Profilbild von TochterAlice

TochterAlice

Lesejury Star
offline

TochterAlice ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit TochterAlice über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.04.2018

Mit der Großmutter in ihre Heimat

Letzte Fahrt nach Königsberg
0

Mit der Großmutter in ihre Heimat, nämlich nach Königsberg, Ostpreußen, begibt sich Ulrich Trebbin, der ihr und damit seiner Familie ein literarisches Denkmal setzt. Erzählt er doch die Geschichte von ...

Mit der Großmutter in ihre Heimat, nämlich nach Königsberg, Ostpreußen, begibt sich Ulrich Trebbin, der ihr und damit seiner Familie ein literarisches Denkmal setzt. Erzählt er doch die Geschichte von Oma Ella in den Jahren 1932 bis 1948 in Romanform und gewährt damit seinen Lesern das Erleben des Lebensbildes einer ostpreußischen Frau des 20. Jahrhunderts, wie es individueller nicht sein kann. Und doch steht es für viele Frauenbiographien dieser Zeit: es waren Frauen, die - in den meisten Fällen gänzlich unvorbereitet - die Geschicke der ganzen Familie in ihre Hand nehmen und über Gedeih und Verderb ganzer Sippen entscheiden mussten. Sonst war ja niemand da.

Der Autor zeichnet ein sehr eindringliches und farbiges Bild von der Stadt und ihrer Umgebung in der Zwischenkriegszeit - was für ein wundervoller Ort muss es gewesen sein, eine Metropole mit lebendiger Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturlandschaft und nicht zuletzt - wie es sich für eine Hansestadt nahe der Ostsee gehört - prosperierendem Handel. Auch Ellas Vater - der Urgroßvater des Autors also - war in dieser Branche tätig und betrieb einen Weinhandel. Der Leser lernt zunächst die prächtige Stadt und ihre sehenswerte Umgebung mit weitläufigen Stränden und nicht zuletzt dem Kurischen Haff, einer geologischen Besonderheit, kennen und beneidet Ella um ihre sorglose Jugend dort. Doch leider währt diese nicht lange, wir finden die Familie durch den Tod des Vaters und nicht zuletzt durch die veränderte politische Situation gewissermaßen in Auflösung vor.

Ella zumindest steht vor dem Nichts - sie kann nicht wie erhofft das Gymnasium beenden und ein Studium beginnen, sondern muss so schnell wie möglich eine Stelle finden, um ihren Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten. Dann folgt der Krieg, die Heirat mit einem Mann, der von Beginn an zweite Wahl war und die Flucht mit inzwischen zwei Kindern zur Schwester nach Potsdam. Doch Ella, immer schon verwegen, kehrt noch einmal zurück und zwar ausgerechnet im Februar 1945, wo ihr die Flüchtlingstrecks schon entgegenkommen. Eine Rückkehr für eine kurze Zeit, um Proviant zu holen zum Überleben - rund um Berlin geht das Essen aus.

Ulrich Trebbin hat diesen Roman auf der Grundlage seiner Familiengeschichte mit viel Herz und Empathie geschrieben - sowohl für seine Großmutter, aus deren Sicht er einfühlsam und durchaus realistisch den Wandel der Zeiten darstellt als auch für die Gegend, aus der sie kommt, für Ostpreußen. Mich hat die sehr warmherzige Darstellung Ostpreußens/ Königsbergs sehr berührt, es kommt wirklich wie Heimat rüber. Und zwar nicht die Trauer um den Verlust, sondern Heimatgefühle, die in Form von bestimmten Worten, Kulturgütern und Speisen, um nur ein paar Beispiele zu nennen, Wärme vermitteln. Ulrich Trebbin schreibt lebhaft und realistisch, gefühlvoll aber keineswegs überzogen.

Eine warmherzige Geschichte, mit der er nicht nur seine eigene Familie beschenkt, sondern auch seine Leser und Leserinnen. Ich empfehle das Buch jedem, der gerne Romane über deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts liest. Ich bin sicher, es wird keine Enttäuschung geben!

Veröffentlicht am 18.04.2018

Luder unterschiedlichster Couleur

Luderplatz
0

Luder unterschiedlichster Couleur tummeln sich im "Luderplatz" - Sie haben richtig gelesen, im und nicht am besagten Platz, denn hier handelt es sich um den Titel des neuen Krimis von Katrin Jäger, des ...

Luder unterschiedlichster Couleur tummeln sich im "Luderplatz" - Sie haben richtig gelesen, im und nicht am besagten Platz, denn hier handelt es sich um den Titel des neuen Krimis von Katrin Jäger, des zweiten Bandes um die Protagonistin Viktoria Latell. Und es geht rund: sowohl ihre große neue Liebe Kai als auch Fotograf Mario, ihr langjähriger Begleiter in allen - zumeist, aber nicht ausschließlich, beruflichen- Lebenslagen wie auch etliche andere Protagonisten scheinen sich als Luder zu entpuppen, nicht zuletzt die verschollene Blondine Nana - selbst Viktoria wird zum Luder, wenn es vonnöten ist - vor allem, um an eine gute Story zu kommen: und diese weist, wie bereits in "Schützenkönig", Viktorias erstem "Fall", ins Münsterland. Hier geht es nicht nur darum, Nana zu finden, sondern auch um das Aufdecken von Geheimnissen rund um das Berliner Promipärchen Rudolfo und Rita Rose - alles für einen tollen Zeitungsartikel, versteht sich!

Sie sehen schon, "Luderplatz" ist kein Ort für Langeweile, aber hier finden sich durchaus nicht nur die bereits erwähnten schrägen, sondern auch eher ruhige (Krimi)Töne - beispielsweise, wenn es um den seit fünf Jahren in Berlin vermissten Jungen Florian geht, einem Fall, den Viktoria von Beginn an verfolgt und der ihr sehr zu Herzen geht.

Das alles wirkt wirr, ist es aber nicht, denn Katrin Jäger schreibt einfach toll: packend, witzig und unterhaltsam - mit dem ein oder anderen ernsten Unterton... und so entwirrt sie alle von ihr angelegten Stränge aufs Trefflichste. Es macht einfach Spass, diesen Krimi zu lesen und es wird deutlich, dass Krimis mit einer heiteren Note nicht unbedingt seicht sein müssen. Dieser ist es jedenfalls nicht, sondern garantiert besten Lesegenuss - für Krimifans, die bspw. die Reihe der Bochumer Autorinnen Minck& Minck um Maggie Abendroth schätzen, sehr zu empfehlen!

Veröffentlicht am 18.04.2018

Schwester Leichtfuß

Mein Leben in Seife
0

ist ein gebührender Titel nicht für die Protagonistin dieses Romans, die verträumte Geschichtsstudentin und Spätzünderin Louise, sondern vielmehr für dessen Autor Kira Licht, also für eine Person aus Fleisch ...

ist ein gebührender Titel nicht für die Protagonistin dieses Romans, die verträumte Geschichtsstudentin und Spätzünderin Louise, sondern vielmehr für dessen Autor Kira Licht, also für eine Person aus Fleisch und Blut!

Beschwingt und leichtfüßig im besten Sinne kommt dieser Roman daher - propagiert als heiße Erotik-Schwarte beinhaltet er doch viel mehr - vor allem Humor und diese ganz spezifiesche Ruhrgebiiets-Stimmung, die aus meiner Sicht vor allem auf Bochum, den Handlungort dieser saftigen Schwarte - auch dieses wiederum nur in bestem Sinne gemeint - gemünzt ist.

Der versprochene bzw. in allen Beschreibungen des Romans angekündigte Sex spielt durchaus eine prominente Rolle - wieder und wieder stehen entsprechende Szenen im Fokus - doch knockt sich die Autorin durch das - nicht zu knappe - Eindringen von Humor und des atmospärischen Erzählens - selbst um die Etikette der Erotikschriftstellerin.

Mir persönlich ist das sehr recht - Sex und Erotik in einem Roman ist für mich bestenfalls schmückendes Beiwerk.Erotikroman ist nur eine Schublade, in den man diesen Roman stecken kann, was mich noch viel, viel mehr gefesselt hat, war - wie bereits erwähnt - der originelle und immer sehr passend eingesetzte Humor. Auch gut gefallen hat mir die Sprache - von Modewörtern wurde (außer im Zusammenhang mit Isabelle(einer der prominenten Nebendarstellerinnen) und Mode, wo es auch passte, Abstand genommen, so dass das Buch offen für jede Genration ist!
Und auch die Moral kam nicht zu kurz - natürlich ganz ohne erhobenen Zeigefinger, aber die Bedeutung von wahrer Freundschaft hat aus meiner Sicht in diesem Roman über Mitbewohnerinnen, aus denen Freundinnen werden, schon eine zentrale Rolle gespielt, also hat man auch was fürs Leben davon! Ein Roman, der unterhaltsam, aber überhaupt nicht oberflächlich daherkommt und dadurch ein bisschen Sonne, Leben und Leichtigkeit in die deutsche Unterhaltungsliteratur bringt! Kira Licht führt sich damit im besten Sinne als Schwester Leichtfuss unter den Autorinnen deutscher Unterhaltungsliteratur ein - wollen wir hoffen, dass sie diesem Genre noch ganz, ganz lange erhalten bleibt!

Veröffentlicht am 18.04.2018

Nicht das holländische Bier

Auf Heineken könn wir uns eineken
0

sondern.ein Prachtkerl aus dem Land der Kaasköppe war es, der Kerstin Schweighöfer vor Jahr und Tag den Kopf so sehr verdrehte, dass sie ihre Siebensachen packte und von München nach Leiden zog. Ob Nomen ...

sondern.ein Prachtkerl aus dem Land der Kaasköppe war es, der Kerstin Schweighöfer vor Jahr und Tag den Kopf so sehr verdrehte, dass sie ihre Siebensachen packte und von München nach Leiden zog. Ob Nomen in diesem Fall Omen ist, erfährt der an Holland und seinen Eigenarten interessierte Leser, wenn er sich dieses Buch zu Gemüte führt. Doch soviel sei bereits vorweggenommen, Frau Schweighöfer muss in ihrer Wahlheimat nicht (nur) leiden, sondern macht dort überaus vielschichtige Erfahrungen, die sie auf höchst unterhaltsame, humorvolle und lehrreiche Art und Weise präsentiert. Man kann sich also aus vollem Herzen auf und mit Heineken - das hier quasi als pars pro toto für alles Niederländische steht - ein(d)ecken: wer sich darauf einlässt, der wird unsere westlichen Nachbarn besser und von den verschiedensten Seiten kennenlernen!

Ich habe schon viele Bücher zum Thema Aufeinanderprallen von Kulturen gelesen und bin bspw. ein Riesenfan der Marcipane-Bücher von Jan Weiler. Doch es gibt auch viel Schlechtes in dieser Sparte: ich rate jedem, alle bisherigen Erfahrungen außer acht zu lassen und beherzt zu diesem Buch zu greifen, denn Kerstin Schweighöfers Ausführungen lassen sich nicht mit etwas bisher dagewesenen vergleichen - sie sind kein müder Abklatsch, sondern im Gegenteil höchst spritzig und individuell. Fast spielerisch erhält der Leser Einblick in politische und gesellschaftliche Entwicklungen in den Niederlanden seit 1990, doch auch in weiter zurückliegende historische Zusammenhänge vor allem in bezug auf das deutsch-niederländische Verhältnis - die Autorin hat nicht nur ein lustiges, sondern zudem ein höchst kluges Buch geschrieben.

Ich würde mich jedenfalls freuen, bald eine Reihe von Heineken- oder Schweighöfer-Büchern neben meine Marcipane-Bände stellen zu können. Aber zunächst genieße ich das, was ich habe: ein vielschichtiges Buch über ein Nachbarland, das ich gewiss immer mal wieder zur Hand nehmen werde, um nochmal nachzulesen, was genau die Rolle der Niederlande in Srebrenica war oder wie unsere Nachbarn uns sehen - denn auch dunkle Kapitel spart die Autorin nicht aus - oder auch, um einfach noch einmal zu rekapitulieren, wie man in Holland Geburtstag feiert und wie denn eigentlich Matjes fachgerecht "vernascht" werden.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Aussiedeln mit Kinderaugen

Sitzen vier Polen im Auto
0

Aussiedeln mit Kinderaugen

Polen, vor allem Oberschlesien, Ende der 1980er Jahre, also nach Tschernobyl ist trist und grau - im Wunderland BRD gibt es Süßigkeiten, Farben ... und vor allem Quelle-Kataloge! ...

Aussiedeln mit Kinderaugen

Polen, vor allem Oberschlesien, Ende der 1980er Jahre, also nach Tschernobyl ist trist und grau - im Wunderland BRD gibt es Süßigkeiten, Farben ... und vor allem Quelle-Kataloge! Das ist zumindest der Eindruck der achtjährigen Ola, der sich nur allzu deutlich beim ersten Heimatbesuch des bereits ausgesiedelten Onkels Marek bestätigt, der nicht nur massenweise Weihnachtsgeschenke, sondern auch Südfrüchte der köstlichsten Art mit sich führt. Da kann das triste, graue Polen nicht mehr mithalten, finden auch Olas Eltern und wandeln einen Besuch im Westen kurzenhand in einen dauerhaften Aufenthalt um.

Ein Weg voller Dornen, der jedoch aus der Sicht von Ola mit so viel Humor beschrieben wird, dass dem Leser auf mindestens jeder zweiten Seite Lachtränen in den Augen stehen. Es gibt massenweise schräge Charaktere, allen voran Olas Oma, eine Lebenskünstlerin, die Wert auf ihr Äußeres legt und in jeder Situation ihre Interessen zu wahren weiß. Doch auch Leidensgefährten wie die ebenfalls ausgesiedelte Familie Ogórek tragen zur Heiterkeit bei, wenn auch nur aus Sicht des Lesers - Ola und ihrer Familie machen sie das Leben häufig eher schwer.

Überhaupt legt die 1981 geborene Autorin ihr Hauptaugenmerk auf soziale Mißstände - nicht jedoch anklagend oder gar mit erhobenem Zeigefinger. Nein, eher beiläufig und aus Olas subjektiver Sicht wird das beileibe nicht einfache Leben der polnischen Aussiedler in Deutschland dargestellt, die oft ablehnende Haltung der Deutschen und vor allem auch der bereits länger hier lebenden Polen aufgezeigt. Von Zeit zu Zeit treibt die gelungene Darstellung der Gegebenheiten - natürlich ebenfalls aus kindlicher Perspektive - dem Leser Tränen der Betroffenheit in die Augen.

Doch das allergrößte Plus: Alexandra Tobor kann über sich selbst lachen - sowohl im kleinen als auch im großen, also das gesamte polnische Volk umfassend. Sätze wie "Eine Polin ließ sich nicht einmal von wurmdicken Krampfadern davon abhalten, in der Öffentlichkeit Bein zu zeigen." (S. 77) zeigen uns die Nachbarn im Osten von einer neuen Seite. Ein absolutes Lesevergnügen und ein Kleinod der Gesellschaftskritik, das quasi beiläufig zur Völkerverständigung beitragen kann. Ich lege dieses im allerbesten Sinne emotionale Buch jedem ans Herz, der Ausländer und fremd ist irgendwo auf der Welt - also eigentlich ausnahmslos allen!