammenhang noch Neuland für mich.
Und ich bin wirklich begeistert.
Vom Buch, vom Aufbau, von den Charakteren - und auch von der „mal ganz anderen“ Liebesgeschichte.

Man fällt mit dem Buch in die Schlacht sozusagen, ohne großen Firlefanz steht man zwischen den brennenden Zelten und sterbenden Soldaten. Es bleibt keine Zeit, sich zurecht zu finden, man ist kurz überfordert und ist dann mittendrin im Kampfgetümmel. So wie es den Soldaten vermutlich selber auch geht. Und man kämpft und leidet mit, man friert und fühlt mit ihnen. Der Schreibstil zieht einen hinein in eine wirklich dramatische Situation - und auf einmal ist man auch im Bilde über Reykans sexuelle Orientierung.
Und auch hier wird man nicht blumig und romantisch an die Hand genommen und zum blondgelockten Gefährten gezogen, sondern sie küssen sich einfach. Ende. Ohne Vorrede. Ach so. Ok, die beiden sind also zusammen. So ist das halt. Ist eben einfach selbstverständlich, dass sich zwei mögen. Ob Mann und Frau oder Mann und Mann.
Und dann ist er schon tot, Reykans große Liebe. Und auch hier, zum Dritten: ohne letzte Worte, ohne Liebesschwüre mit dem letzten Atemhauch, er ist einfach tot. Gestorben in der großen Schlacht und ohne Vorbereitung ist Reykan alleine.

Und das gefällt mir alles wahnsinnig gut.
Das „es ist wie es ist“ in diesem Buch. Das „nimm es hin“. Es wird gekämpft, es wird gestorben, es wird geliebt. Punkt.
Nicht alles muss einem persönlich gefallen, aber die Fakten sind so wie sie sind.

Auch die Charaktere. Lange nicht Jeden muss man mögen - oder nicht sofort.
Benrik, der Prinz ist sicherlich auf den ersten Blick ein verwöhnter Schnösel, aber seine treffsicheren, ironischen Bemerkungen und seine oft offensichtliche Fassade machen ihn schneller sympathisch als ihm vielleicht selber lieb ist.
Er legt eine faszinierende Wandlung hin, vom weltfremden Königssohn zum Selbst-Gekrönten mit Sinn und Verstand. Viel Realismus legt er an den Tag und charmant klar sieht er sich und seine eigenen Fehler. König möchte er sein und wird er - aber er weiss um seine (noch) bestehenden fehlenden Qualifikationen, spricht sie offen an, nimmt Hilfe an und durchdenkt.
Ein schlauer Junge, der garantiert ein besserer und wesentlich menschlicherer König sein wird als sein Vater.

Auch mit Hilfe seiner vielleicht nicht unbedingt besseren, aber manchmal beruhigenden Hälfte Reykan.
Natürlich kommen sich die Beiden nicht nur auf „beruflicher Ebene“ näher, das ist schon Jedem klar. Spätestens wenn man die Herren bei ihrem ersten Trainingskampf und ihrem gegenseitigen Angezicke erlebt weiss man: da geht noch was.
Aber dieses eine Mal geht es nicht zackzack, sondern es entwickelt sich. Und das auch mit Stolpersteinen, trauert Reykan doch seinem verstorbenen Partner noch hinterher.

Und er trauert nicht nur um den Partner, sondern auch um sich selbst. Anstrengend ist er manchmal, der prinzipientreue Soldat, der … ist er denn der Held? Vieles macht er falsch durch seine Regelkonformitäten, sein „ich muss das machen obwohl es falsch ist“. Man kann ihm eigenständiges Denken gar nicht absprechen, denn er denkt ja durchaus drüber nach, dass König Renard gerne mal falsche Befehle gibt. Aber alles Denken hilft nichts wenn man doch brav salutiert und entgegen seiner eigenen Moralvorstellungen handelt.
Harrenstein, der große Putschist, der hats direkt erkannt. Und damit einen kurzen Moment im Buch, wo man ihn nicht ganz so furchtbar findet.
Vielleicht schafft Benrik ja, Reykan ein bisschen lockerer zu machen, ein bisschen davon abzubringen, nur zu folgen.

Immerhin ergänzen sich Beide hervorragend - wie man im Laufe der sehr spannenden Reise des Buches immer wieder feststellt. Langweilig wird es zu keiner Passage, viele kleine und große Dramen und Gefahren sorgen dafür, dass man immer und gerne am Ball der Geschichte bleibt, weiterlesen und wissen möchte, wie es ausgeht. Mit Reykan und Benrik, mit dem Königreich.

Ein in sich wunderbar harmonierender Aufbau der Geschichte, plastische und gut vorstellbare Charaktere mit teils spannenden Entwicklungen und ein schlüssiges Ende, das alle Fäden zusammenführt. Ein wirklich schönes Buch, ich würde mich freuen, wenn es noch weitergehen würde.

Veröffentlicht am 13.04.2018

Emotional, berührend, traurig.

Marie
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Der zwölfjährige Frido erzählt seiner kleinen Schwester Chiara eine Gute-Nacht-Geschichte.
Spannend ist sie, ein Baby wird entführt von einem alten Mann, etwas, das er mal in einer Zeitung gelesen hat, ...

Der zwölfjährige Frido erzählt seiner kleinen Schwester Chiara eine Gute-Nacht-Geschichte.
Spannend ist sie, ein Baby wird entführt von einem alten Mann, etwas, das er mal in einer Zeitung gelesen hat, wie er sagt. Chiara ist begeistert und erzählt ihrer Mutter davon.
Doch die reagiert anders als erwartet: sie verpasst ihrer Tochter schockiert eine Ohrfeige.

Ab diesem Moment wird es anders in der kleinen Familie in ihrer Etagenwohnung einer Siedlung. Die alleinerziehende Mutter von drei Kindern Veronika ist sowieso schon immer überfordert mit sich, ihrer Situation, ihrem Leben. Der Mann, den sie liebte hat sie verlassen, schon fast sieben Jahre ist es her, als Chiara noch ein Baby war, lebt nun mit neuer Frau und kleiner Tochter zusammen. Er zahlt für die Kinder, kümmert sich jedoch nur aus der Distanz.

Veronika leidet unter der Einsamkeit, gibt ihren Kindern die Schuld an ihrer Lage, betäubt sich mit Tabletten, Fernsehen und Männern.
Frido, Chiara und ihre Schwester Mira sind weitestgehend auf sich selbst gestellt, Frido der „Mann im Haus“, verantwortlich für seine kleinen Geschwister, sich und seine Mutter.

Die Gute-Nacht-Geschichte von Frido weckt schlafende Dämonen, Schuldgefühle, Erinnerungen an eine unfassbare Tat, die bisher verschwiegen wurden und die jetzt ihre Schatten werfen auf eine sowieso unhaltbare Familiensituation und aufbrechen, was nur schwer zusammenhält.

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Eine traurige Geschichte ist „Marie“. Unglaublich berührend, von Seite1 an.
Geschrieben pragmatisch, kurze Sätze, fast emotionslos. Beschreibend, erklärend, aus der Distanz erläuternd. Was einen reinzieht, einem die Freiheit lässt, selber zu fühlen. Und es macht traurig das Buch, fassungslos, es zieht einen runter.
Man möchte sie in den Arm nehmen, die drei Kinder, die gar nichts dafür können wie es ist,
Man ist wütend auf Veronika, ihre Selbstsucht, ihren Mangel an Gefühlen, ihre Fluchtversuche. Und leidet doch mit ihr, möchte sie es doch so gerne ihre Kinder lieben.
Immer wieder weiss sie, was sie eigentlich tun, sagen und fühlen sollte - kann es aber nicht. Nicht zulassen, nicht akzeptieren.
Krank ist sie, psychisch labil und eigentlich unfähig, vor Allem alleine die Kinder zu betreuuen.

Wütend macht das Buch, auch auf den Vater, der es sich so einfach macht. Liebe kann verschwinden und eine neue entstehen. Beziehungen gehen auseinander und er hat ein neues Glück gefunden. Es sei ihm gegönnt und vielleicht, so wie es im Buch angesprochen wird, hätte es auch unabhängig von einer neuen Liebe ein Ende gegeben, durch Veronikas Instabilität bedingt. Aber es sind seine Kinder, und sie sind ihm zuviel. Drei auf einmal möchte er nicht sehen an den wenigen Wochenenden, die er sie sowieso nur hat. Maximal zwei, und dann muss er doch arbeiten.

Fassungslos macht das Buch auch, wieso niemand einschreitet. Wieso können drei Kinder nach dem Suizidversuch ihrer Mutter alleine zuhause bleiben? Wieso bemerkt niemand den desolaten Zustand dieser vollkommen zerrütteten Familie?
Selbst Lehrer weichen aus, bemerken, aber fragen lieber nicht genauer nach. Lassen sich mit Lügen abspeisen, wollen lieber die Ruhe als Probleme.

Ich habe das Buch gelesen in zwei Stunden. Ich konnte es nicht weglegen. Ich habe erst nach Beenden erfahren, dass es einen Vorgänger gibt, „Glückskind“. Ich habe es mir direkt bestellt, auch wenn ich befürchte, dass es mich ebenso aufwühlen wird. Manchmal muss das wohl sein.

„Marie“ ist ein Buch, dass man lesen sollte. Es ist nicht Zeitvertreib, es liest sich nicht einfach runter. Es bricht einem das Herz und lässt einen nicht so schnell wieder los.
Mir fehlen ein bisschen die Worte, ich habe selber drei Kinder und leider ist es ein bekanntes Phänomen, dass Eltern bei Kinderthemen sensibel reagieren.
Ich werde wohl noch eine Weile nachdenken über „Marie“, es sacken lassen müssen. Und vielleicht noch einmal lesen, weil es so ein wichtiges Buch ist.